Mittwoch, 28. September 2011

Kommen jetzt die Dumm-Wörter?

Folgende Wörter waren in den vergangenen Monaten in der BILD-Zeitung bzw. auf bild.de zu finden:

  • Herzlos-Vermieter
  • Billig-Mini
  • Gemein-Wurf
  • Nackt-Ukrainerinnen
  • Brutal-Attacke
  • Peinlich-Auftritt
  • Schrill-Outfit

Ihnen gemein ist eine besondere Bildungsweise, die im Deutschen so gut wie nicht vorkommt. All diese Komposita (= zusammengesetzte Wörter) bestehen aus einem Adjektiv und einem Substantiv, wobei ersteres das zweitere näher bestimmt: Ein "Herzlos-Vermieter" ist ein herzloser Vermieter, ein "Peinlich-Auftritt" ist ein peinlicher Auftritt.

Ich habe geschrieben, dass diese Wortbildungsart so gut wie nicht vorkommt - einige Ausnahmen gibt es natürlich. Der "Freistaat" etwa ist ein freier Staat, ein Begriff aus dem 19. Jahrhundert; ein "Schnellschuss" ist ein schneller Schuss, wird aber heute meist als Metapher ohne direkten Bezug auf das Schießen von Bällen oder Projektilen verwendet ("Nowotny gegen Schnellschuss bei Euro-Bonds"; derStandard.at, 18.08.2011). Man denke auch an "Starkbier", "Schnellzug", "Engpass", "Kurzgeschichte" oder "Heimlich-Manöver" (kleiner Scherz). Eine etwas größere Gruppe dieser Komposita kommt aus dem Tier- und Pflanzenreich, wobei oft ein Farbadjektiv das Erstglied ist: Braunbär, Blaualge, Gelbkiefer, Faultier, Kleinpferd.

Hiervon abzutrennen sind Wortbildungsprodukte nach dem Muster "Langohr", "Dummkopf", "Rotkäppchen" oder "Plattnase". Im Gegensatz zu den oben genannten Wörtern ist hier nämlich nicht das Zweitglied das Bezeichnete, sondern ein "außenstehendes" Subjekt, für welches das, was durch das Kompositum ausgedrückt wird, charakteristisch ist. "Langohr" bedeutet eben nicht "langes Ohr", sondern "Träger von langen Ohren", nämlich eine Fledermausart. "Rotkäppchen" heißt nicht der Kopfschmuck, sondern das Mädchen mit dem roten Käppchen. Solche exozentrischen Zusammensetzungen heißen Possessivkomposita oder auch, bevorzugt in der Vergleichenden Sprachwissenschaft, Bahuvrīhi (von altindisch "Vielreis" --> "jmd., der viel Reis hat").

Nun stellt sich die Frage, wie man Wörter à la "Nackt-Cowboy" (bild.de, 27.09.11) in der Sprachwissenschaft nennt. Wieder einmal helfen uns hier die alten Inder weiter. Die hatten für solche Komposita nämlich einen grammatikalischen Fachausdruck: Karmadhāraya ("Werk/Karma tragend"). Das wohl bekannteste Beispiel für ein Karmadhāraya ist mahārāja - "Großkönig"/"großer König". Weitere Vertreter: suputra "guter Sohn", nīlotpala "blauer Lotus", kṛṣṇaśakuni "schwarzer Vogel". In den gängigen Sanskrit-Lehrbüchern werden Karmadhārayas oft "appositionellbestimmte Komposita" genannt. Es ist ein einleuchtendes Verfahren der Wortschatzerweiterung. Und auch wenn die Beispiele aus der BILD nicht unbedingt die Krönung sprachlicher Ästhetik sind und als Ad-hoc-Bildungen geringe Chancen haben, irgendwann im Duden zu landen, kann man ihren Erfindern nicht den Vorwurf der "Sprachpanscherei" machen, allenfalls den, auf jahrtausendealte Wortbildungsmuster zurückgegriffen zu haben.

PS: Ganz verrückt wird es bei "Nackt-Beichte" (BILD) und "Schwanger-Glück" (Bunte): Es ist nämlich nicht eine nackte Beichte gemeint, sondern eine Beichte über ein vorangegangenes Nackigsein, und auch kein "schwangeres Glück", sondern das Glück über eine Schwangerschaft.

PPS: Vor ein paar Tagen erschien mir das Wort karmadhāraya tatsächlich als Captcha auf einer Filehoster-Seite. Unheimlich?

10 Kommentare:

  1. schlechte sprache läßt sich fremdsprachlich- historisch rechtfertigen?
    nice. dann kommentieren wir das doch am besten mal mit einem griechischen aorist:

    gebildet seiend schämt euch.
    ...
    ...
    mist, auch das klappt nicht überzeugend auf deutsch ;)

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  2. Trotzdem werden all die Wörter eigentlich ohne Bindestrich und zusammen geschrieben. Das ist das Ärgerliche.

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  3. @ Liesel: Es geht ja nur um die Wortbildung. Zeitformen sind ein anderes Paar Schuhe.
    @ Schaps: Klar, die Bindestrich-Manie der BILD ist ja schon legendär (Beispiel von neulich: "Kinder-Schänder"). Dass die Wörter hässlich aussehen (und auch klingen), habe ich ja nie bestritten.

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  4. Ich finde diese Wortkonstruktionen echt grauenhaft und fühle mich jedes Mal manipuliert, wenn ich so etwas lese.

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  5. Das eigentlich ungewöhnliche ist für mich, dass ein so sachlicher, rethorisch gehobener und präziser Erklärtext *g* sich ausgerechnet auf die Bildzeitung bezieht.
    Ich werde das Gefühl einfach nicht los, dass das Eine mit dem Anderene nicht zutun haben kann - Es fühlt sich falsch an !

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  6. Wie sich Deppendenglisch und Deppen-Karmadhāraya unter einen Hut bringen lässt, demonstriert das Ehemals-Seriös-Medium SPIEGEL ONLINE mit dem Sinnbefreit-Kompositum »Fast-Horror-Crash«.
    (vermutlich das Gegenteil von »Slow-Horror-Crash«)

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  7. Ferner von Brandbarth30. September 2011 um 09:24

    Besonders wohltuend finde ich die Sachlichkeit des Textes, wo sich andere in bombastisch deklamatorischer Art äußern.

    Besser finde ich diese Riesenrafflesie des Nominalstils dadurch immer noch nicht. Aber ich fühle mich jetzt besser :-)

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  8. Spiegel Online hat sich offenbar auch mit der Krankheit infiziert: http://www.spiegel.de/sport/fussball/0,1518,789144,00.html

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  9. Guten Tag Herr Gaitzsch,

    irgendein, mir unbekannter, Snobblog namens Belles Lettres hat sich ihres gestrigen Beitrags angenommen und diesen nicht unbedingt Sanft erwiedert.

    Dachte, es würde sie interessieren:
    http://www.belleslettres.eu/index.php#bildzeitung-kindersprache

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  10. Genau so schön-schrecklich sind doch auch die irren-wirren Kombinationen aus zwei Substantiven, heute mal kurz auf bild-online gesucht und hübsch-grausige Beispiele gefunden:
    - Facebook-Trinker
    - Steinzeit-Diktator
    - Lager-Mädchen und besonders schön:
    - Bier-Witwe

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