"Spiegel online" erinnert heute, leider hinter der Bezahlschranke, an die Abdankung König Eduards VIII. wegen dessen skandalöser Beziehung zu Wallis Simpson, thematisiert u.a. in dem Film "The King's Speech" von 2010. Das ließ in mir die Frage aufkeimen, wie oft es wohl schon vorgekommen ist, dass eine Person, die in den USA – wo es ja keinen Erbadel gibt* – geboren wurde, später durch Heirat, Ernennung oder sonstige Umstände in den Adelsstand erhoben worden ist. Lobenswerterweise hält die englischsprachige Wikipedia eine solche Übersicht bereit: List of Americans who held noble titles from other countries.
Korrekt müsste es "hold or held" heißen, denn in der Auflistung befinden sich auch lebende "US-Adelige", wie ich sie mal nennen möchte. Joanna Shields etwa, 1962 in Pennsylvania geboren, wurde, nachdem sie im Tech-Business Karriere gemacht hatte, 2012 von David Cameron angeworben, rutschte sozusagen in die britische Politik hinein und wurde schließlich 2014 ins Oberhaus berufen, womit sie zur Baroness Shields wurde.
Ein peerage, sogar ein ererbtes, hält auch der Komiker und Filmemacher ("Spinal Tap") Christopher Guest, obwohl er in New York geboren wurde. Sein Vater war der 4. Baron Haden-Guest, dessen Sitz im House of Lords nach seinem Tod 1996 auf Christopher überging, diesem nach kurzer Zeit aber wieder entzogen wurde, als das (von ihm selbst als ungerecht empfundene) System 1999 reformiert wurde. Auch wenn Guest heute nicht mehr dem Haus als sitzungsberechtigtes Mitglied angehört, führt er als Lord Temporal nach wie vor den Namenszusatz 5th Baron Haden-Guest – und hat die Ehre, der bislang einzige adelige "Saturday Night Live"-Schauspieler gewesen zu sein.
Ariana Austin Makonnen, 1984 als Ariana Joy Lalita Austin in Washington, D.C., zur Welt gekommen, lernte 2005 ebendort Prinz Joel Dawit Makonnen kennen, Urenkel des letzten Kaisers von Äthiopien ("Haile Selassie" ist tatsächlich Teil seines Namens). Die beiden heirateten 2017 in einer äthiopisch-orthodoxen Kirche in Maryland. Seitdem darf sich Ariana, die zuvor zum Glauben ihres Bräutigams konvertiert ist, "Prinzessin" nennen.
Historisch ist wohl der Fall Grace Kelly der bekannteste. Aber es gibt noch mehr skurrilen Glamour zu entdecken. Josiah Harlan (*1799 in Pennyslvania) unternahm weitläufige Handels- und Abenteuerreisen, u.a. durch Ostindien und den Punjab. Im Gebiet des heutigen Afghanistan setzte Harlan sich in den Kopf, zu einem echten Royal aufzusteigen, was ihm durch geschicktes Taktieren als militärischer Berater (er sah sich selbst als "modernen Alexander der Große") schließlich gelang, als er von dem einflussreichen Lokalherrscher Mohammad Reffee Beg Hazara zum Fürsten von Ghor (Prince of Ghor) ernannt wurde. Rudyard Kiplings Kurzgeschichte "Der Mann, der König sein wollte" ist teilweise von Harlans Biographie inspiriert.
2019 starb Monica von Neumann, geboren 1964 in Detroit als Monica Ann Ford und wie Ariana Austin Makonnen eine Afro-Amerikanerin. Sie arbeitete als Tänzerin und Model, bevor sie auf einer Party in Palm Springs von keinem Geringeren als Sonny Bony (von Sonny and Cher) mit John "Johnny" Neumann Ritter von Héthárs bekannt gemacht wurde, den sie 1985 ehelichte. Die jüdischen von Neumanns wurden erst im 19. Jahrhundert in den Adelsstand erhoben, der Héthárs-Zweig schaffte es in Österreich-Ungarn dennoch zu einigem Ansehen: An den Vater des 2003 verstorbenen John, den HNO-Arzt Heinrich Neumann (*1873 in der heutigen Slovakei, †1939 in New York), erinnert noch heute eine Plakette in Wien. Monica von Neumann soll zum Zeitpunkt ihres Todes in finanziellen Schwierigkeiten gesteckt haben. 2010 hatte sie noch versucht, unter dem Label Baroness von Neumann Candles luxuriöse Kerzen zu vertreiben (das Kerzensymbol ist wohl ein Neumannsches Wappenelement bzw. die Helmzier des Ritters; ich konnte allerdings kein Bild dazu finden).
Apropos Österreich-Ungarn: Cissy Patterson aus Chicago (1881-1948) lernte in Wien Josef Gizycki kennen, meiner Schnellrecherche nach ein galizischer Graf, durch dessen Ehe, die allerdings 1904 geschieden wurde, sie zur Countess wurde. Berühmtheit erlangte sie aber vor allem als Zeitungsverlegerin in Washington, D.C.
Das soll an interessanten Beispielen reichen.
* Nicht nur verbietet die Verfassung ausdrücklich die Vergabe von Adelstiteln durch den Staat (sog. Foreign Emoluments Clause), es gibt sogar einen nie auf Bundesebene ratifizierten Entwurf eines Verfassungszusatzes, der vorsah, einem US-Bürger die Staatsbürgerschaft zu entziehen, wenn er "ohne Zustimmung des Kongresses einen Adels- oder Ehrentitel oder Geschenke, Pensionen, Ämter oder Bezüge jeglicher Art von einem Kaiser, König, Prinz oder einer sonst ausländischen Macht annimmt, beansprucht, erhält oder behält" (Titles of Nobility Amendment von 1810).
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