Ich muss leider schon wieder das geflügelte Wort des "alter egos" bemühen, denn ohne dies kommt nicht aus, wer den Ich-Erzähler des jüngsten Strunk-Romans "Jürgen" erklären möchte. Jürgen Dose ist nämlich sowohl Strunks bekanntestes als auch ältestes alter ego. Bereits um die Jahrtausendwende herum – die Älteren unter euch waren vielleicht dabei – tauchte ein seltsamer Mann im Sonntagmittagsprogramm von Radio Fritz auf: der Moderator der "Jürgen Dose Show", Jürgen Dose, von welchem ich damals noch gar nicht wusste, dass es sich um Heinz Strunk alias Mathias Halfpape handelte; den ich ja zu dem Zeitpunkt ohnehin nicht kannte. Stotternd und lispelnd, der deutschen Grammatik nicht 100%ig mächtig, schwadronierte sich diese Kunstfigur mit banal-genialen gesellschaftlichen Einlassungen durch die ansonsten konzeptlose Sendung, die, falls ich es korrekt rekonstruiere, auch Telefonstreiche des Trios Strunk/Schamoni/Palminger alias Studio Braun featurte. So gebannt ich das Treiben dieses mir schon damals alles andere als massenkompatibel erscheinenden Herrn Dose allwöchentlich verfolgte, so rapid verflüchtigte sich meine Erinnerung an ihn, nachdem die Fritz-Show abgesetzt worden war ... bis 2005 das Album "Trittschall im Kriechkeller" erschien, enthaltend Hörspiele und Lieder von und mit ebenjenem Jürgen Dose, den ich nun endlich als ein Alias von Heinz Strunk wahrnahm, der gerade einen Achtungserfolg mit seinem Romanerstling "Fleisch ist mein Gemüse" feierte.
Nun also ein ganzer Dose-Roman nebst Hörbuch! Ich bevorzuge i.d.R. die Hörbuchfassungen von Heinz Strunks Büchern, werden diese doch genussmehrend vom Autor selbst eingesprochen. Vorab fragte ich mich: Würde der eigenwillige Duktus des Jürgen Dose über 250 Seiten resp. 4 CDs tragen, würde er überhaupt durchgezogen werden? Die Antwort: nein. Es wird wenig gelispelt und gehaspelt, es werden korrekte Plurale verwendet, und alles in allem ist das Buch ein einziges Zugeständnis, wohl vor allem an jene Leser, die erst mit dem Bestseller "Der Goldene Handschuh" auf Strunk aufmerksam geworden sind und alsbald Jieper nach vergleichbar Geartetem bekamen. Nun könnte ich mit so einem Mainstream-Jürgen durchaus leben, wenn die Handlung in unerforschte Gefilde führen würde. Leider begegnen dem langjährigen Strunk-Fan durchweg allzu bekannte Sujets. Der mit einer elendiglichen Krankengeschichte gestrafte und noch bei seiner (bettlägerigen) Mutter lebende Junggeselle, der einem einfachen Beruf nachgeht, sich mit einigen wenigen Loser-Freunden umgibt und dabei die Hoffnung auf eine Prise Glück nicht aufgegeben hat: Das kennt man sowohl aus den früheren, (teil)autobiographischen Erzählungen als auch aus dem "Handschuh" (denn klar: Auch der im Großen und Ganzen realistisch gezeichnete Fritz Honka trägt darin deutliche strunksche Züge). Ganze Passagen, etwa über Streitereien der Mutter mit ihrer Pflegekraft, wirken regelrecht recycelt. Das heißt nicht, dass auch dieser "Strunk light" nicht mit Überraschungen aufwartet. Und es passiert ja auch allerhand, als Höhepunkt natürlich die teils sehr komisch beschriebene Single-Busreise nach Polen inklusive Notfallbesuch des Protagonisten bei einem groben, fatalistischen Arzt (dies wiederum ist die Zweitverwertung eines alten Hörsketches). Gespickt sind die Kapitel mit – echten! – Zitaten aus Selbsthilfeliteratur und Flirtratgebern. Diese amüsieren am Anfang noch, ermüden aber auf Dauer.
Unterm Strich würde ich "Jürgen" bestenfalls als Einstieg für jemanden empfehlen, der sich noch nie an einen Strunk rangetraut hat. Wenn er/sie Gefallen daran finden konnte, möge er/sie sich das "härtere", einfühlsam-intimere, dabei nicht weniger komische "Junge rettet Freund aus Teich" vornehmen. Unterm Unterstrich möchte ich festhalten, dass ich als Komplettist die Lektüre keineswegs bereue!
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