Sonntag, 10. Mai 2020

Von Schottland nach Oberrad

Ich habe mir kürzlich vorgenommen, mal einen Blick in das unbekanntere Werk Arthur Conan Doyles (also alles abseits von Sherlock Holmes) zu werfen, und lud mir den Roman "Das Geheimnis von Cloomber-Hall" aufs Kindle. Kostet ja nix. Darin stieß ich heute auf folgende wörtliche Rede: "Meistenteils bin ich besoffen gewesen. Sowie ich meine Pension erhalte, lege ich das Geld in Schnaps an, und so lange wie der aushält, habe ich etwas Ruhe. Wenn's alle ist, verlege ich mich aufs Fechten; teilweise um Geld zum Saufen zu erbetteln, teilweise – um Sie zu suchen."
Hihi, dachte ich, da wurde offenbar das englische fencing, was neben "Fechten" auch "Hehlerei" bedeuten kann, falsch übersetzt! Ich postete diesen Fund auf Twitter und erhielt kurz darauf folgenden Kommentar dazu: "In 'Abenteuer des Schienenstrangs' spricht Jack London auch von 'fechten gehen', wenn er betteln meint. Er bzw. der Übersetzer." Das machte mich stutzig. Ich rief "fechten" auf der Duden-Seite auf, und siehe da! Neben der Kampfsportart kann das Verb "umgangssprachlich veraltend" auch dies meinen: "[von Tür zu Tür, Haus zu Haus o. Ä. gehen und] betteln". Zur Herkunft heißt es: "rotwelsch (17. Jahrhundert), nach den wandernden Handwerksburschen, die für Geld ihre Fechtkünste zeigten". Wenig später stand ich gleich doppelt als Esel da, als ein weiterer User anmerkte, dass im Original gar nicht von fencing die Rede ist: "When I draw my money I lay it out in liquor, and as long as that lasts I get some peace in life. When I'm cleaned out I go upon tramp, partly in the hope of picking up the price of a dram, and partly in order to look for you" (Kursivsetzung von mir).

Es lohnt sich jedenfalls, ungewohnten Formulierungen, gerade in älteren Werken, nachzuspüren. Ins Leere führte meine kurze Recherche zu einer anderen kuriosen Formulierung in "Cloomber-Hall", nämlich "Wir sind keine Klutentrampler, wenn wir auch in dieser abgelegenen Gegend leben." Im Quelltext steht das nicht minder ominöse clodhoppers, was so viel wie "Bauerntölpel" bedeutet (dict.cc). Was aber sind "Klutentrampler" im ursprünglichen Sinne? Könnte es sich um ein altes Amt im Agrarbereich handeln (clod heißt u.a. "Ackerscholle")? Franz Dornseiffs wissenschaftliches Buch Der deutsche Wortschatz nach Sachgruppen (de Gruyter 2013) reiht "Klutentrampler" neben "Knollenfink" und "Stoppelhopser" in der Abteilung "Pflanzenanbau" als "Verwalter" ein. Die sehr wenigen anderen Google-Treffer führen in den westdeutsch-niederländischen Raum und lassen darauf schließen, dass "Klutentrampler" tatsächlich einfach ein Pejorativ à la "Bauerntrampel" ist.
Die Assoziation mit der landwirtschaftlichen Amtsbezeichnung hatte ich, weil mir kurz vorher in Dürrenmatts "Der Richter und sein Henker" (s. Eintrag vom 1.5.2020) das Wort "Bannwart" untergekommen war. Zu diesem Beruf weiß das Netz einiges. "Bannwart ist die im alemannischen Sprachraum verbreitete Bezeichnung für einen Flur-, Wald- oder Rebhüter, also eine offizielle Aufsichtsperson im ländlichen Bereich." (Wikipedia) In vielen deutschsprachigen Gebieten kannte und kennt man Personen in vergleichbaren Positionen, den "Feldhüter" etwa, den "Pfänder", den "Büttel" oder den "Feldschützen". Der Feldschütz war nie wirklich weg – und erlebt gerade in Hessen immer wieder Comebacks. "CDU und Bündnis90/Grüne haben einen gemeinsamen Antrag vorgelegt, der die Einführung des Ehrenamtes des 'Feldschütz' für die Bruchköbeler Gemarkung vorsieht", heißt es in einer Mitteilung von 2007. In Dreieich ist seit 2017 ein Feldschütz unter anderem Umweltsündern auf der Spur. Andere Bundesländer leisten sich eine "Feldstreife", die auf sommerlicher Flur Obstdiebstähle unterbinden soll.
Die jüngste Erwähnung eines Feldschützen in den Medien meiner Region ist gerade mal zwei Tage alt und hat mit der aktuellen Pandemie zu tun. Auf den Feldern des Frankfurter Stadtteils Oberrad (wo die Kräuter für die Grüne Soße angebaut werden) "ist die Hölle los", zitiert die FNP einen Kräutergärtner und fordert: "Ein Feldschütz wird auf den Feldern von Oberrad dringend gebraucht – was schon seit Jahren sonnenklar ist, ist in der Corona-Krise nochmals deutlich geworden. [...] Viele Frankfurter, die wegen der Krise tagsüber in ihrem Heimat-Stadtteil Oberrad blieben, nutzten derzeit die Felder als Naherholungsgebiet." Es kann also sein, dass das schöne (Ehren-)Amt des Schweizer Bannwarts, bzw. seiner hiesigen Entsprechung, schon bald wieder installiert wird, um Kerbel-, Borretsch- und sonstige Trampler fernzuhalten.

1 Kommentar:

  1. "Und wenn ich mir das Kind auf den Buckel bind' und Fechten geh!"
    renate welsh, "johanna" [mangelhaft aus dem schlechten gedaechtnis zitiert]. da die geschichte im burgenland spielt, hatte ich den begriff all die jahre unter oesterreichische mundart sortiert. und jetzt so falsch!!

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