Teil I (2008)
Teil II (2012)
Die Bürgermeisterin hatte kaum geschlafen. Ab 2 Uhr nachts hatten sich die telefonischen Medienanfragen gehäuft. Man müsse unbedingt etwas "bringen" über das "vogellose polnische Dorf" und die plötzliche "Elster-Invasion", wie boulevardnahe Newsseiten das Ereignis mit Sicherheit branden würden. War es überhaupt ein Ereignis? Konkrete Geschehnisse, geschweige denn spektakuläre, waren bis jetzt ausgeblieben. Die Elstern hatten sich ruhig verhalten, ruhten die meiste Zeit auf Zäunen oder in diversem Geäst. Den panikartigen Exodus ihrer Mitmenschen konnte die Bürgermeisterin jedenfalls nicht nachvollziehen.
Jetzt schlug die Kirchturmuhr sechs. Passend wäre es, wenn von nun an ein Hahn den Tagesbeginn verkünden würde, dachte die Bürgermeisterin schmunzelnd, während sie eine Kaffeekanne aufsetzte. Sie würde gleich ins Rathaus aufbrechen, sich mit ihrem (geschrumpften) Stab darüber beraten, wie mit den Medienvertretern umzugehen sei. Aus dem Küchenfenster erblickte sie zwei Buben, die sich vor ihrem Garten aufhielten und ein offensichtlich höchst amüsantes Gespräch führten. Was hatten die Kinder so früh auf der Straße zu suchen? Die Schulen waren doch geschlossen. Als die Bürgermeisterin das Fenster öffnete, schreckten die beiden Jungs auf, verstummten augenblicklich und suchten das Weite, nicht ohne noch in Richtung des Gartens zu gestikulieren – so als würden sie sich von einer dritten Person verabschieden. Zwischen den trostlosen Gestrüppleichen, die in dieser Saison die bescheidenen Rabatten in Beschlag nahmen, befand sich allerdings nur: eine Elster.
Etliche hundert Kilometer entfernt, im Warschauer Potocki-Palast, wartete ein Ministerialbeamter auf seinen Besuch. Der obligatorische Quartalsbericht der Nonne stand an. Viel erhoffte sich der Beamte nicht davon, eingedenk des enttäuschenden Materials, das die Kontaktfrau ihm die letzten Male vorgelegt hatte. Sie würde ihm vier, fünf, vielleicht zehn Fotos und ein paar Skizzen zeigen, er würde diese mehr oder minder sorgfältig durchgehen und gelegentlich von einem eine Fotokopie anfertigen. "Danke für Ihre Mühen", würde er nach wenigen Minuten höflich sagen, "ich melde mich, falls meine Leute etwas damit anfangen können. Ansonsten bis zum nächsten Mal."
Zwanzig Minuten noch. Gelangweilt griff der Ministeriumsmitarbeiter zu seinem Mobiltelefon. Nichts. Aber dann: ein Ton. Hatte er versehentlich auf eine selten genutzte Taste gedrückt? Dieses Geräusch hatte er zuvor noch nie gehört. Noch einmal erklang es. Dann fiel es ihm wie Schuppen aus den Augen. Es war nicht sein veraltetes Handy, was da erklang, es war das Grüne Telefon. In seinen zweiundzwanzig Jahren Dienstzeit hatte dieses Telefon noch nie geklingelt. Doch jetzt klingelte es, eindeutig. Das konnte nur eins bedeuten ...
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen