Eine mysteriöse Substanz macht die Straßen Venezuelas zu Todespisten. Jahrzehnte später ist ihr Ursprung noch immer nicht eindeutig geklärt.
Die Autopista Caracas-La Guaira befand sich Mitte der Achtzigerjahre schon in keinem guten Zustand mehr. Doch was Straßenarbeiter im Jahr 1986 erstmals auf ihr entdeckten, sollte den zum venezolanischen Hauptstadtflughafen führenden Zubringer in eine regelrechte "Guillotine" verwandeln, wie es die Zeitung El Nacional 1991 ausdrückte.
Eine rund 50 Meter lange schwarze Spur hatten die Arbeiter vorgefunden, eine zähflüssige Masse, der, nachdem man sie entfernt hatte, zunächst keine weitere Beachtung geschenkt wurde. Das sollte sich ändern, nachdem die Substanz nicht nur wieder aufgetaucht, sondern sich auf weitere, teils kilometerlange Abschnitte der Autobahn ausgedehnt hatte. Schon bald erhielt die Erscheinung einen Namen: La Mancha Negra, der schwarze Fleck. Als fettiger Schlick wird es beschrieben, als dick und kaugummiartig, in US-amerikanischen Medien, die das Thema aufgriffen, wurde es "goo" oder "blob" genannt. Ganz im Gegensatz etwa zu Teer hatte die Mancha Negra aber die Eigenschaft von Öl oder Glatteis: Infolge ihrer Rutschigkeit kam es in den folgenden fünf Jahren zu Tausenden von Unfällen, bei denen insgesamt 1800 Menschen gestorben sein sollen.
Im Jahr 1991 wandte sich erstmals eine Gruppe aus Fachleuten hilfesuchend an Präsident Carlos Andrés Pérez. Weder über Herkunft noch Zusammensetzung der sonderbaren Schmiere war man sich zu diesem Zeitpunkt einig. Handelte es sich um aus Flugzeugen ausgetretene Stoffe – die Flughafennähe sprach dafür –, die mit dem Asphalt eine gefährliche Verbindung eingingen? War der Straßenbelag schludrig verarbeitet worden, so dass bei steigenden Temperaturen Öl an die Oberfläche trat? Immerhin schien das enigma sich bevorzugt an heißen Tagen zu zeigen. Manche glaubten, Abwasser aus den höher gelegenen Slums am Airport könnten unter der Straße eine chemische Reaktion auslösen. Natürlich wurde La Mancha Negra auch zu Propagandazwecken missbraucht. Sowohl das Umfeld von Präsident Pérez während des Umsturzversuches von 1992 als auch das von Hugo Chávez nach der schließlich geglückten Bolivarischen Revolution warfen den jeweiligen Oppositionellen vor, das ölartige Zeug heimlich zu verteilen. Und könnten nicht zuletzt auch – im für UFO-Sichtungen notorischen Südamerika – außerirdische Ursachen in Frage kommen?
Man rückte dem "schwarzen Fleck" mit Bürsten, Hochdruckreinigern und Kalk zu Leibe, stellte Warnschilder mit "Peligro, aceite derramado" ("Achtung, ausgelaufenes Öl") auf, doch das Problem hielt an. Die Regierung bestellte einheimische und internationale Experten, darunter aus Deutschland, ein, doch erst der Chemiker Giuseppe Giannetto Pace stellte eine fast schon zu simple und triviale Diagnose: Die kaum noch verkehrstauglichen Vehikel auf den Straßen von Caracas – im Schnitt hatte Anfang der Neunziger jeder Pkw zwölf, jeder Bus 20 Jahre auf dem Buckel – verloren einfach Unmengen an Öl, welches sich regelmäßig mit Staub zu jener glitschigen Masse verband.
Diese Erklärung wird mittlerweile als die gängigste akzeptiert, jedoch nicht von allen. Hätte sich das Problem nicht irgendwann ausschleichen müssen? Warum gibt es immer wieder längere Ruhephasen? Das letzte gehäufte Auftreten war 2001. Wieso konzentriert sich die Erscheinung auf Caracas? Ein Fachbuch über industrielle Reinigungstechnik von 2013 stuft die Mancha Negra als Ablagerung ein, wie sie für ölproduzierende Gegenden typisch sei, und Venezuela ist schließlich die erdölreichste Nation der Welt. Millionen von Dollar wurden inzwischen in die Aufklärung des Fleckenrätsels gesteckt. Ein Ende des Ratens ist nicht in Sicht.
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