Montag, 7. Dezember 2015

"Übernatürliche" Mehrfachbegegnungen

Auf der Seite dasgehirn.info fragt eine Leserin nach der Erklärung für ein auch mir bekanntes Phänomen: "Manchmal höre oder lese ich ein Wort ewig nicht und dann taucht es plötzlich in kurzer Zeit doppelt auf, wenn auch in einem anderen Kontext."

Der Gehirnforscher Alan Richardson-Klavehn antwortet (von mir gekürzt, ich empfehle aber, alles zu lesen):
"Dieses Phänomen lässt sich wahrscheinlich auf das so genannte 'perceptual priming' zurückführen [...]: Ein Wort auf einem Blatt ist zunächst einmal nur ein Muster. Wenn man das liest, dann müssen Wahrnehmungsmechanismen im Gehirn dieses Muster verarbeiten und aus dem Gedächtnisspeicher die zum Muster passende Bedeutung abrufen. [...] Wenn man einen Reiz wie zum Beispiel ein Wort verarbeitet hat, dann kann der Reiz künftig leichter verarbeitet werden. [...]
Wenn ein selten auftauchendes Wort nun in kurzer Zeit doch wieder vorkommt, dann ist die Informationsverarbeitung bei der Wiederholung besonders erleichtert. [...] Das perceptual priming ist stärker für jene Wörter, die in der Sprache selten vorkommen, und schwächer für Wörter, die in der Sprache häufig vorkommen. Eben weil häufige Wörter schon sehr effizient verarbeitet werden.
Nun gibt es zwei mögliche Erklärungen, warum das Wort beim zweiten Auftauchen besonders auffällt. Die erste Erklärung verlässt sich auf die so genannte 'attribution theory' [...]. Taucht ein seltenes Wort in kurzer Zeit ein zweites Mal auf, dann merkt man, dass das Wort viel effizienter und fließender verarbeitet wird, als das normalerweise für ein selten auftauchendes Wort der Fall wäre. [...] Man sucht eine Erklärung dafür und denkt bewusst darüber nach, wo und wann dieses Wort einem vorher begegnet ist.
Die zweite, direktere, Erklärung [...:] Das perceptual priming, das beim zweiten Mal passiert, treibt automatisch den simultanen Abruf einer episodischen Gedächtnisspur im Gehirn an. Das führt unvermeidbar dazu, sich bewusst an die vorherige Begegnung mit dem Wort zu erinnern."

Eine befriedigende Antwort – die aber nicht erklärt, warum dieser Déjà-vu-ähnliche Effekt auch bei neu kennengelernten Konzepten, die nicht seltene Wörter sind, auftritt. Der Anlass, der mich überhaupt googeln und die zitierte Gehirn-Webseite finden ließ, war nämlich jener: Gestern hörte ich mir ein Q&A mit einem bekannten YouTuber an. Eine Frage lautete: "Welche Werke des Zeitreise-Genres gefallen dir?" Der Befragte verwies dann u.a. auf "Puella Magi Madoka Magica", wovon ich noch nie gehört hatte, weil ich mich mit Anime weder auskenne noch beschäftige. Heute nun findet man im Feuilleton der FAZ die alljährlichen Weihnachtsempfehlungen der Redaktion, und was steht dort bei Dietmar Dath in der Spalte "Was süchtig macht"? – Die DVD/BluRay "Puella Magi Madoka Magica The Movie: Part 3 - Rebellion"! Dass mir innerhalb von zwei Tagen dasselbe Werk zweimal begegnet, kann ja wohl kaum mit dem sekundären visuellen Cortex zusammenhängen. Mit dem "Gesetz der Anziehung" oder ähnlichen esoterischen Theorien sicher auch nicht. Vermutlich liegt's an einer Mischung aus Zufall und dem Fakt, dass die erwähnte Fernsehserie doch ziemlich populär ist.

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