In Ira Levins (famosem!) Roman "A Kiss Before Dying" gehen zwei Figuren in einen Drugstore, um sich dort zu unterhalten, und zwar bei Kaffee und Kuchen! An dieser Stelle musste ich das Buch zur Seite legen und recherchieren. Dass amerikanische Drogerien und Apotheken anders sind als deutsche (und als britische, wie dieser Artikel von BBC America über drugstores vs. chemists veranschaulicht), war mir klar, aber war es früher (der Roman spielt Anfang der 1950er Jahre) tatsächlich Usus, in einem solchen Ort Essen und Trinken zu bestellen?
War es! Und ist es eventuell bald wieder. Aber der Reihe nach. Wie ich einem Blogeintrag von 2015 entnehme, waren die Fünfziger auch die Zeit, in der die großen Drogerieketten mit Selbstbedienung, allen voran Walgreens, Fuß fassten. Aber bis dahin unterhielt jeder bessere Drugstore eine bestimmte, sehr beliebte Form des Getränkeausschanks: den soda fountain. Lässt man sich den Begriff in der Google-Bildersuche zeigen, sieht man hauptsächlich die modernen, weltweit verbreiteten Cola-Fanta-Sprite-&-Co.-Spender, doch die "Soda-Brunnen" ursprünglicher Prägung versorgten die Kommunen zuvörderst mit Mineralwasser, dessen heilsame Wirkung seit dem 19. Jahrhundert bekannt und geschätzt war. Die örtliche Drogerie war die wichtigste und oft einzige Sprudel-Quelle der Stadt. Allmählich wurde das Sortiment um andere Softdrinks erweitert, die die Kundschaft konsumieren konnte, während der Apotheker die verordneten Pillen raussuchte, abzählte und "eindoste" (über das Prozedere der Medikamentenausgabe in den USA informiert dieser deutschsprachige Rundbrief). Wie es eine Ausgabe von "Drug Topics" von 2019 formuliert: "Pharmacies were once known for their soda fountains, with customers enjoying a cherry coke or root beer while they waited, catching up with neighbors, reading the paper or just taking a breather from their day."
Wie bei unseren Tankstellen, die auf einmal anfingen, Brötchen und Grillkohle zu verkaufen, griff das Angebot-und-Nachfrage-Prinzip auch bei den Drugstores. Wegbereitend war hier zum Beispiel der "Wall Drug Store" in South Dakota, der 1931 als kleine Apotheke anfing, zunächst kostenlos Wasser sowie Kaffee für 5 Cent anbot und schließlich zu einem regelrechten Super-Store/Freizeit-Center mutierte, wobei hier neben dem Geschäftssinn der Besitzer auch die günstige Lage eine Rolle spielte: Der Laden liegt auf einem Anfahrtsweg nach Mount Rushmore. Kurzum: Wo nach dem Rezepteinlösen getrunken wurde, wurde bald auch gegessen, und dass das Rezepteinlösen bisweilen ganz wegfiel, davon zeugen zeitgenössische Schriften wie Ira Levins Krimi von 1953.
In jenem Jahrzehnt verschwand das Verköstigungs-Element übrigens nicht völlig. Der englische Wikipedia-Eintrag zu "Pharmacy" enthält ein Foto, auf dem Richard Nixon im Jahr 1974 einen Drugstore mit "lunch counter" in Houston, Texas, besucht; Kaffeegeschirr, Cola-Reklame und Menü-Tafeln zeugen von erweiterter Gastronomie. Der genannte "Wall Drug Store" hat nie aufgehört, Snacks und Erfrischungen zu servieren, sein Kaffee kostet immer noch 5 Cent. Und, wie bereits angedeutet, erlebt das Konzept "Café in der Apotheke" ein Comeback in den USA. Inwieweit Corona diesem Comeback einen Riegel vorgeschoben hat, kann ich nicht sagen, zumindest ist den – vor 2020 erschienenen – verlinkten Artikeln zu entnehmen, dass es sich um einen Trend handelt. Einen Trend, der die Nostalgie der Älteren einerseits, die unstoppbare Coffee culture der Jüngeren andererseits bedient.
Eine deutsche Apotheke, in der zwischen Venenmessung und Tablettenübergabe ein frisch gebrühter Bohnentrunk kredenzt wird, sehe ich nicht vor mir. Doch ich prophezeie: Der erste Drogeriemarkt mit integriertem Starbucks-Abklatsch ist nur noch eine Pandemie von uns entfernt.
Das erklärt auch endlich die Szene bei Little Big Man!
AntwortenLöschenhttps://fckaf.de/iBl