Dieser Artikel aus dem Uni-Spiegel: "Auf Sinnsuche".
"Sie bleiben an Mülleimern stehen, stecken den Arm tief hinein und wühlen - Pfandsammler verwandeln achtlos weggeworfene Flaschen in bares Geld. Doch eine soziologische Studie zeigt jetzt: Ihnen geht es nicht in erster Linie um die paar Euro." Hintergrund: Ein Freiburger Soziologe, dessen Namen ich hier nicht nenne, hat eine Dissertation geschrieben, die der deutschen Trickle-down-Gesellschaft wunderbar in die Hände spielt. "Nicht die Armut vereint die ansonsten sehr heterogene Gruppe der Flaschensammler, sondern die Sehnsucht nach einer festen Tagesstruktur und einer Aufgabe, die an Arbeit erinnert." Seht ihr, redet uns der Kerl ein, das sind alles nützliche Teilnehmer des modernen Lebens! Hinterfragt nicht, warum in einem Erstweltland überhaupt Menschen in Mistkübel greifen müssen, sondern erfreut euch daran, dass sie unsere Straßen sauber halten und dabei ihre bescheidene Art persönlicher Erfüllung erfahren dürfen!
"Reich wird sowieso keiner mit der Suche nach Leergut", heißt es weiter. Der Studiendurchführer "schätzt den durchschnittlichen Verdienst eines Sammlers, der täglich auf Tour geht, auf etwa 100 bis 150 Euro im Monat. Die Menschen, mit denen er für seine Dissertation sprach, hatten alle noch andere Einnahmequellen wie Rente, oder Mini-Jobs." Klar, und die 150 Euro sind natürlich nicht notwendig zum Überleben, sondern ein schönes Zusatzeinkommen, von dem der Rentner oder die Minijobberin dann zwei zusätzliche Male in die Oper oder ins Sternerestaurant gehen kann. Im Ernst: Abgesehen davon, dass jemand, der von einem Studenten über seine prekäre Situation befragt wird, diese schon mal durch Lügen zu beschönigen versucht, ist es nicht weniger als ein himmelschreiender Skandal, dass hier eine alarmierende Erkenntnis – nämlich dass Bürger trotz gesetzlicher Bezüge per Griff in anderer Leute Abfall zum Aufstocken gezwungen sind – rotzfrech verklärt wird.
Der Akademiker romantisiert: "Das Pfandsammeln bietet Menschen, für die die Ausfüllung von freier Zeit ein zentrales Problem darstellt, eine Lösung an". DIE AUSFÜLLUNG VON FREIER ZEIT! Joah, das ist halt das Hobby von denen da unten. Wo wir Soziologen zum Yoga oder zum Seidenmalereikurs fahren, zieht der gelangweilte Geringverdiener abends noch ein paar Runden um den Block und räumt den Glasmüll fort. Der Uni-Spiegel weiter: "Viele wollten durch ihre Streifzüge einfach wieder Teil des sozialen Lebens werden, rauskommen, Leute sehen, mit ihnen reden." ... wie ja auch Obdachlose hauptsächlich wegen der frischen Luft und der interessanten potentiellen Gesprächspartner im Freien leben.
Am Ende lesen wir: "Wer den Sammlern ihre Arbeit ein bisschen angenehmer gestalten will, kann das übrigens mit einfachen Mitteln tun: leere Flaschen neben den Mülleimer stellen, statt sie hineinzuwerfen [...]." Dazu passt dann auch die Einführung des inzwischen preisgekrönten "Pfandrings" in immer mehr Städten (bitte selbst googeln): Wenn wir die Mittellosen schon nicht von ihrem Lieblingszeitvertreib abhalten können, sorgen wir doch wenigstens dafür, dass sie dabei nicht so eklig aussehen. Oder, wie es der Erfinder dieser Armut zementierenden Vorrichtung in einem Interview ausgedrückt hat: "Ja, es ist schon ein Unterschied, ob ich dir etwas vor die Füße werfe, oder ob ich es dir gebe." Solange das Verhältnis zwischen Geben (= oben) und Empfangen (= unten) klar erkennbar ist und bestehen bleibt. Ich kann gar nicht so viele Flaschen leeren, wie ich kotzen möchte.
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