Schon im vergangenen Jahr habe ich dieses First-person-Adventure des spanischen Studios Out of the Blue gespielt, ich war mir danach aber nicht sicher, ob ich es weiterempfehlen soll. Nach ungefähr zwei Dritteln (insgesamt habe ich neun Stunden gebraucht) hatte ich nämlich das Gefühl, dass "die Luft raus" war, zudem hatte eines der Rätsel meinen Hirnstromkreis überlastet, und ich musste sogar eine Komplettlösung konsultieren. Erst vier Monate später brachte ich die Geschichte zum Abschluss.
Mit gebührendem Abstand schätze ich die Erfahrung als insgesamt lohnenswert ein. Ob "Call of the Sea" auch etwas für euch ist, kann ich nicht entscheiden. Die folgenden Stichpunkte mögen helfen:
- Die Rätsel sind not your average Schalter puzzles, sie haben, wie angedeutet, ein hohes Niveau und könnten glatt den härteren Abschnitten eines IQ-Tests entnommen worden sein. Logik und Mustererkennung spielen eine wesentliche Rolle, oft gilt es, auf Details zu achten und Hinweise in der Umgebung zu deuten (wobei das Tagebuch hilft).
- Gameplaytechnisch ist abseits der Rätsel tatsächlich nicht viel zu tun. Man hangelt sich von Aufgabe zu Aufgabe, dazwischen sammelt man höchstens mal einen Gegenstand, aktiviert einen Mechanismus und liest viel.
- Das Lesen, hauptsächlich von Tagebucheinträgen, Briefen und Notizen, fühlt sich nie wie Pflichterfüllung an: Die Texte sind kurz und immersiv, machen neugierig und werden von der Protagonistin kommentiert.
- Womit wir bei einem weiteren Pluspunkt sind: der Vertonung. Cissy Jones, deren Arbeit für "Firewatch", das ich just vor ein paar Tagen angefangen habe, sogar ausgezeichnet wurde, spricht ihren Charakter in feinem, angenehm anzuhörenden Old-Hollywood-Englisch und verleiht ihm durch niemals übertriebene Nuancierung der inneren Monologe eine erstaunliche Tiefe.
- Story? Gibt es auch. Die Hauptfigur sucht auf einer ehemals von einer untergegangenen Hochkultur bewohnten Insel nach ihrem Mann. Mehr soll nicht verraten werden, nur so viel, dass man gefesselt sein wird, wenn man sich für alte Mythen und kosmischen Horror begeistern kann. Ja, "Call of the Sea" enthält nicht nur so manche Anspielung auf H.P. Lovecraft, es ist von dessen Werk mehr als offensichtlich inspiriert.
- Was mich auf der Stelle am meisten eingenommen hat, war das Setting – die Südsee in den 1930er Jahren – und die Präsentation desselben. Man träumt sich direkt nach Neukaledonien, wobei keine näheren geographischen Angaben als "nahe Tahiti" gemacht werden. Dass die Graphik, vermutlich budgetbedingt, oberflächlich etwas minimalistisch wirken mag, tut dem keinen Abbruch. Was an Details, Effekten und Animationen fehlt, wird durch eine knallig-kontrastreiche Farbenpracht wettgemacht, die man so nicht mal aus "Far Cry" kennt. "Realistisch" in einem AAA-Maßstabs-Sinne ist die Umgebung nie, aber durch die durchgehend liebevolle Gestaltung wird sie mehr als lebendig. Musik wird sparsam, aber wirkungsvoll eingesetzt.
Wer also fordernde Rätsel sucht, die clever in eine schaurige Handlung mit "Myst"- und Cthulhu-Anleihen und eine schwelgerische Pazifik-Atmosphäre eingebunden sind, wird hier fündig.
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