Leserinnen und Lesern der Welt und ihres Online-Ablegers wird sicher schon der Kommentator Alan Posener aufgefallen sein. Unangenehm aufgefallen. In seinen Texten vertritt er stets die "etwas andere Meinung" (nicht besonders "anders" innerhalb des Welt-Kosmos, wohlgemerkt), um diese dann mit möglichst verdrehten Argumenten zu untermauern.
In diesem Monat ging es zum Beispiel um das Vorhaben der Bundesregierung, Spielautomaten aus Gaststättenbetrieben zu verbannen. Poseners Meinung, hoho: "Man sollte sie nicht verbieten, sondern unter Arten- und Denkmalschutz stellen." Argumente: "Natürlich geht es um unsere Gesundheit. Darum geht es immer, wenn irgendwas verboten werden soll. Was früher die Blasphemie war, ist heute die Gesundheitsgefährdung: das unverzeihliche Verbrechen." (Astreiner Vergleich!) "Wer, wie ich, einen nicht unwesentlichen Teil seiner Jugend vor solchen Automaten verschwendet hat, könnte auf den Gedanken kommen, dass man da eh nicht gewinnt und als Banker oder Börsenspekulant bessere Chancen hat, zumal man dabei nicht einmal sein eigenes Geld riskiert." (Weswegen die meisten Spielsüchtigen auch irgendwann aus reiner Vernunft gesunden und eine schöne Brokerkarriere starten.) "500.000 Spielsüchtige sind so viele auch nicht." (Mein Lieblingssatz!) "Und wenn die verschwinden, finden die Leute eben eine andere Einstiegsdroge. Online-Gaming zum Beispiel." (Jawoll, nicht Online-Glücksspiel, sondern -Gaming, also etwa "World of Warcraft", wo man bekanntlich auch schon mal 500 Euro an einem Abend verlieren kann!) "Unerwünschtes Verhalten und uncoole Leute werden aus dem öffentlichen Raum verdrängt." (Ein fast richtiger Gedanke, wenn nicht verschwiegen würde, dass die Zocker in die gutlaufenden staatlichen Spielzentren abgeschoben werden sollen.)
Noch weniger Substanz hatte lediglich sein Kommentar vom 19. November zur angekündigten Monty-Python-Reunion. Poseners Standpunkt: Muss nicht sein. Weil: "Die Welt ist voller Altherrentruppen, die Auditorien voller alter Leute vorgaukeln, die Zeit sei stehen geblieben." Ende. Okay.
Ein vorläufiger Höhepunkt der Debattenkultur wurde jedoch diese Woche erreicht. "Lasst die Schotten gehen!" heißt der Artikel vom 27.11. Und er soll hier in seiner ganzen Schön- und Blödheit (kursiv) wiedergegeben werden:
Warum die Regierung in London die Schotten nicht in die Unabhängigkeit entlassen will, ist rationalen Menschen ein Rätsel. Sentimentalität und Whisky sind kein Argument. Und die strategischen Gründe, die einst die Annexion des aufmüpfigen und immer mit Englands Feinden konspirierenden Nachbarn nahelegten, sind verschwunden.
Alan Posener, der ehemalige Automatenspieler, würde Schottland also die Eigenständigkeit gönnen. Aus Sympathie, aus Verständnis, aus Liebe zum Konzept der Selbstbestimmung? Na-hein!!! Jetzt kommt's nämlich:
Längst sind die Industrien, die Schottland wichtig gemacht haben, der Schiffbau etwa, verschwunden; das Öl in der Nordsee ist leergepumpt; die fünf Millionen Schotten produzieren überdurchschnittlich viele Sozialfälle und unterdurchschnittlich gute Fußballer, dafür genießen deren Abgeordnete im britischen Parlament Privilegien, die ihnen ermöglichen, Gelder für ihre Klientel abzuzweigen. Kurz: England, Wales und Nordirland wären ohne Schottland ökonomisch und politisch besser dran. Sollen doch die Schotten die Union verlassen und sich dem Euro-Klub anschließen.
Genau! Pff! Sollen diese Loser doch alleine ihr Ding machen! Alan Posener ist übrigens gebürtiger Engländer.
Leider werden die Schotten vermutlich dem Rat ihres Premiers Alex Salmon nicht folgen und 2014 für den Verbleib im Vereinigten Königreich stimmen.
Ahahaha! Es geht also gar nicht um "die Schotten", sondern nur um die Absichten einzelner Irrer, z.B. gewisser Politiker. Weiter:
Denn seit der Niederschlagung der primitiven – und in Filmen wie "Braveheart" verkitschten und verklärten – Clans im 18. Jahrhundert war Großbritannien für die schottische Elite das Tor zur Welt. Schottlands Philosophen und Naturwissenschaftler, Ärzte und Ingenieure, Soldaten und Kapitalisten fanden im Empire ein reiches Tätigkeitsfeld.
... das sie freilich in ihren armseligen Highlands never ever gefunden hätten. N.B.: Der Einschub mit "Braveheart" wurde inzwischen entfernt und ist nur noch in einer gecacheten Druckversion zu finden – warum auch immer.
Die schottische Unabhängigkeit bleibt ein Projekt für Bürokraten, die von der Schaffung neuer Ministerien und Verwaltungen profitieren, für rückwärtsgewandte Nationalisten und für Romantiker wie Rod Stewart, der selbst die meiste Zeit in Amerika lebt.
Genau! Wie ja auch die Unabhängigkeit Amerikas nur ein Projekt für Bürokraten, Nationalisten und Romantiker war. Aber ein guter Argumentierer wie A. Posener wird ja wenigstens versuchen, sich ganz kurz in die schottische Seele hineinzuversetzen, und verstehen, dass es bestimmt nicht nur um Freiheitsschwärmerei und die Schaffung lukrativer Beamtenjobs geht. Oder?
Schottland ist freilich nur ein Symptom für den postmodernen Unernst in der Nationalitätenpolitik. Die Gründe, die einst Basken und Katalanen, Korsen und Bretonen, Norditaliener und Südtiroler dazu trieben, die Unabhängigkeit anzustreben, sind in der grenzenlosen, multikulturellen EU der Regionalhilfen verschwunden. Die Bewegungen bleiben. Und lenken von den wirklich wichtigen Problemen Europas ab.
Und das war der letzte Absatz! Da kommt nichts mehr! Weder werden die "wirklich wichtigen Probleme Europas" auch nur genannt, noch werden die Autonomiebestrebungen der Basken usw. irgendwie beleuchtet, erklärt, hinterfragt. Was bleibt, ist ein wirrer Mischmasch aus Trotz und willkürlichem Schottenbashing. Vor allem: Wären die Argumente, mit denen Posener den Nichteintritt Großbritanniens in den von ihm beargwöhnten "Euro-Klub" verteidigen würde, nicht denen ähnlich, die er Schottland in den Mund legt und zum Vorwurf macht?
Eins noch: Es kommt nur sehr selten vor, dass Online-Kommentare zu Springertexten weniger wahnsinnig sind als die Texte selbst. Die Kommentare unter Poseners Nullbeitrag waren diesmal allerdings geradezu rational! Vielleicht deshalb wurden sie samt und sonders gelöscht. Leider versäumte ich, sie rechtzeitig zu kopieren.
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