Montag, 20. März 2023

Ein Chatbot wird geprüft

Der Wirbel um ChatGPT und Konsorten reißt nicht ab. Man hat das Gefühl, die Gesellschaft ist angesichts der jüngsten KI-Sprünge noch aufgewühlter als um die Jahrtausendwende herum, als dieses Internet über sie kam, ein "metaphysischer Raum, der stillschweigend an Millionen von Haushalten angebaut worden war" (Tao Lin, zit. n. Clemens Setz: Die Bienen und das Unsichtbare; dieses Buch wäre auch einen eigenen Blogbeitrag wert!). Auf "Spiegel online" begründet Kolumnist Christian Stöcker heute "Warum wir schleunigst Robotergesetze brauchen" ("Die immer schnellere Entwicklung maschinellen Lernens wird die Welt in den kommenden Jahren dramatisch verändern. Es wird höchste Zeit für demokratische Kontrolle"). Abgesehen von (urheber)rechtlichen Fragen dreht sich der Diskurs seit Monaten darum, welche Berufsgruppen nun um ihre Existenzberechtigung bangen müssen. Wiederholt wurde auch debattiert, in welchen Branchen die Arbeit in Zukunft schwieriger würde. Lehrkräfte seien, so hieß es, zunehmend damit beschäftigt, Betrugsversuche aufzudecken, weil immer mehr Schüler und Studierende bei Hausaufgaben, Aufsätzen etc. ChatGPT befragen. (Man vergleiche die "South Park"-Folge 26.04 "Deep Learning", "written by Trey Parker & ChatGPT".) Klar, wenn ein datengefüttertes "Digitalorakel" (Stöcker) in der Lage ist, Examina zu bestehen (zumindest manche; manche auch nicht), ist es nicht unangebracht, institutions- und prüfungsgebundene Bildungssysteme an sich zu überdenken.

Mich interessiert Folgendes: Könnte ich ausgetrickst werden, wenn ich – was die Götter zu verhüten wussten – noch immer Lehrbeauftragter an der Uni wäre? Anders gefragt: Könnte ChatGPT von mir erdachte Klausurfragen so beantworten, dass ich die Antworten nicht von denen eines menschlichen Prüflings unterscheiden könnte? Machen wir die Probe aufs Exempel und lassen wir das OpenAI-Modell acht Aufgaben lösen, die ich den Teilnehmenden meines Seminars "Grundzüge der indogermanischen Nominalbildung" stellte, welches ich im Wintersemester 2009/10 an der TU Dresden hielt. Ich möchte vorwegschicken, dass ich diese Probeklausur für nicht sonderlich anspruchsvoll halte. In einem vorangegangenen Seminar hatte sich einmal ein Student per E-Mail über das seiner Ansicht nach zu hohe Niveau beschwert, und da ließ ich mich natürlich erweichen. Wie auch immer, jetzt gilt's!

1. Erklären Sie den Unterschied zwischen synthetischem und analytischem Sprachbau anhand des Kasussystems moderner indogermanischer Sprachen.

ChatGPT: Der synthetische Sprachbau bezieht sich auf eine Sprachstruktur, in der Bedeutungen durch die Verwendung von Affixen (Präfixe, Suffixe oder Infixe) oder durch Veränderungen im Stamm des Wortes (z.B. Vokalwechsel) ausgedrückt werden. Im Gegensatz dazu bezieht sich der analytische Sprachbau auf eine Sprachstruktur, in der Bedeutungen durch separate Wörter oder Phrasen ausgedrückt werden.

In modernen indogermanischen Sprachen gibt es sowohl synthetische als auch analytische Sprachbauweisen im Kasussystem. Ein Beispiel für den synthetischen Sprachbau ist das deutsche Kasussystem, in dem die Endungen des Substantivs verändert werden, um den Kasus anzuzeigen. Zum Beispiel: Der Hund (Nominativ), des Hundes (Genitiv), dem Hund (Dativ), den Hund (Akkusativ).

Ein Beispiel für den analytischen Sprachbau ist das Englische, das in der Regel keine Kasusendungen verwendet, um den Kasus eines Substantivs anzuzeigen. Stattdessen werden separate Wörter oder Präpositionen verwendet, um den Kasus auszudrücken. Zum Beispiel: the dog (Nominativ), the dog's (Genitiv), to/for the dog (Dativ), the dog (Akkusativ).

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Unterschied zwischen synthetischem und analytischem Sprachbau im Kasussystem moderner indogermanischer Sprachen darin besteht, wie die Bedeutung des Kasus ausgedrückt wird. Der synthetische Sprachbau verwendet Endungen oder Veränderungen im Wortstamm, während der analytische Sprachbau separate Wörter oder Präpositionen verwendet.

2. Gibt es Kategorien im Deutschen, die durch Agglutination gebildet werden?

ChatGPT: Ja, es gibt Kategorien im Deutschen, die durch Agglutination gebildet werden. Agglutination bezieht sich auf die Bildung von Wörtern durch das Hinzufügen von Morphemen (z.B. Präfixe, Suffixe oder Infixe) an einen Wortstamm.

Ein Beispiel für eine Kategorie im Deutschen, die durch Agglutination gebildet wird, ist der Plural. In der Regel wird der Plural durch das Hinzufügen des Suffixes "-en" oder "-n" an den Singular gebildet. Zum Beispiel: Haus (Singular) - Häuser (Plural), Kind (Singular) - Kinder (Plural).

Eine andere Kategorie, die durch Agglutination gebildet wird, ist der Komparativ und Superlativ bei Adjektiven. In der Regel werden sie durch das Hinzufügen von Suffixen wie "-er" und "-sten" gebildet. Zum Beispiel: schön (Positiv) - schöner (Komparativ) - am schönsten (Superlativ).

Auch einige Verben im Deutschen können durch Agglutination gebildet werden, beispielsweise durch das Hinzufügen von Präfixen oder Suffixen. Zum Beispiel: "ver-" (Präfix) in "verkaufen", "er-" (Präfix) in "erklären" oder "-ieren" (Suffix) in "studieren".

Zusammenfassend gibt es im Deutschen mehrere Kategorien, die durch Agglutination gebildet werden können, wie zum Beispiel der Plural, Komparativ und Superlativ bei Adjektiven oder Verben, die durch Präfixe und Suffixe gebildet werden.

3. Welche idg. Sprachen gelten als besonders produktiv hinsichtlich des Wortbildungsmusters Komposition und welche eher nicht?

ChatGPT: Das Wortbildungsmuster Komposition ist in vielen indogermanischen Sprachen weit verbreitet, aber es gibt Unterschiede in Bezug auf seine Produktivität. Einige Sprachen sind besonders produktiv in der Komposition, während andere weniger produktiv sind.

Zu den indogermanischen Sprachen, die als besonders produktiv in der Komposition gelten, gehört zum Beispiel das Deutsche. In dieser Sprache können fast alle Wortarten miteinander kombiniert werden, um neue Wörter zu bilden, und es gibt eine Fülle von Komposita, die in der Alltagssprache verwendet werden. Zum Beispiel: "Fernsehprogramm", "Regenschirm", "Handyvertrag", "Staubsaugerbeutel" usw.

Auch im Isländischen ist die Komposition sehr produktiv. In dieser Sprache können Wörter mit einer Vielzahl von Suffixen und Präfixen kombiniert werden, um neue Wörter zu bilden. Dies hat dazu geführt, dass Isländisch eine sehr reiche und komplexe Wortbildung aufweist.

Andere indogermanische Sprachen wie Englisch und Französisch sind weniger produktiv in der Komposition. Obwohl es auch in diesen Sprachen viele Komposita gibt, wird die Komposition nicht so häufig verwendet wie im Deutschen oder Isländischen, und es gibt weniger Möglichkeiten für die Kombination von Wortarten.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Komposition in einigen indogermanischen Sprachen wie Deutsch und Isländisch besonders produktiv ist, während sie in anderen Sprachen wie Englisch und Französisch weniger produktiv ist.

4. Zu welcher Art von Komposita zählen Südwest, Werwolf, nasskalt?

ChatGPT: Die genannten Wörter sind sogenannte Determinativkomposita. Bei Determinativkomposita wird ein Bestimmungswort (auch Determinans genannt) mit einem Grundwort (auch Determinatum genannt) kombiniert, um ein neues Wort zu bilden.

"Südwest" ist ein Determinativkompositum, das aus den Wörtern "Süd" und "West" besteht. "Werwolf" ist ein Determinativkompositum, das aus den Wörtern "Wer" (eine alte Form von "Mann") und "Wolf" besteht. "Nasskalt" ist ebenfalls ein Determinativkompositum, das aus den Wörtern "nass" und "kalt" besteht.

Bei Determinativkomposita wird das Bestimmungswort verwendet, um das Grundwort genauer zu beschreiben oder einzuordnen. In den genannten Beispielen geben die Bestimmungswörter "Süd", "Wer" und "nass" weitere Informationen über die Bedeutung des Grundwortes "West", "Wolf" und "kalt".

5. Welche Möglichkeiten zur Bildung der femininen Form eines Nomens kennen Sie?

ChatGPT: Es gibt verschiedene Möglichkeiten zur Bildung der femininen Form eines Nomens in der deutschen Sprache:

Durch das Suffix "-in": Viele männliche Substantive können durch das Suffix "-in" in die feminine Form überführt werden. Zum Beispiel: Lehrer - Lehrerin, Arzt - Ärztin, Student - Studentin.

Durch den Austausch des Stammvokals: Einige männliche Substantive haben eine eigene Form für das weibliche Geschlecht, die durch den Austausch des Stammvokals gebildet wird. Zum Beispiel: Mann - Frau, Vater - Mutter, Bruder - Schwester.

Durch das Anhängen von Wörtern: Manchmal wird die feminine Form durch das Anhängen von Wörtern gebildet, die das Geschlecht kennzeichnen. Zum Beispiel: Prinz - Prinzessin, Löwe - Löwin.

Durch den Gebrauch von unterschiedlichen Wörtern: In einigen Fällen gibt es für das männliche Substantiv kein weibliches Gegenstück. Stattdessen werden unterschiedliche Wörter verwendet, um das weibliche Pendant zu beschreiben. Zum Beispiel: Mannschaft - Frauenmannschaft, Kater - Katze.

Es ist wichtig zu beachten, dass nicht alle männlichen Substantive eine weibliche Form haben und dass es einige Ausnahmen von den oben genannten Regeln gibt.

6. Was ist Derivation? Nennen Sie Wortarten des Deutschen, die Derivationsbasis sein können.

ChatGPT: Derivation ist ein Verfahren zur Bildung neuer Wörter durch die Anfügung von Affixen (Präfixen oder Suffixen) an bereits bestehende Wörter, um deren Bedeutung zu verändern oder zu erweitern. Im Gegensatz zur Komposition, bei der zwei oder mehrere Wörter zu einem neuen Wort zusammengefügt werden, wird bei der Derivation ein neues Wort aus einem bestehenden Wort abgeleitet.

Im Deutschen können alle Wortarten als Derivationsbasis dienen, einschließlich Nomen, Verben, Adjektive und Adverbien. Beispiele für die Derivation von Nomen aus anderen Wortarten sind: der Lauf (von laufen), der Fall (von fallen), die Schönheit (von schön). Beispiele für die Derivation von Verben aus anderen Wortarten sind: laufen (von der Lauf), fallen (von der Fall), schönigen (von schön). Beispiele für die Derivation von Adjektiven aus anderen Wortarten sind: laufend (von laufen), gefallen (von falllen), schönheitlich (von schön). Beispiele für die Derivation von Adverbien aus anderen Wortarten sind: laufend (von laufen), schließlich (von schließen), schönheitlich (von schön).

Es gibt auch eine Vielzahl von Affixen im Deutschen, die zur Derivation verwendet werden können, einschließlich Präfixen wie "un-" und "ver-" und Suffixen wie "-ung", "-heit", "-keit" und "-tum".

7. Welche Numeri gab es im Ur-Indogermanischen?

ChatGPT: Das Ur-Indogermanische, die rekonstruierte Ursprache der indogermanischen Sprachfamilie, hatte vermutlich zwei Numeri, eine Singular- und eine Pluralform.

Die Singularform bezieht sich auf eine Einheit oder einen einzelnen Gegenstand, während die Pluralform sich auf mehrere Einheiten oder Gegenstände bezieht.

Es gibt jedoch auch einige Hinweise darauf, dass es im Ur-Indogermanischen möglicherweise noch eine Dualform gab, die sich auf genau zwei Einheiten oder Gegenstände bezieht. Diese Vermutung stützt sich auf einige sprachliche Merkmale und Formen in einigen indogermanischen Sprachen wie Altgriechisch, Sanskrit und Litauisch, die eine solche Dualform aufweisen.

Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass das Ur-Indogermanische nur auf der Grundlage von rekonstruierten sprachlichen Merkmalen und Wörtern rekonstruiert wurde, und dass es daher viele Unsicherheiten und offene Fragen hinsichtlich seiner Grammatik und Struktur gibt.

8. Welche Zweige des Indogermanischen weisen nähere Gemeinsamkeiten untereinander auf?

ChatGPT: Unter den Zweigen des Indogermanischen gibt es einige, die nähere Gemeinsamkeiten aufweisen als andere. Die genauen Verwandtschaftsbeziehungen zwischen den einzelnen Zweigen sind jedoch Gegenstand intensiver Forschung und Diskussion unter Linguisten und Sprachhistorikern. Im Allgemeinen gelten jedoch die folgenden Zweige als näher miteinander verwandt:

1. Germanisch und Baltisch-Slawisch: Diese beiden Zweige haben viele gemeinsame sprachliche Merkmale und weisen eine ähnliche Entwicklung in Bezug auf die Grammatik und die Lautveränderungen auf.

2. Italienisch und Keltisch: Diese beiden Zweige haben einige gemeinsame Vokabeln und grammatische Strukturen, die sich von anderen Zweigen des Indogermanischen unterscheiden.

3. Griechisch und Albanisch: Diese beiden Zweige weisen einige gemeinsame sprachliche Merkmale auf, die von anderen Zweigen des Indogermanischen abweichen.

4. Indo-Iranisch und Armenisch: Diese beiden Zweige haben einige gemeinsame Vokabeln und grammatische Strukturen, die sich von anderen Zweigen des Indogermanischen unterscheiden.

Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass die Verwandtschaftsbeziehungen zwischen den Zweigen des Indogermanischen komplex sind und immer noch aktiv erforscht werden. Daher können sich die Ansichten darüber, welche Zweige näher miteinander verwandt sind, im Laufe der Zeit ändern.

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So, die 90 Minuten sind rum, Blätter und Stifte weglegen! Die Benotung erfolgt in einer Woche bzw. nein: nie! Es soll ja lediglich geklärt werden, ob ich erkennen könnte, dass ein KI-Bot meine Fragen beantwortet hat statt einer realen Person. Außerdem ist das alles so lange her, dass ich inzwischen nicht mehr sagen kann, was ich zu lesen erwartete, und einen Musterlösungsbogen habe ich nicht. Nur so viel: Im von Chatty genannten englischen Beispielparadigma für dog (1.) findet sich im "Akkusativ" weder ein "separates Wort" noch eine Präposition. Zu 2.) ist anzumerken, dass die Pluralbildung Haus > Häuser (2.) eben kein Fall von Agglutination, also von "Aneinanderkleben" potenziell für sich stehender Elemente, ist, bei dem der Stamm unverändert bleibt, sondern ein klassischer Fall von Fusion. Auch sehr fragwürdig ist die Aussage, "im Isländischen ist die Komposition sehr produktiv. In dieser Sprache können Wörter mit einer Vielzahl von Suffixen und Präfixen kombiniert werden, um neue Wörter zu bilden." Komposition bedeutet Wortbildung durch Zusammenfügung "fertiger" Wörter. Bei 4.) hätte ich mir die jeweilige Unterart des Determinativkompositums gewünscht, z.B. Kopulativkompositum, bei 5.) den Fachbegriff Motionsfemininum. Darin auch wieder die Gleichsetzung von Wörtern und Morphemen ("Manchmal wird die feminine Form durch das Anhängen von Wörtern gebildet, die das Geschlecht kennzeichnen. Zum Beispiel: Prinz - Prinzessin, Löwe – Löwin."): schwach. Dass es im Ur-Indogermanischen einen Dual gab, ist relativ unstreitig (7.). Und 8.) wurde mehr als oberflächlich und schwammig bearbeitet ("Italienisch" statt "Italisch", "einige gemeinsame Vokabeln" …)! Wie gesagt, alles einzeln zu zerpflücken, würde den Rahmen sprengen und kaum der Unterhaltung dienen. (Wer hat überhaupt bis hierhin mitgelesen?) Kurzum: Bestanden hätte ChatGPT durchaus, aber nicht besser als mit einer 4. Immerhin.

Dass ich die Computermagie durchschaut hätte, dessen bin ich mir sicher. Allein solche Zusätze wie "Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass das Ur-Indogermanische nur auf der Grundlage von rekonstruierten sprachlichen Merkmalen und Wörtern rekonstruiert wurde, und dass es daher viele Unsicherheiten und offene Fragen hinsichtlich seiner Grammatik und Struktur gibt" – das würde niemand schreiben, der sich je ernsthaft mit Vergleichender Sprachwissenschaft beschäftigt hat, zumindest nicht in einem Test. Die genannte Vagheit bei 8.) hätte mich ebenso stutzig gemacht wie gewisse holprige Formulierungen, innere Widersprüche und in der Luft hängende Behauptungen.

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