Sonntag, 6. November 2016

Dem Stier an die Hörner gefasst

{Content warning: sexualisierte Gewalt}

Den folgenden Beitrag über einen Aspekt der hiesigen Berichterstattung über den US-Präsidentschaftswahlkampf wollte ich schon vor ein paar Wochen schreiben, habe mich dann aber dagegen entschieden, weil ich zwischenzeitlich von dem ganzen Thema genervt war – auch von der Witzelei darüber ("Drumpf"-Frisuren-Gags, ahahaha!). Zuletzt hat mich der ganze Wahnsinn aber wieder heftig mitgerissen, zudem ist jetzt womöglich die letzte Gelegenheit loszuwerden, was ich loswerden möchte, denn in drei Tagen wird Donald Trump keine Rolle im Zusammenhang mit dem höchsten Amt der Welt mehr spielen, inschallah.

Zur Sache. Die nachlässige Art und Weise, mit der deutsche Medien mit gewissen trumpschen Sprachentgleisungen umgegangen sind, hat mich irritiert bis verstört. Merkt zum Beispiel niemand beim Stern, dass man sich ungut an Trumps Duktus anlehnt, wenn man auf den Titel die Zeile "Donald Trump beleidigt die Frauen" druckt? Klingt Trumps Trademark-Ausdruck "Crooked Hillary" nicht viel weniger bösartig, wenn ihn das Fernsehen konsequent mit "die korrupte Hillary" übersetzt? Die ganzen übrigen Nuancen von crooked kommen (wie auch bei "nasty woman") bei mir als deutschsprachigem Leser/Zuschauer gar nicht an! (Kennt ihr eigentlich noch die sogenannte Supergroup Them Crooked Vultures? Eine musikalische Superenttäuschung, wenn ihr mich fragt!)

Am schlimmsten war es im Fall des Billy-Bush-"locker room talk"-Bus-Dialogs. So verzerrt hat die deutsche (Online-)Presse Trumps berüchtigte Phrase "grab them by the pussy" wiedergegeben (Auswahl):

- "ihnen an die Muschi fassen" ("Spiegel online", euronews.de)
- "ihnen zwischen die Beine fassen" (rp-online.de)
- "ihnen zwischen die Beine greifen" (Berliner Morgenpost, Tagesspiegel, tagesschau.de)
- "in den Schritt greifen" (Handelsblatt)
- "ans Geschlechtsteil fassen" (Frankfurter Rundschau)
- "ihnen in die F**** fassen" (Hamburger Morgenpost, WTF?!)

Bonus-Bigotterie-Punkte gehen an die gewöhnlich nicht für Zurückhaltung bekannten Ekel von Bild, die vor ihre Übersetzung "Greif ihnen zwischen die Beine" noch den Hinweis "Verharmlost übersetzt" gestellt haben. Man kann, nay: muss also davon ausgehen, dass deutschsprachige Journalisten – die ja in ihrer Ausbildung bestimmt mal mit der englischen Sprache in Berührung gekommen sind – das durch und durch verachtenswerte Menschenbild eines Präsidentschaftskandidaten nicht fahrlässig, sondern bewusst herunterspielen. Heutzutage wird das Wort "unerträglich" allzu leichtfertig ausgesprochen; aber das finde ich wirklich unerträglich. Gott sei dank haben deutsche Medien keinen nennenswerten Einfluss auf den Ausgang von US-Wahlen. Deutsche Nischenblogs schon gar nicht, weswegen ich meine kleine Politexkursion an dieser Stelle beende.

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