Donnerstag, 14. April 2022

Videospieltipp: Lake

Obwohl ich noch nie einen gespielt habe, kann ich den Appeal und den irrsinnigen Erfolg von Landwirtschafts-, Bus- und anderen Simulatoren durchaus verstehen. Eine klare Aufgabe, eine strikte Zielvorgabe, das planbare Ausführen einer überraschungsarmen, selten hektischen Arbeit: Das ist Zen. Und Menschen, die in den entsprechenden Berufen tatsächlich arbeiten und trotzdem noch in ihrer Freizeit in die (immer realistischer umgesetzten) Software-Versionen eintauchen, sollen ja keine Einzelfälle sein.

"Lake", vom niederländischen Entwickler Gamious, ist nun das, was einem "Postboten-Simulator" am nächsten kommt, und wäre mir dieses Indiespiel im Vorfeld als solcher angepriesen worden, hätte ich dankend abgelehnt. Ich wusste allerdings gar nichts darüber, hatte nur ein paar Screenshots sowie die Gesamtwertung auf Steam ("Sehr positiv") gesehen, und da "Lake" im Xbox-Game-Pass enthalten war, installierte ich es.

Die Ausgangssituation ist in den 1980er-Jahren angelegt und denkbar simpel: Als Programmiererin aus der großen Stadt kehren wir für zwei Wochen in den beschaulichen Ort unserer Kindheit zurück, weil sich unsere Eltern in Florida befinden. Nicht nur hüten wir deren Haus, wir übernehmen auch vertretungsweise den Job unseres Vaters und verteilen Briefe und Pakete. In einem altmodisch kastenförmigen Postauto suchen wir die zu beliefernden Adressen auf und er-fahren die malerisch an einem See gelegene Kleinstadt Providence Oaks. Es macht Spaß, anhand der jederzeit einblendbaren Karte die optimale Route zu planen. Rund ein Dutzend Empfänger ist an einem durchschnittlichen Tag abzuklappern, meistens sind es Privathaushalte, manchmal Geschäfte. Etliche Personen suchen wir im Laufe des Spiels mehrmals auf. Wie ich erst nachträglich gelesen habe, gibt es wohl die Möglichkeit, bereits besuchte Ziele per Autopilot anzusteuern, aber die habe ich nicht vermisst. Wie gesagt, das Ausknobeln der Touren auf eigene Faust ist befriedigend, zumal es kein Zeitlimit gibt – was dazu einlädt, einfach mal auszusteigen, die Natur zu genießen oder die Pfade abseits der Siedlungen entlang zu schlendern.


Hier macht sich dann leider das beschränkte Budget des kleinen Studios bemerkbar. Eine zu endlosem Umherstreifen einladende und mit üppiger Fauna gefüllte Open World darf man nämlich nicht erwarten. Man kann (und muss oft genug) zwar den See vollständig umrunden und auch mal in einen Wald einbiegen oder einen Hügel hinaufstapfen, aber nach wenigen In-game-Tagen werden Erkundungsfreudige die markantesten Ecken erblickt haben. An den Grenzen der Karte wendet unsere Protagonistin den Wagen einfach um 180 Grad, und auch in der mitunter spärlichen Landschaft gibt es unsichtbare Barrieren. Gebäude können bis auf wenige Ausnahmen nicht betreten werden, und die Feierabend-Sequenzen im elterlichen Refugium laufen als leidlich interaktive Cutscenes ab. Apropos Interaktion: In den Gesprächen, die sich hin und wieder ergeben, haben wir meist mehrere Dialogoptionen, je nach Antwort lösen sie sogar so etwas wie Nebenmissionen aus. Diese wenigen "Quests" sind unspektakulär bis banal. Unvorbereitet wie ich war, hatte ich anfangs noch den leisen Verdacht, dass das Spiel irgendwann ins Horrorgenre wechseln oder sich ein tiefschürfendes Drama entspinnen könnte, aber nada. Wir werfen unsere Briefe ein bzw. bringen unsere Päckchen zur richtigen Türschwelle, plaudern gelegentlich, arbeiten an den Beziehungen zu Freundinnen aus der Jugend oder später Hinzugezogenen, aber Plottwists oder zwischenmenschliche Abgründe tun sich nie auf (wobei es immerhin mehr als ein mögliches Ende gibt). Und wisst ihr was? Das mag ich! Durch das an einem bodenständigen Berufsalltag ausgerichtete Gameplay, die seicht dahinplätschernden Charakterentwicklungen und die nie überfordernden Zusatzaufgaben erlangte ich eine Mischung aus Tiefenentspannung und "One more level"-Syndrom.

Es ist insgesamt alles sehr wholesome. Zum Wohlfühlfaktor trägt freilich das Ambiente bei. Look und Klangteppich sind wirkungsvoll und mit spürbarer Liebe erschaffen worden, wenn auch hier technische Unperfektheit anzuzeigen ist: Hie und da matschige Texturen, zu spät aufpoppende Kulissen, plötzlich verschwindende Figuren, Staus ohne ersichtliche Ursache (Unfälle, Fahrzeugschäden oder Kollisionen mit Passanten sind übrigens nicht vorgesehen) und fehlerhafte Lippenbewegungen trüben das Erlebnis ein wenig. Einmal musste ich mich sogar ärgern: als ich in einem Graben neben einer Hütte stecken blieb und der letzte Speicherstand zwei Spieltage zurück lag. Manuelles Speichern sei also empfohlen. Für wen solche Low-Budget-Konsequenzen hinnehmbar und Handlung und Überraschungen nicht die Prioritäten bei einer "Lebenssimulation" sind, der sollte "Lake" unbedingt eine Chance geben.

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