Patton Oswalts neues Stand-up-Special "We All Scream" kommt nicht ganz an frühere Programme ran, wartet aber im letzten Viertel mit einem wahren Glanzstück auf. Es geht um das leidige Thema Wokeness.
I'm woke … I think. But you know what? I won't be some day. And so will all of you. Be woke, be open-minded, just don't pet yourself on the back. 'Cause that will bite you in the ass. […] Progress will always fucking steamroll over you.Ja, ja, dreimal ja! Ich bin bereit, das meiste, wofür die "woke army" (lieb gemeint) einsteht, gutzuheißen, ich bin Fan von Toleranz, Respekt, Gleichberechtigung, Sichtbarmachung und Antitoxizität, falls es dieses Wort gibt. Ich klicke auch mal auf "Gefällt mir", wenn jemand Ungerechtigkeit und Diskriminierung outcallt. Worüber ich mich aber innerlich maßlos ärgere, ist die trügerische Einschätzung gewisser Gruppen, an der moralischen Spitze zu stehen; die felsenfeste Überzeugung, dass nach "uns" keinerlei Weiterentwicklung mehr stattfinden könne, weil "wir" den Gipfel menschlicher Erkenntnis erreicht hätten. Woher nimmt man so ein Selbstbewusstsein? Man muss doch in der Lage sein, gesellschaftliche Entwicklungen zu antizipieren – gewiss nicht, welcher Art diese sein werden, aber dass sie stattfinden, wird einem schwanen, wenn man eine Weile auf diesem Planeten verbracht hat. Klar kannst du in einem halbstündigen Video-Essay aufdröseln, warum der Hollywood-Klassiker von 1983 "problematisch" ist, aber sei gefälligst darauf gefasst, dass in 25 Jahren ein aufgeweckter Teenie auf QuippQuapp (erfundener TikTok-Nachfolger) darlegt, weshalb die Lieblingsserie deiner Kindheit oder ein von dir verehrter Influencer zu beanstanden sei. (Das Wort "canceln" pflege ich zu vermeiden, denn einen glasklaren Fall von popkultureller Total-Vernichtung möge man mir noch vorlegen.) Im Jahr 2040 sind es womöglich "Peppa Pig" oder Billie Eilish, die "gar nicht mehr gehen", aus Gründen, die wir zurzeit nicht mal erahnen. Der Satz "Was heute falsch ist, war auch damals falsch" sagt sich nämlich so leichtfertig daher wie "Was damals rechtens war, kann heute nicht Unrecht sein". Hm, das ist ein missglückter Vergleich, Entschuldigung! Lassen wir lieber Patton Oswalt zu Wort kommen, der sich ein ulkiges Beispiel aus seinem Metier zusammenspinnt:
I'll be doing comedy when I'm 70 and I will let slip something that I won't be able to keep up with. I'll be like, "I don't think people should fuck their clones!" – "Boooo!" […] Then I'll double down: "So, when I grew up, you didn't jerk off in a test tube and fuck whatever came out of it. If that makes me the bad guy, I'm sorry!" – "Boo!"
Irgendwann sind wir alle Boomer. Das sollten wir uns durch den Kopf gehen lassen, bevor wir uns zur unfehlbaren Werte- und Geschmacksinstanz erheben. Mit ein paar zeitlosen Tugenden könnten wir sogar die Jauchengrube Facebook zu einem erträglichen Ort machen. Einfühlungsvermögen, Gelassenheit, Empathie. Mit sich selbst streng und kritisch sein. Sich eingestehen, dass man nicht perfekt ist. Am besten gar nicht erst aufs hohe Ross steigen, sonst kommt man später allzu schwer wieder herunter.
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