Anfang der Woche schreckte uns "Spiegel online" mit dieser Schlagzeile auf: "Gasspeicher so leer wie noch nie im Herbst".
"Leer wie nie": eine Phrase, die einmal mehr zeigt, wie gut der Spiegel in Sprachdingen inzwischen mit der Bild mithalten kann ("Anni Friesinger nackt wie nie!"). Das Adjektiv "leer" definiert der DUDEN so: "nicht mit etwas gefüllt; ohne Inhalt". Ein Gasspeicher kann schlechterdings nicht eben mal "ein bisschen leer" oder gar "leer wie nie" sein. Ich könnte mich eventuell auf die Formulierung "leerer als im Vorjahr" einlassen, wenn verdeutlicht werden soll, dass in einem Behälter weniger drin ist als im Jahr davor. Oder warum nicht wie die FAZ, welche "Spiegel online" in seinem Artikel verlinkt, einfach "Gasreserven so gering wie lange nicht" schreiben? Das wäre freilich weniger reißerisch.
Aber wie leer sind die Erdgasspeicher denn nun? "Fast leer!", schrei(b)t ähnlich panisch "Focus online". Das Wirtschaftsministerium weiß es genauer: Die Füllstände betragen 77 Prozent. Aha. Da kann man schon mal durchdrehen. Erinnern wir uns an das Jahr 2013, als unisono vor einem kommenden Fimbulwinter gewarnt wurde, der uns, wenn nicht das Leben, so doch mindestens horrende Energienachzahlungen kosten würde. "Die Jahresrechnung 2013 könnte um bis zu 18 Prozent höher liegen als im vergangenen Jahr, wie aus einer Schätzung des Deutschen Mieterbundes (DMB) hervorgeht", wusste die Welt. Und schon im November 2012 hatte die Bild den "teuerste[n] Winter aller Zeiten" ausgerufen. Dazwischen dann immer wieder die Angstmacherei davor, dass uns der Russe den Gashahn zudreht. Ja, es wurde eine ungemütliche Jahreszeit, aber trotzdem kannte ich keine Person in meinem Umfeld, die dabei einen Zeh verlor oder einen Kredit aufnehmen musste, um die nächste Nebenkostenrechnung zu begleichen. Ich habe sogar ein paar Euro rückerstattet bekommen; dieses Jahr übrigens auch.
Deutsche Medien sollten sich in manchen Dingen die Gelassenheit Österreichs zum Vorbild nehmen: "Die österreichischen Gasspeicher sind heuer etwas weniger gefüllt als im Vorjahr. Das sei aber kein Problem, da einerseits Österreich traditionell eine der höchsten Deckungsquoten in Europa habe und andererseits die Lage in der Ukraine stabiler sei, sagte OMV Vizepräsident Controlling, Christoph Trentini, am Donnerstag bei der Gewinnmesse." (Tiroler Zeitung, 15.10.2015)
(Noch eine semantische Spitzfindigkeit als Zugabe. Der Geschäftsführer von Deutschlands größtem Gasnetzbetreiber erklärt, was das Gegenteil von "leer" ist: "Voll sein heißt 95 Prozent plus x." Wäre also auch das geklärt.)
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