Die zwei in Baden-Württemberg bestehenden gemeindefreien Gebiete sind ihrerseits aus anderen Gründen bemerkenswert: Rheinau im Ortenaukreis ist ein kleines unbewohntes Waldgebiet, das zwar Kfz-Kennzeichen, Gemeindeschlüssel und Postleitzahl von Deutschland zugewiesen bekommen hat, aber rechtsrheinischer Grundbesitz der französischen Gemeinde Rheinau (Rhinau in der Landessprache) ist. Das andere gemeindefreie Gebiet in BaWü ist der Gutsbezirk Münsingen im Biosphärengebiet Schwäbische Alb. Der war bis 2010 sogar noch bewohnt. Der "Ersatz-Bürgermeister" der Gebietskörperschaft wurde im Gegensatz zu seinem hessischen Äquivalent nicht vom Forstamt bestellt, sondern von der Oberfinanzdirektion. Diesem Gutsbezirksvorsteher war wiederum ein sog. Geschäftsführer unterstellt, von denen es zwischen 1946 und 2010 gerade mal zwei gab! Amtszeiten von 30 resp. 34 Jahren – ein Träumchen. Die Neuzuordnung der zuletzt 160 Einwohner kann hier genauer nachvollzogen werden. Münsingen (das wie Rheinau kein Wappen führt) liegt übrigens auf einem ehemaligen Truppenübungsplatz und hat damit eine Gemeinsamkeit mit den einzigen beiden "echten" bewohnten gemeindefreien Gebieten, denen wir uns endlich zuwenden wollen (nach folgendem Absatz).
Auch die unbewohnten gemeindefreien Gebiete in Niedersachsen sind nicht uninteressant, es gibt welche mit Enklaven naher Gemeinden, andere, die ihrerseits Exklaven haben, sowie zwei ostfrieisische Inseln: Lütje Hörn sowie die etwas größere, aber zunehmender Überflutung ausgelieferte Insel Memmert, auf der immerhin Jahrzehnte lang ein Inselvogt obwaltete und bis vor kurzem beinahe permanent Vogelschützer residierten. Heute offizielle Einwohner/-innen gemeindefreier Gebiete sind jene von Lohheide und Osterheide.
Die Nachbarbezirke Lohheide und Osterheide sind 1945 als Nachfolger aus dem 1938 gebildeten "Gutsbezirk Platz Bergen", einem 1935 errichteten Truppenübungsplatz der Wehrmacht, hervorgegangen und dienen heute der NATO als Schießplatz. Loh- und Osterheide verfügen denn auch über einige bedeutende Gedenkstätten, ferner über Sehenswürdigkeiten wie steinzeitliche Gräber und das Schloss Bredebeck, in dem sogar schon die englische Königsfamilie logiert hat. Die Gebiete haben zwar keine Wappen, aber wenigstens "wappenähnliche Logos". Oberhaupt der knapp 2900 Einwohner ist ein Bezirksvorsteher, außerdem gibt es eine gewählte Einwohnervertretung aus elf Mitgliedern. Auf die innere Gliederung der Bezirke in Gemarkungen sei hier nicht näher eingegangen, festzuhalten ist jedoch noch dies: Gemeindefreie Gebiete sind entweder Eigentum des Landes, des Bundes oder der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben; Letzteres ist bei Lohheide und Osterheide der Fall.
Noch gar keinen näheren Blick geworfen habe ich auf die 174 gemeindefreien Gebiete in Bayern ... vielleicht ein ander Mal. Unklar ist mir auch noch, was einwohnermeldemäßig mit jemandem passiert, der in einem solchen Gebiet geboren wird, etwa im Forsthaus in einem Gutsbezirk. Vermutlich steht der gemeindefreie Bezirk ganz normal als Ortsangabe in der Geburtsurkunde. Rechtlich aufregender ist es ohnehin, wenn man in einem Territorium zur Welt kommt, auf das keine oder mehrere Nationen Anspruch erheben. Im Falle von Antarktika ist das bereits achtmal geschehen. Emilio Palma (*1978) – der einzige lebende Mensch der Welt, der von sich sagen kann, der erste auf einem bestimmten Kontinent geborene zu sein – hat de iure das Anrecht, sowohl die chilenische als auch die britische Staatsbürgerschaft zu führen.
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