Gesetze, und das ist auch gut so, ändern sich, sind stetiger, an sich wandelnde Einstellungen und ungeschriebene Normen ausgerichteter Beurteilung ausgesetzt und müssen gegebenenfalls vor der aktuellen gesellschaftlichen Hintergrundstrahlung neubewertet werden. Das Recht schreitet dabei nicht geradlinig in eine Richtung, es macht leider hier und dort Rückschritte, man schaue nur auf gewisse Weltgegenden mit sich religiös radikalisierenden Regierungen – oder auch bloß in die sogenannte Free World (Stichwort Roe v. Wade).
Bleiben wir in Deutschland. Als ich gestern dem Wikipedia-Artikel des Tages folgte, landete ich irgendwann bei "Tierkörperverwertung" (Rat: Nicht vor dem Frühstück lesen!), dessen Abschnitt "Rechtlicher Hintergrund in Deutschland" ich entnahm, dass seit 2017 die Möglichkeit der Pferdebestattung besteht. Das finde ich aus mehreren Gründen beachtlich. Zum einen streift die historische Praxis, Pferde zu beerdigen, ein Fachgebiet von mir (tatsächlich werde ich im Wiki-Eintrag zu Pferdekult mehrmals zitiert); die präferierte und einzig gangbare Form ist heute allerdings nicht die Erd-, sondern die Feuerbestattung, so dass künftige Generationen keine Skelettreste aus unserer Epoche freilegen und daraus kulturanthropologische Schlüsse werden ziehen können. Zitat: "Stand Anfang 2022 gibt es in Deutschland drei zugelassene Pferdekrematorien mit vier Standorten. Darüber hinaus sind Anbieter aus Frankreich und den Niederlanden aktiv, die auch aus Deutschland in ihre Krematorien im Ausland überführen. Nur die Feuerbestattung im Krematorium ist für Equiden zulässig." (Von Equiden spricht das Tierische Nebenprodukte-Beseitigungsgesetz [TierNebG] und bezieht sich somit nicht nur auf Pferde, sondern auch auf Zebras, Esel usw.)
Zum anderen scheint mir die Vorschrift im Hinblick darauf, was ich in der obigen Einleitung ansprach, bemerkenswert. Warum haben wir plötzlich das Bedürfnis, tote Pferde nicht mehr einfach zu beseitigen, sondern ihnen eine Behandlung wie unseresgleichen angedeihen zu lassen? Versetzt man sich in die Volksseele der westlich-durchindustrialisierten Zivilisation und speziell der deutschen vor sagen wir fünfzig Jahren hinein, muss man sich auf dem Standpunkt wähnen, dass Tiere nichts anderes als Produkte, Werkzeuge, letztlich Glieder einer Verwertungskette sind. Der Mensch lebt nicht neben dem Tier, er hat sich über es erhoben und kennt es nur mehr als Nutz-Wesen. Seit etlichen Jahren erleben wir aber eine Kehrtwende im Denken, wir haben erkannt, dass wir auf Tiere nicht nur wegen ihres Fleisches, ihres Fells etc. angewiesen sind, zudem liefert die Wissenschaft immer neue Erkenntnisse bezüglich der Empfindungen und kognitiven Fähigkeiten tierischer Geschöpfe. Die Folgen sind gesteigerte Empathie und als Konsequenzen der Siegeszug des Vegetarismus, Bewusstsein für Umweltschutz, bessere Behandlung von Vieh und manches mehr, was sich eben auch in Gesetzestexten widerspiegelt. Um das klarzustellen: Ich verstehe das nicht als "Rückschritt", ganz im Gegenteil. Auch darf man den geweiteten Blick auf unsere mehrbeinigen Freunde nicht mit verkitschter Hundeliebe gleichsetzen. Zumal die emotionale Nähe zum (Haus-)Tier ja nicht kontinuierlich abgenommen oder auf niedrigem Niveau stagniert hatte, bevor sie im Post-Industriezeitalter (?) sprunghaft anstieg. Immer wieder hegten Völker und Individuen besondere Verhältnisse zu (domestizierten) Viecherln, davon zeugen nicht zuletzt ehemalige Schindäcker wie der, in dessen Nähe ich wohne. Langer Rede kurzer Sinn: Man sollte sich ruhig mal in den Komplex Tierfriedhöfe & Co. einlesen.
PS: Gestern habe ich "The Northman" im Kino gesehen und mich sehr gefreut, dass darin ein altnordisches Pferdeopfer dargestellt wird.
PPS: Im Zusammenhang mit Tierkörperverwertung lernte ich das schöne Wort Knickei kennen. Das sind Hühnereier mit Rissen oder Bruchstellen in der Schale. "Bis in die 1980er Jahre konnte der Konsument auf Anfrage bei Bauernhöfen, die ihre selbsthergestellten Produkte verkaufen, noch Knickeier erhalten. Diese waren im Preis stets stark reduziert [...]. Bis 2004 unterschied man Eier der Güteklassen B und C. [...] Eier der Güteklasse C [waren] stark beschädigt und nicht für die Lebensmittelindustrie zugelassen [...]. Mit Zusammenführung der Güteklassen B und C dürfen Knickeier derzeit, wie alle anderen Eier der Güteklasse B, nur noch an die Lebensmittelindustrie und zur industriellen Weiterverarbeitung u. a. zu kosmetischen Produkten verkauft werden."
PPPS: Dass ich an anderer Stelle erfuhr, dass Mikrowellen bis 1988 bei der Deutschen Bundespost angemeldet werden mussten, hat zwar nur am Rande mit all dem zu tun, ist aber zu kurios, um es hier nicht zu erwähnen.
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