Adel, wie, was? Das gibt's doch bei uns gar nicht mehr! werden manche jetzt denken. Eben! Und doch wird immer noch so getan, als wäre der Adelsstand nie abgeschafft worden, als hätten hochtrabende "Titel" eine über den Namensbestandteil hinausgehende Bedeutung. Zwar durften Herrschaftstitel, die vor dem Inkrafttreten der Weimarer Reichsverfassung 1919 erworben wurden, behalten werden; Personen, die diese Regelung betrifft, dürfte es heute nur noch in verschwindend geringer Zahl geben. Doch selbst Nachgeborene schmücken und schmückten sich – siehe meine FAZ-Todesanzeigensammlung – mit den schiIlerndsten Titeln und Prädikaten. In Österreich war man in dieser Beziehung strenger, da wurden selbst die "von"s getilgt; der 2011 gestorbene Kaisersohn hieß dort ganz bescheiden Otto Habsburg. (Dafür hat sich in Österreich quasi als Ersatz eine akademische Titelgeilheit breitgemacht. Sich den "Mag." in den Ausweis eintragen zu lassen ist dort etwas Selbstverständliches.)
Freilich ist es möglich, auch hierzulande seine standesgemäßen Namensteile einfach unter den Tisch fallen zu lassen (vgl. z.B. die auch sonst sehr okaye Jutta Ditfurth, geb. von Dithfurth). Die Namen sind ja auch gar nicht das Beanstandenswerte. Das Schlimme ist, dass sich "Adelige" nach wie vor privilegiert vorkommen. Sie meinen, weil sie qua Geburt über gewisse Geldmengen und Liegenschaften verfügen und über zehn Ecken mit europäischen Monarchen verwandt sind, hätten sie irgendwelche Sonderrechte oder gar -pflichten, wie etwa das Veranstalten von "Charity-Events", i.e. pompöse Fressgelage, wo veruntreubare "Spenden" gesammelt und Glamour simulierende Partyfotos für die Gala geschossen werden. Die tatsächlich existierende "Vereinigung der Deutschen Adelsverbände" hat übrigens nicht weniger als 25.000 Mitglieder.
Blaublütler mit allzu viel Tagesfreizeit sehen sich sogar dazu berufen, höhere Aufgaben zu übernehmen, und dann wird's richtig widerlich. FDP-Urgestein Otto Graf Lambsdorff: wegen Steuerhinterziehung verurteilt. Der einstige Hoffnungsträger der Union Karl-Theodor zu Guttenberg: ein ausgemachter Schmierlappen, Kriegstreiber und Betrüger. In Regensburg, erfuhr ich aus erster Hand, läuft praktisch gar nix ohne die irre Gloria von Thurn und Taxis; sogar ein "fürstliches Forstamt" regelt dort völlig unabhängig vom deutschen Amtsapparat sämtliche Wild- und Wald-Angelegenheiten. Im Freistaat Sachsen hat die anämische Wissenschaftsministerin Sabine von Schorlemer gerade das Okay für die Streichung von 57 Studiengängen gegeben.
Es lassen sich nicht einmal nennenswerte historische Verdienste des deutschen Adels verzeichnen. Die eigentlichen Regiertätigkeiten haben stets Berater, Minister und Sekretäre übernommen. Zeitgenössische Dramen und Operetten geben einen guten Einblick ins höfische Leben: Den ganzen Tag waren die royalen Nichtsnutze damit beschäftigt, in zentnerschweren Kitschklamotten wie blödsinnig herumzutänzeln, Bändchen zu schwingen und "Hoppsasa!" zu jauchzen. Dazwischen wurde geschmaust, gesoffen, geblutschändet und auf den Fußboden geschissen.
Deutscher Plebs, ich ruf dir zu: Lasst uns endlich "unser" 1789 nachholen, diesmal richtig! Und wenn der letzte Regenbogenpressen-Star enteignet, geteert und gefedert ist, sind jene dran, die noch verkommener und würdeloser sind als die Adeligen selbst: die Adelsexperten.
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