Herr Spinne fuhr uns in die Agavenchaussee, wo die wohnungswechselnden Eheleute schon warteten. "Wo kommen Sie denn jetzt her, verdammt? Es ist 23 Uhr!", schimpfte Herr Beutelmüller. Ebby rülpste laut und griff dem Mann ans Schlafittchen. "Wir können auch wieder abdampfen, du Backpfeifengesicht! Dann kannste sehen, wo du neue Möbel herkriegst." "Genau!", warf Ralle ein. "Außerdem waren wir bei Opa Waldemar!" Da hatten die Beutelmüllers ein Einsehen. Nichtsdestotrotz gaben sie kein Trinkgeld, denn die Möbel waren allesamt zertrümmert. Auch die neue Erdgeschosswohnung des Ehepaars war größtenteils zerstört worden, als der Lastkraftwagen mit 100 Sachen hineingekachelt war. Ein herbeibeorderter Polizist konnte nur noch feststellen, dass der Grund für den Unfall das Fehlen einer Bremse war. Zusammen mit den Packern ging er dann einen trinken. Ich musste den Beutelmüllers noch beim Aufräumen helfen, ehe ich nach Hause gehen durfte. Erst vier Uhr früh lag ich auf meiner Couch und sah fern. Als die Sendung "Um Geld knobeln mit Spaß" vorbei war, schellte mein Wecker. Unter dem Sofa rollte Pontius hervor, nahm mich auf und lieferte mich abermals im Umzugsfirmencontainer ab.
Wie am Vortag hatte ich mich ins Schlepptau des klobigen Herrn Spinne nebst seinen zwei Lakaien Ebby und Ralle zu fügen. Dabei fiel mir auf, dass der Mann, der gestern noch Ralle geheißen hatte, mit "Ebby" angesprochen wurde, während der andere "Ralle" genannt wurde, obwohl ich jenen unter dem Namen Ebby abgespeichert hatte. Oder verwechselte ich die beiden? Möglich war's eingedenk meiner chronischen Verwirrtheit und des Schlafdefizits. "Auf zum Schwansteiner Platz!", blökte Herr Spinne. Wir gingen per pedes. Auf dem angekündigten Marktplatz herrschte reges Treiben, und der Chef erklärte: "Die Litfaßsäulen müssen mitgenommen werden. Beeilt euch aber, wir wollen nicht zu viel Aufsehen erregen!" "Was ist denn das für'n komischer Auftrag?", sagte ich. "Ich dachte, wir sind eine Möbelpackerei." Herr Spinne wurde fuchtig und zog mir die Ohren lang. Ich versuchte mich zu widersetzen, wies auf die offensichtliche Sinnlosigkeit unseres Tuns hin, aber Herr Spinne saß am längeren Hebel.
Insgesamt waren drei Säulen zu entfernen. Sie steckten in stählernen Verankerungen im Asphalt und konnten nur durch heftiges Rütteln und unter großer Kräftezehrung extrahiert werden. Am frühen Nachmittag nannte Spinne mir eine Adresse: "Hermelingässchen 60. Da müssen die Litfaßsäulen hingerollt werden! Ebby, Ralle und ich sind jetzt müde. Jeder von uns legt sich in eine Säule, und du rollst uns zum Bestimmungsort! Keine Widerrede! Verwende diesen Holzstab. Bis später." Ich wunderte mich, warum wir nicht erst Opa Waldemar besuchten, da hatten sich die drei Männer schon in ihren steinernen Schlafsäcken verkrochen.
Wenn mich jemand sah, was musste der denken?! Ein halbwüchsiger Lehrling drischt mit einem Holzstecken drei vermeintlich leere Litfaßsäulen vor sich her! Welches Konzept sollte hinter so einer Aktion verborgen sein? Ich stieg nicht dahinter. Einerlei – ich hatte schweigen gelernt und erledigte meine Aufgabe verantwortungsbewusst. 16 Uhr 30 erreichte ich einen indisch anmutenden Landstrich, der als Hermelingässchen (in Devanagarischrift) ausgewiesen war. Ich hatte ohne Landkarte mein Ziel gefunden! So was lernt man in keiner Schule! Hausnummer 60 war schnell ausfindig gemacht, "Fräulein Lenhardt" wohnte dort laut Briefkastenbeschriftung. Ich läutete. Erst jetzt bemerkte ich das eigentümliche Odeur, das in der Luft schwebte und Nuancen von Pfeffer, Safran, Koriander, Curry, Kardamom und Ingwer zu enthalten schien. Schnuppernd sinnierte ich, ob ich tatsächlich auf dem indischen Subkontinent gelandet war.
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