(Teil 1)
(Teil 2)
Da stand Timo nun, mitten im Nirgendwo, und beguckte sich den korrodierenden Karosserietorso. Urplötzlich raschelte es. Timo drehte sich um und erblickte eine Gestalt, die in den angrenzenden Büschen verschwand. Er nahm die Verfolgung auf. Die Gestalt war eine blutjunge, oder wie es auf einschlägigen Webseiten oft heißt, "barely legal", Frau. Nach etwa einer Minute stellte Timo die Flüchtige nahe einer Weißfichte. "Nenne mir deine Personalien!", gebot er. Das Mädel sagte: "Ich bin Ruxana Malgorzata. Ich komme aus Polen und weiß gar nicht, was ich sagen soll." Sie sprach nahezu akzentfrei. "Wie bist du hierher gelangt?", wollte Timo wissen. "Durch einen Tunnel", flüsterte sie. "Mehr kann ich nicht verraten. Und jetzt lassen Sie mich gehen. Ich will zurück in meine Heimat Jugoslawien." Timo stutzte: "Augenblick mal! Eben sagtest du noch, du kommst aus Polen! Du verheimlichst mir doch irgendwas!" Da boxte Ruxana Timo in die Magenkuhle, so dass er niederging. Als sich der Schmerz gelegt hatte, erhob sich Timo – Fichtennadeln hafteten an seiner Kleidung – und musste feststellen, dass Ruxana verschwunden war. 'Die Fichtennadeln verströmen einen angenehm erfrischenden Geruch', dachte er. 'Klar, sie werden ja auch für Badezusätze verwendet.'
Am Nachmittag zogen etliche dunkelgraue Wolkenbrocken auf. Unerwartet stieß Timo auf einen Zeitungskiosk, in dem ein spindeldürrer Niederländer saß. "Ja, sind denn hier alle Nationalitäten vertreten oder was?!", entschoss es Timo. "Und warum steht überhaupt ein Kiosk im dustern Märchenwald?" "Wir haben geschlossen", sagte der Verkäufer. Timo fluchte: "Typisch! Es ist doch zum Haare raufen!" "So, jetzt haben wir geöffnet", sprach der Holländer. "Was möchten Sie kaufen?" Timo erstand eine Tasse Tee und eine Tageszeitung. Dies war darin zu lesen:
Relativ eigenartiger Unfall bei Eldrehaug
Gestern trug sich ein Unfall zu. Ein Lkw-Fahrer ist dabei um ein Haar unversehrt davon gekommen. Aber dann ist er doch gestorben. Tja, so läuft's eben manchmal. Als wir den hiesigen Polizeisprecher um eine Stellungnahme baten, versteckte sich dieser unter seinem Schreibtisch und verweigerte jegliche Auskunft. Wir spekulieren, dass hinter dem Unfall die Trolle stecken. Diesen bitterbösen Folkloremännlein ist das ja zuzutrauen. Gerüchten zufolge arbeitet jetzt ein Kanadier an dem Fall. Wahrscheinlich hat er sich aber längst verlaufen.
"Das stimmt! Ich habe mich verlaufen!", rief jener. "Guter Mann, haben Sie eine Landkarte oder ähnliches?" Der Kioskbesitzer schüttelte träge den Kopf. "Leider nein. Ich weiß ja selber nicht, wo ich bin. Ich nehme mir jeden Tag vor, den Lieferanten zu fragen, aber dann verpasse ich es immer, weil ich so lange schlafe." Timo fasste es nicht: "Ich fasse es nicht! Hier müssen doch Reifenspuren von dem Zulieferer sein. Und seit wann betreiben Sie überhaupt dieses Büdchen?" "Zehn Jahre? Zwanzig? Dreißig? Ich weiß es nicht. Und der Zulieferer kommt zu Pferde. Ich kann Ihnen wirklich nicht weiterhelfen, junger Freund." Timo gab nicht auf. "Haben Sie zufällig ein junges Mädchen hier vorbeihuschen sehen?", fragte er. Der Verkäufer verneinte das. Dann erkundigte sich Timo über den Vorfall, der in der Zeitung beschrieben war. Der Holländer sprach: "Ich kann nicht lesen. Deshalb weiß ich nichts von den Vorkommnissen." Enttäuscht verließ Timo den Ort. Er bezweifelte, dass er hier noch einmal vorbeikommen würde. "Am besten gehe ich zum Unfallort zurück", beschloss er. Doch es war zwecklos. Er hatte total die Orientierung verloren. Zum Glück ging die Sonne nicht unter. Dafür wurde es sehr kalt. Bodenfrost. Timo legte sich zum Sterben hin. "Sollen mich doch die Eisbären fressen", maulte er. Als sein Herz gerade stehen bleiben wollte, schrak er auf, denn hinter einem Hain bewegte sich tatsächlich die mysteriöse Ruxana Malgorzata! Diesmal durfte er sie nicht entkommen lassen! Er pirschte sich elegant heran; das hatte er auf einem Wochenendseminar mit dem Titel "Wecke den Indianer in dir" gelernt. Dann ging alles ganz schnell.
(Fortsetzung folgt)
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