Neulich grübelte es so vor mich hin in meinem Hirnkastl und es manifestierte sich der folgende Gedanke. Von deutschen Verben kann man mithilfe der Endung -er Substantive bilden, die bedeuten "jemand, der Verb x macht". Beispiel: sprechen --> Sprecher. Solche Ableitungen heißen Nomen agentis. Nun fragte ich mich: Warum existieren Nomina agentis mit Umlaut neben solchen ohne Umlaut (sofern Umlautung möglich ist)? Also: Warum wird z.B. a manchmal zu ä umgelautet und manchmal nicht? Warum gibt es Jäger, Schläger, Schläfer, Räuber und Säufer, aber Raser, Raucher, Taucher, Walter und Frager? Meine erste Vermutung: Es hängt von dem Konsonanten ab, der dem umlautbaren Basisvokal folgt. Aber schon nach kurzem Vergleich wurde klar: Eine Regel lässt sich nicht erkennen. Aus backen wird Bäcker, aber aus packen wird Packer. Auch gibt es sowohl den Kläger wie auch den Frager.
Ich konsultierte die "Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache" von Fleischer/Barz – ein germanistisches Standardwerk, von dem ich eine eindeutige Antwort erwartete. Was lese ich dort auf Seite 201 der 4. Auflage? "Das Suffix wird aus lat. -ārius hergeleitet [...], woraus sich der Umlaut der Derivationsbasis erklärt." ("Derivationsbasis" = das zugrunde liegende Verb) "Der Umlaut ist jedoch schon in alter Zeit – in Abhängigkeit von umlauthemmenden Folgekonsonanten und in regionaler Differenzierung – nicht konsequent eingetreten und durch spätere umlautlose Neubildungen sind die Verhältnisse weiter kompliziert worden. Verallgemeinerbare Umlautregeln lassen sich heute daher nicht aufstellen." Das hat mich als Verfechter der Ausnahmslosigkeit der Lautgesetze natürlich getroffen wie ein Schlag in die Magengrube. Aber nehmen wir mal drei Punkte aus dem Zitat unter die Lupe.
1. Mit meiner Annahme der Abhängigkeit des umzulautenden Vokals vom folgenden Laut lag ich nicht falsch: Es gibt tatsächlich "umlauthemmende Folgekonsonanten", zu denen -ch- (/x/) zu gehören scheint. Rauchen, tauchen, machen usw. ergeben allesamt Nomina agentis ohne Umlaut: Raucher, Taucher, Macher. Aber was bewirkt z.B. ein -f-, das ja derselben Artikulationsart angehört? Da geht's wieder wild durcheinander: Raufer vs. Käufer, Strafer vs. Schläfer (nun gut, Raufer und Strafer sind nicht sehr geläufige Wörter. Hmmmm ...). Band 43 ("Das Adjektiv") der IDS-Reihe "Sprache der Gegenwart" erklärt, wenn auch in anderem Zusammenhang: "Auch die Konsonantenverbindungen l + Konsonant, r + Konsonant, n + Konsonant erschweren den Umlaut des vorangehenden Basisvokals weitgehend", wogegen allerdings die Bildung Mörder spricht. Seufz.
2. "regionale Differenzierung": Umlautbezogene Schwankungen kennt man vor allem aus dem süddeutschen Raum, man denke an "er frägt" oder "er schlagt". Fleischer/Barz liefern auch Belege aus der Literatur: "Rauber (Gryphius), Abläder (Goethe), Täucher (J. Paul)". Das verkompliziert die Sache in der Tat.
3. "spätere umlautlose Neubildungen": Ich kann es auf die Schnelle nicht beweisen, aber ich habe das Gefühl, dass neuere Bildungen eher auf Umlaute verzichten. Ist der Beruf des Packers (oder wenigstens dessen Benennung) jünger als der des Bäckers? Das Grimmsche Wörterbuch kennt beide.
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UPDATE: Kurz vor dem Posten dieses Eintrags bin ich bei Google Books auf die Monographie "Abgeleitete Personenbezeichnungen im Deutschen und Englischen: kontrastive Wortbildungsanalysen im Rahmen des Minimalistischen Programms und unter Berücksichtigung sprachhistorischer Aspekte" von Heike Baeskow gestoßen. Darin scheint das Rätsel gelöst zu werden; es geht u.a. um mysteriöse "freischwebende Merkmale [- hint]", um Positionen und Akzente. Leider fehlen in der Google-Ansicht zwei entscheidende Seiten, und da ich mir nicht extra das Printexemplar für 180 € kaufen möchte, werde ich mir das Packer-Bäcker-Phänomen wohl nie gänzlich erschließen können.
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