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Freitag, 18. Oktober 2013
Eine Tür, drei Geschichten
(1) Am Ende war es doch später geworden als geplant. Ja, man hatte ursprünglich um Mitternacht aufhören wollen mit der Abschiedsfeierei, schließlich musste Sören am nächsten Morgen um spätestens 11 Uhr im Flieger sitzen, der 11 Uhr 30 Richtung Barcelona aufbrechen sollte. Wie es halt immer so ist, setzte kurz nach Mitternacht die berüchtigte Vier-Bier-Logik ein, die gemeine Partyverlängerungs-Ratio: Du hast doch schon gepackt, außerdem reicht es bei dieser Kurzstrecke, halb elf am Flughafen zu sein, d.h. du fährst kurz vor zehn los, d.h. du stehst kurz nach neun auf, d.h. du kannst satte sieben Stunden schlafen, wenn wir noch bis zwei Uhr feiern, das ist doch völlig ausreichend, außerdem werden deine Mitbewohner ja jetzt auch nicht still und leise in ihren Zimmern verschwinden, und wer weiß, wann wir das nächste Mal alle so gesellig beieinandersitzen. Und so hatten sie ihn überzeugt, diese Schweine, die er so liebte, und aus zwei Uhr wurde drei Uhr und vier Uhr. "Wann wird es eigentlich hell?", fragte Sören in die Runde. Adam und Sophia, die letzten, die noch geblieben waren, zuckten mit den Schultern. Warten wir's einfach ab, beschloss man. "Lass uns doch noch mal was richtig Episches machen, bevor du zwölf Monate unter der spanischen Sonne schuftest", schlug Adam aus heiterem Himmel vor, indem er sich den dritten Wodka Red Bull mixte. Fünf Stunden später – Sören bat die Stewardess um noch ein Wasser – versuchte er zu rekapitulieren, was beim Sonnenaufgang geschehen war. Sein Brummschädel war zu keinerlei Erinnerungsleistungen mehr zu gebrauchen. Fest stand nur, dass die drei Freunde es irgendwie geschafft hatten, die Wohnzimmertür der WG aus den Angeln zu heben und unter schmerzhaften Lachanfällen ("Das ist sooo geil!") in den nahegelegenen Park zu transportieren. Ja, von der "Tür-Aktion" würden sie noch Jahre später erzählen.
(2) Frankfurt/M. (dpa) Die am Dienstagabend als vermisst gemeldete Speisekammertür einer Frankfurter Bankiersfamilie ist wohlbehalten in einer städtischen Parkanlage aufgefunden worden. Es gehe ihr den Umständen entsprechend gut, erklärte der Hauseigentümer in einer ersten Stellungnahme. "Natürlich stehen noch ein paar Routineuntersuchungen aus, aber äußerlich scheint die Tür unversehrt zu sein." Die Polizei war zunächst von einer Ent-Türung ausgegangen, eine Lösegeldforderung blieb jedoch aus. "Das waren die schmerzhaftesten Stunden unseres Lebens", gab die aufgewühlte und sichtlich gelöste Ehefrau zu Protokoll, "diese Ungewissheit, was wollen die Kerle, warum ausgerechnet unsere Tür? Wir sind jedenfalls froh, dass die Täter es sich anders überlegt haben." Zeugenaussagen von Nachbarn zufolge hatten sich am Vorabend der Entführung zwei verdächtig aussehende Männer vor dem Anwesen der Familie aufgehalten. Ob ein Zusammenhang mit einem früheren Fall von Türnapping in Hessen besteht, ist im Moment noch unklar. Im März des Jahres waren aus einem Kronberger Einfamilienhaus die Keller- und die Badezimmertür entwendet worden; von ihnen fehlt bis heute jede Spur.
(3) "Kunst im öffentlichen Raum hat mich schon immer fasziniert", sagt Zuzanne Mäckle heute. "Die unbedingte Loslösung vom Ausstellungszusammenhang ist von daher eine Grundvoraussetzung für meine Arbeiten!" So steht denn auch der aktuelle Werkzyklus, >>draußen. nicht wohnen.<<, ganz im Zeichen der unmittelbaren Erfahrbarkeit. "Wenn ein gewöhnlicher Passant plötzlich zum Museumsbesucher wird, ohne es zu wissen, ist das für mich spannender als jede Vernissage und erfüllender als Preise oder Geld", gesteht die 39jährige Detmolderin, die 2005 an der Hochschule für Bildende Künste Bratislava ihre Abschlussarbeit "IKEA, c'est les autres" einreichte. Dafür hatte sie auf einhundert Privatgrundstücken in der slovakischen Hauptstadt Birkeland-Kleiderschränke und Billy-Regale installiert. Seit 2011 tobt sich Mäckle hauptsächlich in deutschen Großstädten aus – und hat ihre Objektpalette um Waschbecken, Fenster, Heizkörper, Esstische und eben Türen erweitert. "Wo hört das Private auf, wo ist Öffentlichkeit wohn-bar?" sind zwei zentrale Fragen der Kunstschaffenden. Nachteile ihres unkonventionellen Vorgehens? "Letzte Woche zum Beispiel", erinnert sich Mäckle, "da wurde eine Kleidertruhe, die ich auf einem Supermarkthinterhof abgestellt hatte, aufs Übelste besudelt, ob von einem Menschen oder einem Hund, kann ich nicht sagen. Und auf die Tür im Park hat gestern Nacht jemand 'Pimmel' geschrieben. Aber gerade das ist für mich Teil des Reizes, diese Interaktion!" Dass sich darüber hinaus Bußgeldbescheide über tausende Euro wegen "Belästigung der Allgemeinheit" in ihrem Büro stapeln, nimmt die Künstlerin in Kauf.
Zuzanne Mäckle: "Abandon All Hope", 2011, Vollspan-Innentür, Stadtpark. Frankfurt am Main.
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