Freitag, 30. Dezember 2022

Albernes zum Wochen(- und Jahres)schluss

"Ei, Großmutter, was hast du für ein entsetzlich großes Maul?", fragte das Rotkäppchen.

"Ähm", sagte der als Großmutter verkleidete Wolf, "kannst du mich zuerst fragen, was es mit meinen großen Ohren und/oder Augen auf sich hat?"

"Warum?"

"Wegen der Dramaturgie. Frag einfach!"

"Also schön: Ei, Großmutter, was hast du für große Ohren?", fragte das Rotkäppchen.

"Dass ich dich besser hören kann", erwiderte der Wolf.

"Besser als was?"

"Was?"

"Damit du mich besser hören kannst, hast du dir die Ohren vergrößern lassen? Weil im Alter das Gehör nachlässt?"

"Äh, ja, genau. Nächste Frage!"

"Ei, Großmutter", sprach Rotkäppchen mit gespielter Neugier, "was hast du für ein entsetzlich großes Maul?"

"Grrr", knurrte da der Wolf. "Erst einmal finde ich die Formulierung unanständig. Menschen haben einen Mund und kein Maul. Und 'entsetztlich' ist ziemlich abwertend! Außerdem solltest du dir die Frage nach dem Mund bis zum Schluss aufheben."

"Entschuldigung", seufzte das Rotkäppchen. "Also ... was hast du für große Augen?"

"Dass ich dich besser sehen kann! Aber ach, jetzt ist die Luft raus, du hast den Moment ruiniert."

"Wenn ich da mal nachhaken darf", hakte das Rotkäppchen nach. "Anstatt deine Brillengläser zu erneuern, hast du dir die Augen vergrößern lassen?! Du musst doch wissen, dass nicht die Größe der Augen für unsere Sehkraft maßgeblich ist. In dem Zusammenhang ein Zitat von der Seite seh-check.de: 'Würde sich die Größe der Augen proportional zur Körpergröße verhalten, müsste der Blauwal die größten Augen haben. Mit einer Körperlänge von bis zu 33 Metern und einer Körpermasse von bis zu 200 Tonnen ist er das größte Säugetier. Der Durchmesser seiner Augäpfel beträgt gut zehn Zentimeter.' So, und jetzt erklär mir das Maul, äh, den Mund."

"Willst du nicht erst wissen, warum ich so große Hände habe?"

"Puh ... wie sage ich das jetzt? Deine Hände sind mir tatsächlich aufgefallen, aber nicht weil sie so groß sind, sondern weil sie so klein sind. Fast schon Trump-Hände sind das, richtige Tierpfötchen, wie die Tatzen eines Wolfs! Oma, bist du ein Wolf?"

"Dass ich dich besser fressen kann!", brüllte der Wolf.

"Hä?", versetzte Rotkäppchen.

"Mein Mund. Das entsetzlich große Maul, weiß du noch? Dass ich dich besser fressen kann!"

"Besser fressen? Ha, meine Großmutter hat mich noch nie gefressen. Jetzt bin ich mir sicher, dass du ein Wolf bist! Aber bevor du mich verschlingst, lass mich noch eine Frage stellen: Was ist das für ein großes Nachthemd?"

"Das habe ich bei Klingel bestellt", tönte es da aus dem Innern des Wolfsbauches. "Als ich gemerkt habe, dass es viel zu weit ist, konnte ich es nicht mehr umtauschen."

Darauf mussten alle drei herzhaft lachen.

Donnerstag, 29. Dezember 2022

Alles wird schlechter, Teil 893

Früher zählte eine gewisse deutschsprachige Filmseite, die ich der Fairness halber nicht nennen möchte, zu meinen Lieblingsorten im Netz und war meine Go-to-Anlaufstelle, wenn ich mich über die Welt des Kinos informieren wollte. Von heute auf morgen, irgendwann Anfang der 2010er-Jahre, wurde ihre Oberfläche nicht nur verändert, sondern von Grund auf neugestaltet. Seitdem habe ich diese Website keines Besuches mehr gewürdigt, denn meiner Meinung nach handelte es sich um eine Verschlimmbesserung, die mich wegen ihrer Nutzerunfreundlichkeit und etlicher fragwürdiger Design-Entscheidungen regelrecht abstieß, man muss es leider so hart formulieren.

Sprung ins Jahr 2022: Die Online-TV-Übersicht meiner Wahl bekommt ein Relaunch spendiert. Ist sie jetzt noch praktischer und komfortabler? Die Antwort kann man sich denken: nein. Zwar steht bei der Seite, die ich der Fairness halber nicht nennen möchte, nach wie vor Simplizität von Style und Bedienung im Vordergrund, doch wurde die vorher so übersichtliche Programmtabelle für die Smartphone-Ansicht optimiert, d.h. radikal verschlankt. Im Ergebnis werden nun nur noch drei Kanäle auf einmal nebeneinander dargestellt, und nicht mal deren gesamtes Tagesprogramm wird angezeigt, sondern zeitliche "Blöcke" (Vormittag, Nachmittag, Abend, Primetime, Nacht). Vorher konnte man bspw. alle öffentlich-rechtlichen Sender oder alle dritten Programme oder Nachrichtensender aufrufen und hatte die 24 Stunden eines Fernsehtages auf einen Blick vor sich. Da hat man sich dann durchgescrollt, von oben nach unten und mit der Bildlaufleiste von links nach rechts. Scrollen muss man immer noch, es ist also nicht einmal ein Upgrade in der Usability zu verzeichnen. Und die drei Sender, die man jeweils wählen "darf", sind in willkürlichen Gruppen zusammengefasst, z.B. ARD/ZDF/RTL, 3sat/KiKa/Arte.

In beiden Fällen stecken gewiss Leute dahinter, die sich etwas dabei gedacht haben werden und die Erfahrung mit Webdesign vorweisen können. Aber am Ende hat die aufgewendete Energie zum Schlechteren geführt. Gibt es einen Fachbegriff dafür?

Dienstag, 27. Dezember 2022

... Safran macht das Konto leer

Ich verwende das Wort "Weihnachtswunder" nicht leichtfertig, aber dass mein Geschmacks-/Geruchssinn pünktlich zu den Festtagen wiederhergestellt ist, wenigstens zu schätzungsweise 87 %, ist fast so zauberhaft, als wäre ich seiner erst gar nicht verlustig gegangen. (Ich schreibe dies am 2. Weihnachtsfeiertag.) Schon vor Heiligabend hatte sich mein Zustand so schlagartig wie rasant gebessert; womöglich hatte die gute Ostseeluft, der ich kurzzeitig ausgesetzt gewesen war, zur Regeneration beigetragen.*

Nun musste endlich mal wieder gekocht werden, und zwar unter Hinzuziehung eines Gewürzes, das richtig die Sinne durchkitzeln würde. Das teuerste Gewürz der Welt ist, wie ich finde, nicht einmal das intensivste, aber das Rezept, das mir in die Hände gefallen war, sah 1 Gramm davon vor.


Hier zu sehen sind 0,4 Gramm Safran. Kostenpunkt: 4,99 Euro. Dass ich mich mit weniger als der Hälfte der benötigten Menge begnügte, mag man mir bei einem Kilopreis von 12.475 Euro nachsehen. Zudem war dieses Röhrchen das allerletzte, das Rewe vorrätig hatte!

Das Gericht wurde von mir in einem von Maggi herausgegebenen Miniaturkochbuch mit spanischen Rezepten entdeckt und verlangt, vom Safran abgesehen, nur wenige, günstige Zutaten. Wir dünsten zunächst in einem Topf 2 Knoblauchzehen, kleingehackt, in 2,5 EL Olivenöl an. Dazu geben wir 1 kg Tomaten, die wir in grobe Stücke geschnitten haben (je nach Größe geachtelt oder geviertelt; es verkocht sich eh). Nach kurzer Zeit gießen wir 500 ml Gemüsebrühe dazu und lassen alles eine Viertelstunde unter gelegentlichem Umrühren köcheln.


Jetzt kommt der Safran hinein. Gut verrühren, 1 TL Zucker hinzugeben, mit nicht zu wenig Salz sowie frisch gemahlenem Pfeffer abschmecken. Den Topf von der Kochstelle nehmen und stattdessen eine Pfanne darauf platzieren. In diese kommen nun 250 g Fadennudeln (z.B. "Die mag ich" von 3 Glocken), die wir roh (!) in 2-3 EL Olivenöl golden bis bräunlich anbraten. Den Tomatensud auf einer anderen Herdplatte noch einmal aufkochen und in die Pfanne zu den Nudeln geben. Fünf Minuten weiter garen, in dieser Zeit Backofen vorheizen. (Ihr wisst, ich halte nichts von Vorheizen, aber hier empfiehlt es sich.) Die Tomatennudeln in eine Auflaufform geben und 10-15 Minuten backen. Zum Schluss den Saft einer halben Zitrone darüber träufeln. Das Resultat ist heiß, leuchtet in den Farben Spaniens und macht drei Personen satt.

* Auch so eine Sache, die ich mein Lebtag nicht werde begreifen können: dass manche Leute ernsthaft die Nord- der Ostsee vorziehen. "Ah, was für ein schönes Meer ... Uuuund da isses weg. Na gut, verbringen wir die nächsten Stunden eben in stinkendem Schlick."

Sonntag, 25. Dezember 2022

Betr.: Raumfahrt, Filmtypen, Namensänderung, Zensur

Man muss auch mal unsere Massenmedien loben, wenn es angebracht ist, in diesem Fall "Spiegel online". Am 29. November meldete die Seite: "Chinesische Astronauten sind ins All gestartet". Da dachte ich noch: Meeeensch, chinesische Raumfahrende heißen doch Taikonauten. Am 4. Dezember ist zu lesen: "Taikonauten landen nach sechs Monaten wieder auf der Erde". Gut.
Neu war für mich übrigens, dass indische Kosmonauten Vyomanauten genannt werden. Zu Grunde liegt das Sanskrit-Wort vyoman-, "Himmel". Ist das nicht toll?

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Die BRD zu Zeiten Helmut Schmidts, das war ... something else.


Aus: Garncarz, Joseph (2013): Hollywood in Deutschland. Zur Internationalisierung der Kinokultur 1925-1990. Frankfurt/Basel: Stroemfeld/Nexus

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Die Schauspielerin und Miss USA 1985 Laura Harring heißt, seit sie einen Reichskanzler-Ururenkel geheiratet hat, mit vollständigem Namen Laura Harring Gräfin von Bismarck-Schönhausen. Ihr Geburtsname ist jedoch Laura Elena Martinez Herring. Wäre es nicht brillant gewesen, wenn sie als Kurzform für ihren Nachnamen Bismarck-Herring gewählt hätte?

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Aus dem Vorwort zur vierten Auflage (1895) einer englischen Schulgrammatik:
"In den ersten Auflagen waren manche Stellen aus Dickens stehen geblieben, durch die sich K a t h o l i k e n verletzt gefühlt haben; jetzt ist alles derartige getilgt und das Kapitel über Joan of Arc durch ein anderes ersetzt worden. Nunmehr kann das Buch auf p a r i t ä t i s c h e n Anstalten ohne Anstand benutzt werden." (Sperrungen im Original)

Freitag, 23. Dezember 2022

Mein Kalenderblatt des Jahres

Ich komme immer noch nicht über dieses Kalenderblatt vom August hinweg:


"Zeitenwende" wurde bekanntermaßen zum Wort des Jahres 2022 gekürt. "Zeiten-Lavendel", Quatsch: "Uralt Lavendel" sollte spätestens 2023 Jugendwort des Jahres werden. Mit "toll" würde ich mich aber auch zufrieden geben.

Mittwoch, 21. Dezember 2022

TITANIC vor zehn Jahren: 1/2013

Auf die Revision dieser Ausgabe habe ich mich schon seit geraumer Zeit gefreut. Nicht nur findet sich darin der ein oder andere Beitrag, der sich Klassiker nennen darf, auch fällt schon mit Blick auf die U1 eine Besonderheit auf:


Zum bis dato letzten Mal lag Titanic ein Sonderheft bei, nämlich eine Sammlung von "Powersätzen". Die gleichnamige Online-Rubrik erfreute sich Ende 2012 großer Beliebtheit, und die Kuh musste gemolken werden, bevor sie zum toten Pferd wurde. Auf 35 Seiten haben die Redaktion und etliche freie Autorinnen und Autoren Listen für jede Gelegenheit zusammengetragen; von mir stammen die Powersätze für den Drogendeal, für die Demenz und fürs Jenseits. Ich habe das Gimmick selbstverständlich kleben lassen, so dass das Frontcover teils verdeckt ist. Wer sich das Heft bestellt, kann es ja abprokeln. Hach ja, einmal mehr wünsche ich mir die Zeiten zurück, in denen ein "Sodomie-Gesetz" das deutsche Debattenthema der Stunde darstellte. (Was der konkrete Anlass für das Gesetz gewesen war, traue ich mich nicht zu googeln.)
Auf der Rückseite übrigens: ein netter Sowa-Cartoon.

Weitere längst in Vergessenheit geratene Punkte der Nachrichtenlage entdeckt man beim Durchblättern: Lobbyismus im Pharmaziewesen (Gesundheitsminister war damals – na, wer weiß es noch? – Daniel Bahr), die CDU "auf der Suche nach dem urbanen Lebensgefühl" (Fotoroman S. 14-17), Geisterfahrer, Seltene Erden in Leipzig, der unaufhaltsame Aufstieg Katrin Göring-Eckardts, und Xavier Naidoo hatte anscheinend auch wieder irgendwas gesagt. Ein ziemlicher Downer, der freilich satirische Auseinandersetzung nicht unmöglich, sondern im Gegenteil notwendig machte, war der Großbrand in einer Textilfabrik in Bangladesch, in der auch Kleidung für C&A produziert wurde. Mir kam dazu die Idee, dass wir eine Vorschau auf den kommenden C&A-Katalog drucken sollten, und so steckten wir ein paar Redakteurskinder in versengte und angekokelte Sweatshop-Klamotten und setzten sie als Fashion-Models in Szene.


Recht stolz bin ich auf den Titel von "55ff", wobei es natürlich zuvörderst Martina Werners brillanter Graphik-Zauberei zu verdanken ist, dass man die süß-verstörenden Promi-Gesichter nie mehr vergisst, hat man sie auch nur für eine Millisekunde angeblickt.


Im Juni 2017 hatten ein paar Kollegen und ich die Gelegenheit, an einer geführten Tour durch den Commerzbank-Tower teilzunehmen, welcher nicht nur der höchste Wolkenkratzer Frankfurts, sondern der gesamten EU ist. Dabei wurden uns auch die allzu symbolisch-symptomatischen Vorstands-Toiletten in der obersten Etage gezeigt. Völlig vergessen hatte ich, dass wir jene Pissoirs schon einmal für eine Anzeigen-Parodie verwendet hatten. Ob es sich bei dieser WC-Aufnahme um ein Agenturfoto oder eine Lesereinsendung handelt, weiß ich nicht.


Weiteres Notierenswertes
- Die Ausgabe enthält Stefan Gärtners Essay "Wer Juden haßt, bestimme ich" über Jakob Augsteins Antisemitismus. Dieser Aufsatz holte seinerzeit erfreulicher- wie berechtigterweise viel Aufmerksamkeit und Lob ein und gilt bis heute als, s.o., Klassiker.
- Kultstatus erzielte außerdem Hans Zipperts Oberursel-Bericht "Der Revierkennzeichner", eine Geschichte, die noch Kopfschütteln auslöst, wenn man sie zum dritten Mal auf einer Lesung vorgetragen bekommt.
- Synchronizität, Serialität oder banaler Zufall? Während ich diese Zeilen tippe, macht ein Portrait (ich glaube, vom Spiegel) über Ex-Minister Peter Altmaier von sich reden. Und jener anno 2012 als Umweltminister höchst aktive Vollblutpolitiker bekam im vorliegenden Heft eine Homestory spendiert. Dieser fiktive Hausbesuch war einer der wenigen während meiner Amtszeit erschienenen Artikel, mit denen ich ganz und gar nicht einverstanden war, was ich auch offen kundgetan habe. Homosexualität insinuieren, weil der Mann über sein Beziehungsleben den Mantel des Schweigens zu legen pflegt? Das erschien mir ebenso billig und unverdient wie die circa einhundert Dickenwitze. Schwamm drüber.
- Zauberhaft ist das Gruppenbild auf S. 48f., auf der über einigen Gedanken zur "Zukunft des Journalismus" die gesamte Redaktions-Bagage versammelt ist, inkl. Satz- und Fotografie-Springer Stephan Nau, der hierfür in die Rolle unseres mystischen Verlegers geschlüpft ist.
- Noch einmal Synchronizität & Co.: Als "letzter Royal" (S. 66), i.e. als Nachfolger von Queen Elizabeth II., werden anlässlich "der Kate-Befruchtung" verschiedene potenzielle Thronerben ins Spiel gebracht, als Erster natürlich Charles III. ("Wenn die Queen im März 2019 entschläft, wird Charles endlich, endlich Monarch. Der 'Minutenkönig' kann sein Glück kaum fassen – wie auch den letalen Schock, als sich die Mutter von ihrem todesähnlichen Mittagsschlaf wieder aufrappelt und nach Tee brüllt.").

Schlussgedanke
Der neue Jahrgang beginnt so famos, wie der alte aufgehört hat.

Montag, 19. Dezember 2022

Zauberhafte altdeutsche Rechtssprache (II)

Folge I

Zwangsal. Im Grimmschen Wörterbuch "als variante für quelung" aufgeführt. Dort wie auch im Wiktionary finden wir den Vermerk, dass das Wort "nach dem 16. Jahrhundert immer seltener, heute vollkommen erloschen" ist, was übrigens auch auf den folgenden Eintrag zutrifft. Mittelhochdeutsch twancsal, bedeutet es wohl "Zwang, Gewalt, Einschränkung", aber was meint es im engeren, i.e. juristischen Sinne? Da es in einer Quelle aus dem Jahr 1788* in der Trias "Zwangsal, Satzung oder Steuer" auftaucht, nehme ich an, dass an eine Art Zwangsvollstreckung, eine amtlich verordnete Einschränkung gedacht werden muss.

* Der Titel soll hier in seiner ganzen Schönheit wiedergegeben werden: "
Antiquitatum Nordgaviensium Codex Diplomaticus oder Probationum, worinnen nicht allein einige zur Erläuterung des alten Nordgaus dienende, sondern auch vornemlich wichtige, das Hochfürstliche Burggrafthum Nürnberg, und die von demselben absproßende beyde in diesem Landes-Bezirck situirte Hochfürstliche Häuser, Brandenburg Anspach und Bayreuth betreffende hohe Vorrechte, Freyheiten, Begnadigungen, Concessiones u. dgl. m. vom VIII. Seculo anfangend, und bis auf gegenwärtige Zeit sich extendirende, mithin sich dann auf Neun und ein halbes Seculum erstreckende Urkunden und Zeugniße enthalten, die an Orten, wo es nöthig, mit Historisch-Genealogisch-Chronologisch-Geographisch- und Critischen Anmerckungen erkläret, Auch einem dreyfachen Register, zum bequemen Gebrauch versehen. Vierter Theil" von Johann Heinrich von Falckenstein, dem "Hoch-Fürstlich-Brandenburgisch-Anspachischen Hof-Rath und der Königlich-Preußischen Societät der Wissenschaften Mitglied".

Übergenoß, Ungenoß. Dieses Begriffspaar erscheint im Abschnitt über die Stände. Den "Übergenoß" finden wir bei Tristan und Isolde, wo es über Tristan heißt, er sei "alles Todes Übergenoß". Kann man das so interpretieren, dass er über dem Tode steht, ihm "über ist" (in der Bedeutung wie in dem Zitat aus "Kir Royal", das mir geläufig ist, obwohl ich diese vermeintliche Kultserie nie gesehen habe: "Isch bin dir einfach über")? Das Gegenstück zum Übergenossen scheint der bei Mitteis nicht erwähnte Untergenoß/Untergenosse zu sein.
"[D]as Mittelalter kannte eine Reihe von rechtlichen Beziehungen, in die man nur mit Standesgenossen oder Tieferstehenden (Untergenossen) treten konnte, während man von den Übergenossen als unebenbürtig ausgeschlossen wurde. [...] In Kriminalsachen brauchte sich niemand einen Untergenossen als Richter oder Urteiler, Zeugen oder Eideshelfer gefallen zu lassen. Um ein Urteil schelten zu können, mußte man Genosse oder Übergenosse der Urteilsfinder sein. [... N]ur einen Ebenbürtigen brauchte man sich als Fürsprecher des Prozeßgegners gefallen zu lassen." (Richard Schröder, Lehrbuch der Deutschen Rechtsgeschichte, 1889)
Aber war ein Untergenosse mit einem Ungenossen identisch? Das finden wir zumindest in Claudius von Schwerins Grundzügen des deutschen Privatrechts von 1928 bestätigt: Es gab, kurzum, im Mittelalter die "Vorstellung, daß ein Mensch besser geboren als ein anderer, dieser daher sein übergenoz und er dessen ungenoz ist" [im Original sind die Termini in Nicht-Fraktur gesetzt]. "Ihre Wirkung ist die, daß gewisse Rechtsbeziehungen zwischen einem Menschen und seinem Ungenossen und demgemäß auch seinem Übergenossen unmöglich sind oder doch andere Folgen haben als zwischen Genossen. Im einzelnen ist die Ehe mit dem Ungenossen oder der Ungenossin eine u n g l e i c h e Ehe (Mißheirat, disparagium)."
Vor diesem Hintergrund könnte man mal überlegen, ob die Anrede "Genosse/Genossin" im Sozialismus, wo das Klassensystem ja überwunden sein soll, nicht fehl am Platze ist. Denn Menschen, die nicht als Genossen und Genossinnen akzeptiert werden, stünden dann ja wiederum über oder unter anderen.

Samstag, 17. Dezember 2022

Wochenend-Quiz

Heute: Das "Quitte oder Quinoa?"-Quiz! (Original-Post aus meinem alten Blog, 25.12.2010)

1. Diese Pflanze wird seit 6000 Jahren in Südamerika angebaut. Quitte oder Quinoa? 
2. 2008 wurden davon weltweit 59.115 Tonnen geerntet. Quitte oder Quinoa? 
3. Ein Esslöffel der Kerne dieser Pflanze 10-12 Stunden in 100 ml kaltem Wasser eingelegt, ergibt einen heilsamen Schleim. Quitte oder Quinoa? 
4. So hieß ein Album der deutschen Elektrokombo Tangerine Dream. Quitte oder Quinoa? 
5. Namen einiger Sorten: Toronto, Radonia, Champion. Quitte oder Quinoa?

Freitag, 16. Dezember 2022

Weihnachten mit allen Sinnen (bis auf zwei)

"O ich armer Verdampter, warumb bin ich nit ein Viehe, so ohne Seele stirbet?" --- Volksbuch von Doktor Faust

Nicht nur, dass meine jüngste und erste Covid-19-Erkrankung (ich berichtete zaghaft) dazu geführt hat, dass ich keinen Gang "um den Pudding" unternehmen kann, ohne im Anschluss eine Stunde zu keuchen, als hätte ich gerade einen Halbmarathon gerissen, nein: Ich habe meinen Geruchs- und Geschmackssinn verloren! An dieses Old-school-Symptom aus der Frühphase der Pandemie hatte ich gar nicht mehr gedacht, geschweige denn hätte ich erwartet, dass die mich erwischt habende Variante so etwas zeitigen könnte, aber es ist passiert. Damit werde ich jetzt wohl, wenn ich "Glück" habe, mehrere Monate, bei Pech länger als ein Jahr oder gar für immer leben müssen. Sofern man diesen Zustand "leben" nennen kann. Lebensmittel riechen, schmecken und nicht zuletzt über sie schreiben – das zählte doch immer zu den größten Freuden meiner Existenz. Nun bricht ein massiver Stützpfeiler dieses Blogs weg, schade! Hier liegt noch eine ungeöffnete Tüte italienischen Knabbergebäcks, außerdem habe ich mich erst vor zwei Wochen, weil ich meine in der Nähe arbeitende Steuerberaterin aufsuchen musste, zu einem Spontankauf im UK-Importladen "A Taste of Britain" hinreißen lassen. Dort habe ich endlich die legendäre Kuchenspezialität Spotted dick erstanden (Ratet, wie der entsprechende Blogpost geheißen hätte!), ferner eine Dose Instantpulver für Custard. Um ein Haar hätte ich auch Treacle gekauft, jene teerige Melasse, die britischen Schulkindern früher allmorgendlich mit dem Löffel eingeflößt wurde, damit sie fit für den Unterricht seien. Die Verkäuferin gab mir aber erst durch die Blume, auf meine Nachfrage dann recht direkt ("Also ich würd's nicht essen") zu verstehen, dass dieser dunkle Sirup allzu sehr in Richtung Marmite gehe; so setzte ich auf die sichere Bank und schwenkte auf die helle Variante um.

Aber die ganzen Nasch- und Testvorhaben sind jetzt hinfällig. Am stärksten betroffen ist mein Sinn für Bitteres: Kaffee ist nur eine fade Brühe, statt Bier kann ich genauso gut Wasser trinken. Süßes und Saures, vor allem in Kombination, nehme ich noch am ehesten wahr, in blassesten Nuancen. Komplett dahin ist mein Umami-Zentrum, ein Frühstücksei zum Beispiel "schmeckt" wie ein Stück Gummi, und auch mit Salz lässt sich kaum was herauskitzeln. Welche Konsequenz hinsichtlich meines Konsumverhaltens ich daraus zu ziehen habe, darüber bin ich mir noch unsicher. Soll ich auf besonders intensive, stark gewürzte Glutamatbomben setzen, um die ausgeblendeten Sinne durch verstärkten Input wieder wachzukitzeln? Oder hat es eh keinen Sinn? Sollte ich die Chance nutzen, um Geld zu sparen, indem ich eine Weile nur die fadesten Billiglebensmittel besorge, etwa *schüttelt sich und vergießt dicke Tränen* Graubrot mit Butterkäse?

Von den regelrecht gefährlichen Folgen von Anosmie* abgesehen (Nichtwahrnehmen von Schimmel, Gas ...), hat diese Störung eine Komponente, die ich erst nach einem Tag bedacht habe: Ich kann mich ja selbst nicht mehr riechen. Ich lege stets viel Wert auf Körperhygiene und darauf, meinen Mitmenschen nicht durch unangenehmes Aroma zur Last zu fallen. Nicht mal zur Post würde ich gehen, ohne etwas Eau de Toilette aufzulegen. Aber reicht das? In einen regelrechten Wahn könnte ich verfallen! Aufbauend und erfreulich ist es doch, wenn man gerne an sich selbst schnuppert. Erst kürzlich habe ich mir eine neue Duschschaum-Sorte und ein bisher unbekanntes Duschgel von Rituals gegönnt. Sinn(höhö)los! Und es ist nicht so, als hätte das Drecksjahr 2022 übermäßig Positives für mich bereitgehalten. Ja, bin ich denn der Spielball der Erinnyen? Warum werde ich nicht gleich vom Blitz getroffen?!

* Ich hasse übrigens das Wort "geruchsblind". Wenn es das Wort blind nicht gäbe, würde man dann "augentaub" sagen oder was?

Donnerstag, 15. Dezember 2022

Die koreanische Bevölkerungsverjüngung

Das wusste ich auch nicht: Wenn in Südkorea ein Baby geboren wird, ist es nicht null Jahre alt, sondern zählt bereits ein Jahr. Am folgenden Neujahrstag und an jedem weiteren wird dann ein Jahr auf das Alter draufgeschlagen. Das heißt konkret, dass ein Menschlein, das am Silvesterabend das Licht der Welt erblickt, einen halben Tag später offiziell zwei Jahre alt ist! Die Gründe für diese eigentümliche Zählung sind nicht vollständig geklärt.*

Jedenfalls ist dieses etablierte System, welches dadurch verkompliziert wird, dass in Fragen von Wehrtauglichkeit und Alkoholerwerb sehr wohl ein Alter von 0 bei der Entbindung angesetzt wird, sowohl unbeliebt als auch ständiger Kritik ausgesetzt – weswegen es im Juni 2023 aufgegeben und durch das "westliche" ersetzt werden soll. Mit einem Schlag wird somit die gesamte südkoreanische Bevölkerung um ein bis zwei Jahre jünger. Glückwunsch vorab!

* Mitrechnung der Zeit im Mutterleib sowie altertümliche Vereinfachung mangels Kalenderverbreitung kommen als zwei Gründe in Betracht: "One theory is that turning one year old at birth takes into account time spent in the womb – with nine months rounded up to 12. Others link it to an ancient Asian numerical system that did not have the concept of zero.
Explanations for the extra year added on 1 January are more complicated. Some experts point to the theory that ancient Koreans placed their year of birth within the Chinese 60-year calendar cycle, but, at a time when there were no regular calendars, tended to ignore the day of their birth and simply added on a whole year on the first day of the lunar calendar. The extra year on 1 January became commonplace as more South Koreans began observing the western calendar." (The Guardian)

Dienstag, 13. Dezember 2022

No honey, honey!

Schon zweimal in dieser Saison habe ich auf einem Weihnachtsmarkt Stände gesehen (also je einen Stand auf zwei verschiedenen Weihnachtsmärkten), wo nach US-amerikanischem Vorbild vermeintlicher Moonshine verkauft wurde, also Spirituosen in der Anmutung von Selbstgebranntem. Der Trend wurde freilich durch das Reality-Format "Moonshiners", welches man synchronisiert auf dem sog. Männersender DMAX sehen kann, gekickstartet und fügt sich trefflich in die anstrengende Holzfäller-Barbershop-Hipster-Kultur ein. Der Komiker Brian Regan hat sich schon vor Jahren über besagte Show lustig gemacht. Die Nummer ist nicht auf Youtube zu finden, aber es ging um die lächerliche Prämisse darin, dass man so tut, als herrschte immer noch Prohibition, und das Schwarzbrennen der raubeinigen Waldschrate sei ein aus der Not erwachsener, heldenhafter Akt der Rebellion ("Man kann Schnaps auch einfach kaufen, wisst ihr?").

Jedenfalls fielen mir an den beiden Buden Schilder auf, auf denen stand: "Kein Honig!" Denn von weitem machen die typischen Schraubgläser mit dem "verbotenen" Gut tatsächlich den Eindruck, sie enthielten Wabengold. Und das stellt nun einen weiteren Fall von "Hinweis darauf, was nicht angeboten wird" dar, jenem Phänomen, zu dem es hier erst im vergangenen Monat den letzten Beitrag gab.

Montag, 12. Dezember 2022

Kurz notiert: Barack in England

Na so was! Da habe ich mich jahrelang, nicht zuletzt in diesem Blog, darüber echauffiert, dass es in keiner einzigen deutschen (Ton-)Medienanstalt jemand schafft, sich die korrekte Aussprache des Vornamens von Barack Obama draufzuschaffen – und dann höre ich heute in einer Folge von "Mid Morning Matters with Alan Partridge", wie gleich zwei britische Personen den Namen Barack aussprechen: nämlich genau so falsch wie hierzulande, auf der ersten Silbe betont und nahezu wie das Wort barrack, /ˈbæɹ.ək/.




Die Aussprache sieht man auf den Snapshots natürlich nicht, aber Bilder sind immer hilfreich, sind sie nicht? Nun muss man dazu sagen, dass die Serie im Jahr 2010 produziert wurde; wer weiß, womöglich hatte es der Name des 44. US-Präsidenten bis dahin noch nicht auf die Insel geschafft? (Quatsch.) Da fällt mir ein, dass in einem Kriegsstrategiespiel – ich glaube, in irgendeinem Teil der "Command & Conquer"-Reihe – das Wort barracks, also "Kaserne", konsequent mit "Baracken" übersetzt wurde, was natürlich legitim ist, weil Kaserne die ältere Grundbedeutung von "Baracke" ist, trotzdem kam es mir immer daneben vor.

Und noch etwas fällt mir in dem Zusammenhang ein. Als 2021 der ehemalige amerikanische Außenminister Colin Powell gestorben war, fragte ich mich, ob unsere Qualitätsmedien dessen Vornamen, der in der turbulenten George-W.-Bush-Ära zeitweise täglich zu hören war, noch richtig hinkriegen. Ich schaute mir in der Mediathek den entsprechenen Tagesschau-Clip an und wurde nicht enttäuscht, es wurde die zugegeben verbreitetere, aber in diesem Fall inkorrekte Aussprachevariante gewählt (links):


Ah, es tut gut, sich mal wieder aufzuregen!

Sonntag, 11. Dezember 2022

Nicht mal eine clevere Überschrift fällt mir ein

Liebe Leute, ich fühle mich nicht in der Lage, den Blogbetrieb aufrechtzuerhalten. Ich bitte um ein wenig Geduld und Nachsicht. Spätestens der nächste "TITANIC vor zehn Jahren"-Post-Termin soll aber eingehalten werden.

Mittwoch, 7. Dezember 2022

Recycling im Krankenlager

Schließlich hat "es" mich doch noch erwischt und ich bin mit mittelschwerem Covid-19-Verlauf ans Bett gefesselt. Damit dies nicht einer dieser typischen (aber gebt's zu: bei mir sehr seltenen!) "Sorry fürs Nicht-Bloggen"-Beiträge wird, habe ich kurz im Archiv meines alten Blogs (2006-2012) gekramt und ein paar eventuell nicht uninteressante Beiträge aus dem Jahr 2010 herausgesucht, die ich hier unredigiert und unbearbeitet reposten möchte. Dafür reicht meine Kraft gerade noch.

#891 --- 22.10.2010, 10:44
Hier fehlt eine Überschrift
Erst 7 Postings gab es diesen Monat - meine Leser sind zurecht enttäuscht. Man glaube mir aber, dass ich im Moment ein wenig gestresst bin. Ich muss mehrere hundert Seiten in Word 2007 formatieren, ein Seminar vorbereiten, einen Job und eine Wohnung suchen, und morgen fahre ich zum dritten Mal innerhalb von zwei Monaten nach Frankfurt (diesmal zu einer Titanic-Online-Autoren-Konferenz - da muss ich dabei sein). Ich habe aber schon ein paar Ideen für zukünftige Beiträge, keine Sorge.

#872 --- 15.09.2010, 11:38
Die besten Weblogs
Heute: Ein Blog mit gesammelten Entschuldigungen von Bloggern fürs Nichtposten, von "Ich hatte einen leichten Herzinfarkt" bis "Ich habe an einem Megan-Fox-Sim gearbeitet". Sorry I Haven't Posted.

#912 --- 07.12.2010, 17:18
Winter
Wir befinden uns, das muss einmal erwähnt werden, immer noch im Herbst! Dabei kommt es mir im Moment so vor, als würde der Winter gerade zu Ende gehen, machen sich doch die Schneemassen schon wieder daran, mirnixdirnix zu tauen. (Ich kann mir nie merken, was es mit der Anomalie des Wassers auf sich hat. Schmilzt Eis bei 0° oder +4° Celsius?)
Deshalb soll es hier im Blog wenigstens schneien.
(Anm. 2022: Mit einer simplen Javascript-Einbindung, snow.js, ließ ich auf meinem Blog vor grünem Hintergrund weiße Flöckchen rieseln. So was war halt einer der Vorteile einer privaten, also richtig privaten Homepage.
Das mit dem Flattr-Button war ein Witz.)

#883 --- 30.09.2010, 12:30
Fragen, die ich mir selbst stelle
Heute: Was sind eigentlich das kleine und das große Einmaleins?
Antwort: Das kleine Einmaleins sind alle Produkte aus zwei Zahlen von 1 bis 10, das große Einmaleins geht bis 20. Das hatten wir natürlich auch in der Schule, aber es wurde nicht so genannt. Ohje, ich erinnere mich noch an Mathestunden mit Herrn Birnbaum, die damit begannen, dass jeder Schüler nach einer Quadratzahl bis zu 202 gefragt wurde. Da half wirklich nur Auswendiglernen ...

#904 --- 21.11.2010, 13:36
Glas
Ich habe den Eindruck - und diesen ließ ich gestern durch eine andere Person bestätigen - dass seit diesem Jahr erheblich mehr Glasscherben auf den Fuß- und Radwegen liegen als zuvor. Ich bilde mir ein, es begann konkret im Sommer, zur Zeit der Fußball-WM. Die Menschen entwickelten eine neue Gute-Laune-Straßenkultur ("Kultur"), zu der auch das ausgelassene Flaschenschmeißen gehört. Das war während der WM '06 noch nicht so krass. Es wird Zeit für eine Kampagne gegen diese Unsitte. Angelehnt an den verrückten Amerikaner mit seiner "The rents are too damn high!"-Partei soll sie lauten: "There's too much glass on the damn streets!"

#920 --- 21.12.2010, 17:36
Die großen Fragen der Menschheit - gestellt von BILD.de
>> Warum schliddern unsere Busse?
>> Überrollt uns die Noro-Virus-Walze?
>> Müssen wir Deutsche wieder für ganz Europa blechen?
>> Wem gehört der Hintern-Hit aus dem Internet?
>> Zerhackte Riesenstorch Inselbewohner?
>> Wer schreibt die Dialoge für Sex-Filme?
>> Verschlimmerte Mondfinsternis Winter-Chaos?

Samstag, 3. Dezember 2022

Was stimmt mit Leuten nicht?

Wenn ich im Supermarkt zum Schalter gegangen bin, lege ich meine Waren brav – nicht zu einem chaotischen Haufen zusammengeworfen, aber auch nicht zu weit auseinander – zwischen zwei Trennstäbe auf das Kassenband. An dessen Ende stelle ich mich sodann auf, um jedes gescannte Produkt in Empfang zu nehmen und entweder direkt in meinem Stoffbeutel* zu verstauen oder noch einmal im Warenkorb/Einkaufswagen zwischenzulagern. Nach dem Bezahlvorgang, der nur seltenst mit langwieriger Portemonnaie-Durchwühlung meinerseits verbunden ist, mache ich mich "Danke" und "Auf Wiedersehen" sagend von dannen, um der nächsten Person Platz zu machen.

* Ich habe noch nie in meinem Leben eine Papiertasche (oder, als es die noch gab, eine Plastiktüte) an der Kasse kaufen müssen. Meist bin ich eh mit Rucksack unterwegs; an den Stoffbeutel als Ergänzung bei größeren Einkäufen denke ich fast immer.

Vor mir jedoch steht in sieben von zehn Fällen jemand, der seine Artikel mit leerem Eselsblick auflaufen lässt und sie erst vom Band räumt, wenn der Kassenbon ausgedruckt ist. So kommt es, dass meine Waren keine Chance haben, in den dafür vorgesehenen Bereich ("Warenauffangniederung"?) zu rutschen; es kommt zu einer Stausituation, in der schlimmstenfalls die Einkäufe von zwei Personen miteinander vermengt werden! Warum sind viele Kundinnen und Kunden so? Ist es böser Wille? Lernunfähigkeit? Starrsinn? Ignoranz? Brauchen wir hierzulande Einpackkräfte wie in US-amerikanischen Ketten? Irgendwann werde ich nicht an mich halten können und werde eine derartig unfähige Person vor mir anherrschen: "Warum packen Sie Ihren Scheiß jetzt erst weg? Sehen Sie nicht, dass sich hier alles staut? Sie sind massiv im Weg! In einen Einkaufsgrundkurs für Vorschulkinder sollte man Sie stecken!" Mit zunehmendem Alter steigt die Wahrscheinlichkeit, dass mir so was tatsächlich entfährt. An Selbstscankassen traue ich mich nicht.

Donnerstag, 1. Dezember 2022

Serientagebuch 11/22

01.11. Curb Your Enthusiasm 11.06
American Horror Story 10.01
02.11. Family Guy 21.04
03.11. Curb Your Enthusiasm 11.07
04.11. Curb Your Enthusiasm 11.08
05.11. Family Guy 21.05
Curb Your Enthusiasm 11.09
The Devil's Hour 1.01
The Devil's Hour 1.02
06.11. Mr. Robot 4.08
08.11. Curb Your Enthusiasm 11.10
Extras 1.01
American Horror Story 10.02
09.11. American Horror Story 10.03
10.11. Family Guy 21.06
Doctor Who 13.08
The Devil's Hour 1.03
11.11. The Big Bang Theory 12.09
12.11. Extras 1.02
13.11. Space Force 1.04
14.11. The Devil's Hour 1.04
Mr. Robot 4.09
15.11. American Horror Story 10.04
The Devil's Hour 1.05
17.11. The Devil's Hour 1.06
Extras 1.03
18.11. The Simpsons 34.07
American Horror Story 10.05
21.11. American Horror Story 10.06
American Horror Story 10.07
Mr. Robot 4.10
22.11. Family Guy 21.07
The Big Bang Theory 12.10
24.11. Extras 1.04
Mr. Robot 4.11
28.11. The Simpsons 34.08
Mid Morning Matters with Alan Partridge 1.01
29.11. Mr. Robot 4.12
Mr. Robot 4.13
30.11. Extras 1.05
Family Guy 21.08

Die 11. Staffel von Curb Your Enthusiasm hatte ich mir extra aufgespart, um sie dann zu Beginn der trüben Jahreszeit wegbingen zu können. (Meine Definition von bingen ist freilich nicht zwingend "in einer Nacht fünf Serienepisoden am Stück schauen". Wie man anhand meiner Tagebücher nachvollziehen kann, ist für mich schon ein "Doppelpack" eher ungewöhnlich. [Muss man bingen eigentlich noch kursiv setzen, oder ist das Verb mittlerweile voll in den deutschen Wortschatz integriert?])
Insgesamt war die 11. Staffel durchwachsen, wobei die Meinungen auseinandergehen mögen; beispielsweise hat die Folge "The Watermelon", die mir am allerwenigsten gefallen hat, auf imdb mit 8,7 von allen zehn Folgen die höchste Wertung. Einzelne Aspekte fand ich brüllend komisch, zum Beispiel alle Szenen mit der grottenschlechten Nachwuchsschauspielerin, zu deren Besetzung Larry genötigt wird (es ist schon eine Kunst, absichtlich falsch zu schauspielen). J.B. Smooves Figur Leon ist ohnehin immer für einen Lacher gut, und Tracey Ullman sollte man für ihren furchtlosen 100-Prozent-Einsatz in der Rolle der Irma Kostroski mit Preisen überschütten.

Traurig ist's, dass die 14. Staffel von Doctor Who wohl erst im November 2023 gesendet wird, zum 60. Jubiläum der Serie. Bis dahin könnte ich alles vergessen haben, was in der bis dato letzten ausgestrahlten Folge passiert ist, weswegen ich mein Urteil kurz und bündig an dieser Stelle hinterlassen möchte. Unterm Strich war ich überrascht. Positiv überrascht. Jeder bisherige Showrunner der neuen Serie hatte sich für seine Abschiedsfolge erkennbar vorgenommen, nicht nur out with a bang zu gehen, sondern auch die Quintessenz, oder besser: seine Vorlieben, die typischen Elemente "seiner" Ära auf die Spitze zu treiben. Der Doktor als Freund der Menschen, der nicht vom Schicksal der Erde lassen kann, feierte nach vier Staffeln unter Russell T Davies (Welcome back! btw) seine "End of Time" mit extra viel Kitsch und Tränen, und Moffat hat für den Schwanengesang des 12. Doktors noch einmal ganz tief in die Zeitschleifen-Trickkiste gegriffen. Von Chris Chibnall hatte ich nun erwartet, dass er, wie schon mit dem "Timeless Children"-Narrativ, zum Schluss erneut alles auf links drehen, kritischen Whovians den Mittelfinger zeigen und seinem Nachfolger einen schwer zu kittenden Scherbenhaufen hinterlassen würde. Markenzeichen wie Selbstverpflichtung Chibnalls war ja (insb. in Series 11), auf Altvertrautes, etwa Klassik-Monster, zu verzichten, etablierte Regeln zu brechen, starrsinnig sein eigenes Ding zu machen. Umso mehr überraschte es mich nun (wie gesagt: positiv), als was für ein Feuerwerk an Nostalgie, Reminiszenzen und Fan-Service sich "The Power of the Doctor" entpuppte. Dass vereinzelte Ideen halbgar und/oder recycelt wirkten, verblasste angesichts all der wunderbaren Wiederbegegnungen und Rückverweise.
Kaum waren meine Augen getrocknet, bemächtigte sich ein Grinsen meiner im Gedanken daran, dass es nächstes Jahr noch epischer wird. Geil!

Apropos (Spoiler!) Wiedersehen mit alten Doktoren: Den britischen Sechsteiler The Devil's Hour habe ich ahnungslos und in blindem Vertrauen allein wegen Peter Capaldi geschaut. Er spielt einen sinistren Killer, der über eine Gabe zu verfügen scheint beziehungsweise auf dem ein Fluch lastet ... Präziser soll es nicht ausgedrückt werden, denn das Rätsel des vermeintlichen Psychopathen wird erst in der letzten Folge gelüftet. Atmosphärisch umgesetzt und mit einem beängstigenden Kinderdarsteller in der Nebenrolle, weiß "The Devil's Hour", bis auf eine Durchhänger-Folge, anständig zu packen. Erhöhte Konzentration ist ebenso gefordert wie die Akzeptanz paranormaler Prämissen ohne deren (pseudo-)wissenschaftliche Erklärung.

Mit Mr. Robot bin ich nach etlichen Jahren auch endlich fertig geworden. Die vierte Staffel war mir mitunter zu esoterisch (das Label "Hacker-Drama" erfasst nicht annähernd die Dimensionen dieses komplexen Psychothrillers), weiß Gott, ich bin nicht mal sicher, ob mir die finale Auflösung zu 100 % eingeleuchtet hat. Aber der Schnitt, die Kamera, der Soundtrack (sowohl die lizenzierten Songs als auch Mac Quayles adrenalintreibende Scores), der gesamte Style: superb! Und wo konnte man je eine realistischere Darstellung von Angststörungen und elaborierter Computerbenutzung sehen?

Dienstag, 29. November 2022

Videospieltipp: "Life Is Strange"-Double Feature

Es ergab sich, dass ich über mehrere Monate hinweg "Life Is Strange 2" und "Life Is Strange: True Colors" parallel gespielt habe. Es liegt also nahe, beide in einem Abwasch zu bewerten, wobei mir kein direkter "Vergleichstest" zweier miteinander konkurrierender Games vorschwebt. Mir schwebt, ehrlich gesagt, noch gar nichts vor. Mal sehen, was passiert, wenn ich meine ungeordneten Gedanken niederschreibe.

"Life Is Strange 2" (im Folgenden: LIS2) erschien in fünf Episoden von 2018 bis 2019, "Life Is Strange: True Colors" (TC) kam als Gesamtpaket 2021 heraus und stellt das bis dato letzte installment der Life-Is-Strange-Reihe dar, sieht man von der heuer veröffentlichen "Remastered Collection" ab. Für LIS2 habe ich circa 17 Stunden gebraucht, für TC rund 15 Stunden, jedoch über einen deutlich kürzeren Zeitraum als für Ersteres. Diese Tatsache könnte den Verdacht erhärten, dass ich von TC mehr gefesselt war, aber so einfach ist es nicht. Vermutlich lag es daran, dass man sich für die Story vom bewährten Episoden-Prinzip verabschiedet hat. So geht sie "wie in einem Rutsch" von der Hand, man wird leichter mitgerissen. Bei LIS2 werden klare Zäsuren gesetzt, jedes Episodenende geht mit einem Cliffhanger einher, zudem sind die Entscheidungen härter, schwieriger und folgenreicher. Bei TC wird man zwar auch oft genug vor die Wahl gestellt, und auch da sind je nach Entscheidung verschiedene Spiel-Ausgänge möglich, bei LIS2 aber braucht man öfter mal eine Verschnauf- oder Verdauungspause. Ich glaube, bei LIS2 sind insgesamt fünf unterschiedliche Enden möglich, und jedes davon hat den gewissen "Uff!"-Faktor. Da ist das Schicksal unserer Hauptfigur in TC "banaler". Damit möchte ich die sich entspinnenden Geschehnisse und das Drumherum nicht trivialisieren: TC hat auch jede Menge Substanz, Drama und Spannung zu bieten, Abgründe tun sich auf, Verbrechen kommen ans Licht.

Nun, worum geht es überhaupt? Dazu möchte ich nichts verraten. Glaubt mir: Sich blind hineinzustürzen, mehrt das Vergnügen. Es sei nur festgehalten, dass sich die zwei Spiele schon im erzählerischen Genre voneinander unterscheiden: LIS2 ist ein Roadmovie, TC ist ein Krimi. Bei ersterem gibt es wesensgemäß mehrere Ortswechsel, man kommt von Washington State über Oregon und Kalifornien nach Nevada und Arizona, während sich die Handlung von TC streng auf einen Ort konzentriert. Und diese Ortschaft ist einer der dicksten Pluspunkte des Spiels, sein heimlicher Star sozusagen: Das fiktive Haven Springs, Colorado, ist ein stadtgestalterischer Wunschtraum, ein Idealkaff, ein schillerndes, gelecktes Shangri-La für erdverwachsene Hipster, die von einem besseren Amerika träumen. (Unnötig zu sagen, dass es unter der bunten Oberfläche brodelt und das Aufdecken eines düsteren Geheimnisses unsere Hauptaufgabe ist.) Auf dem großen Fernsehbildschirm wirkt dieses Anti-South-Park, dieses Miniatur-Portland natürlich besonders grandios:



LIS2, das ich auf dem Notebook gespielt habe, kommt ein wenig rauer, staubiger, trostloser rüber, wobei ausgesuchte Wüstenlandschaften und Nationalparkrouten freilich auch ihren eigenen Charme haben. Überhaupt habe ich in Sachen Graphik so wenig zu beanstanden wie an der musikalischen Untermalung, auch die Mimik und die Animation der Figuren taugen mir und wirken an keiner Stelle der Glaubwürdigkeit entgegen. Die wie immer famos geschriebenen Dialoge und das Verhalten der Akteure festigen einmal mehr den exzellen Ruf des "Life Is Strange"-Franchise', die Nase weit vorn zu haben, wenn es um Charakterdesign geht. Beide Abenteuer – LIS2 wurde von Don't Nod, TC von Deck Nine entwickelt – zeichnen sich durch ein hohes Maß an Authentizität und menschliche Glaubwürdigkeit aus. Wer aber sind diesmal die Akteure? Die Protagonistin von TC heißt Alex, ist Anfang 20 und kehrt nach vielen Jahren im foster care system in ihre Heimatstadt Haven Springs zurück, wo sich ihr Bruder inzwischen so etwas wie eine Familie aufgebaut hat. LIS2 dreht sich um die Diaz-Brüder, 16 und 9, die bei ihrem Vater, einem mexikanischen Einwanderer, leben (die Mutter hat sich vor langer Zeit davon gemacht), bis sie ein drastisches Vorkommnis zur Flucht zwingt.

(Screenshot von Userin "Babsi" auf Steam)

Die meiste Zeit steuern wir zwar den älteren, Sean, über die besondere Fähigkeit, die mehr als einmal gameplay- und plotrelevant ist, verfügt indes nur unser kleiner Bruder Daniel. Ganz genau, übernatürliche Kräfte spielen in beiden Adventures wieder eine essentielle Rolle: In Daniels Fall kommt sie handfester und urwüchsiger daher (Telekinese), bei "True Colors" ist sie subtiler und für andere nicht wahnehmbar (Alex kann Gedanken lesen und Emotionen von Menschen in der Nähe synästhetisch wahrnehmen). Hier wie da haben die Fähigkeiten nicht nur Vorteile und bringen ihre\n Träger/in regelmäßig in Dilemmata und mittelschwere innere Konflikte. Ich persönlich konnte mich sowohl in Sean als auch in Alex einwandfrei hineinversetzen und ihren inneren wie äußeren Reisen, Kämpfen und Metamorphosen mit Freude (und, wenn es sein musste, mit Traurigkeit) wie selbstverständlich folgen.

Fazit: Sowohl "Life Is Strange 2" als auch "Life Is Strange: True Colors" halten die Tugenden des bahnbrechenden Originals hoch. Wendungsreiche Storylines mit unüberwindbar scheinenden Hürden und klug platzierten emotionalen Magenschlägen werden durch stark gezeichnete tragische Held(inn)enfiguren ergänzt. Wäre mir nach Mäkeln zumute, würde ich die oft läppischen Sammelaufgaben und belanglosen Rätseleinlagen ansprechen, aber ich verkneife mir ja auch die unnütze Bemerkung, dass an "Life Is Strange 1" (bei allen Schwächen, die auch diesem eigneten) ohnehin nichts ranzukommen in der Lage ist.

PS: Zu beiden Games ist je ein kürzeres Add-on erschienen. Gespielt habe ich nur das zu LIS2, "The Awesome Adventures of Captain Spirit", das ebenfalls traurig-schön geraten ist.

Sonntag, 27. November 2022

Die neuen Vorsätze sind da

Ein historischer Tag für Fans von großen und kleinen Zahlen war der 18. November dieses Jahres. Da wurden nämlich im Rahmen der 27. Generalkonferenz für Gewichte und Maßeinheiten im Schloss von Versailles vier neue SI-Präfixe eingeführt: zwei Vorsilben für sehr hohe und zwei für sehr winzige metrische Maßangaben. Bisher stellte das Präfix Yotta- das benennbare Maximum dar, eine 1 gefolgt von 24 Nullen. Ein Yottabyte sind 1024 Bytes, nein, schlechtes Beispiel, bei Bytes rechnet man ja in 1024er-Schritten ... Anderer Bereich: 1 Yottagramm sind 1024 Gramm. "So ein abstrakter Theoriequatsch!", mag man nun einwerfen. "Was bitte schön bringt denn eine Quadrillion Gramm auf die Waage?" Tja, man halte sich fest: Unsere Erde wiegt nach aktuellen Erkenntnissen sechs Ronnagramm (6 Rg)!

Ronna- repräsentiert ab sofort schwindelerregende 27 Nachkommastellen. Damit ist der Gipfel aber noch nicht erreicht, denn hinzugekommen ist auch Quetta- für 10^30. Die Ausweitung der, ich nenn's mal: Nomenklatur ergab sich aus wachsenden Bezifferungs-Anforderungen in der Data Science ("because data science is requiring these really big quantities of data to be described", wie es ein Sprecher ausdrückte). Die neuen Vorsilben seien zukunftssicher, mindestens für die nächsten 25 Jahre. Die letzte entsprechende Anpassung lag über 30 Jahre zurück. Inoffiziell waren, ausschließlich in der Computerwissenschaft, bereits die Präfixe Bronto- und Hella- verwendet worden. Gegen diese hat das Gremium vor allem deswegen votiert, weil die Buchstaben b und h bereits in Gebrauch sind, h für Hekto-, b (selten) für Bit.

Wie man am Beispiel der Erdenmasse sieht, finden die Extrem-Maßangaben auch außerhalb von Informatik & Co. ihre Anwendung. Über den Planeten Jupiter lässt sich jetzt sagen, dass er rund zwei Quettagramm wiegt, 2 Qg. Und am enderen Ende des Spektrums? Da haben wir r für Ronto- (10-27) und q für Quekto- (10-30). Ein Rontogramm ist beispielsweise die Masse eines Elektrons. Und ein Bit Information auf einem Smartphone lässt dieses um ein Quektogramm schwerer werden (Quelle: Guardian).

Da man sich stets aus dem Vorrat von Buchstaben bedienen muss, die "noch übrig sind", sind die Bildungen dieser Wortteile mitunter wild. Bei Quetta- etwa hat man irgendwie das griechische deka mit dem lateinischen decem ("zehn") vermischt und das noch freie Q- vorangestellt, wobei angeblich zwischenzeitlich die Variante Quecca- im Raum stand, die man jedoch für zu schwer aussprechbar hielt. Ähnlich wurde auch bei Ronna-, Ronto- und Quekto- (engl./frz. Quecto-) verfahren: Griechisches und lateinisches Zahlwort, zerpflückt und neu arrangiert, plus noch nicht in Gebrauch befindlicher Anfangsbuchstabe.

Freitag, 25. November 2022

Meine zehn zuletzt gesehenen Filme

X
Drehbuchautor und Regisseur Ti West hat sich mit Arbeiten an Gruselserien wie "Them" und "The Exorcist" sowie mit einigen durchaus namhaften Horrorstreifen erste Sporen verdient, heuer hat er mit "X" einen größeren Achtungserfolg vorgelegt. Tatsächlich steht ein Prequel namens "Pearl", in dem Hauptdarstellerin Mia Goth auch wieder mit von der Partie ist, bereits in den Startlöchern.
Die Prämisse liest sich altbacken, wirkt anno 2022 aber paradoxerweise schon wieder frisch: Im Jahr 1979 begibt sich eine bunte Truppe prototypischer potentieller Meuchelopfer in die texanische Einöde, um "einen Film für Erwachsene zu drehen", wie es in der gewohnt blöden deutschen Übersetzung der imdb-Inhaltsangabe heißt. Den Look & Feel kriegt West anständig hin, man erahnt, wie dieses Ausgangsszenario in den Achtzigerjahren durchgespielt worden wäre. Mir ist allerdings nicht so recht klar, was der Film eigentlich (sein) will: Er kennt die gängigen Backwoods-Slasher- und Sexploitation-Tropen, treibt diese aber weder auf die Spitze noch subvertet er sie. Klar, hin und wieder werden Systemfragen gestellt, und die Protagonisten haben allesamt erkennbare Ziele und Motivationen, was ich einem Script hoch anrechne und was in diesem Genre weiß Gott nicht selbstverständlich ist. Seine Versprechen von Substanz und Cleverness kann "X" aber nicht einlösen, der Großteil ist zu viel vom Altvertrauten, da wäre deutlich mehr drin gewesen. "American Horror Story: 1984" ist die zu bevorzugende Alternative.
Bonuspunkt für den Drehort Neuseeland.

The Suicide Squad
Allen Kritiken, die mir vorab voller Begeisterung versichert hatten, dass "The Suicide Squad" den Vorgänger nicht nur übertrifft (was keine Schwierigkeit darstellte), sondern sogar vergessen macht, habe ich bereitwillig geglaubt. Auf James Gunns "Guardians of the Galaxy"-geschultes Händchen für Ragtag Bunch of Misfits-Sagas einerseits, seinen kompromisslosen, bereits in dem rotzigen Vigilanten-Drama "Super" (2010) greifbaren Oh-so-wrong-Humor andererseits konnte ich mich verlassen, da war ich mir sicher.
To be fair: Keine Sekunde Langeweile hatte ich auch schon "Suicide Squad" (ohne "The") beschieden, hier ist es aber eine Suppe aus den Hauptzutaten Action, Spaß und Intensität, die zwoeinhalb Stunden lang am Köcheln gehalten wird und an der man sich nicht sattessen kann. Die "Deadpool"-Reihe ist für mich zwar nach wie vor der Goldstandard in der Kategorie "Antihelden-Splatter-Gagfeuerwerk", aber dass ich mich bei meiner (mir 2021 selbst auferzwungenen) Wahl zwischen Marvel und DC auf die richtige Seite geschlagen habe, wurde mir hiermit einmal mehr bestätigt.
PS: Ich habe mir die Deleted Scenes angesehen. Die waren auch nicht übel, wurden aber m.M.n. durchweg berechtigterweise herausgeschnitten.

Im Schatten des Zweifels
Von seinen eigenen Werken mochte Alfred Hitchcock laut Überlieferung dieses am liebsten; mein Favorit von Hitch ist es bei weitem nicht. Permanente Bangnis und suburbanes Grauen präsentiert uns der Meister des Suspense zwar in solidem Maße, für mich ist aber an dem Punkt die Luft raus, wo a) die Frage, ob "Onkel Charlie" tatsächlich Onkel Charlie ist, geklärt wird, und b) einzelne Figuren sich erratisch bis tumb verhalten. Ohne zu viel verraten zu wollen: Der Bedrohungslage könnte man sich sehr fix und ohne viel Aufwand entziehen.
Trotzdem lässt sich "Shadow of a Doubt" prima anschauen dafür, dass er fast 80 Jahre auf dem Buckel hat. Die Hauptrollen haben inne: Teresa Wright (letzte Rolle: "Der Regenmacher") und Joseph Cotten. Das Drehbuch schrieb Thornton Wilder (!) gemeinsam mit Sally Benson und Alma Reville.

Alles Geld der Welt
Die spektakuläre Getty-Enkel-Entführung wurde 2018 als Zehnteiler "Trust" für den Sender FX inszeniert, u.a. von Danny Boyle und mit immerhin Hilary Swank und Donald Sutherland. Ich frage mich jedoch wie so oft, warum. Die Story lässt sich in einem abendfüllenden Spielfilm, nämlich diesem aus dem Jahr zuvor, erzählen, ohne gehetzt zu wirken, und ich kann mir nicht vorstellen, wie sie durch das Serienformat an Spannung und Charaktertiefe gewinnen sollte. Ridley Scotts 132-Minuten-Fassung hat mich jedenfalls überzeugt. Ob der öffentlichkeitswirksam nachträglich herauseditierte Kevin Spacey den hartherzigen Ölmilliardär Jean Paul Getty einnehmender interpretiert hätte bzw. hat, vermag ich nicht einzuschätzen. Christopher Plummer hat den unbestreitbaren Vorteil, deutlich älter und verknitterter zu sein, was seiner Figur noch mehr Sturheit und Verbitterung verleiht.

Tremors
In meiner Jugend verging kein Wochenende, an dem nicht "Im Land der Raketenwürmer", so der dann doch liebenswert hirnrissige deutsche Untertitel, im Spätprogramm von RTL 2 oder Kabel 1 lief. Dass ich ihn bis neulich, als er ins Angebot von Amazon Prime aufgenommen wurde, noch nie gesehen hatte, ist ein Wunder. Und was soll ich sagen? Das Creature-Feature von 1990 funktioniert auch nach drei Jahrzehnten hervorragend und hält, was es verspricht. Ich erwartete Trash und bekam einen kurzweiligen Wüsten-Actioner mit vorzeigbaren Props und Effekten, einer Prise Humor und Kevin Bacon.

Verborgene Schönheit (OT: Collateral Beauty)
Haderte ich schon bei "Im Schatten des Zweifels" mit der altbekannten Zwickmühle der suspension of disbelief, machte es mir dieses Drama von 2016 um ein Vielfaches schwerer. Das Manöver, das drei Arbeitskollegen mit Hilfe angeheuerter Laienschauspieler/innen inszenieren, um ihren traumatisierten Freund zurück ins Leben zu holen, ist so gaga – und grenzt obendrein an Gaslighting –, dass mein Hirn im Ringen mit Herz und Seele beinahe die Oberhand gewann.
Will Smith hat mit "Sieben Leben" und "Das Streben nach Glück" zwei zu Tränen rührende Performances für die Ewigkeit vorgelegt. Der Hattrick ist ihm mit "Verborgene Schönheit" nicht gelungen. Nichtsdestotrotz habe ich Smith, um den es zuletzt ruhiger geworden war, ebenso gern zugesehen wie dem übrigen Cast, darunter Edward Norton, Helen Mirren und Keira Knightley.

The Black Phone
Ich muss wirklich bald mal etwas von Joe Hill lesen! Das 2021 erschienene Entführungs-Mystery "The Black Phone", das auf einer seiner Kurzgeschichten basiert, erinnert in mancher Hinsicht und auf gute Weise an Erzählungen seines Vaters Stephen King, in denen Kinder im Mittelpunkt stehen. Der Vergleich mit "Es" drängt sich auf. Während dort Heranwachsende einer übernatürlichen Macht mit ganz realen Mitteln Einhalt gebieten müssen, stammt das, was es hier auf die Kinder abgesehen hat, aus dieser Welt und kann nur mithilfe paranormaler Bedingungen bekämpft werden. Dass die "The Grabber" genannte Schreckgestalt (albtraumhaft: Ethan Hawke) am Ende besiegt wird, sieht man hoffnungsvoll kommen; als (wenn?) es dann passiert, ist's umso befriedigender. Die Nachwuchsdarsteller sind toll, beunruhigend grandios ist auch der lange nicht gesehene Jeremy Davies.

Brian and Charles
Suspension of disbelief zum Dritten: Dass eine von einem sonderbaren Einsiedler und Messie aus Haushaltsgegenständen und Elektroschrott zusammengeschraubte Puppe eine künstliche Intelligenz eingehaucht bekommt, die dem Stand der gegenwärtigen Robotik Dezennien voraus ist, muss man halt hinnehmen. Technische Fragen sind müßig, ich brauche keine Erklärungen, um die Figur des Charles als echt zu akzeptieren; die brauchte ich auch bei "Finch" nicht.
Der britische Komiker David Earl, den ich an anderer Stelle als "Perversen vom Dienst" tituliert habe, darf hier von seiner angestammten Serienpersönlichkeit abrücken und einen liebens- und bemitleidenswerten Sympathieträger mimen. Mit seinem Co-Star Chris Hayward hat Earl auch das Drehbuch verfasst. Eine stille, warme, skurrile Perle.

The Found Footage Phenomenon
Ich kann mich kurzfassen: An "Woodlands Dark and Days Bewitched" kommt diese Horrorfilm-Doku nicht heran. Dafür geht sie auch "nur" eine Stunde und 40 Minuten. Neben den erwartbaren sozio-kulturellen Herleitungstheorien zum Phänomen "Paranormal Activity" & Co. gibt es zumindest zwei Erkenntnisse, 1.) dass das Angebot an Vertretern des Found-Footage-Subgenres längst gesättigt ist (okay, den Verdacht hatte ich schon vorher), und 2.) dass erstaunlich viele Filmschaffende in diesem Bereich sich auf die Fahne schreiben, Vorreiter auf diesem Feld gewesen zu sein (mehrmals getätigte Aussage, paraphrasiert: "Jaaa, was Film XY von 2010 gemacht hat, haben wir ja schon 2004 in YZ gezeigt!").

Don't Worry Darling
Auch hier kann ich mich mit Worten zurückhalten, viel Korrektes wurde über Olivia Wildes zweite Regiearbeit bereits geschrieben. Futurismus trifft auf den geschniegelten Abyss einer planned community, Menschlichkeit und die Definition von Menschsein stehen im Fokus. Dass mich einige Versatzstücke allzu sehr an "The Prisoner" sowie die "Akte X"-Folge "Arcadia" erinnert haben, ist wohl eher meine Schuld. Harry Styles hat kaum genervt, Florence Pugh muss für absolut folgerichtig besetzt halten, wer sie in "Midsommar" brillieren sah (jene Darstellung soll Wilde ja auch dazu bewogen haben, Pugh zu engagieren). Auch die Kameraführung hebt "Don't Worry Darling" über das Niveau von "Black Mirror" und ähnlichem. Einzig manche Traum-/Visions-Sequenzen sind für meinen Geschmack zu aufdringlich geraten.

Mittwoch, 23. November 2022

TITANIC vor zehn Jahren: 12/2012

Huch, ich hatte bis vor zwei Tagen nicht auf dem Schirm gehabt, dass die Dezemberausgabe 2012 bereits am 23.11., also am vorletzten statt wie gewohnt am letzten Freitag des Monats, erschien. Aber klar: Weil die Januarnummer in der Regel vor Weihnachten herauskommt ("zwischen den Jahren" droht sie unterzugehen), wird meist auch der Erstveröffentlichungstag (ET) von Ausgabe 12 um eine Woche vorverlegt. Jedenfalls hatte ich deswegen nicht ausreichend Zeit, das Heft bis ins letzte Detail zu studieren. Für eine Review von gewohnter Länge reicht's aber.


Wie man sieht, befand sich Heizkosten schon vor zehn Jahren als Angstbegriff im deutschen Bewusstsein. Der Titel stammt von mir, was ich bis zum Erhalten meines Belegexemplars gar nicht gewusst hatte, denn er war eigentlich als Aufmacherseite von "55ff" vorgesehen. Ersetzt wurde diese dann durch einen Bildwitz, den ich tatsächlich als Hefttitel vorgeschlagen hatte und der mir inzwischen gar nicht mehr gefällt.

Überhaupt scheint Kreativscham diesmal ein Leitmotiv zu sein. Beispielsweise könnte man den "Apocagypse!" betitelten "Zigeuner-Survival-Guide" (S. 36-39) heute so nicht mehr bringen. Das ridiküle Pamphlet hatte seinerzeit einen in der Gesellschaft relevanten Anlass, enthält genügend Ironiemarker und Fallhöhe, macht sich im Grunde lustig über westliche Ängste, indem es sie überhöht. Trotzdem, fürchte ich, würde diese Form von Satire inzwischen nicht mehr verstanden werden, und man würde mir und meinem Co-Autor – nicht ganz zu Unrecht – vorwerfen, antiziganistische Klischees zu reproduzieren. Ich erinnere mich außerdem daran, dass es später intern Kritik an der unentschiedenen Aufmachung des viel zu spät fertig gewordenen Beitrags gab und dass auch Leo Riegel, bei dem wir kurz vor knapp Illustrationen bestellten, keinen rechten Zugang fand.


Als kein großer Wurf muss leider auch die Telefonaktion "Og'würgt is!" (S. 14-19) bewertet werden. Deren Hintergrund, zu dem es auf S. 45 noch einen lustigen Uwe-Becker-Cartoon sowie auf S. 7 ein hübsches politisches Gedicht von Moritz Hürtgen – eine Premiere! – gibt, er dürfte so gut wie vergessen sein: Der CSU-Pressesprecher Hans Michael Strepp hatte dem ZDF telefonisch gedroht, es werde "Diskussionen nach sich ziehen", sollte der Sender über den Parteitag der bayerischen SPD berichten, und musste daraufhin "seinen Sepplhut nehmen". Die Kollegen Wolff, Ziegelwagner und ich riefen nun in schlechtem Bairisch als "CSU-affine Streppenzieher" diverse Lokalredaktionen an, um sozifreundliche Berichterstattung zu unterbinden.


Die Umsetzung der an sich cleveren Idee trug nicht die erhofften Früchte. Bemängelt wurden bei der folgenden Herausgeberkonferenz zudem die unpassenden selbstgeschossenen Begleitbilder, von welchen eines uns drei Streichespieler selbstherrlich feixend an einer Bierzelttafel zeigt. Aufschlussreich ist jenes Foto zumindest für mich, insofern es nämlich bewusst macht, was für Babyfaces wir damals noch waren! Ich hatte immer geglaubt, ich hätte damals schon zehn Jahre älter ausgeschaut, als ich war ... Auf der U4 kann man mich noch einmal sehen, hier allerdings mit zum Untermauern der Stoßrichtung dieser Fake-Anzeige müde geschminkten Augenrändern.


Apropos selbstgeschossen (Tom Hintner hasst den Anglizismus "Fotos schießen" übrigens): Weitaus gelungener ist des Duos Fischer/Wolff fünfseitiger Comic-Hybrid aus Agentur- und selbstgemachten Fotos auf Seite 24ff., die m.M.n. weiter nach vorn gehört hätte. Es handelt sich um den Mitschnitt einer Nachrichtensendung auf "Al-Dschasira 24", in der im Stile islamophober Auslandsreportagen jener Epoche über die rezenten Erfolge der Grünen in Baden-Württemberg gehetzt wird. Ein feiner Spaß mit "Claus Kaaba" und "Marietta Burka":


Historisch wertvoll ist Michael Ziegelwagners schönes Portrait des damaligen Debattenressortleiters des Focus, den "Gossen-Nietzsche" Michael Klonovsky, der heutzutage zwischen Fleischhauer, Martenstein und der Welt-Bagage kaum auffallen würde, aber gottlob ohnehin zur publizistischen Fußnote verkommen ist, seit er sich 2018 ... aber das kann man ja bei Wikipedia nachlesen.

Ein unauffälliges Highlight befindet sich in den "Briefen an die Leser" in Form einer Promo zum frisch angekündigten neuen "Tatort"-Team, die sich in einer Redaktion mit fränkischem Kollegen geradweg aufzwang:


Gezeigt werden soll abschließend die diesmonatige Abo-Anzeige, sieht man doch in ihr das brave Model Lovis, den Hund einer Redaktionsfreundin. Das Tier hat nach der Aufnahme noch auf den legendären Gaddafi-Teppich uriniert.


Weiteres Notierenswertes
- Ha, das war die Zeit, in der die Frankfurter Rundschau einzugehen drohte (s. Editorial)! Wenig später wurde sie von der FAZ übernommen.
- Ha!, entfährt es mir ferner beim Überfliegen von Oliver Nagels alljährlicher Britcom-Schau, denn einige der darin vorgestellten Serien habe ich erst wahrgenommen und konsumiert, seit ich mich vor ein paar Jahren verstärkt für britisches TV zu interessieren begonnen habe. (Korrektorengrübelei: Kann man damit beginnen, etwas verstärkt zu tun? Ich meine: ja.) Und ich lese, dass es eine späte "Alan Partridge"-Miniserie namens "Midmorning Matters" gab. Oha!
- Völlig aus gewiss nicht nur meinem Gedächtnis verschwunden war der Piraten-Geschäftsführer Johannes Ponader, den Mark-Stefan Tietze auf S. 48f. in einer Cinema-Parodie auftreten lässt. Der Ex-Politiker ist inzwischen Schauspieler und Theaterregisseur.
- Sowohl bei Kahl als auch bei Hurlmeier wird in diesem Monat Schlachtvieh penetriert. Solche Doppelungen fallen einem oft erst nach einer halben Ewigkeit auf.
- Vorweihnachtsbedingt werden mehrere Bücher aus dem Titanic-Umfeld beworben, darunter "101 Dinge, die Sie sich sparen können" (Bräuer/Nagel), "Macht Sex Spaß?" (hg. v. Volker Surmann) und "Quatsch" (Schiffner/Sonneborn), eines der "drei komischsten Büche[r] in meinem Bücherregal" (Zitat ich, an anderer Stelle).
- Der Katz+Goldt enthält eines meiner All-time-Lieblings-Panels:


Schlussgedanke
Einfach nur WOW! Wer über diverse Dinge, die ich hier nicht zitiert oder gezeigt, sondern nur angedeutet habe, selbst staunen, lachen und/oder den Kopf schütteln möchte, möge sich das Heftchen per Online-Bestellung zulegen. Es lohnt sich.

Montag, 21. November 2022

Der Rosetta-Stein der Deutschen Bahn

Bei meiner letzten ICE-Fahrt habe ich zum ersten Mal einen genaueren Blick auf das über dem Nothammer hängende Warnschildchen geworfen:


Ich kam nicht umhin, die Nuancen, die sich in dem viersprachigen Hinweis finden, zu bemerken.
"Missbrauch strafbar" heißt es auf Deutsch, auf Englisch aber nicht analog "Misuse punishable", sondern "Misuse will be punished". Ein kleiner, aber feiner Unterschied: Deutschsprechende können bei Hammermissbrauch bestraft werden, Englischsprechende werden es in jedem Fall. Genau so alternativlos sind die Folgen, welche die französische und die italienische Zeile versprechen: "... wird bestraft". Man beachte außerdem, dass in jenen auch noch ein "jeder" vorangestellt ist (tout/ogni), während man sich bei der englischen Version ein "any" gespart hat.
Ob das irgendeine tiefere Bedeutung hat, kann ich nicht sagen, ich bin ja kein Kulturwissenschaftler. Vermutlich sind die Abweichungen so beliebig wie bei Mirácoli.
 

Samstag, 19. November 2022

Gedankensplitter & Notizen

These: Es ist heute möglich, das Gesamtwerk Tschaikowskis allein über die popkulturelle Zweitverwertung kennenzulernen.

Endstation farbenblinder Buntmetalldieb

Fernsehserien, die es tatsächlich gibt: "Hund mit Blog" (Dog with a blog), eine Kindersitcom über einen sprechenden und bloggenden Köter.

Der Trend geht zur Dritttrittleiter.

Erschütternde Feststellung 1: Im Supermarkt spielen sie Hoobastank.
Erschütternde Feststellung 2: Ich kenne den Bandnamen "Hoobastank".

Schönes neues Wort: Zweitpflichthoster. Schönes altes Wort (aus der Wildwestzeit): Zweitholsterpflicht.

Actually, I had a lot of dates in my life. No, wait... the other one: figs.

Im Zug mitgehört: “Wo hat Angela Merkel eigentlich studiert?“ - “Ich glaube in Dresden, zumindest gibt's da einen Merkel-Bau.“

Deine Mutter nennt Thiruvananthapuram noch Trivandrum.

Schöne Komplimente, die heute niemand mehr macht: "Er konnte rechnen wie Euler." (Voltaire, Candide)

Fakt: Die Schülerband der Freien Montessorischule Huckepack heißt "Bamsemums".

Das männliche Pendant zum Venushügel ist die sog. Marswölbung: ein dicker Bauch nach übermäßigem Schokoriegelverzehr.

Mittdreißigerinnen aus Dresden, die "Guddi!" und "Das is dor Hit!" sagen

(erstveröffentlicht 2013 auf Twitter)

Donnerstag, 17. November 2022

Worüber ich lachen kann

Im "Handbuch deutscher Kommunikationsverben" werden sage und schreibe 562 Sprechakt- und Kommunikationsverben erfasst und beschrieben. Nun können nicht alle diese Verben explizit performativ verwendet werden: Niemand wird sagen Hiermit lüge ich oder Hiermit schimpfe ich mit dir.

Zifonun, Gisela (2021): Das Deutsche als europäische Sprache. Ein Porträt. Berlin/Boston: De Gruyter. S. 50

Dienstag, 15. November 2022

Theseus' Band

Diese Woche treten The Cure in der Frankfurter Festhalle auf. Als ich die Ankündigungstafel zum ersten Mal sah, dachte ich: Wer von der Originalbesetzung wohl noch an Bord ist? Dabei hätte man auch ohne musikhistorische Spezialkenntnisse wissen können, dass Gründungsmitglied Robert Smith nach wie vor den Frontmann gibt. Die anderen sind aber alle mehr oder weniger neu. Simon Gallup, der 2021 seinen Austritt verkündet hatte, die Erklärung wenig später zurücknahm und jetzt wieder mittourt, kann zwar auch als Urgestein gelten, ist aber erst vor der Aufnahme des zweiten Cure-Albums hinzugestoßen, um den ursprünglichen Bassisten Michael Dempsey zu ersetzen.

Es blieb nicht aus, dass sich in der über 40-jährigen Bandgeschichte immer wieder Erneuerungen und Änderungen ergaben, aber sieht man sich die Aufstellungs-Timeline an, erkennt man doch eine gewisse Stabilität. Ob es wohl Formationen gibt oder gab, die im Laufe ihres Bestehens komplett ersetzt wurden? Diese Frage kam neulich zufällig im Something-Awful-Forum auf, und selbstverständlich hatte jemand ein Beispiel parat:

The Band of Theseus
Sugababes

1998: Siobhán Donaghy, Mutya Buena and Keisha Buchanan
2001: Mutya Buena, Keisha Buchanan and Heidi Range
2006: Keisha Buchanan, Heidi Range and Amelle Berrabah
2009: Heidi Range, Amelle Berrabah and Jade Ewens (no original members remain)
2011: Sugababes dissolves (presumably in tea)

2012: Siobhán Donaghy, Mutya Buena and Keisha Buchanan form "Mutya Keisha Siobhan"
2019: MKS rename as Sugababes

Wow, einmal ausgetauscht und dann rebootet! Und jetzt kommt's: Ich habe MKS 2013 ungeplant live gesehen, bei einer Open-Air-Silvestergala in Dublin. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie da (auch) als "Sugababes" angekündigt wurden. Andernfalls hätte ich, wie vermutlich viele andere, zumindest nicht-irische, Anwesende, gar nicht gewusst, mit wem wir es da zu tun hatten.

Jetzt suche ich jedenfalls nach weiteren "Bands of Theseus". The Sweet kamen mir gerade in den Sinn, und damit lag ich nicht verkehrt. Zwar wird Gitarrist Andy Scott als "letztes lebendes Gründungsmitglied" gehandelt, aber streng genommen war er ein "Nachrücker": Frank Torpey zählte zur Urbesetzung, stieg aber bereits nach dem Release der Debut-Single 1968 aus, worauf Mick Stewart bis 1970 an der Gitarre stand. Erst dann kam Scott. Wer kennt mehr Fälle?

Sonntag, 13. November 2022

Lesetipp: Interview mit Karin Stüber

"Und was kannst du damit machen?" Diese Frage hörte ich als Student der Vergleichenden Sprachwissenschaft seeehr oft, vermutlich öfter, als wenn ich irgendein anderes geisteswissenschaftliches Fach studiert hätte. Etwas Konkreteres als "Keine Ahnung, mal sehen" konnte ich darauf nie erwidern. Dass es abseits akademischer Einrichtungen kaum Beschäftigungsmöglichkeiten für Indogermanisten gibt, war mir von vornherein klar gewesen, und letztlich hätte ich für den Job, in den es mich später verschlug, überhaupt keinen höheren Abschluss benötigt; bereut habe ich meinen Weg trotzdem nicht.

Ein extremes Beispiel für die unerwartete Zweitkarriere einer immerhin Sprachwissenschafts-Professorin lieferte jetzt ein Interview in der Neuen Zürcher Zeitung. Befragt wurde Karin Stüber, die mir in meiner Postgraduierten-Zeit wiederholt begegnet war, wann immer ich mich mit dem Keltischen zu befassen hatte. Ich glaube, ich habe sie sogar einmal auf einem Kongress reden hören. Jedenfalls arbeitet Karin Stüber seit kurzem als ... millionenschwere Autohändlerin!

Sowohl ein solcher Berufswechsel als auch – das muss man ganz klar sagen – die Entscheidung, sich full-time einer potentiell unlukrativen Nischendisziplin zu widmen, erfordert eine gewisse Privilegiertheit. Im Falle Stüber scheinen die Sterne seit jeher günstig gestanden zu haben.

Sie haben es getan. Sie beendeten Ihre akademische Karriere in Würzburg und wurden Verwaltungsratspräsidentin des grössten ­Mercedes-Händlers der Schweiz.
Mein Vater, Peter Stüber, führte die Firma mehr als 50 Jahre lang, sie gehörte ihm auch seit langem. Er sagte: Wenn ich 80 Jahre alt bin, möchte ich aufhören. Also musste sich die Familie überlegen, wie es weitergeht. Meine Schwester studierte Wirtschaft, aber sie wollte nicht seine Nachfolgerin werden. Die Verantwortung war ihr zu gross. Nun sitzt sie auch im Verwaltungsrat der Firma und unterstützt mich.

Warum haben Sie Ja gesagt?
Die Aufgabe reizte mich. Ich wollte etwas zurückgeben.

Wem wollten Sie etwas zurückgeben und warum?
Der Firma, den Mitarbeitern, der Familie. Ich bin meinen Eltern sehr dankbar. Ich habe so lange profitiert. Ich konnte eine akademische Karriere machen und ein Fach studieren, das brotlos ist. Für Indogermanisten gibt es ausserhalb der Uni keine Stellen. Als ich eine Zeitlang keine Anstellung hatte, war das mit meinem Hintergrund kein Problem. Wenn ich aus einer Arbeiterfamilie käme, wäre das nicht dringelegen. Meine Karriere wäre vorbei gewesen.

Das ganze Gespräch, in welchem auch der hübsche Helvetismus Sackgeld fällt, ist hier zu finden. Mich hat übrigens ein Google-Alert zu "indogermanistik", den ich vor langer Zeit eingerichtet habe, dorthin geführt. So richtig lösen konnte ich mich von dieser herrlichen Wissenschaft nämlich bis heute nicht.