Montag, 30. Juli 2012

Außergewöhnliche Printprodukte: Der Tintling

Man kann der Jugend von heute vieles vorwerfen. Zum Beispiel, dass sie sich nicht mehr für Pilze interessiert. Pilzesammeln verbindet man unweigerlich mit den älteren Generationen (typischer Satz: "Wir geh'n in die Pilze."), die jungen Leute lachen höchstens über die Phallusförmigkeit mancher Pilze. Das schwindende Interesse an der Mykologie ist bedauerlich, denn gerade in Mitteleuropa begegnet uns eine faszinierende Vielfalt. Viele Pilze sind essbar und bieten eine überraschend breite Palette an Geschmäckern und Aromen, andere bescheren herrliche Drogenräusche. Faszinierend ist zudem, dass sich das Wissen um diese Lebewesen, die weder Pflanze noch Tier sind, sondern wie z.B. Algen und Brötchen ein eigenes Reich bilden, stetig vermehrt. In einem Pilzbuch von 1965 ist etwa zu lesen: "Bisher hielt man den Kahlen Krempling für eßbar nach genügend langer Zubereitungsdauer; neuerdings wurde jedoch festgestellt, daß er, obwohl sorgfältig zubereitet, nach wiederholtem Genuß ernste Gesundheitsstörungen verursachen kann." Das muss man sich mal vorstellen: Da ist eine gewiss beängstigend hohe Dunkelziffer von Menschen krank geworden, weil im Pilzbestimmungsbuch falsche Angaben standen!

Wer also klärt uns auf über die neuen Trends und Erkenntnisse in der Pilzologie? Nun, in jeder größeren Stadt gibt es Pilzberatungsstellen. Ansonsten hilft Der Tintling, eine zweimonatliche Fachzeitschrift im A5-Format, benannt nach der Gruppe Coprinus sensu lato.
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Daran, dass die Aprilausgabe frech mit "April April" ausgewiesen ist, sieht man schon, dass die Pilzling-Redaktion dem ein oder anderen Jokus nicht abgeneigt ist und ihre Zunft nicht immer bierernst nimmt. Sicher, auch hochfachliche Abhandlungen und taxonomische Auflistungen finden sich:


Dazwischen aber immer kleine Albernheiten, etwa wenn es um Genießbarkeitshinweise geht:


Im Tintling geht es oft sehr persönlich zu. Fundberichte kommen als Reiseprosa daher, Leser senden ihre schönsten pilzbetreffenden Erlebnisse ein. So erinnert sich etwa ein Dr. Volkbert Kell aus Rostock an sein "marinbiologisches Praktikum im Mai 1979 am Gestade des Schwarzen Meeres", bei dem u.a. dies passierte: "Schließlich schlich sich ein schon leicht angetrunkener Student auf allen Vieren von hinten an mich heran und teilte mir im Flüsterton mit, dass er mit mir eine vertrauliche Angelegenheit zu besprechen habe. [...] Sein Nachbar, mit dem er seit langem in Fehde lag, hatte einen großen Dobermann, von dem sich unser Held [...] bedroht fühle. Seine Frage: 'Mit welcher Giftpilzmixtur lässt sich solch ein 50 Kilogramm schweres Tier am schnellsten und unauffälligsten beseitigen?' Ich erläuterte ihm die Vor- und Nachteile unserer heimischen Giftpilze für die von ihm vorgesehene Verwendung und riet ihm dann, doch lieber eine massive Keule zu nehmen, sich von hinten an den Hund heranzurobben, so wie es die militärische Ausbildung weltweit vermittelt, und ihm mit gezieltem Schlag die Hypophyse zu zertrümmern." Die Story wird noch wundersamer, denn im Laufe des Abends erzählten immer mehr Studentinnen und Studenten von farblichen Veränderungen ihrer Ausscheidungen und wollten wissen, ob dies an den verzehrten Fundpilzen gelegen haben könnte. "Diese mir mitgeteilten Geschehnisse machten nun auch mich neugierig. Mein Toilettengang bestätigte die gemachten Schilderungen: Braunroter Stuhl, rotgrünger Urin."

Ja, Der Tintling wagt sich auch in unappetitliche Gefilde:


Für den Laien sind Artikel über pustelförmige Parasiten und zerfließende Gallerttränen nicht nur amüsant. Man lernt dabei auch so einiges, und seien es nur neue Wörter wie "grobwarzig", "Blattgallen" oder "Verrottungsimpuls" (ein Substantiv, das bis dato keinen einzigen Googletreffer hervorbringt).

Sehr hübsch auch: das April-Feature "Pilze als Wild-Äsung" ("Bisher wurde der Wildäsung in der Forschung keine wesentliche Aufmerksamkeit geschenkt") oder das große Helmling-Profil ("die überstehende Huthaut und der ranzige Geruch sind weitere gute Merkmale"). In der Tradition des "Playmates des Monats" gibt es einen "Pilz des Monats", außerdem zeigen die ausklappbaren Umschlagseiten ausgewählte Pilzarten, z.B. in Heft 3/2012 die Rettichgeruch-Koralle: "Fleisch im Strunk schmutzigweiß und besonders bei alten Fruchtkörpern oft wässrig marmoriert, knorpelig-elastisch, in den Ästen weißlich und gelatinös".


Nach der Lektüre einer Tintling-Ausgabe weiß man: Die Sprache der Mykologie ist die kraftvollste, körperlichste, bisweilen abstoßendste und sexuell aufgeladenste aller Wissenschaftssprachen. "Die Fruchtkörper werden selten höher als 4 mm und erscheinen weniger hirnartig, sondern mehr flach und wellig bis radialrunzelig. Drüsenwärzchen auf der Oberfläche fehlen oder sind nur spärlich vorhanden." -- "Außer den Drüslingen zählen auch die Dornige Wachskruste, der Zitterzahn und der Rötliche Gallerttrichter zur Ohrlappenpilzverwandtschaft." -- "Sporen feinwarzig-gratig-runzelig, zitronenförmig bis lanzettlich ausspitzend" -- "[D]ie Spermogonien selbst sind im Gewebe der Wirtspflanze eingesenkt und ragen mit feinsten Härchen, die bei Reife ein Sekrettröpfchen absondern, aus der Epidermis (Außenhaut) der befallenen Stellen der Wirtspflanze heraus." -- "Oberfläche jung bläulich-weiß, bald isabell bis hell graubeige nachdunkelnd, trocken, glatt und seidig, nur bei feuchtem Wetter etwas schmierig, bis zur Hälfte abziehbar." -- "Die kalkholde und wärmeliebende Art soll nach Literatur am liebsten im Nadelwald wachsen, fruktizierte aber hier auf einer Schlackenhalde."

Wenn man da nicht Heißhunger auf eine deftige Pilzpfanne kriegt!

PS: Die Tintling-Redaktion hat die zwei mir vorliegenden Hefte an das Büro der Titanic geschickt, mit der Bitte, sich des Themas Pilze anzunehmen, weil dieses viel zu selten in Titanic behandelt wird - was stimmt. Dass ich den Tintling ersatzweise an dieser Stelle würdige, ist dem Einsender, wenn nicht bekannt, so doch wenigstens (hoffentlich) recht.

Freitag, 27. Juli 2012

Betr.: Gotye, Radio, Gotye, Radio

Man kann von "Somebody That I Used to Know" halten, was man will, aber eins muss man dem Song lassen: Mit der Zeile "But you didn't have to cut me off" hat Gotye den inoffiziellen Soundtrack zur deutschen Beschneidungsdebatte geliefert.

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In den Radionachrichten gehörte Schlagzeile: "Zentralrat der Juden kritisiert Antisemitismus"

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Bin ich eigentlich der einzige, der bei Gotye immer an "Game of the Year Edition" denken muss? 

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Im Radiowetterbericht gehörter Satz: "Sonnenschein am Wochenende - das passt wie der Hans aufs Gretelchen!"

Mittwoch, 25. Juli 2012

Traumprotokoll: Rechnen

Am Vorabend hatte ich 26 Episoden von Marble Hornets gesehen (um's in einem Satz zu erklären: Marble Hornets ist eine gruselige Amateur-Serie auf YouTube), und mir war klar, dass ich in der Nacht von Albträumen heimgesucht werden würde. Statt einem zünftigen Horrorszenario kam aber nur ein First World Problem
Eine Frau teilte mir fernmündlich mit, ich hätte Gaskosten in Höhe von 2000 Euro nachzuzahlen. Weiter träumend, ermittelte ich mit einem Taschenrechner, dass das einem Betrag von 170,- € pro Monat entspricht. Nach dem Aufwachen überprüfte ich das und stellte fest, dass dieses Ergebnis ungefähr stimmte! Wieso kann ich im Schlaf so gut kopfrechnen??? 
Weniger unheimlich, dafür heiter ist noch folgendes Detail: Die Vertreterin der Energiewerke sprach nicht durch ein Telefon zu mir, sondern durch den Gaszähler.

Montag, 23. Juli 2012

Betr.: Bettelpunks, Liebesfilme, DuRöhre

Schönwetter-Punks: sitzen bei Sonnenschein vor Bankfilialen und pöbeln spendenunwillige Passanten an ("Geh doch 'nen Bausparvertrag abschließen!"); sobald es jedoch nieselt, sind sie aus der Fußgängerzone verschwunden und ruhen in Papas Eigenheim.

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Nie gehörter Satz in Liebesfilmen: "Wir haben uns auf einem Konzert von Duran Duran zum ersten Mal geküsst. Heute erinnert sie sich nicht mal mehr daran daran."

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Samstag, 21. Juli 2012

Dresdner Stadtgeschichte: Das Gedicht, das keines war

Bei einem Besuch in meiner alten Heimatstadt Dresden fuhr ich auch am Kugelhaus vorbei und stellte fest, dass dort etwas fehlte: etwas, das ich zum Glück zwei Jahre zuvor fotografisch festgehalten hatte. Es geht um diesen Banner. (zur Großansicht klicken) 


Dabei war es gar nicht der falsch gesetzte Apostroph bei "ne", der mir Bauchschmerzen bereitet hatte, sondern der Spruch an sich. Der jambische Tetrameter in den ersten zwei Zeilen erweckte den Eindruck, man hätte es mit einem Gedicht zu tun. Aber dann: ZACK! Bruch im Versmaß. Ich hatte mir eine Reihe sich tatsächlich reimender Werbesprüche ausgedacht. 

Das Kugelhaus am Wiener Platz,
für Jung und Alt ein wahrer Schatz. 

Oder: 
Das Kugelhaus am Wiener Platz, 
hier ist kein Einkauf für die Katz. 

Etwas "wilder":
Das Kugelhaus am Wiener Platz, 
hier fliegt die Kuh, hier grast der Spatz. 

Und mein Favorit: 
Das Kugelhaus am Wiener Platz, 
und damit endet dieser Satz.  

Warum die Außenwerbung schließlich abgenommen wurde, weiß ich nicht. Der Modeladen im Erdgeschoss zumindest hatte während meines Besuches gerade Räumungsverkauf, und das "Sky"-Restaurant im Dach des Hauses hat schon Anfang des Jahres zugemacht (von heute auf morgen, wie zu lesen war: Die Angestellten standen eines Tages vor verschlossenen Türen, und der Chef war nicht aufzufinden). Schade. Offenbar ist das heimliche Motto des glücklosen Baus:

Das Kugelhaus am Wiener Platz:
Erwarte keinen Traumumsatz.

Mittwoch, 18. Juli 2012

Ein paar Podcast-Empfehlungen (für Nerds)

Ohne besonderen Anlass möchte ich heute meine Lieblings-Podcasts vorstellen:
  • Der Overthinking It Podcast: "Where we subject the popular culture to a level of scrutiny it probably doesn't deserve" - der etwas sperrige Slogan spricht für sich. Sowohl auf der Webseite als auch im dazugehörigen Cast trifft sich die Nerd-Elite Amerikas, um Filme, Serien, Musik und Videospiele kaputtzuanalysieren. Das ist hochintelligent und dabei ungeheuer witzig. (wöchentlich, ca. 60 Min., englisch)
  • Spieleveteranen: Ein Projekt älterer (d.h. z.T. über 40jähriger!) Computerspiele-Journalisten, darunter die "PC Player"-Legenden Jörg Langer, Heinrich Lenhardt und Boris Schneider (verh. Boris Schneider-Johne). Sie unterhalten sich über aktuelle Spieletrends und die guten alten Zeiten. (etwa monatlich, bis zu 100 Min., deutsch)
  • Der Whocast: der deutsche Podcast zur britischen Kultserie "Doctor Who". Die Moderatoren sind in ihren Bewertungen - um mal ein abgedroschenes Wort zu verwenden - gnadenlos und scheuen sich auch nicht vor harscher Kritik. Obwohl dieser Cast natürlich in erster Linie Who-Fans anspricht, soll es Leute geben, die ihn hören, ohne die Serie zu kennen ... bzw. erst durch ihn zum Anhänger geworden sind. (im Schnitt alle 2 Wochen, 30-120 Minuten, deutsch)
  • The Geekbox: Popkulturdiskussionen, ähnlich wie OTI (s.o.), nur nicht ganz so anspruchsvoll. Es gibt auf der Homepage auch ein paar Spin-offs und Nebenprojekte, u.a. "Good Job, Brain", ein Cast über Fakten, Wissen und Trivia. (wöchenlich, ca. 75 Min., englisch)
  • The HP Podcraft: "The H.P. Lovecraft Literary Podcast". In dieser Reihe werden Geschichten von H.P. Lovecraft (auszugsweise oder vollständig) vorgelesen (mit stimmungsvoller Musik unterlegt) und besprochen. Mittlerweile ist man mit dem Original-Kanon durch; wie es weitergeht, weiß ich noch nicht, da ich die letzte Folge noch nicht gehört habe. (wöchentlich, 30-60 Min., englisch)
Und hier noch ein paar Sendungen, die leider inzwischen abgeschlossen sind:
  • Allmovietalk: der beste Movie-Podcast, den es je gegeben hat. Zwei Kinobuffs unterhalten sich über Klassiker wie Neuheiten, schauen hinter die Kulissen und geben wertvolle Filmtipps. 
  • The ABC's of SNL: Ich bin mir nicht ganz sicher, ob der Cast wirklich abgeschlossen ist, aber die Beschreibung zu Folge 5 (die ich noch nicht angehört habe) sagt, es handele sich um "the final chapter". Host Kevin Smith (genau, der Regisseur!) unterhält sich vor Studiopublikum mit Jon Lovitz, der von 1985 bis 1990 Castmember bei "Saturday Night Live" war. Absolut epischer Shit, wenn man sich für SNL interessiert!
  • Der GameStar Podcast: PC-Spiele-Podcast der Zeitschrift "GameStar", der Ende 2010 kommentarlos abgesetzt wurde. Natürlich heute nicht mehr von hoher Relevanz, aber wegen der locker-sympathischen Expertengespräche hörenswert.
  • The Plate: Wie "The Dish", auf dessen Seite er gehostet wurde, ein Podcast über Webcomics, nur um Längen anarchischer. Zum Panel gehörte der kanadische Kult-Let's-Player raocow.

Sonntag, 15. Juli 2012

Traumprotokoll: Juniordetektive

Wieder ein anderes Mal träumte mir, dass ich Mitglied einer Junior-Detektivgruppe war, die an die Ostsee gerufen wurde, um dort einen Fall aufzuklären. Eine Frau verdächtigte ihren Mann, sie zu betrügen. Wir nahmen den Auftrag an und begaben uns ans Meer, um Flipper (!) abzuholen, der uns unterstützen sollte. 
Als wir an der See ankamen, waren dort riesige Monsterwellen im Gange! Ich habe noch nie so große Wellen gesehen. Seltsamerweise bewegten sie sich quer zur üblichen Strömung, von rechts nach links. Ein Teil des Wassers schwappte dann auch über die Dünen und floss einen ungewöhnlich hohen Berg herunter. Wir Detektive glitten darauf wie auf einer Wasserrutsche entlang. Wo aber war Flipper?

Samstag, 14. Juli 2012

Ein paar Fundstücke

Eine klassische Lorem-ipsum-Schusselei, gesehen in der Cinema.

Diese spannende Frage stellt die Sächsische Zeitung - mitten im Sommer, wo an kandierte Mandeln und Früchte noch gar nicht zu denken ist.

Diese Programmankündigung, ebenfalls aus der Sächsischen Zeitung, ist ein wenig unglücklich formuliert.

Hier klafft die Bild-Schere gewaltig. Wobei ich mir sicher bin, dass es bereits eine Porno-Parodie auf "Die Eiserne Lady" gibt.

Mit ihrer großzügigen Definition von "beliebt" können mich die neuartigen Werbeeinblendungen auf Facebook nicht überzeugen.

Und hier sehen wir die Nachteile vorproduzierter Online-Texte (entdeckt auf faz.net).

Mittwoch, 11. Juli 2012

Die unkommentierte Liste

Die Künstlernamen von vier Mitgliedern der ostdeutschen Band Die Puhdys:

- "Maschine" 
- "Quaster"
- "Eingehängt" 
- "Bimbo"

Montag, 9. Juli 2012

Traumprotokoll: Frühstück

Im April 2010 hatte ich folgenden seltsamen Traum. Ich war Schüler und mit einer Menge weiterer Leute auf Klassenfahrt. In der Jugendherberge gab es Frühstück. Ich hatte mir einen Teller mit Brötchen, Aufstrichen usw. belegt und auf meinem Platz abgestellt. Ich ging noch einmal zum Buffet, um mir einen Joghurt zu holen, und als ich wieder an meinem Tisch ankam, war mein Teller mitsamt dem Essen verschwunden! Daraufhin bin ich extrem ausgerastet, wälzte mich auf dem Boden, schrie wildfremde Leute an und wachte schließlich (vor Zorn!) auf. 
Ich wunderte mich über diesen Traum, denn zum einen neige ich nicht zu öffentlich ausgelebten Wutanfällen, zum anderen habe ich mir zu dieser Zeit gar nix aus Frühstück gemacht.

Sonntag, 8. Juli 2012

Kurz notiert: Selbstbewusste Klo-Gimmicks

Kennen Sie jene reizenden* Toilettenspülsteine, die man über den Rand der Porzellanschüssel hängt, auf dass eine chemisch-erfrischende Brise den Abort durchströme? Die Firma Bloo nennt diese Produkte allen Ernstes so:


"WC-Automat". Automaten! Da kann man ja Teebeutel gleich als "Heißgetränk-Maschinen" vermarkten! Unfassbar! 

* reizend im Sinne von "Au, das brennt!", nicht "entzückend"

Samstag, 7. Juli 2012

Sand im Kopf

(Unkenntlichmachung von mir)

Immer wenn man denkt, dümmer und schlimmer könne die Bild-Zeitung inzwischen eigentlich nicht mehr werden, verirrt man sich auf bild.de und wird eines Besseren belehrt.

Auf der Insel Amrum ist ein kleiner Junge in einem Sandloch erstickt bzw. laut Bild online ja vielmehr "ertickt". Das ist ohne Frage sehr traurig. Für Bild-Redakteure ist das aber auch das Ende der Welt, wie wir sie kennen. "Der Sand hat seine Unschuld verloren".

Dass Bild sich an toten Kindern aufgeilt, ist hinlänglich bekannt. Dass Bild tragische Einzelschicksale überdramatisiert, auch. Die Geschichte, die hier erzählt wird, ist aber schon beispiellos perfide. Lesen wir einmal - *schauder* - den vollständigen Artikel:

"Der Himmel weint milde Nieseltränen auf die Nordsee vor Amrum. [...] Die Fähre 'Schleswig-Holstein' öffnet ihr weißes Maul und spuckt Hunderte Familien an Land." Ja, wie kann diese Scheißfähre es wagen?! Hier ist gestern ein grauenhafter Unfall geschehen, hier "ist nichts mehr, wie es war", sogar der Himmel weint, und Hunderte Familien gehen einfach so "zum fröhlichen Löcherbuddeln" an den Strand, als wäre alles eitel Sonnenschein! "Es war eine merkwürdig zwiespältige Stimmung an Bord, als wir, die BILD-Reporter, die Fähre nach Amrum betraten. Es war der Tag danach." Man kann nur hoffen, dass die zu dieser traurigen, aber leider journalistisch notwendigen Dienstreise gezwungenen Bild-Reporter das nötige Maß Pietät an Bord gebracht haben.

"Da ist kein Loch im Sand, er ist fein, glatt, rinnt unschuldig durch die Finger, und doch ist es genau hier passiert." Und schöpfte man einen Eimer Wasser aus dem Pazifik, in dem immer wieder Tsunamis wüten und Tausende Todesopfer fordern - es würde genauso unschuldig durch die Finger rinnen. Wie kann Gott nur so zynisch sein? "Wenn der Sand Kinder verschluckt, spurlos und heimtückisch, unsichtbar und schweigend, dann kann das morgen wieder ..." Die Autoren wagen nicht, den Satz zu Ende zu schreiben. Zu denken allerdings schon, denn insgeheim fänden sie's natürlich super, wenn "das morgen wieder" passierte. Wie viele Seiten sich mit dem Thema füllen ließen, wie viele Schlagzeilen sich ergäben! Darf man je wieder das Sandmännchen gucken? / Frau Merkel, wann verbieten Sie endlich den teuflischen Nordseesand?

"Die weiße Fähre spuckt die nächste Ladung Familien aus, mit Eimerchen, Förmchen, Schaufeln und Spaten. Alles, was man braucht zum fröhlichen Buddeln im Sand." So endet der Beitrag, und man weiß nicht, was ekelhafter ist: die schwülstig-prosaische Schreibe oder die Implikation, welche die Aussage, der Sand habe "seine Unschuld verloren", hat. Sandstürme, Erdrutsche, Treibsand - das gibt's doch alles gar nicht. Nein nein nein, erst wenn ein einzelnes Kind auf unserem schönen unschuldigen Amrum verunglückt, dann hat der Sand seine Unschuld verloren. 

Wann die Bild-Mitarbeiter Hauke Brost und Thomas Knoop ihren Verstand verloren haben, ist leider nicht überliefert.

Donnerstag, 5. Juli 2012

Es gibt sie noch, die guten Fische

An die Dresdner VW-Manufaktur hat man sich ja schon gewöhnt, und auch eine Seifenmanufaktur ist nichts Ungewöhnliches. Vor knapp zwei Jahren aber sah ich einen Transporter mit der Beschriftung "Deutsche See. Fischmanufaktur". Was es da wohl gibt, dachte ich mir. Handgeklöppelte Makrelen, mundgeblasene Schleie, feuerverzinkte Aale? Sind die Fische womöglich aus Fischabfällen zusammengeknetet?
Der Internetauftritt von Deutsche See macht allerdings einen edlen Eindruck. Im Shop kann man zB 260 Gramm Wolfsbarsch für 36,39 € (zzgl. Versand) ordern. Ich will also nix Schlechtes über dieses grundanständige Unternehmen verbreiten. 

 
Public Service Announcement: Esst mehr Fisch!

Mittwoch, 4. Juli 2012

Dienstag, 3. Juli 2012

Traumprotokoll: Eis

Ein recht neues, aber wiederkehrendes (Alb-)Traummotiv geht so: Ich stehe an einer Eisbude und bin dabei, zwei Kugeln auszuwählen. Dieser Prozess zieht sich wegen der Vielfahl der angebotenen Sorten unerträglich lange hin. Als ich mich endlich entschieden habe und meine Bestellung aufgeben möchte, wache ich auf.
Dieses Szenario taucht auf, seit ich vor zwei Monaten in Rom war, wo ich praktisch jeden Tag von der variantenreichen italienischen Eiscremekunst probierte. Die zwei von mir im letzten Eisbuden-Traum bestellten Sorten waren übrigens besonders exquisit: zum einen Donauwellenkuchen (kann man sich ja noch vorstellen), zum anderen ein Eis namens "Pu Yi" (wie der Name des letzten Kaisers von China), das aus malaria-verseuchten asiatischen Stechmücken hergestellt wird! Hier begann ich an meinem Verstand zu zweifeln. 
Witziges Randdetail: An besagtem Eisstand war auch eine Oma, die ein Eis bestellte, dann jedoch hinzufügte "... ich hol's mir aber erst in vier Jahren ab".

Sonntag, 1. Juli 2012

Bizarre Serviervorschläge (I)

Seit einiger Zeit fotografiere ich Lebensmittelverpackungen, die absonderliche Serviervorschläge zeigen. Der Aufdruck "Serviervorschlag" ist erforderlich, damit sich der Endkunde nicht beschwert, wenn er das abgebildete Beiwerk (etwa Tomatenscheiben auf Magerquark) nach dem Öffnen der Packung nicht vorfindet.


Die Abbildung wäre nicht im Geringsten komisch, wenn daneben nicht "Serviervorschlag" stünde. Doch ohne den Hinweis würde es wahrscheinlich Kunden geben, die darin nicht die Zutaten sehen, sondern glauben, in der Packung befänden sich - trotz der Produktbezeichnung "Kokostörtchen" - Kirschen, Kokosraspeln sowie eine ganze Aprikose. Und mit solchen Kunden will sich die Firma Belbake verständlicherweise nicht herumschlagen. Andererseits: Ist es nicht irreführend, wenn auf der Verpackung ausschließlich Zutaten zu sehen sind, die sich in dieser Form nicht darin befinden? Das ist ja so, als wäre auf einer Steakpackung eine Kuh als "Serviervorschlag" abgebildet.


Die Designer dieser Margarine-Dose schlagen vor, das enthaltene Produkt ganz wegzulassen und stattdessen einige Sonnenblumenköpfe auf dem Tisch zu drapieren. Sieht natürlich schön aus, kann aber den simplen Wunsch nach einer Margarineschnitte nur unzureichend erfüllen.

Ein weiteres Beispiel. Diesmal zunächst der Inhalt:


Und das ist der Deckel:


Serviervorschlag:
1. Nehmen Sie die Shrimps aus der Verpackung.
2. Spülen Sie die Shrimps mit Wasser ab, bis die Dillsauce fast vollständig verschwunden ist.
3. Legen Sie die Shrimps in einem Haufen auf einen Teller.
4. Bestreuen Sie die Shrimps mit Dill.
5. Fahren Sie ans Meer.
6. Guten Appetit!


Auch in Mexiko gibt es Serviervorschläge auf Lebensmittelpackungen. Dieses Papier, welches stinknormale Vanillewaffeln umschlang, scheint zu sagen: "Bereiten Sie eine Schüssel mit sehr flüssigem Vanillepudding zu, legen Sie eine Kugel Vanilleeis darauf, platzieren Sie zwei gekreuzte Waffeln davor und lassen Sie dann ein mit Vanillesoße gefülltes Schokotöpfchen in die Schüssel fallen, dass es spritzt."
So geht's natürlich auch.
   
PS: Nach Aufgabe meines alten, mehr oder weniger geheimen Blogs werde ich die lesenswertesten Beiträge daraus hier herüberretten. Einige damals wochenaktuelle Themen mögen nicht zuoberst, sondern im Archiv erscheinen. Da ich dieses Blog erst 2009 begonnen habe, kann es zu Konfusionen kommen, die aber keine sind. Es lohnt sich jedenfalls, die Zeitleiste immer mal nach bis dato unbekannten Artikeln zu durchforsten.