Bemerkenswert, dass meine zwei Favoriten in dieser Runde in schwarz-weiß gedreht wurden.Glass
Während das (tadellose) Multiple-Persönlichkeits-Mystery "Split" auch als Stand-alone-Thriller funktioniert, würde ich empfehlen, "Glass" erst zu schauen, nachdem man sowohl Erstgenanntes als auch "Unbreakable" gesehen hat, bildet es doch das Finale von Shyamalans von ihm so genannter "Eastrail-177-Trilogie". Tatsächlich wurde ja erst in der letzten Szene von "Split" klar, dass da ein Bogen zu "Unbreakable" geschlagen wurde – ein Bogen, den man etwas bemüht finden konnte, dessen Konklusion ich dann aber doch befriedigend fand. Ohne zu viel verraten zu wollen: Es wird nun endlich aufgeklärt, ob etwas Übernatürliches im Spiel ist, ob wir es mit "Superhelden" zu tun haben. Um übermenschliche Charaktere geht es so oder so, und wie ein Comicheft muss man diesen Film denn auch begreifen und konsumieren. Viele der zunächst eigenwillig erscheinenden Kameraeinstellungen sind als "Panels" zu lesen, die teils scheinbar holprigen Dialoge hat man sich in Sprechblasen gelettert vorzustellen. Wenn man so herangeht, kann "Glass" trotz vereinzelter Längen reichlich Spaß machen. Der gelungene Soundtrack tut sein Übriges.
Belfast
Auch in diesem vielfach gelobten und filmpreisnominierten Schmuckstück trägt die Musik (Van Morrison!) zur Gesamtatmosphäre bei. In stimmigem Schwarz-Weiß und durch die Augen eines Kindes entsteht ein period piece, für dessen Glaubwürdigkeit Autor und Regisseur Kenneth Branagh qua eigener Biographie bürgt. Der in Belfast aufwachsende Junge ist eine Version des Filmemachers selbst. Somit gelingt "Belfast" der Spagat zwischen Historiendrama, bei dem man einiges über den Nordirlandkonflikt in den Sechzigern lernt, und Familiengeschichte. Ganz toll übrigens: Ciarán Hinds ("Game of Thrones", "The Terror") als Großvater.
Pig
Was ich erwartete: Nicolas Cage zieht als eine Kreuzung aus John Wick und ... äh, Nicolas Cage in einen Ein-Mann-Kreuzzug und den Entführern seines geliebten Trüffelschweins die Hammelbeine lang. Mit diesem Plot und einer auf den Hauptdarsteller zugeschnittenen Umsetzung wäre ich zu 100 % an Bord gewesen.
Was ich bekam (leichter Spoiler): Nicolas Cage, dessen Trüffelschwein tatsächlich entführt wird, verlässt die Abgeschiedenheit seiner Waldhütte, um seine tierische (sowie beste und einzige) Freundin wieder- und gewissermaßen sich selbst zu finden. Blutige Rache spielt praktisch keine Rolle. "Pig" ist im Kern eine sensible Außenseiter-Fabel, im Fleisch eine Satire über die Auswüchse postmoderner Gastronomie, und nur auf der Hülle trägt es den Schmutz von Survival-Parforce-Ritten wie "The Revenant" und "First Blood". Mit Rambo gemein hat der von Cage verkörperte Einsiedler zumindest die eindrückliche Wortkargheit.
Ein beachtliches Debut (Regisseur und Co-Autor: Michael Sarnoski)!
Picknick mit Bären (OT: A Walk in the Woods)
Ging es bei "Pig" vom Wald in die Zivilisation, ist es bei "A Walk in the Woods" anders herum. Ein in die Jahre gekommener Reiseschriftsteller (Robert Redford) langweilt sich in seinem Ruhesitz in New Hampshire und will es noch einmal wissen. Gemeinsam mit einem Freund, der für dieses Unterfangen noch weniger geeignet scheint (herrlich abgefuckt: Nick Nolte), meistert er den Appalachian Trail und trotzt dabei Witterungen, nervigen Mitwandernden und nicht zuletzt Grizzlys.
Bei dem im Mittelpunkt stehenden Autor handelt es sich übrigens um Bill Bryson, von dem ich schon das ein oder andere Buch gelesen habe, das gleichnamige von 1998, auf dem dieser Abenteuerfilm von 2015 basiert, jedoch nicht. Erwartbar amüsant und mitreißend wird die Geschichte erzählt. "Picknick mit Bären" ist ein perfektes Sonntagnachmittagsvergnügen für die ganze Familie, wobei es hin und wieder verbal etwas derb zur Sache geht.
Inszeniert hat das Ganze Ken Kwapis, den ich von diversen Serien kenne ("The Office", "One Mississippi", "Happyish"). Zu dem namhaften Hauptdarsteller-Duo gesellen sich u.a. Nick Offerman sowie die "The Last Man on Earth"-Schauspielpartnerinnen Kristen Schaal und Mary Steenburgen.
Old
Eine weitere Arbeit von M. Night Shyamalan in dieser Rückschau! Dabei handelt es sich allerdings, so leid es mir tut das zuzugeben, um eine seiner schwächsten. Ich vermag nicht zu sagen, wie viele der zu beanstandenden Punkte – allen voran das wirklichkeitsferne Verhalten der Protagonisten und die verschrobenen Dialoge – auf das Konto der Vorlage gehen, einer Graphic Novel aus der französischen Schweiz. Diese hat der Suspense-Meister allerdings mit anerkennenswertem Gespür gewählt, denn sowohl die Prämisse als auch der durchaus clevere Twist™ könnten genauso gut der Fantasie von Shyamalan himself entsprungen sein. Viel zu oft jedoch haben mir der deplatzierte Humor und das erwähnte erratische Agieren der an einem Strand mit beschleunigtem Zeitablauf Gefangenen die Petersilie verhagelt, zumal die Mimen wie frisch an der Schauspielschule eingeschrieben wirkten; einzig Rufus Sewell ("The Man in the High Castle") brachte ein wenig Professionalität rein, zumindest in jenen Szenen, in denen das Drehbuch ihm keine andere Wahl ließ, als sich wie ein Clown aufzuführen.
Die 5,8 Punkte auf der ansonsten nicht sonderlich gnädigen imdb sind meiner Ansicht nach zu viel. Aber man soll auch loben, wo Lob fällig wird: Der Schauplatz evoziert Fernweh und wohlige Erinnerungen an "Lost", die Auswirkungen des rätselhaften Phänomens werden konsequent durchgespielt, und die Kameraführung ist gewohnt superb.
Der Goldene Handschuh
In der Literaturvorlage, welche einen gleichwohl viel beachteten "Ausreißer" im Strunkschen Gesamtwerk bildet, gibt es exakt eine komische Stelle, Stichwort Hafenrundfahrt. Ein Feuerwerk norddeutschen Schnacks und erbärmlicher Peinlichkeit: Darüber musste ich damals herzhaft kichern und war dankbar über diesen Einschub "zum Runterkommen". Denn klar: Den realen Begebenheiten, die wiederum dem (sorgsam recherchierten) Buch zugrunde liegen, lassen kaum Witz und Alberei zu. Dass es dem ab 18 freigegebenen Spielfilm "Der Goldene Handschuh" gelungen ist, mich mehr als einmal zum Auflachen zu bringen, ist Regisseur Fatih Akin hoch anzurechnen. Mein Lachen war dabei allerdings ein gequältes, eine Übersprungshandlung, ein Reflex, der ausdrückte, dass ich das alles nicht fassen konnte, was dort gezeigt wurde: die durch und durch verrottete Parallelwelt einer Hamburger Siffkneipe der Nachkriegszeit; ein Panoptikum menschlichen Elends; unrettbar gescheitertes Personal – the lowest of the low. (Habe ich schon erzählt, dass auch ich einmal im "Handschuh" gelandet bin? Und ich kann mich nicht mehr daran erinnern! Und Heinzer war dabei. So muss das!)
Was außerhalb der Bar stattfindet, erzeugt noch mehr, regelrecht physisch spürbaren, Ekel und ist überhaupt nicht zum Schmunzeln. An Blut und Körperlichkeit und Misshandlungs-Nachstellung wird nicht gespart. Die abartig zynischen Heile-Welt-Schlager geben einem den Rest. Man überlege sich vorher, ob man sich das antun will. Ich habe es trotzdem nicht bereut. Jonas Dassler als Fritz Honka ist eine Wucht.
Der Alpinist
Strecken(!)weise schwer erträglich ist auch (Ich bin heute in Überleitungs-Laune!) diese Kletter-Doku über den kanadischen Free-Climber Marc-André Leclerc. Wenn man wie ich unvorbereitet an diese Erfahrung geht, erwischt es einen womöglich zweifach. "The Alpinist" hat mir besser gefallen als "Free Solo" (2018) und hat noch beeindruckendere Aufnahmen zu bieten. Warum Menschen ungesichert glatte Felswände hinaufkraxeln oder gar unberechenbare Eisfälle und -formationen bezwingen, will sich mir nicht erschließen.
Der Rausch
Von Mads Mikkelsen wird man nie wirklich enttäuscht. In dieser mehrfach ausgezeichneten Produktion aus seinem Heimatland (Oscar für den besten fremdsprachigen Film 2021) ist es denn abermals seine einnehmende Aura, die so manche Unzulänglichkeit überspielt. Diese Studie über Alkohol und Midlife-Crisis hätte von mir aus etwas ulkiger sein können. Die Dänen verstehen es doch normalerweise, Tragik und Komik gekonnt zu verquicken. Aber wir wollen nicht jammern! "Druk", so der Originaltitel, der laut Wikipedia "Komasaufen" bedeutet, hat was zu sagen und wartet mit einem starken Ensemble auf.
Nebraska
Bereits 2013 erschien abseits des Mainstreams dieses Roadmovie, in dem Will Forte (demnächst im Serientagebuch: "MacGruber") sich von seiner ernsten Seite zeigt. Als nicht mehr ganz so junger Mann mit mäßig spannendem Leben fährt er seinen tattrigen Vater (Bruce Dern) eher widerwillig von Montana nach Nebraska, weil dieser glaubt, den Hauptpreis aus einem eindeutig als Bauernfängerei zu erkennenden Gewinnspiel abholen zu dürfen.
Die sensible Vater-Sohn-Parabel, bei der übrigens Bob Odenkirk als Dritter im Bunde mitmischt, setzt nicht auf erwartbare Turbulenzen, enthält aber durchaus lustige Momente. Vor allem wird ein gleichermaßen zurückhaltendes wie intimes Portrait des ruralen Amerikas gezeichnet, und das liebe ich ja.
My Son
Improvisation abseits von Comedy betrachte ich mit Argwohn, seit ich einen "Experimental-'Tatort'" gesehen habe, bei dem der Verzicht auf ein Drehbuch sich als überhaupt nicht förderlich erwies. Bei allem Respekt vor dem Beruf: Es gehört nun einmal nicht zur primären Aufgabe oder Kompetenz eines Schauspielers im dramatischen Fach, Zeilen zu erfinden, as the story unfolds.
Bei "My Son" stört das Gimmick nicht, möglicherweise deshalb, weil nur einem Beteiligten das Script vorenthalten wurde, zudem einem recht fähigen, nämlich Hauptdarsteller James McAvoy. "This was done to capture the authentic shock and surprise a parent would experience when dealing with a traumatic event." (imdb) Bei jenem traumatischen Ereignis handelt es sich um eine Kindesentführung, was ausreichend Spannung garantiert. Ein paar Anklänge an die britisch-französische Serie "The Missing", hübsche Farbfilter, Claire Foy als Co-Darstellerin, ansonsten nothing to write home about. (Die Häufung von Anglizismen ist ein zuverlässiger Indikator dafür, dass mein Schreibzentrum allmählich ermüdet. Insofern bin ich froh, dass eine weitere "Zehn Filme"-Ausgabe an dieser Stelle endet.)