Sonntag, 31. Juli 2022

Word of the month

Letztens las ich in einem GameStar-Artikel den Ausdruck "immersive Sim". Ich hätte die Bezeichnung glatt überlesen bzw. als Unterkategorie des Simulations-Genres abgetan, wäre sie nicht im Zusammenhang mit "Dishonored" gefallen. "Dishonored" aber habe ich gespielt, und dabei handelte es sich weiß Gott nicht um eine irgend geartete Simulation. Inzwischen weiß ich, dass "immersive Sim" kein Computerspiel-Genre im engeren Sinne darstellt (es hätte mich auch echt gewundert, wenn ich von einem solchen noch nie gehört hätte), sondern ein Konzept, ein Bündel von Mechaniken, das auf Games beliebiger Genres anwendbar ist, eben etwa auf Schleich-Abenteuer wie "Dishonored". Wobei "Dishonored" kein reines Stealth-Spiel sein muss, sondern auch zum handfesten Actioner ausarten kann.
Genau das macht nämlich immersive Sims aus: dass ich meine Umwelt, die Gegnerreaktionen, meinen Fortschritt usw. auf meine Entscheidungen angepasst wahrnehme, weil ich mich nämlich auf meine Weise ihnen angepasst habe; kurzum dass die Spielweise die Erfahrung prägt, mein Verhalten die Immersion. Das ist sicher nicht optimal ausgedrückt, weswegen ich besser IGN.com zu Wort kommen lasse: "Der Begriff wurde im Grunde von Designer Warren Spector begründet, der 1992 mit Ultima Underworld das erste Spiel veröffentlichte, welches dem Spieler durch jede Menge Freiheiten die Kontrolle über die Story gab. Dieses Konzept entwickelte er für System Shock und Deus Ex weiter und will es auch in seinem aktuellen Projekt System Shock 3 verwenden. In einer 'immersive Sim' folgt der Spieler im Grunde nicht starr vorgegebenen Pfaden und Quests. Die Umgebung spielt eine wichtige Rolle darin, wie man Herausforderungen meistert. Wie ein Spieler eine Situation angeht, ist also nicht vorgegeben. [...] Die Möglichkeiten sollen sich natürlich anfühlen und vielfältig sein. Der Spieler muss immer das Gefühl haben, dass er durch seine Überlegungen eine einzigartige Lösung gefunden hat." (Artikel von Andreas Bertits von 2019)

Freitag, 29. Juli 2022

Albernes zum Wochenschluss

Sketch-Idee

Bei "Wetten, dass..?" tritt ein Kandidat auf, der wettet, im Kopf exakt zehn Minuten abzählen zu können – so präzise wie eine mitlaufende Stoppuhr.
Wie er darauf gekommen sei, wird er von Thomas Gottschalk gefragt. "Einmal", antwortet er, "hat meine Frau Klützebobbes im Ofen gehabt. Wir sitzen im Wohnzimmer, und ich denk auf einmal, ich hab das so im Urin, ich rufe: Gretel, der Klützebobbes muss raus! Und in dem Moment klingelt die Eieruhr, die meine Frau gestellt hatte. Der war fertig gebacken in derselben Zeit, wie wo ich instinktiv im Gehirn abgemessen hatte!!! Da hab ich gesagt, Gretel, mit der Nummer muss ich doch ins Fernsehen. Wir haben das dann noch zweimal geprobt, und ich lag beide Male auf die Sekunde gleichauf mit der Eieruhr."
"Respekt!", schmunzelt der Moderator. "Aber heute nutzen wir ja sogar eine Atomuhr." (Erhabener Applaus, als die Atomuhr in die Stadthalle gerollt wird) Die Wettpatin, Alexandria Ocasio-Cortez, meint, der Kandidat wird es schaffen; falls nicht, so Gottschalks Vorschlag, muss sie ein Stück frischen Klützebobbes essen. Es wird dann noch darauf hingewiesen, dass diese Wette sehr langweilig werden wird, das Publikum wird gebeten, trotzdem nicht zu schwatzen oder zu buhen anzufangen.
"Also, die Atomuhr ist auf zehn Minuten gestellt", flüstert Thommy, "und läuft, sobald ich 'Topp, die Wette gilt!' gerufen habe. Du rufst Stopp, wenn du meinst, genau zehn Minuten sind um. Topp, die Wette gilt!"
Der Startknopf der Atomuhr wird betätigt. Es ist mucksmäuschenstill. Nahaufnahme des Kandidaten, der konzentriert die Augen zukneift und bereits zu schwitzen begonnen hat. Nach fünfzehn Sekunden brüllt er: "Stopp!" Gottschalk hält die Uhr an, sagt "Na, ob das schon zehn Minuten waren? Schauen wir mal auf die Anzeige ... oh, OOOHHHH, das ist weit daneben – das waren erst fünfzehn Sekunden, mein Lieber." ("Wetten, dass..?"-Logo-Zusammenfall-Animation wird abgespielt.) "Stopp!", ruft der Kandidat, der übrigens namentlich nie vorgestellt wurde, und kurz danach noch einmal: "Jetzt aber! Stopp! Stopp!"
Während die Wettpatin ein noch rohes Stück Klützebobbes serviert bekommt, erscheint eine Einblendung: "Die nachfolgenden Sendungen beginnen circa zehn Minuten früher."

Mittwoch, 27. Juli 2022

[Neue Rubrik] TITANIC vor zehn Jahren: 8/2012

Auf dem DVD-Beileger der immer noch von mir abonnierten GameStar befindet sich jedes Mal ein Rückblicks-Video, in dem vier Redaktionsmitglieder ausgesuchte Spiele Revue passieren lassen, welche in der Ausgabe, die jeweils zehn Jahre zuvor erschienen ist, besprochen wurden. Diese kurzweiligen trips down memory lane gibt es bereits seit vielen Jahren, aber auf die alberne Idee, ein Rückblicks-Video über ein Rückblicks-Video von vor zehn Jahren zu produzieren, ist man leider noch nicht gekommen. Jedenfalls freue ich mich Monat für Monat auf dieses Video, denn nicht nur wegen ihrer Inhalte, sondern auch wegen ihres sympathischen Personals ist mir die GameStar seit meiner Jugend eine geschätzte Begleiterin. Tatsächlich war GameStar-Redakteur mein Traumberuf #2. Noch mehr ans Herz gewachsen waren mir als Anfang-20-Jährigen nur die Inhalte und das Personal der Titanic, weswegen eine Mitarbeit ebendort mein Job-Traum Nummer 1 war, tja, und der ging schließlich in Erfüllung. Von 2011 bis 2022 war ich Redakteur beim "endgültigen Satiremagazin", was bedeutet, dass ich an Heften, die vor zehn Jahren (!) erschienen sind, maßgeblich mitgewirkt habe. Diese Erkenntnis brachte mich neulich gehörig zum Taumeln, aber auch auf den Gedanken: Was hat sich in dieser irrsinnigen Zeitspanne wohl alles verändert? Und: Wie war das eigentlich damals? Endlich: Könnte man daraus nicht eine Rubrik machen? Es soll ja durchaus eine Schnittmenge zwischen Kybersetzung- und Titanic-Leser(inn)en geben.

Also: Heute vor genau zehn Jahren erschien Heft 394, und ausgerechnet mit dieser Ausgabe einzusteigen, lohnt sich, erscheint sie mir doch in vielerlei Hinsicht bedeutungsvoll. Das Cover könnte auf Außenstehende zunächst rätselhaft und unverständlich wirken:


Es ist dies ein seltener sog. Meta-Titel. Den vergleichbaren Fall eines Covers, das auf einen vorausgegangenen Titanic-Skandal Bezug nimmt, gab es meiner Erinnerung nach nur einmal davor, nämlich mit "Nein, diese Engholms" direkt nach der Klage Björn Engholms anlässlich des berühmten "Sehr witzig ..."-Titels (4/1993).
Wer damals nicht unter einem Stein gelebt hat, wusste natürlich (und weiß es heute immer noch), dass hier einfach "nachgelegt" wurde, nämlich gegen Papst Benedikt XVI., der sich von dem Juli-Titel ("Die undichte Stelle ist gefunden") beleidigt und zu einem juristischen Kreuzzug wider die komische Kunst beflügelt fühlte. Die ganze Ratzinger-Saga (bis dahin!) hat Tim Wolff auf vier Seiten zusammengefasst. So manches Detail dieser Farce hatte ich tatsächlich vergessen, z.B. dass sich sogar Bild-Kolumnist Wagner zu einer Replik hat hinreißen lassen.


Aufmacher war jedoch der fünfseitige Fotoroman "Der große Dirktator" von Fischer/Gaitzsch/Ziegelwagner. Dirk Niebel! Wer erinnert sich noch an den FDP-Entwicklungshilfeminister und seine "Teppich-Affäre"? Wow, das war damals das Topthema. Hach, es waren einfachere Zeiten ... Nein, stimmt so nicht, komplex und wild ging es auch 2012 her, aber die Aufreger waren einerseits banaler, andererseits unterhaltsamer. Dahingehende Betrachtungen wären mal einen eigenen Blogeintrag wert.


Die August-Nummer beinhaltet außerdem einen frühen Auftritt des "So einfach ist das!"-Manns; zwar nicht den ersten, aber den zweiten. (Ich habe extra bei seinem Schöpfer Leo Riegel nachgefragt.) Im Nachhinein bemerkenswertes Detail: Der S.e.i.d.!-Mann trägt die medizinische Schutzmaske über der Nase!


Ein weiteres Schmankerl ist in den "Briefen an die Leser" versteckt: eine Fake-Anzeige für das Debutalbum der fiktiven Band Westzoo. Dieses Projekt war ein vor allem auf Facebook durchgezogener Running Gag von Imke "Flauschee" Lim und Mirco "Pogo" Stöver, zwei verdienten Kämpen der PARTEI Hamburg. Kein einziges Lied hat Westzoo je produziert, keinen Auftritt absolviert, aber die Ankündigungs-Maschinerie wurde über Jahre hinweg am Laufen gehalten, und diese (hoffentlich bezahlte!) Werbung stellte die Kulmination des Verwirrspiels dar – und bis heute den letzten Eintrag des begleitenden Band-Blogs.


Das Sommerloch 2012 wartete (wie aus heiterem Himmel; ha!) mit dem Thema Blitze auf. Die Boulevardpresse schlug Alarm, weil in kurzer Zeit mehrere Menschen in Deutschland vom Blitz getroffen worden waren. Das nahmen Michael Ziegelwagner und ich zum Anlass, eine Seite mit der Überschrift "Der Tod kommt von oben" zu schreiben, die bei uns beiden rasch Kultstatus erlangte und aus der wir einander heute noch zitieren. Sie ist wirklich sehr lustig, wenn ich das so bescheiden konstatieren darf.


Einen Meilenstein markiert die vorliegende Ausgabe auch insofern, als darin "Die guten Seiten" ihren Einstand geben. Das bedarf womöglich einiger Erklärung. 


Nach gut fünfzehn Jahren war die Redaktion der Meinung, dass "Partner Titanic" seine besten Tage hinter sich hatte. Von mir aus hätte es noch weiter laufen können, denn ich war großer Fan der Reihe, und "Quatsch" von Schiffner/Sonneborn zähle ich zu den drei komischsten Büchern in meinem Bücherregal; nichtsdestotrotz war es mir eine Ehre, mit der Entwicklung eines Nachfolgers beauftragt zu werden. Und so erfand und betreute ich 55 Folgen lang (auf Einhaltung dieser Anzahl bestand ich von Anfang an), unter gewichtiger Mitarbeit von Sebastian Klug, die Nonsens-Seiten "55ff". Konzeptionell verstand sich "55ff" als Parodie der Beilagen-Magazine von Süddeutscher Zeitung respektive Zeit ("ein Modeheft", "ein Uhrenheft" etc.), doch aus diesem engen Korsett befreite es sich schon mit seiner Premiere. Wichtig war mir, dem freien Unsinn zu frönen, Aktuelles möglichst außen vor zu lassen und das Ganze ein My literarischer als "PT" zu halten, zudem weniger kleinteilig; Thomas Hintner, der die Gestaltung übernahm, setzte sich stets für seine geliebten "Weißräume" ein.
Der Rubrik war – wie allem, was ich anpacke – kein Erfolg beschieden, ja sie hatte nicht nur intern den Ruf weg, die unbeliebteste im ganzen Heft zu sein. Vonseiten des einen oder anderen Connaisseurs wurde mir indes später doch Bedauern über das Ende zugetragen. Diese Erstausgabe ist aus noch einem Grund historisch: Hier findet sich die vermutlich erste Verwendung des Wortes "gendern" in Titanic. In einer Fußnote am Namen von Sebastian Klugs wiederkehrender Figur Peterine Reichelt steht: "Name von der Redaktion gegendert".

Weiteres Notierenswertes
- Auch längst verdrängt: die Beschneidungsdebatte! Dazu gibt es eine köstlich geschmacklose Doppelseite von Wolff & Ziegelwagner in fantastischer Bastelzeitungs-Optik.
- "In letzter Zeit ging es dauernd gegen den Euro: Er wurde abgewertet, geschmäht, verlacht und steht jetzt praktisch kurz vor Zusammenbruch und Zerfall". So beginnt eine Strecke, in der Mark-Stefan Tietze und Michael Ziegelwagner in einer seltenen Kollaboration andere Währungen abwerten. Gut, dass auch dieses Thema vor dem Vergessen bewahrt wurde.
- Als eher unbekannter Name im Inhaltsverzeichnis sticht Tom Sundermann hervor. Der war in jenem Sommer Praktikant bei uns, musste als solcher selbstverständlich auch das Aboanzeigen-Model geben, ist dann aber bedauerlicherweise ins seriöse Medien-Business abgerutscht. Er sollte später unter anderem zu dem erlauchten Kreis von Journalisten gehören, die in der Prozessbeobachter-Lotterie zur Hauptverhandlung gegen den NSU gezogen wurden.
- Frank Schulz (genau, der namhafte Romancier) gedenkt des bereits ein Jahr vorher verstorbenen Satirikers Axel Marquardt. Eine gleichermaßen lehrreiche wie einfühlsame Annäherung an die Kowalski-Legende. Frank Schulz hat späterhin übrigens noch mindestens zwei weitere Nachrufe an Ex-Kollegen geschrieben (in Form von "Briefen an die Leser") und hatte, darauf werden wir in Zukunft noch eingehen, eine kurzlebige Kolumne in Titanic.
- Wer hier auch schon eine Kolumne hat, ist Heinz Strunk. Ich hätte schwören können, "Das Strunk-Prinzip" wäre erst 2013 oder 14 eingeführt worden.
- Ferner war ich mir sicher, Tim Wolff hätte seine so drängende wie sträflich ignorierte Abrechnung mit der Vokabel "ausgerechnet" viel später verfasst. Die Auswüchse der "Ausgerechnet-Pest" waren also 2012 schon so arg. Ein Jahrzehnt danach schicke ich Tim immer noch regelmäßig Beispiele vergurkten "selbstverständlich"-Gebrauchs im hiesigen Presswesen.

Schlussgedanken
Was für ein großartiger Wurf! Man könnte versucht sein, die Nummer 8/12 als "das Heft nach dem Papst-Heft" abzutun, aber die aufgeführten Punkte dürften deutlich machen, dass es eo ipso Beachtung verdient und durchaus Geschichte geschrieben hat. Und es hat einen "Bergmann-Buben"-Comic!

Samstag, 23. Juli 2022

"Abenteuer" in Paris

Nach mehr als 20 Jahren (!) war ich kürzlich mal wieder in Paris. Wenige Wochen zuvor hatte ich ein Detail den Nahverkehr dieser Stadt betreffend gelesen, das ich mir zu überprüfen vorgenommen hatte. In der Geschichte "Urlaub aus privaten Gründen" in Richard Yates' Short-Story-Band Verliebte Lügner gibt es folgende Passage:

"Wow", sagte Mueller im U-Bahnhof; er hatte sich schon immer leicht getan, wenn es darum ging, etwas herauszufinden. "Siehst du, wie das funktioniert? Du drückst den Knopf dort, wo du gerade bist, und dann den Knopf dort, wo du hin willst, und die ganze verdammte Strecke leuchtet auf. Man muß schon ein Idiot sein, um sich in dieser Stadt zu verirren."

Dazu muss man wissen, dass diese Geschichte kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs spielt. Nach persönlich durchgeführtem Faktencheck kann ich heute versichern: Diese Wundertechnologie, sollte es sie je gegeben haben, existiert im Jahr 2022 nicht mehr. Die Metro-Automaten bieten zwei Optionen des Ticketerwerbs an. Entweder man zieht direkt ein Einzelfahrt-Ticket, ein Zehnerbündel oder ein sonstiges Pauschalangebot für die Paris-Region, die Innenstadt plus Flughafen oder wo auch immer die Strecke liegt, die man zu fahren wünscht. Oder man lässt sich die für einen sinnvollste Fahrkarte "berechnen", indem man einen Ziel- und einen Endpunkt wählt. Diese zweite Möglichkeit klingt zunächst einmal ähnlich der literarischen Beschreibung; ob die ermittelte Route jedoch "aufleuchtet" oder wenigstens verbaliter angezeigt wird, konnte ich nicht herausfinden, weil ich überhaupt nicht so weit kam: Unsere angepeilte Zielstation war nämlich gar nicht aufgelistet. Also hieß es Einzel-Billets kaufen und dann auf dem schwindelerregenden Streckenplan die günstigste Tour mit dem Finger abfahren und sie sich merken, wie so ein Tier. Beziehungsweise andersherum. Die Benutzung der Öffi-App oder einer sonstigen Online-Hilfe war ausgeschlossen, denn weder in den Untergrundstationen noch in den Bahnen gibt es WLAN. Nun ja, ich habe schon ganz andere Großstadtlabyrinthe (mehr schlecht als recht) überlebt, aber eine Erfahrung, bei der man sich nicht wie "ein Idiot" fühlt, war das nicht gerade.

Amüsanter war da schon die Erfahrung beim Frühstück. In unserem Hotel gab es nämlich einen Eierkoch-Automaten! Also keinen gewöhnlichen Eierkocher, sondern ein Wasserbad zum Eierkochen. Ich sah das Ding, erblickte auch den Stapel Eier daneben, mein Gehirn stellte aber den falschen Zusammenhang zwischen beidem her. Ich dachte, das Personal hätte die Eier bereits in jenem Heißwasserbad zubereitet und sie dann daneben abgelegt. Also nahm ich mir eines der Eier mit an den Tisch und merkte erst dort, dass es noch roh war.


Das habe ich natürlich nicht gegessen! Ich machte mir wie vorgesehen ein richtiges Frühstücksei. Dass es beim Eintauchen platzte: geschenkt.


So ein Selbstkoch-Service, wie ich ihn übrigens noch nie in einem Hotel gesehen habe, hat freilich den Vorteil, dass der Gast sich ein Ei mit seiner bevorzugten Festigkeit zaubern kann (ich stellte mir den Handy-Timer auf 8 Minuten; ich mag es wachsweich). Der Nachteil ist, dass es keine Möglichkeit gibt, das fertige Ei abzuschrecken. Man muss also weitere zehn Minuten warten, bis das Ei auf eine erträgliche Temperatur abgekühlt ist. Œuf!

Donnerstag, 21. Juli 2022

Videospieltipp: Call of the Sea

Schon im vergangenen Jahr habe ich dieses First-person-Adventure des spanischen Studios Out of the Blue gespielt, ich war mir danach aber nicht sicher, ob ich es weiterempfehlen soll. Nach ungefähr zwei Dritteln (insgesamt habe ich neun Stunden gebraucht) hatte ich nämlich das Gefühl, dass "die Luft raus" war, zudem hatte eines der Rätsel meinen Hirnstromkreis überlastet, und ich musste sogar eine Komplettlösung konsultieren. Erst vier Monate später brachte ich die Geschichte zum Abschluss.

Mit gebührendem Abstand schätze ich die Erfahrung als insgesamt lohnenswert ein. Ob "Call of the Sea" auch etwas für euch ist, kann ich nicht entscheiden. Die folgenden Stichpunkte mögen helfen:

- Die Rätsel sind not your average Schalter puzzles, sie haben, wie angedeutet, ein hohes Niveau und könnten glatt den härteren Abschnitten eines IQ-Tests entnommen worden sein. Logik und Mustererkennung spielen eine wesentliche Rolle, oft gilt es, auf Details zu achten und Hinweise in der Umgebung zu deuten (wobei das Tagebuch hilft).
- Gameplaytechnisch ist abseits der Rätsel tatsächlich nicht viel zu tun. Man hangelt sich von Aufgabe zu Aufgabe, dazwischen sammelt man höchstens mal einen Gegenstand, aktiviert einen Mechanismus und liest viel.
- Das Lesen, hauptsächlich von Tagebucheinträgen, Briefen und Notizen, fühlt sich nie wie Pflichterfüllung an: Die Texte sind kurz und immersiv, machen neugierig und werden von der Protagonistin kommentiert.
- Womit wir bei einem weiteren Pluspunkt sind: der Vertonung. Cissy Jones, deren Arbeit für "Firewatch", das ich just vor ein paar Tagen angefangen habe, sogar ausgezeichnet wurde, spricht ihren Charakter in feinem, angenehm anzuhörenden Old-Hollywood-Englisch und verleiht ihm durch niemals übertriebene Nuancierung der inneren Monologe eine erstaunliche Tiefe.
- Story? Gibt es auch. Die Hauptfigur sucht auf einer ehemals von einer untergegangenen Hochkultur bewohnten Insel nach ihrem Mann. Mehr soll nicht verraten werden, nur so viel, dass man gefesselt sein wird, wenn man sich für alte Mythen und kosmischen Horror begeistern kann. Ja, "Call of the Sea" enthält nicht nur so manche Anspielung auf H.P. Lovecraft, es ist von dessen Werk mehr als offensichtlich inspiriert.
- Was mich auf der Stelle am meisten eingenommen hat, war das Setting – die Südsee in den 1930er Jahren – und die Präsentation desselben. Man träumt sich direkt nach Neukaledonien, wobei keine näheren geographischen Angaben als "nahe Tahiti" gemacht werden. Dass die Graphik, vermutlich budgetbedingt, oberflächlich etwas minimalistisch wirken mag, tut dem keinen Abbruch. Was an Details, Effekten und Animationen fehlt, wird durch eine knallig-kontrastreiche Farbenpracht wettgemacht, die man so nicht mal aus "Far Cry" kennt. "Realistisch" in einem AAA-Maßstabs-Sinne ist die Umgebung nie, aber durch die durchgehend liebevolle Gestaltung wird sie mehr als lebendig. Musik wird sparsam, aber wirkungsvoll eingesetzt.

Wer also fordernde Rätsel sucht, die clever in eine schaurige Handlung mit "Myst"- und Cthulhu-Anleihen und eine schwelgerische Pazifik-Atmosphäre eingebunden sind, wird hier fündig.

Dienstag, 19. Juli 2022

Wer hat an der Nomenklatur gedreht?

In einem früheren Beitrag schrieb ich in Hinblick auf das linnésche Ordnungssystem: "Die bestehende Systematik ist die sinnvollste, die wir haben", und, als Fußnote: "Davon gehe ich einfach mal aus. Genaueres könnte ein Blick in das Buch 'Tiere ordnen: Eine illustrierte Geschichte der Zoologie' von David Bainbridge klären." Jene ersprießliche Lektüre konnte ich nun endlich meiner Lieblingsbibliothek entleihen.

Obwohl sich der Autor, der selbst unter anderem zur Sequenzierung von Rinder-DNA geforscht hat, damit zurückhält, die von Linné etablierten Standards anzuzweifeln oder gar deren Ausmusterung zu fordern, stellt er zwei jüngere Klassifizierungsansätze vor und erläutert deren mögliche Vorteile, welche mir vor allem darin zu bestehen scheinen, dass man von der Anatomie auf die Genetik als primäres Kriterium zur Einteilung und Abstammungsdarstellung von Lebewesen umschwenkt. Ich gebe die Beschreibungen der beiden Systeme in Zitatform wieder (nach S. 187ff.; 1. Auflage 2021), weil mir als Nichtbiologe beim Paraphrasieren bestimmt Fehler unterlaufen würden.

Da ist zum einen Kladistik "(vom griechischen Wort für 'Zweig')", die "nach einem logarithmenähnlichen System" funktioniert. "Mit Ausnahme der Arten wurden mit dem neuen Klassifikationssystem alle auf Linné zurückgehenden taxonomischen Stufen verworfen und durch eine einzige klassifikatorische Einheit ersetzt: die Klade. Eine Klade von Lebenwesen umfasst definitionsgemäß alle Arten, die von einem einzigen Vorfahren abstammen und einige gemeinsame, typische identifizierende Merkmale geerbt haben, die dieser Vorfahr entwickelte. [...] Ein Vorteil der Kladistik besteht darin, dass es nicht wichtig ist, welche Daten genutzt werden, und in jüngerer Zeit haben sich DNA-Sequenzen als ebenso nützlich erwiesen wie Knochenhöcker, um die Stammfolge von Arten zu bestimmen. [... D]as visuelle Ergebnis sind asketisch einfache Bäume aus sich gabelnden geraden Linien, wobei die lebenden Arten an der Spitze stehen und die unbekannten, vermuteten Urahnen an den Wurzeln. [...] Und jeder kladistische Baum stellt eine Hypothese dar, die eine Zeit lang zu den verfügbaren Daten passt, bis neue Daten auftauchen, die sie widerlegen und eine Revision erfordern."

"Die 'Phänetik' geht noch einen Schritt weiter als die Kladistik und will überhaupt keine evolutionären Verbindungen zwischen Tieren mehr herstellen. Sie quantifiziert lediglich die Ähnlichkeit verschiedener Arten, häufig mithilfe computergestützter mathematischer Verfahren."

Noch einmal: Ich denke nicht, dass Linnés Nomenklatur in absehbarer Zukunft aufgegeben wird. Allein die ganzen Schildchen in Zoos und Naturkundemuseen, die ersetzt werden müssten! Dennoch sollten alternative Konzepte im Schulunterricht wenigstens kurz angesprochen werden. Gerade unkonventionelle Visualisierungen könnten uns einen frischen Blick auf das große Ganze verschaffen. "Anstelle eines gut verwurzelten Baumes wird bei neueren Arten der Tierklassifikation nun oft ein Netzwerk aus Linien verwendet, deren Länge für die berechnete Unähnlichkeit zwischen den Tieren an den Enden der Linien steht. [...] Dieses scheinbar chaotische Anwachsen zwischenartlicher Beziehungen regt offensichtlich dazu an, in größeren Dimensionen zu denken. Viele Zoologen haben sich bereits an strahlenförmigen Strukturen versucht, die alles bekannte Leben auf der Erde verbinden. Die riesigen neuen Stammbäume basieren meist auf genetischen Informationen, da die DNA allen lebenden Organismen gemeinsam ist. Und in einigen dieser Bäume gibt es in einer Ecke ein Zweiglein mit drei winzigen Knospen [... :] wir stolzen Menschen [...] zusammen mit unseren nahen Verwandten – Hefe und Zuckermais."

Sonntag, 17. Juli 2022

EAZ

Quizfrage: Welches war das erste afrikanische Land, von dem die DDR offiziell anerkannt wurde? Nun, ich habe es in der Überschrift schon verraten: EAZ steht für "East Africa Zanzibar" und war das Kfz-Kennzeichen der kurzlebigen Volksrepublik Sansibar und Pemba. Die – nicht unblutigen – Umstände, die der Gründung des sozialistischen Staates Anfang 1964 vorausgingen, und wie das kleine Land keine vier Monate später in Tansania überging, können Interessierte selbst nachlesen, ich möchte die Gelegenheit aber primär nutzen, um einmal klarzustellen, was Sansibar im engeren und im weiteren Sinne überhaupt ist. Das wusste ich bis vor kurzem nämlich selbst noch nicht.

Der Sansibar-Archipel umfasst ziemlich viele Inseln. Sie waren früher als "Gewürzinseln" bekannt. Die drei größten gelten als Hauptinseln und sind: Pemba (die nördlichste); Unguja (südlich davon), die als Haupt-Hauptinsel ebenfalls Sansibar heißt und auf der die gleichnamige Hauptstadt liegt; und Mafia (die südlichste). Jede der drei großen Inseln ist wiederum von einer Reihe kleinerer Nebeninseln umgeben. Relativ abgeschieden, etwa auf der Höhe von Daressalam nördlich von Mafia, liegt noch Latham Island. Zusammen mit Pemba und Unguja bildet es den halbautonomen tansanischen Teilstaat Sansibar. Mafia hingegen zählt offiziell zu Tanganjika, also zum Festland Tansanias. Als sich Tanganjika 1964 mit der Volksrepublik Sansibar und Pemba zu dem neuen Staat vereinigte, wurde bewusst ein Name gewählt, der die Teilgebiete zum Ausdruck bringt: Tan- (von Tanganjika), -san- (von Sansibar) und -ia (von Azania).

Halten wir fest, dass "Sansibar" vier verschiedene Dinge meinen kann: eine Inselgruppe, eine Insel darin, eine Stadt darauf sowie einen Teilstaat der Republik Tansania. Zudem kann man das historische Sultanat Sansibar kurz so bezeichnen, welches, nebenbei bemerkt, in dem knappen Monat vor der Ausrufung der Volksrepublik eine Flagge führte, in der Gewürznelken zu sehen waren:


Ich hatte tatsächlich schon überlegt, ob ich diesen Beitrag in meine Reihe "Hübsche Flaggen untergegangener Staaten" integriere, aber die Flagge von Sansibar und Pemba war unspektakulär:


Das ist allerdings nur die zweite Version! Der kaum auffälligere Vorgänger, schwarz-gelb-blau, war bis zum 29. Januar 1964 in Gebrauch. Seit 2005 hat die Region Sansibar eine eigene Fahne, die alte Tricolore, mit der tansanischen Nationalflagge in der Ecke:


Der Vollständigkeit halber hier noch die in der Volksrepublik-Phase vorübergehend genutzte eigene Flagge von Pemba, die mich mit meiner leichten Rot-Grün-Farbschwäche ein wenig anstrengt:

Die übrigen Staaten in Afrika, welche die DDR anerkannt haben und sich damit gegen die Hallstein-Doktrin stellten, waren übrigens: Guinea, Algerien, der Sudan, Ägypten, die Republik Kongo (i.e. Kongo-Brazzaville, nicht das ehemalige Zaire), die Zentralafrikanische Republik und Somalia. In welcher Reihenfolge die Anerkennungen erfolgten, konnte ich auf die Schnelle nicht recherchieren.

Freitag, 15. Juli 2022

Geister-Credit-Jagd

Vor einigen Tagen habe ich zum ersten Mal eine Bearbeitung in der englischsprachigen Wikipedia durchgeführt, worauf ich sehr stolz bin. Nun gut, die Bearbeitung bestand lediglich in der Entfernung eines Links. Aber der Reihe nach.

Letzte Woche verstarb der amerikanische Schauspieler und Komiker Larry Storch im Alter von 99 Jahren. Beim Durchstöbern seiner Filmographie entdeckte ich, dass er einer der drei Hauptdarsteller der 1975er Sitcom "The Ghost Busters" war, auf der die Zeichentrickserie "Ghostbusters" basierte, die man nicht mit der Trickserie "The Real Ghostbusters" verwechseln darf. Nur Letztere drehte sich um die vier Geisterjäger aus den erfolgreichen Filmen mit Bill Murray & Co. Tatsächlich hatte sich Columbia die Namensnutzungsrechte von der Produktionsfirma Filmation erst erkaufen müssen. Nach dem Erfolg der Geisterkomödie reaktivierte Filmation sein altes Franchise wieder, und so kam es, dass Mitte der Achtzigerjahre in den USA zwei Ghostbuster-Shows parallel liefen. Ich mochte als Kind beide, und nostalgisch scrollte ich mich durch die Episodenliste von "Filmation's Ghostbusters".

Für Folge 44, "That's No Alien", sind zwei Personen als Autoren angeführt, Mark Nasatir und Charles Kaufman. Hinter dem Namen des zweiten führte ein Link zu dem Wikipedia-Eintrag "Charles Kaufman (Screenwriter)". Ich überflog ihn und stutzte: Dieser Autor (1904-1991) war 1963 gemeinsam mit Wolfgang Reinhardt für einen Oscar für das beste Originaldrehbuch, nämlich das für "Freud", nominiert worden. Dieses Biopic ist sein letzter Eintrag in der imdb; auch die deutsche Wikipedia weiß: "Nach dieser Produktion trat Kaufman nicht mehr als Drehbuchautor in Erscheinung." Und nahezu unbemerkt soll so ein renommierter Schreiber mehr als 20 Jahre später aus dem Ruhestand getreten sein, um an dem Script für eine Animationsserie mitzuschreiben? Das konnte nicht sein. Mit wenig Aufwand spürte ich in der imdb einen weiteren Charles Kaufman auf (Nr. III), und unter dessen Credits findet sich in der Tat ein Eintrag für die entsprechende "Ghostbusters"-Episode. Und nicht nur das: Herr Kaufman hat außerdem für "The Real Ghostbusters" (die später in "Slimer! and the Real Ghostbusters" umbenannt wurde) geschrieben! Da diese verdienstvolle Arbeit offenbar nicht ausgereicht hat, um dem Mann einen eigenen Wikipedia-Artikel zu spendieren, blieb mir nichts anderes übrig, als die falsche Verknüpfung zu löschen und den Namen Charles Kaufman unverlinkt zu lassen.

Mittwoch, 13. Juli 2022

100 → 1000

Es wird jetzt eine Entschuldigung fällig, und vermutlich nicht zum letztenmal. Der Ansturm von Erinnerungen, dem ich hier ausgesetzt bin, wird mich wohl noch öfter in die nahezu unausweichliche Zwangslage bringen, vom Hundertsten ins Tausendste zu geraten; hoffentlich kann ich die Nachsicht des Lesers dadurch abgelten, daß ihn das Tausendste ebensowenig langweilen wird wie das Hundertste.

Das schreibt Friedrich Torberg auf Seite 33 seiner zauberhaften Altwiener Anekdotensammlung Die Tante Jolesch (dtv-Taschenbuchausgabe, 27. Auflage 2004). Für sich genommen ist das kein herausragendes Zitat, aber es erschien mir insofern anrührend und abschreibenswert, als es auch auf meine Memoiren zutreffen würde, wenn ich welche verfasste. Jede Erinnerung brächte zwei weitere hervor; Abschweifungen, Fußnoten-Exzesse und wildes Galoppieren durch Zeit und Raum wären die Folgen. Es geht mir ja schon beim Bloggen so, dass mir ständig irgendetwas einfällt, das mit dem ursprünglich Behandelten nur am Rande zu tun hat. Nicht umsonst beginnen neue Absätze bei mir oft mit "Übrigens ...".

Übrigens habe ich kürzlich aus einem offenen Bücherschrank ein weiteres Buch Torbergs gezogen, "Mensch, Maier! sagte der Lord", sein ebenfalls bei dtv erschienenes "Kleines kritisches Welttheater". Dass ich mich einmal freiwillig dem Genre Theaterkritik hingeben würde, hätte ich auch nicht für möglich gehalten. Aber von diesem Autor liest man einfach alles mit höchstem Vergnügen. Allein seine Verachtung der Stücke George Bernard Shaws, haha!

Montag, 11. Juli 2022

Meine zehn zuletzt gesehenen Filme

Rememory
Ähnlich wie "die Maschine" in "Person of Interest" setzt hier eine mächtige technologische Errungenschaft, deren Funktionieren man einfach hinzunehmen hat (wobei diese hier viel konkreter und fassbarer dargestellt ist), eine Kette unheilvoller Ereignisse in Gang. Es geht dabei, anders als in genannter Serie, nicht um politische Verschwörungen, sondern um persönliche Schicksale und einen Mordfall, dessen Aufklärung überraschende Wendungen mit sich bringt. "Rememory" wartet mit deutlich mehr Tragik auf, als man es dem Science-Fiction-Thriller anfangs zutraut. Peter Dinklages einnehmende Performance hat daran einen nicht geringen Anteil.

Devil's Knot
Die Sachbuchverfilmung von 2013 mit Reese Witherspoon und Colin Firth zeichnet den Kriminalfall/Justizskandal um die "West Memphis Three" nach. Das geht bisweilen ganz schön an die Substanz, erreicht aber nicht die Intensität vergleichbarer Produktionen wie "True Detective" oder "Sleepers".

The Batman
Der im Vorfeld langweiligen Kontroversen ausgesetzte Robert Pattinson als Dunkler Ritter ist a-okay in my book, ich finde sogar, er übertrifft seinen Vorgänger Ben Affleck um Lichtjahre.
Filmisch rangiert Matt Reeves' fast dreistündiger Actionthriller deutlich hinter der Nolan-Trilogie, und ich bin mir nicht sicher, ob ich DC auf den mit "Joker" eingeschlagenen Weg ins "Dark Universe" unkritisch zu folgen bereit bin. Ein Batman-Abenteuer als Film noir mit hard-boiled detective fiction-Elementen: das muss nichts Schlechtes sein, das atmet schließlich den ureigenen Geist der Fledermaus-Saga und hat etwa in den Arkham-Videospielen vorzüglich funktioniert. Essenzieller Bestandteil guter Batman-Geschichten wie jenen Games ist für mich aber auch das Comichafte, die dem Superheldengenre wesenseigene Fantastik, welche bei Batman freilich stets etwas reduzierter war als in anderen Franchises, sich aber beispielsweise in abgedrehtem Schurken-Design, unrealistischen Gimmicks und übermenschlicher (!) Körperbeherrschung manifestierte. Meine Sorge wurde in "The Batman" noch nicht vollends bestätigt (Batmans High-Tech-Arsenal und sonstige technische Ressourcen spielen eine große Rolle), dennoch ahnt man, wohin die Reise geht. Nicht nur werden die Schauplätze und die allgemeine Atmosphäre immer und immer düsterer und grittier, auch die Figuren (und noch einmal: Es sind Comicfiguren) werden zunehmend down to earth gezeichnet, entkostümiert, werden menschlicher (nicht im Sinne von "humaner") und realistischer. Wird der Bruce Wayne der Zukunft in einer Junggesellenbude hausen, sein Cape notdürftig aus Second-hand-Ledermänteln zusammenflicken und seine Feinde nur mehr mit abgebrochenen Heizungsrohren ausschalten? Schon die Interpretation des Riddlers, die mich zudem als krampfhaft zeitgeistig nervte, ging in diese Richtung; diese raue und ruppige Verkörperung in befremdlicher Fetisch-Gewandung hat nichts mehr mit dem klassischen flamboyanten Puzzle-Liebhaber in grün gemein. Da bevorzuge ich den wiederum ganz anders angelegten Riddler aus der "Gotham"-Serie, ebenso den Pinguin darin, wobei mir der ohnehin nie enttäuschende Colin Farrell hier als Scorsese-Mafioso durchaus taugte, übrigens nett ergänzt durch John Turturros Carmine Falcone.
Zum Rest der Besetzung habe ich nichts zu sagen, und alles weitere hat ohnehin der "Overthinking It"-Podcast (#715) besprochen.

Schlaflos in New York (OT: The Out-of-Towners)
5,4 von 10 Punkten? Geschmäcker und Vorlieben hin oder her, aber manchmal sind imdb-Wertungen objektiv unzutreffend. Nun mag in diesem Fall hineingespielt haben, dass das Original von 1970 mit Jack Lemmon und Sandy Dennis (das den deutschen Titel "Nie wieder New York" trug) anständige 7 Punkte auf imdb hält und von der Writers Guild of America für das beste Komödien-Drehbuch ausgezeichnet wurde. Gewiss, auch ich stehe Remakes skeptisch gegenüber; da ich die Vorlage nicht kenne, konnte ich aber unvoreingenommen an diese turbulente Pärchen-Comedy herangehen und wurde prächtig unterhalten. Tatsächlich scheint mir "Schlaflos in New York" relativ zurückhaltend zu sein, was Modernisierungsversuche angeht. Ja, ich musste sogar erst durch den Einsatz von Mobiltelefonen und Navigationsgeräten daran erinnert werden, dass dieser Film im Jahr 1999 spielt. Dramaturgie, Pacing und Pointensetzung sind köstlich altmodisch, Action ist durchaus vorhanden, führt aber nie zu anstrengender Hektik wie in Chaos-Komödien der 2010er Jahre. Steve Martin gefällt mir hier so gut wie selten (wobei ich ja nicht sooo viel mit ihm kenne), Goldie Hawn hatte erkennbar riesen Spaß beim Dreh und sieht dabei blendend aus. Außerdem konnte man John Cleese und Mark McKinney für schräge Nebenrollen gewinnen.

The Northman
Meine Kinobesuche in den vergangenen zweieinhalb Jahren kann ich an einer Hand abzählen. Mag sein, dass ich inzwischen allen Streifen, die ich auf einer richtigen Leinwand sehe, automatisch eine bessere Note gebe, einfach weil das Erlebnis Kino an sich den Genuss mehrt. "The Northman" wirkt auf dem Fernseher oder Laptop womöglich weniger episch. Lässt man die Schauwerte außen vor, hat man es jedoch immer noch mit einem kompromisslos harten Historiendrama zu tun, das weder seine Charaktere noch deren Lebenswelt romantisiert. (Man muss sich sogar ein bisschen schämen als Germane: Während anderswo in der Welt trigonometrische Berechnungen und astronomische Vorhersagen perfektioniert wurden, sind unsere Ahnen in Wolfspelzen durch den Schlamm gerobbt.)
Plottechnisch ist das Nordmannen-Abenteuer nicht übermäßig komplex: Erzählt wird die altdänische Hamlet-Sage. Den Amleth verkörpert recht ordentlich Alexander Skarsgård, in weiteren Parts versammelt Regisseur Robert Eggers neben Nicole Kidman und Ethan Hawke auch Schauspieler/innen aus seinen früheren Werken, namentlich Anya Taylor-Joy ("The VVitch"), Willem Dafoe ("The Lighthouse") sowie in Blink-and-you'll-miss-it-Auftritten die Eltern aus "The VVitch", Kate Dickie und Ralph Ineson.
Wer hier regelmäßig mitliest, weiß, dass ich die genannten ersten beiden Kinofilme von Robert Eggers abgöttisch liebe. Auf welchen Platz in meiner Eggers-Top-3 würde ich "The Northman" stellen? Ganz klar auf den dritten. Er ist zwar die sichtlich aufwendigste Produktion und als solche allemal ein beeindruckender Reißer auf Blockbuster-Niveau, nichtsdestotrotz fehlt ihm das gewisse Etwas, das die Vorgänger so unvergesslich machte. Das Drehbuch hat Robert Eggers diesmal gemeinsam mit dem isländischen Künstler Sjón verfasst, der u.a. durch Lyrics für (die ebenfalls im Film auftauchende) Björk bekannt ist und 2021 Co-Autor von "Lamb" war. Eggers hatte im Vorfeld angekündigt, dass man im "Northman" keine so nachgerade literarische, dabei höchst authentische Sprache wie im "Leuchtturm", sondern roheres, simplifiziertes Englisch erwarten solle. Fand ich nicht! Die Dialoge sind auch hier geschliffen, der Ton geht als angemessene Adaption altnordischen Textguts durch. Apropos Ton: Auch die Musik passt hervorragend, wurden doch sogar altertümliche nordeuropäische Instrumente für den Soundtrack mit einbezogen.

Frequently Asked Questions About Time Travel
Ein eher überschaubares Budget ist in diese Zeitreise-Komödie aus dem Hause BBC/HBO geflossen. Die bescheidenen Mittel in Kombination mit der Dauer von gerade mal 80 Minuten machen die vertrackte Story um drei in einem Pub "verirrte" Freunde (u.a. Chris O'Dowd) zu einem sympathischen Kleinod, das allerdings nicht ganz das Zeug zum Kult hat.

Shepherd
Von "The Lighthouse", "Lamb" sowie Kate Dickie war weiter oben schon die Rede. Alle drei Punkte könnte ich auch in die Kritik zu diesem eleganten Grusler von 2021 einfließen lassen. "Shepherd" handelt von einem jungen Witwer, der eine Stellung als Hirte auf einer menschenleeren Insel annimmt und dabei allmählich den Verstand verliert. Klingt altbacken? Mag sein. Der ein oder andere Horrorstandard war denn auch unvermeidbar. Trotzdem hat mir die schleichende Bedrohung mehr als einmal Gänsehaut bereitet, und die Kulisse (Drehort: die Isle of Mull in den Inneren Hebriden) ist sowieso über alles erhaben.

Woodlands Dark and Days Bewitched: A History of Folk Horror
In aller Kürze: Das war einer der besten Dokumentarfilme, die ich je gesehen habe. Die drei Stunden und fünfzehn Minuten (!) muss man nicht in einem Stück abarbeiten, doch einfach zu unterbrechen fällt schwer. Tipp: Stift bereithalten! Am Ende hat man eine Literatur- und Watch-Liste von hier bis zum Mount Erebus.

The Mule
... ist auch schon wieder über drei Jahre alt. 88 Jahre alt war Clint Eastwood, als er das Drogenschmuggel-Drama mit sich selbst in der Hauptrolle inszenierte, und angesichts dessen kann man nur den Hut ziehen. Der Respekt vor der Leistung des Hollywood-Urgesteins mag verschleiern, dass einem einige Plot devices allzu vertraut vorkommen. Kurzweilig ist die von wahren Begebenheiten inspirierte Geschichte allemal.

Peep World
Diese angenehm kurze, kaum bekannte Familien-Farce von 2010 möchte wohl so etwas wie "Arrested Development" sein, überhebt sich aber an den eigenen Ansprüchen. Die Figuren sind unausgegoren, die Gags meistens lahm, die Sprüche nicht erinnernswert. Zu loben ist allein die superbe Besetzung, die mich überhaupt erst zum Gucken bewogen hat: Michael C. Hall, Rainn Wilson, Sarah Silverman, Octavia Spencer, Taraji P. Henson, Ben Schwartz und als Erzähler Lewis Black!

Sonntag, 10. Juli 2022

Samstag, 9. Juli 2022

Wochenend-Quiz

Wegen des großen Erfolgs der letzten Runde: Welche weiteren Prominenten sind hier als Karikaturen zu sehen?

(Quelle: Abreißkalender)

a) 

b) 

c) 

d) 

Donnerstag, 7. Juli 2022

Vor- und Zuna(h)me

In einem Buch über Hexenverfolgung begegnete ich einem in Massachusetts tätig gewesenen Geistlichen namens Increase Mather. Man hat ja schon so manche im Neuengland der ersten Pilger beliebten sogenannten grace names und virtue names gehört oder gelesen, von denen einige, wie Felicity oder Prudence, bis heute überlebt haben. Increase aber war mir neu, und die Chancen, eine Person mit diesem Rufnamen in der Gegenwart zu treffen, dürften gegen null tendieren: Der letzte Mensch namens Increase von einiger Bedeutung, den die Wikipedia aufführt, war der 1888 verstorbene amerikanische Theologe Increase N. Tarbox. Ich erfuhr, dass "Increase" eine Übertragung des hebräischen Namens Josef ist, welcher übersetzt "er [bzw. Er] fügt hinzu" bedeutet.

Damit vereint Increase die beiden wichtigsten Wortschätze, aus denen sich bei der puritanischen Namensgebung bedient wurde: biblische Personennamen einerseits, andererseits als good names zusammenzufassende Abstrakta, die meist Kardinaltugenden oder allgemein als positiv bewertete Eigenschaften, die man sich von dem neugeborenen Mädchen oder Jungen wünschte (in der Tat wurden viele dieser Namen geschlechtsneutral verwendet).

Um sich als besonders gottgefällig zu erweisen (oder um ihren Nachwuchs aus der Masse herausstechen zu lassen, wie's halt auch heute der Fall ist), wurden die prä-US-amerikanischen Eltern immer kreativer. Zu Temperance, Obedience & Co. gesellten sich im 17. Jahrhundert nachweislich Erdenbürger namens Humiliation, Hate-Evil und Be Faithful Joiner. Das Online-Magazin "Slate" hat die absonderlichsten Beispiele in einem Listen-Artikel von 2013 versammelt; ich denke, "If-Christ-had-not-died-for-thee-thou-hadst-been-damned" dürfte nicht zu toppen sein.

Dienstag, 5. Juli 2022

Das Wunder vom 30. Juni

Als das Stern-TV-Magazin vor über einem Jahr beschloss, seinem wöchentlichen Schwedenrätsel nur noch eine halbe Seite einzuräumen, war ich mir sicher, dass die Verantwortlichen niemals zum alten Format zurückkehren würden. Schließlich hat in dieser unserer entsetzlichen Welt alles die Tendenz, immer schlechter zu werden. Hoffnung, dass mein coram publico geäußertes Bedauern auf irgendeine Resonanz stoßen würde, machte ich mir schon gar nicht. Die erstaunte Miene, die ich beim Durchblättern des vergangenen Donnerstag erschienenen Heftes zog, kann ich mir nicht mal selbst vorstellen. Denn:


O frabjous day! Callooh! Callay! Ich habe das Rätselgitter bereits (recht erfolgreich) ausgefüllt und harre nun der kommenden Wochen. Wird diese Größe beibehalten werden? Wird der Rubrik gar eines Tages wieder eine volle Seite zur Verfügung gestellt werden? Fingers (and words) crossed ...


Sonntag, 3. Juli 2022

Serientagebuch 06/22

02.06. 15 Storeys High 2.01
Severance 1.01
Severance 1.02
04.06. Night Sky 1.04
06.06. Night Sky 1.05
07.06. Severance 1.03
08.06. 15 Storeys High 2.02
Severance 1.04
The Legend of Vox Machina 1.11
The Legend of Vox Machina 1.12
10.06. Severance 1.05
11.06. Twelve Monkeys 2.04
Severance 1.06
12.06. 15 Storeys High 2.05
Severance 1.07
13.06. Severance 1.08
14.06. 15 Storeys High 2.03
15.06. Der junge Inspektor Morse 2.01
Severance 1.09
17.06. Der junge Inspektor Morse 2.02
18.06. 15 Storeys High 2.04

Etwas sehr Ärgerliches ist passiert: Amazon hat Twelve Monkeys aus seinem Prime-Angebot genommen, während ich mitten in der (vielversprechenden) zweiten Staffel war! Ich hatte immer wieder gehört, dass anderen so etwas widerfahren ist, aber dass es mich einmal selbst treffen könnte, wollte ich nicht wahrhaben ... Ob ich mich an das bisher Geschehene werde erinnern können, wenn (falls!) ich die Möglichkeit habe, die Serie fortzusetzen? Was ich jedenfalls cool fand, war, dass Zeitreiseparadoxa nicht nur thematisiert, sondern auch visualisiert und als handlungstreibendes Gimmick genutzt werden.

Nach wie vor auf Prime Video verfügbar, da von Amazon produziert, ist die Animationsserie The Legend of Vox Machina. Die Zielgruppe ist klar umrissen: Erwachsene, die regelmäßig Pen&Paper-Rollenspiele spielen oder zumindest schon einmal in das Thema reingeschnuppert haben, wobei ich mir vorstellen können, dass ein generelles Interesse an Fantasy sowie ein schräger Humor schon ausreichen, um die zwölf Folgen zu genießen. Ja, womöglich ist es sogar ein Gewinn, wenn man das spannende und wendungsreiche Abenteuer eben nicht so erlebt, als beobachte man eine D&D-Kampagne, und nicht ständig versucht ist, die Charaktere und ihre Aktionen zu analysieren ('Welchen Zauber hat sie wohl gerade gewirkt?'; 'Aha, dieser magische Gegenstand darf mehrmals pro Tag eingesetzt werden!'). Die Klassen der Partymitglieder und ihre Funktion in der Gruppe erschließen sich Eingeweihten nämlich beizeiten, packende Plot-Momente und Kämpfe begreift man automatisch als "Runden", und so wähnt man sich, siehe oben, gelegentlich eher als Beobachter eines Spiels denn als Serienkonsument. Ich persönlich fand diese ungewöhnliche Erfahrung höchst anregend. Dass die (schön ausgearbeiteten) Charaktere regelmäßig in Lebensgefahr geraten – eben wie in einer fortgeschrittenen PnP-Sitzung –, kommt dabei der Intensität zupass. Zuletzt sei noch darauf hingewiesen, dass die Altersbeschränkung nicht ungerechtfertigt ist ...

Das Prädikat intensiv soll nicht überstrapaziert werden, aber man kann auf es schwerlich verzichten, möchte man mit einem Wort ausdrücken, wie sich die Geschehnisse von Severance zuspitzen, kulminierend in einer schweißtreibenden Finalfolge, nach der man eine Fortsetzung kaum erwarten kann. Die Science-Fiction-Prämisse dieses Apple-TV+-Neunteilers wie ich vor dem Sehen nicht zu kennen, ist von Vorteil: Ein bisschen suspension of disbelief ist erforderlich ("Schöne neue Arbeitswelt" hin oder her – die titelgebende Technologie würde sich nie durchsetzen), aber hat man sich einmal darauf eingelassen, fallen einem immer neue Implikationen ein, die trefflich zum Philosophieren einladen.
Der Creator von "Severance", Dan Erickson, sagte mir überhaupt nix; er hat nicht mal einen Wikipedia-Eintrag. Unter den bekannteren Namen, die man in den Crew-Credits liest, fällt vor allem Ben Stiller auf, der das Gros der Episoden inszeniert hat. Zur Besetzung zählen u.a. Patricia Arquette, John Turtorro (die letzte Serie, die ich mit ihm sah, "The Night Of", mochte ich auch schon sehr), Christopher Walken sowie Adam Scott, dessen Alterung seit "Parks and Recreation" mir, obwohl ich auf so was sonst nicht achte, sofort regelrecht ins Auge sprang (wobei er sich seinen boyish charme durchaus bewahrt hat, was gut zu seiner Rolle passt).
Müsste ich Vergleiche finden, würde ich sagen, "Severance" ist eine Mischung aus "Westworld", "Devs", "Black Mirror" und dem Videospiel "The Stanley Parable" (Letzteres vor allem optisch). Ehrlich gesagt habe ich aber derartiges zuvor noch nicht gesehen. Schon jetzt ein Highlight des TV-Jahres!