The boy who tried to catch a cloud
Der neunjährige Junge hat in seinem Leben noch kein einziges Wort gesprochen. Seine Eltern haben sich mittlerweile damit abgefunden. Klar, als er eineinhalb, zwei, drei Jahre alt wurde, ohne je einen Ton von sich gegeben zu haben, machten sie sich schon Sorgen. Der Hausarzt stellte dann fest, dass das Schweigen nicht physiologisch begründet war, sondern dass der Junge schlicht keine Lust hatte, sich verbal zu äußern. Abgesehen davon verlief alles ganz normal. Er kam in eine Spezialschule, lernte Rechnen, Lesen und vor allem Schreiben: Fortan kommunizierte er schriftlich mit seinen Mitmenschen, manchmal auch in Form von Zeichnungen. Eine Psychiaterin untersuchte den Jungen und konnte nur den Rat geben, die Situation zu akzeptieren; abgesehen von seinem "Schweigegelübde" war er altersgemäß entwickelt.
Ein wiederkehrendes Motiv in den Mitteilungen des Jungen ist jedoch auffällig: Wolken. Er scheint übermäßig von Wolken fasziniert zu sein. Es muss doch möglich sein, eine Wolke einzufangen und für die Ewigkeit aufzubewahren, denkt sich der Junge. Diesen Gedanken hat er noch nie aufgeschrieben, er möchte nicht für besessen gehalten werden. Er schämt sich schon genug für seine Stummheit! Doch ist genau das sein Leitgedanke: eine Wolke einfangen.
Jetzt ist die dreiköpfige Familie im Urlaub. Schweizer Alpen. Eines Morgens im Hotel kommt der Junge aufgeregt an das Bett seiner Eltern gerannt und zupft ihnen an den Pyjama-Ärmeln. Erregt deutet er aus dem Fenster. Man sieht einen Berg, der von Wolken verhangen ist. Die Eltern verstehen. Sie machen sich auf den Weg, alle drei. Mit nie gekanntem Enthusiasmus stürmt der Junge voran, hoch, hoch, empor auf den Alpengipfel. Schließlich befindet sich die schwitzende und hechelnde Familie inmitten der dichten Wolkenebene. Der Junge holt eine Flasche aus seinem Tornister, öffnet sie, hält sie in die Luft. Nach wenigen Sekunden zieht er die Flasche an seinen Körper und schraubt sie rasch zu. "Ich habe die Wolke eingefangen!", ruft er.
Der Junge spricht. Die Eltern weinen und lachen vor Glück, Erleichterung und Stolz. Von nun an geht's bergauf. (Die nächsten drei Stunden geht es allerdings noch einmal buchstäblich bergab, sie müssen ja ins Hotel zurück.)
Klumpos Kopfhörer
Als Klumpo seinen iPhone-Kopfhörer aus der Kabel- und Krawattenschublade nehmen wollte, hielt er inne: Irgendetwas war bemerkenswert an der Art und Weise, wie sich das Kopfhörerkabel verknotet hatte. Es war jedes Mal verknotet, wenn er den Hörer nach längerer Aufbewahrungszeit aus der Lade kramte, aber dieser Knoten war anders! Ein Blick in "Das große Buch der Knoten", das Klumpo mal aus einer Bibliothek gestohlen hatte, verriet ihm, dass es sich um einen Franziskanerknoten handelte, einen "dreifachen Überhandknoten, der als dekorativer Stopperknoten zur Verdickung eines Seiles eingesetzt wird". Klumpo war begeistert. Sofort rief er bei Markus Lanz an, dessen Telefonnummer er ebenfalls einst geklaut hatte, und erzählte ihm von dem Knoten: "Ein Franziskanerknoten! In meinem iPhone-Kopfhörerkabel! Das ist ein Wunder! Lade mich zu deiner Fernsehsendung 'Markus Lanz' ein, oder zu 'Wetten, dass..?'!" Doch Markus Lanz lehnte ab: "Das ist langweilig. Und überhaupt
– Klumpo, was ist denn das für ein komischer Name?"
Eine Woche später fand man Klumpo im Wald. Er hatte sich an einem Baum aufgehängt. "Das Seil war zu einem schönen Zweistrang-Bändselknoten gebunden", hieß es im Polizeibericht.
Der Korken (Bonusgeschichte)
Ich schellte bei meiner Nachbarin. "Guten Tag, haben Sie vielleicht einen Korkenzieher, den ich benutzen dürfte? Ich habe eine Flasche Wein gekauft, kann aber mein Kellnerbesteck nicht finden." – "Ja, ich habe einen Korkenzieher. Wollen Sie ihn mit rübernehmen?" – "Nein, danke. Ich hole schnell meine Flasche und erledige das hier." – "Da hätten Sie die Flasche doch gleich mitbringen können." – "Nee, eben nicht! Erstens wusste ich ja nicht, ob Sie mir einen Korkenzieher zur Verfügung stellen würden, zweitens kann man doch als Mann nicht einfach so mit einer Weinflasche in der Hand bei seiner Nachbarin klingeln! Wie muss das denn für Sie aussehen, wenn Sie durch den Spion schauen?" – "Stimmt. Na dann, bis gleich." – "Obwohl: Ich öffne die Flasche doch gleich bei mir. Bin sofort wieder da!"
Also ging ich mit dem Korkenzieher in meine Wohnung und machte mich ans Werk. Dabei ging zu Bruch: 1. die Flasche, 2. der Korken, 3. der Korkenzieher, 4. die Freundschaft zu meiner Nachbarin (bevor sie überhaupt begonnen hatte), 5. mein Kellnerbesteck, das ich dann doch noch gefunden hatte, 6. meine Mundharmonika (fragen Sie nicht!).
Das Gute an dieser Geschichte: Sie ist nie passiert. Nur in meiner Fantasie.
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