Psychalis - mit Fruchtseele statt -körper
Sonntag, 30. April 2023
Brain Droppings 2022/23
Psychalis - mit Fruchtseele statt -körper
Freitag, 28. April 2023
Der Mais muss cheesen
Ein beliebter Straßensnack in Mexiko sind Maiskörner im Pappbecher, die mit Käse bestreut und zuoberst mit Mayo bestrichen werden, auf die optional noch etwas Chilipulver kommt. Ist das gesund? Keine Ahnung. Ist es bedenklich, Mayonnaise aus einem Eimer, der stundenlang bei 30 Grad im Freien steht, als Topping zu verwenden? Nächste Frage! Ist dieses Streetfood, dessen Namen ich vergessen habe, unverschämt billig und lecker? Aber hallo!
Vor einigen Monaten nun stellte Denise Snieguolė Wachter (Ist der zweite Name eigentlich lettisch?) in ihrer Stern-Kochkolumne ein Gericht vor, das mich sofort überzeugte: Korean Corn Cheese, Maiskäse aus Korea. Angepriesen wurde es als "Sünde", als "Kinderessen" und mit dem Satz "Eine vollwertige Mahlzeit ist der Dip natürlich nicht". Well, count me in! Es sättigt angeblich vier Personen, ich habe es gestern Abend im Alleingang verputzt. Dazu muss ich allerdings anmerken, dass ich die empfohlene Beilage ("gegrilltes Fleisch oder Maischips") weggelassen habe und zudem möglicherweise zu wenig Mais verwendet habe; da stand nämlich "2 frische Maiskolben, alternativ 2 Dosen Mais oder 300 g gefrorenen Mais", und weil mir Dosenmais als die simpelste Alternative erschien, habe ich mich, mit 300 g als Richtmaß, mit einer Dose von 285 g Abtropfgewicht begnügt. Mit weiteren geringfügigen Abweichungen geht das Rezept so:
Den Dosenmais gut abtropfen lassen. Mit 100 bis 120 Gramm Reibekäse (ich habe Gratinkäse aus Maasdamer und Mozzarella genommen), 2 EL Mayonnaise und 2 TL Rohrohrzucker gründlich vermengen, salzen und pfeffern. Eine Auflaufform mit Sesamöl einpinseln, die Mais-Käse-Masse einfüllen und mit 3 Frühlingszwiebeln in feinen Ringen bestreuen. Circa eine Viertelstunde backen. Omnomnom.
Mittwoch, 26. April 2023
TITANIC vor zehn Jahren: 5/2013
Wie so viele Hefte aus dieser Ära hat auch dieses einen ganz besonderen Platz in meiner Erinnerung, nicht nur wegen des letztgültigen Titels zum NSU-Prozess (der Herr links indes sollte die U1 nicht zum letzten Mal zieren), sondern auch und vor allem wegen dieser Aktion:
Allein dass wir als "PEACEmakers" auf dem Frankfurter Römerberg mit Stirnbändern, auf denen in Hangul "Tod", "Vernichtung" o.ä. stand, vor Einheimischen sowie Touristen aus aller Welt "Give Kim a chance!" tirilierten, lässt mich noch heute schmunzeln. Den größten Spaß jedoch hatte ich bereits im Vorfeld gehabt, nämlich als ich zusammen mit Leo Fischer das zu verteilende Nordkorea-Verherrlichungs-Faltblatt erstellte, welches es Gott sei Dank in voller Pracht in den Aufmacher geschafft hat. Vergleichbar heftige Lachanfälle beim Verfassen eines Artikels hatte ich nur einziges Mal: beim gemeinsamen Schreiben (ebenfalls mit L.F.) der Günter-Grass-Parodie-Gedichte in 5/2012.
Der Anschlag beim Boston-Marathon wurde in gleich zwei gelungenen Bildwitzen verhandelt, zum einen im Startcartoon von Uwe Becker ("Merkel kondoliert": "Hoffentlich werden die Täter gefaßt und schnell verurteilt ..."; Obama: "Keine Sorge, wir stellen die ja nicht vors Münchner Landgericht!"), zum anderen, indirekter, in diesem schön quatschigen Editorials-Gag:
Zu loben ist auch die Mimik- und Körpersprachen-Interpretationshilfen-Doppelseite über den ZDF-Talkmaster Markus Lanz, verfasst von dem freien Autor Aleksandar Jožvaj, mit dem ich übrigens heute wieder durch ein gemeinsames Hobby verbunden bin.
Relativ viel Arbeit haben Tim Wolff und ich in unseren "TITANIC-Survival-Guide" (S. 36-39) gesteckt: Wir haben echte Survival-Bücher gewälzt, Stephan Rürup hat Illustrationen angefertigt (ein paar auch ich!), und am Ende mussten wir etliche Einzelkästen aus Platzgründen rausschmeißen. Seltsamerweise kam dieser Beitrag bei den zwei-drei Malen, wo wir ihn vor Publikum gelesen haben, nur unterdurchschnittlich gut an; womöglich weil der Zusammenfall der Zivilisation und damit die Notwendigkeit praktischer Überlebenskenntnisse mit voranschreitendem Jahrzehnt zunehmend immanent wurde? 2013 waren die Anlässe für Endzeitstimmung laut Vorspann jedenfalls "der Meteoritenhagel über Rußland und der Bankenkollaps auf Zypern". Aha.
Hier ein Fun fact zu "55ff": Den "Food-News-Generator" hatte ich mir bereits im Juli 2005 (!) ausgedacht. In der von mir verantworteten Rubrik konnte ich den Text nach jahrelangem Reifen auf der Festplatte schließlich veröffentlichen, hihi. Deshalb mein Rat: Frühe Schreibversuche niemals vernichten, und sich für sie schämen schon gar nicht.
Weiteres Notierenswertes
- Der Axel-Springer-Konzern, in Sonderheit die Personalie M. Döpfner, sorgt in diesen Wochen für allerlei Gerede und Berichterstattung. Wie es der Zufall so will, brachte der Spiegel vor zehn Jahren eine vielbeachtete Story über den frisch aus Amerika zurückgekehrten Bild-Chef Kai Diekmann, die in dieser Titanic auf S. 22f. trefflich von Fischer/Hürtgen parodiert wurde, einschließlich ganzseitigem Portrait-Foto mit IT-Kollege A. Golz als Diekmann.
- Erinnert sich noch jemand an die Google-Brille? Thomas Gsella "testete" sie auf S. 30ff. ("Die Sprachsteuerung funktioniert und ist lernfähig. Wenn dich Google nach links schickt und du rechts abbiegst, kostet es die ersten zehn Mal nur fünf Dollar, ab dem elften Mal nur noch drei. Geheimtip: Rechts abbiegen, aber rückwärts gehen, dann sehen weder du noch die Kamera, wo ihr hinlauft"). Aus diesem Artikels erwuchs wenig später die Idee für die Online-Reihe "Gsellatronics".
- Auch das legendäre Zweipäpstetreffen (Franziskus und Benedikt XVI.) fiel in jenen Frühling. Der historische Moment wurde in einem Gedicht festgehalten (S. 34f.).
- Keine zehn Monate nachdem Tim Wolff zum ersten Mal die Symptome der "Ausgerechnet"-Pest präsentiert hatte (8/2012), waren genügend Beispiele für die nächste Fallakte zusammengetragen. Wieder einmal erhärtet sich der Verdacht, dass niemand im Presswesen, der es nötig hätte, Titanic liest. Frustrierend.
- Oh Gott, "Lerchenberg"! Das war der Versuch einer selbstironischen und -bezüglichen ZDF-Sitcom, der wie zu erwarten scheiterte (Humorkritik S. 50).
- Peinlicher Tippfehler in der PARTEI-Anzeige auf der Rückseite: "Nordrheinwestfahlener".
Montag, 24. April 2023
Die drei raren Zeichen
Heute möchte ich drei Unicode-Zeichen vorstellen, die kaum jemand kennen, geschweige denn regelmäßig benutzen dürfte:
1.) ₰
Was auf den ersten Blick aussieht wie das in der Druckfahnenkorrektur verwendete Tilgungszeichen (deleatur), ist ein Symbol für den guten alten deutschen Pfennig und war in der Bundesrepublik bis in die 1970er Jahre hinein vereinzelt zu sehen. Ich habe das geschriebene Pfennigzeichen erst durch den Katz+Goldt-Comic "Dreizehn Nächte im Kindersterbezimmer" in Titanic 2/23 kennengelernt.
Der Informatiker, der 1998 die Aufnahme des Pfennigzeichens in den Unicode-Satz erwirkt hat, gibt auf seiner Homepage Hintergrundinformationen und zeigt historische Beispiele.
2.) ⁊
Marcus Tullius Tiro (103-4 v. Chr.), der freigelassene Sklave und Privatsekretär Ciceros, erfand eine circa 4000 Zeichen umfassende Kurzschrift, die laut Plutarch zum ersten Mal am 5. Dezember 63 v. Chr. zum Einsatz kam und später als Tironische Noten in die Geschichte einging. Viel Wissenswertes zu diesen römischen Notae findet sich im Supertextus notarum tironiarum (auf deutsch).
Eine einzige tironische Note ist noch heute in Gebrauch, und zwar das der Ziffer 7 ähnelnde Et-Zeichen, das in Irland und Schottland in keltischsprachigen Texten das geläufige kaufmännische Und (&) ersetzt.
3.) ⌕
Die Kenntnis dieses Symbols verdanke ich dem Twitternutzer Scott Hühnerkrisp. Man kennt oder wohl vielmehr kannte es vornehmlich aus Telefonbüchern. Wikipedia: "Ein zarter Kreis mit einem die Kreislinie einmal radial nach links unten querendem Strich, ähnlich einem seitenverkehrten Q (als Zeichen für eine (abgehobene) Grammophondose mit Nadel), kann vor die Rufnummer gesetzt werden, wenn ein Anrufbeantworter angeschlossen ist."
Man könnte das Symbol heutzutage praktisch vor jede Telefonnummernangabe setzen, sind doch Mailboxes sowohl bei modernen Festnetzgeräten als auch bei Handys standardmäßig integriert. Mir ist es in der Vergangenheit jedenfalls nie aufgefallen. Hätte ich es je vor einer zu wählenden Nummer gesehen (und um seine Bedeutung gewusst), ich hätte mir das Wählen gespart, denn ich spreche grundsätzlich nicht auf Anrufbeantworter. Das ⌕ wurde, zusammen mit fast 6000 weiteren Zeichen, mit der Version 1.1 von 1993 in den Unicode eingefügt. Wie oft es wohl seither benutzt wurde?
Sonntag, 23. April 2023
Zwei hübsche Ausdrücke
1.) im Wahrig drüber gestolpert: huf! hüf! (Interj.) (landsch.): Zuruf, mit dem der Fuhrmann sein[e] Zugtier[e] antreibt: zurück!
2.) in Ludwig Barrings Götterspruch und Henkerhand (1967) eine Umschreibung für die Hinrichtung durch Erhängen am Galgen: die hänfene Hochzeit
Freitag, 21. April 2023
Neues von der Musikstream-Front
Mein Prime-Music-Abo ist ausgelaufen, weil ich es nicht verlängert habe. Endlich bin ich erlöst! Schon kurz nach meinem letzten diesbezüglichen Update hatte ich mich gewagt, mit Spotify zu experimentieren, und was soll ich sagen? Die Browser-Version ist mehr als annehmbar. Ich suche einen Künstler, wähle ein Album aus, und dieses beginnt zu spielen, Song für Song, in der richtigen Reihenfolge. Ab und an ertönt zwischen zwei Titeln Werbung für Podcasts, die ich nicht mal für Geld hören würde, aber dann nehme ich halt für zwanzig Sekunden die Kopfhörer ab und atme tief durch. Die Auswahl steht der von Amazon Music in nichts nach; Veröffentlichungen, die ich bei dem einem Dienst nicht finden konnte, waren auch beim anderen nicht verfügbar. "Geherzte" Favoriten werden unter "Lieblingssongs" hinterlegt.
Negativ fiel bisher Folgendes auf. Es gibt eine "Warteschlange", auf die man später zu streamende Sachen setzen kann. Regelmäßig löscht sich diese Warteschlange jedoch von selbst. Die "Zuletzt gehört"-Liste führt nur Alben auf, nicht den zuletzt gehörten Titel. Das ist nicht dramatisch, weil ebenjener in der Regel bis zur nächsten Sitzung unten offen bleibt, sogar sekundengenau an der Stelle, wo man ihn gestoppt hat, falls man das getan haben sollte. Leider merkt sich die Anwendung diesen Status nicht immer. Mit der App bin ich komplett unzufrieden, denn die weist einen gravierenden Makel auf: Wenn ich ein Lied suche und finde, darf ich es mir nicht einfach so anhören! Stattdessen startet eine automatisch generierte Playlist mit Titeln, die dem gesuchten ähnlich sind. Der Wunschtitel scheint dann zwar dabei zu sein, die Chance ihn auf Anhieb zu erwischen ist indes gering, und man kann in der Gratisversion nur eine bestimmte Anzahl von Malen skippen, ich glaube, sechs mal pro Stunde. Eine weitere Einschränkung in der App besteht darin, dass Alben ausschließlich im Shuffle-Modus wiedergegeben werden. Bei Musik mag das noch angehen, Hörspiele lassen sich auf diese Weise natürlich nicht genießen. Damit stehe ich wieder bei null, denn mein Wechsel zu Spotify speiste sich ja hauptsächlich aus der Hoffnung, endlich wieder ganz normal "Die Drei Fragezeichen" hören zu können. Wohlgemerkt: Das war mir ja nicht mal vergönnt, als ich das kostenpflichtige Angebot von Amazon nutzte. Zahle ich 9,99 € pro Monat (oder 99 € im Jahr) an Spotify, gibt es nicht nur keinerlei Restriktionen, sondern angeblich auch höhere Tonqualität (die Reduktion in der freien Version dürfte nur Audiophilen auffallen) sowie diverse Komfort- und Individualisierungsoptionen. Ob mein simpler Wunsch, ein Gute-Nacht-Hörspiel zu hören, dieses kurz vorm Einsetzen des Schlafes zu pausieren und am nächsten Abend an exakt jener Stelle weiterzulauschen, von Spotify Premium erfüllt würde, kann ich nicht abschätzen. Wer garantiert mir das? Zur Zeit kriege ich öfter das Angebot "3 Monate Premium für € 0,00". Ich denke darüber nach.
PS: Wie wär's alternativ mal mit Radio? Und zwar nicht nur lokales, sondern eine beliebige Station irgendwo auf diesem Planeten? Die Seite "Radio Garden" sollte man unbedingt bookmarken!
Mittwoch, 19. April 2023
Lyle & Leu
Neulich beim Frühstück besah ich mir die Dose des von mir sehr geschätzten Aufstrichs Lyle's Golden Syrup (bekannt aus diesem Blog) genauer und fragte mich, was es mit der Illustration eines liegenden Löwen, über dem Insekten (?) fliegen, auf sich habe.
Tatsächlich ziert dieses Bild das britische Traditionsprodukt, seit dieses 1885 von der Zuckerraffinerie Abram Lyle & Sons auf den Markt gebracht wurde. Lyle & Sons fusionierte 1921 mit dem Konkurrenzunternehmen Henry Tate & Sons zum Lebensmittelverarbeitungsriesen Tate & Lyle, dessen Zuckersparte 2010 an American Sugar Refining verkauft wurde. Der goldene Sirup blieb in seiner liebgewonnenen Form unangetastet und sein Verpackungsdesign bis heute unverändert, wofür es sogar einen Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde gab: als "world's oldest branding".
Ri 14,6 Da kam der Geist des HERRN über Simson und Simson zerriss den Löwen mit bloßen Händen, als würde er ein Böckchen zerreißen. Aber seinem Vater und seiner Mutter teilte er nicht mit, was er getan hatte. 7 Dann ging er hinab und redete mit der Frau und sie war recht in Simsons Augen. 8 Nach einiger Zeit ging er wieder hin, um sie zu heiraten. Dabei bog er vom Weg ab, um nach dem Kadaver des Löwen zu sehen. Und siehe, da war ein Bienenschwarm im Gerippe des Löwen und Honig. 9 Er löste den Honig mit den Händen heraus und aß davon im Weitergehen. Als er zu seinem Vater und zu seiner Mutter kam, gab er ihnen davon und sie aßen ebenfalls. Er sagte ihnen aber nicht, dass er den Honig aus dem Kadaver des Löwen herausgeholt hatte.
Montag, 17. April 2023
Meine zehn zuletzt gesehenen Filme
Die Fabelmans
Als "autobiographisches Märchen" würde ich Steven Spielbergs freie Verfilmung seines eigenen Aufwachsens bezeichnen. Welche Teile der Fantasie entsprungen sind, welche aus dramaturgischen Erwägungen ausgeschmückt oder hinzugefügt wurden, das spielt im Grunde keine Rolle. Jene Parts, die sich tatsächlich so und nicht anders zugetragen haben müssen, erkennt man allerdings auf Anhieb. "The Fabelmans" ist eine Liebeserklärung an das Medium Film und an das Filmemachen. Da Spielberg Letztgenanntes bekanntermaßen perfektioniert hat wie kaum ein anderer Regisseur seiner Generation, vergehen die über zwei Stunden wie im Flug und sorgen für schön anzusehende, im besten Sinne altmodische Unterhaltung.
Doctor Sleeps Erwachen
Von allen Romanen Stephen Kings der letzten zehn Jahre lockt mich die "Shining"-Fortsetzung "Doctor Sleep" am wenigsten. Wie gut, dass man sich den Inhalt seit 2019 auch als Film zu Gemüte führen kann. Das ist meiner Meinung nach jedoch keine Offenbarung: Trotz Ewan McGregor in der Hauptrolle des erwachsenen Danny Torrance und King selbst als Co-Autor von Regisseur Mike Flanagan ("Spuk in Hill House") ist der Horrorthriller, dessen übernatürliche Elemente vordergründiger sind als im Vorgänger, wenig mitreißend. Von ein paar stimmigen Gänsehaut-Sequenzen abgesehen, ziehen sich die zweieinhalb Stunden oft allzu sehr.
Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war
Noch eine Literaturverfilmung, und der seltene Fall eines deutschen Films, den ich im Kino gesehen habe! Ich habe alle fünf bisher erschienenen Bücher von Joachim Meyerhoff mit heller Freude verschlungen und war gespannt, wie sein zweites – über die Kindheit des Autors auf dem Gelände einer psychiatrischen Klinik, deren Leiter sein Vater ist – in Bewegtbildern rüberkommt. Eine Herausforderung von Regisseurin Sonja Heiss und ihrer Crew bestand ja darin, die zahlreichen psychisch Kranken und geistig leicht Behinderten, die als Nebenfiguren auftauchen, mit "echten Irren" (nicht meine Worte) zu besetzen. Das ist gelungen, die Laienschauspieler sind durch die Bank weg zauberhaft und sorgen für eine Authentizität, die jedwede Gefahr des Vorwurfs, sich über das ungewohnte Umfeld lustig zu machen, im Keim erstickt. Situationskomik gibt es dennoch, wie im Roman, an mehreren Stellen. Insgesamt überwiegen aber Tragik und Schwermut. Darauf muss man vorher gefasst sein und sich einlassen.
Zu kritisieren wäre meinerseits allenfalls, dass ein (bedeutender) Abschnitt aus Meyerhoffs erstem "Alle Toten fliegen hoch"-Band, "Amerika", als unnötige Dreingabe angehängt wurde. Das wirkt, als hätte man dem Haupt-Setting nicht zugetraut, die gesamten zwei Stunden zu tragen, und/oder als würde man eh nicht erwarten, dass jemand einen Nachfolger in Form einer vollständigen Umsetzung des Amerika-Stoffes sehen will. Auch der Zeit-Kritik, die "Dialoge klingen zuweilen so hölzern, wie man es aus deutschen Filmen gewohnt ist", mag ich nicht widerspredchen.
Night Train
Seit Jahren hatte ich diesen dezent mysteriösen Thriller auf meiner Amazon-Watchlist, dann war er nicht mehr verfügbar, dann plötzlich wieder da. Zum Glück! Wie ein Hitchcock-Kammerspiel beginnend, wird "Night Train" mit jedem durch den Schnee gerollten Kilometer tarantinoesker und hat zudem ein paar feine Twists in petto. Es spielen u.a. Danny Glover und Steve Zahn; Matthias Schweighöfer in einer Nebenrolle stört nicht über die Maßen.
Ich fragte mich allerdings, ob die hier gezeigte Art von Zug – optisch ein Orient-Express, beladen lediglich mit einem halben Dutzend Passagieren – gegenwärtig (der Film ist von 2009) tatsächlich noch durch die USA fährt.
All Is Lost
Ein Abenteurer oder eine Aussteigerin im Kampf gegen die Natur und sich selbst: Wie viele Streifen mit dieser simplen Prämisse habe ich wohl im Laufe der Jahre rezensiert? Zu den packendsten Vertretern dieses Drama-Subgenres, die ich je sah, zählt ab sofort Robert Redfords One-Man-Survival-Show "All Is Lost". Eine Luxusyacht ist der (Spoiler: immer beengter werdende) Schauplatz, der im Abspann nur "Our Man" genannte Held ist ein stets die Nerven behaltender älterer Seebär, sein unbarmherziger Gegner ist das offene Meer. Aus dieser Konstellation ein abendfüllendes Abenteuer zu machen, gelingt J.C. Chandor (Buch & Regie) bestens. Müßig zu erwähnen, dass hier nur wenig gesprochen wird. Man vermisst Dialoge aber keineswegs.
Stan & Ollie
Dass ich dieses warmherzige wie herzerwärmende Biopic erst mit fünf Jahren Verspätung sah bzw. dass ich es überhaupt gesehen habe, mag vor allem mit meiner in den vergangenen Monaten gewachsenen Obsession mit dem Werk Steve Coogans zusammenhängen. In dieser höchst familientauglichen Dramedy gibt er überzeugend den Laurel an der Seite von John C. Reillys Hardy. Ein famoses Duo in einer famosen britischen (!) Produktion.
God's Country
Eine aus New Orleans stammende College-Professorin (Thandiwe Newton) versetzt es in die karge Wildnis Montanas, wo sie im scheinbar endlosen Winter ein riesiges Grundstück bewohnt, auf dem eines Tages zwei suspekte Hobby-Jäger unberechtigt ihren Pick-up parken. Es kommt zu einer Konfrontation, an deren Ende ... aber das möchte ich nicht verraten. Stattdessen möchte ich hinsichtlich der Kritik Wikipedia zitieren, die ihrerseits "Dennis Harvey von Variety" zitiert, der "schreibt, man könne Julian Higgins’ Spielfilmdebüt als ein Drama mit Thriller-Elementen bezeichnen oder aber als gemäßigten Thriller mit atypischen dramatischen Nuancen betrachten. Auch Elemente des Western weise der Film auf. So übertreffe God’s Country die Erwartungen an einen vorhersehbaren Rachethriller immer wieder, und ebenfalls wie immer sei Thandiwe Newton eine überzeugende Präsenz, die gut ihre Gefühle kommunizieren kann und so das Interesse des Zuschauers an dieser zurückhaltenden, oft schweigsamen Rolle leicht aufrechterhält. Der Film bleibe ästhetisch seinem zurückhaltenden, melancholischen Tenor treu, indem er eine weniger spektakuläre als karge, farblich gedämpfte und wolkenverhangene Landschaft in Montana zeigt." Das unterschreibe ich.
Four Good Days
... hat mich wiederholt an "Beautiful Boy" erinnert, denn auch hier geht es um die auf eine harte Probe gestellte Beziehung zwischen einem schwerst drogenabhängigen jungen Menschen und seinem Elternteil, nur dass es hier nicht Sohn und Vater sind, sondern eine Tochter (Mila Kunis) und deren Mutter (Glenn Close). Die darstellerischen Leistungen sind top, und dass "Four Good Days" auf übertrieben krasse Entzugs-Sequenzen verzichtet, macht ihn für mich, der es mittlerweile eher low-key mag, sehenswerter als so manchen Elendsporno aus dieser Sparte.
Kill Boksoon
Wofür ich inzwischen auch zu alt bin: nicht enden wollende Kampfszenen, Martial Arts, ausufernde Action, Waffengewalt ... Eine beherzte Kürzung von sagen wir 20 Minuten hätte dem dieses Jahr erschienenen südkoreanischen Auftragsmord-Kracher "Kill Boksoon" gutgetan. (Ich habe langsam das Gefühl, diese Einschätzung zu jedem dritten Film geben zu können.) Nichtsdestotrotz: Das, was man sieht, ist beeindruckend choreographiert und wird mit der Kamera gekonnt eingefangen; Genrefans werden auf ihre Kosten kommen. Brutal und rau sind die Fights, sie arten aber nie in unerträgliches Gemetzel aus. Über das Schema F heraus hebt den Actioner der charmante Kniff, dass die titelgebende Killerin eine pubertierende Tochter hat, die nichts von der fragwürdigen Karriere der Mutter ahnt.
Brubaker
Noch einmal Robert Redford: 1980, als dieses Knastdrama auf die Leinwand kam, war er mit 44 fast noch ein Jungspund, aber nach "Die Unbestechlichen" und "Die drei Tage des Condor" freilich längst einer der ganz Großen in Hollywood. Er stemmt das Gewicht seiner Rolle, ohne die Leistungen seiner Co-Stars zu überschatten: Die liefern nämlich größtenteils ordentliche Performances ab, so dass man sich wundert, warum sie (abgesehen von Morgan Freeman) später nie in den vorderen Reihen angekommen sind.
Stuart Rosenberg (der übrigens einer jener Regisseure war, die gelegentlich unter dem Tarnnamen Alan Smithee firmierten) ist zeitloses Kintopp geglückt. (Das Wort musste ich mal wieder gebrauchen, hätte es am liebsten schon auf "Die Fabelmans" oder "Stan & Ollie" angewandt!) So manche Gefängnis- und Systemsprenger-/"Good Samaritan"-Trope – inkl. "Dead Poets Society"-mäßigem Ende – kennt man zwar inzwischen zur Genüge, dennoch wirken etliche Entscheidungen selbst heute erfrischend. Bis beispielsweise Brubakers wahre Rolle als Gefängnisleiter in spe enthüllt wird, hat er kein einziges Wort gesprochen und sich ausschließlich undercover und im Hintergrund ein Bild seiner Anstalt gemacht. Auch deren Struktur bzw. Architektur weicht vom Bild jenes amerikanischen Zweipersonen-Zellen-Bunkers ab, das einem durch zahllose Serien und Filme so vertraut geworden ist: Es ist vielmehr ein kasernenartiges Großraum-Straflager.
Samstag, 15. April 2023
Das gute Samstagsvideo
Donnerstag, 13. April 2023
Absperren und Schlüssel wegwerfen!!!
Dienstag, 11. April 2023
Der "neue" McFadzean (plus Gewinnspiel) (plus Bonus-Empfehlung)
Schon vor einer Weile von mir gelesen und vor einer noch längeren Weile erschienen ist die Comic-Sammlung To Know You're Alive von Dakota McFadzean.
Sie ist mindestens so brillant wie die letzte, bietet wie gewohnt zu gleichen Teilen Komik, Schauer und Melancholie, und der Zeichenstil wirkt noch einmal ausgefeilter und detailfreudiger.
Aufgemerkt! Eine der in diesem Band enthaltenen Storys besitze ich bereits als Einzelausgabe der "Last Mountain"-Reihe. Auch wenn das Colouring etwas anders ist, bin ich bereit, mich von ihr zu trennen, und verschenke sie gerne an eine/n Interessierte/n. Wer am schnellesten Kontakt mit mir aufnimmt, kriegt das Heftchen frei Haus zugesandt.
PS: Äußerst angetan war ich auch von Fun Home, der autobiographischen Graphic Novel von Alison Bechdel (genau, die mit dem Test!). Gerne würde ich Vergleichbares lesen. Was gibt es da? "Almost American Girl" von Robin Ha stand kürzlich auf Kathrin Passigs Goodreads-Liste, auf die man eh regelmäßig einen Blick werfen sollte, und Kate Beatons "Ducks" befindet sich bereits auf meiner Amazon-Wunschliste. Im deutschsprachigen Raum ist natürlich "Bei mir zuhause" von Paulina Stulin der Goldstandard. Für weitere Empfehlungen wäre ich dankbar.
Sonntag, 9. April 2023
Weil ich es mir werther bin
Freitag, 7. April 2023
Kurz notiert: Unterirdische Fehler
Folgendes ist schon eine ganze Weile her, deswegen wirklich nur in aller Kürze. Über die Wandgestaltung des runderneuerten New Yorker Mega-Metro-Bahnhofs Grand Central schrieb die Süddeutsche vor circa einem Monat:
Die Malerin Georgia O'Keeffe ist mit diesem Satz vertreten: "Man kann New York nicht so malen, wie es ist, sondern eher so, wie es sich anfühlt." Jedoch: In ihrem Nachnamen fehlt ein Buchstabe. Sie ist als "Georgia O'Keefe" vertreten. Soweit sich das nachvollziehen lässt, ist dieser Fehler zunächst dem Mediendienst Bloomberg aufgefallen, anschließend stürzte sich die New Yorker Boulevardpresse darauf. Tenor, grob verknappt gesagt: Haha, diese Idioten.
Das ist jedoch noch gar nix im Vergleich zu dem Fauxpas, den man sich in Berlin geleistet hat. In einer "Wortfeldwolke" zum Komplex (Klima-)Forschung an den Wänden der ebenfalls relativ neuen U-Bahnstation Unter den Linden findet sich die scheinbar unscheinbare Buchstabenfolge "Kondenstreifen". Sic! Bei dem nicht sehr häufigen Familiennamen einer Künstlerin danebenzuliegen, ist das eine. Ein gewöhnliches zusammengesetztes Substantiv falsch zu schreiben, das andere. Einen Kommentar des Tenors "Haha, diese Idioten" wird man mir dennoch nicht entlocken.
Mittwoch, 5. April 2023
A noble spirit embiggens the smallest man
Einen Monat ist es noch hin bis zur Krönung des neuen englischen Monarchen, der gar nicht mehr sooo neu im Amt ist. Sogar in Deutschland war er letzte Woche schon auf Staatsbesuch, wo ihm viel Sympathie entgegengebracht wurde und wo man ihn wahlweise "König Charles", "König Karl" oder "King Charles" nennt; die III. lässt man meistens weg, denn man meint selbstverständlich Karl den Dritten, wenn man "König Karl" sagt, so wie man Kleopatra VII. meint, wenn man einfach nur "Kleopatra" sagt.
Mit dem Nachrücken des ewigen Fürsten Charles auf den von seiner Mutter in 70-jähriger Rekordherrschaft gehaltenen Thron ist nun auch Karls erstgeborener Sohn nachgerückt: William ist seit 2022 nicht nur der offizielle Kronprinz (der als König dann Wilhelm V. heißen wird), sondern auch der amtierende Prince of Wales. Wer sich mit dessen Insignien befasst, wird womöglich überrascht sein, einen deutschen Wahlspruch auf der Helmzier zu finden:
"Deutsch anmutend" sollte ich wohl besser schreiben, denn nach einer Gegentheorie zu der, dass hier das Motto Johanns von Böhmen wiederklingt, ist "Ich dien" keltischen Ursprungs: Eduard I. soll dem walisischen Parlament mit den Worten "Eich dyn", was wohl so viel wie "Seht diesen Mann" bedeutet, seinen neugeborenen Sohn präsentiert haben. Die englischsprachige Wikipedia stellt die deutsche Herkunft indes nicht in Frage.
Das ist ein ergiebiges Thema: fremdsprachige Phrasen als Landesmotto, als Wahlspruch eines hohen Hauses oder einer sonstigen altehrwürdigen Institution. Um bei britischen Monarchen zu bleiben: "Dieu et mon droit", französisch für "Gott und mein Recht", wird von denen seit Jahrhunderten verwendet und prangt bis heute auf dem Wappen des Vereinigten Königreichs. Das ist mir übrigens erstmals beim Anschauen der Serie "Justice" aufgefallen. Dass die Devise des Hosenbandordens, "Honi soit qui mal y pense" ("Ein Schelm, wer Böses dabei denkt"), ebenfalls, wenn auch halb verdeckt, auf Karls Wappen zu lesen ist, unterstreicht den subtilen Mutterwitz, der allem im weiteren Sinne Englischen eingeschrieben zu sein scheint.
In Bezug auf die USA denken wir natürlich zuerst an "E pluribus unum" und "Annuit coeptis", aus den Niederlanden kennt man "Luctor et emergo" (Wappen der Provinz Seeland). Und hierzulande? Einen amtlichen Wahlspruch haben wir ohnehin nicht, am nächsten kommt dem Konzept, im Sinne einer identitätsstiftenden Losung, "Einigkeit und Recht und Freiheit". Die Widmung "Dem deutschen Volke" ließe sich noch in den Topf werfen. Als vor ein paar Jahren Andreas Nohls viel beachtete Neuübersetzung von "Gone with the Wind" unter dem Titel "Vom Wind verweht" herauskam, fragte ich mich im Scherz, ob man wohl bald das E aus dem "VOLKE" am Reichstagsgebäude entfernen würde. (Gutes Quizwissen: Die Buchstaben wurden aus eingeschmolzenen Kanonen gefertigt.) Eine ältere Form, wenn nicht gar eine frühere Sprachstufe zu bewahren hat ja durchaus seinen Reiz. Die Republik Indien führt seit 1950 in ihrem Hoheitszeichen den vedischen Satz satyameva jayate, "Allein die Wahrheit obsiegt", Teil eines jahrtausendealten Mantras aus den Upanishaden. Wie ich gerade lernte, hat Tschechien ein bedeutungsgleiches Motto, auf tschechisch ("Pravda vítězí"). Auf dem Holstentor steht "CONCORDIA DOMI FORIS PAX", "Eintracht innen, draußen Friede" (Ah, Schulwissen: ein Chiasmus!). Das Lübecker Wahrzeichen würde ich gerne mal in natura sehen.
Montag, 3. April 2023
Kurz notiert: Neues Trockenobst
Nachdem ich mich vor mehr als einem Jahr darüber gefreut habe, dass dm gefriergetrocknete Erdbeeren in sein Sortiment aufgenommen hatte, durfte ich letzte Woche feststellen, dass sie dort jetzt eine Beerensorte führen, von der ich bis dahin gar nicht gewusst hatte, dass es sie in getrockneter Form gibt: Heidelbeeren.*
Mit 2,95 € für die gleiche Menge sind sie teurer als die Erdbeeren, dafür handelt es sich bei Heidelbeeren aber auch um ein Superfood, wie jeder weiß. Da fällt mir ein: Bei einer Wanderung las ich auf einer Infotafel, die neben einer Heidelbeer-Plantage stand, dass es einen Unterschied zwischen Blau- und Heidelbeeren gebe. Letztere seien kleiner als erstere. Nun ja, es ist etwas komplizierter. Die Trockenheidelbeeren von dm sind jedenfalls klein, durchmessermäßig vergleichbar mit Lorbeeren. Oder Wacholderbeeren, oder Piment? Leider bin ich gerade nicht in der Nähe meiner Gewürzsammlung, sonst könnte ich einen peniblen Größenvergleich anstellen. Sie sind auf alle Fälle süß, also süß im Sinne von "niedlich"; geschmacklich ist ihr Erdbeer-Pendant ein wenig intensiver. Sie haben einen tollen Crunch und werten, siehe Foto, jedes Müsli auf.
Samstag, 1. April 2023
Serientagebuch 03/23
01.03. The Simpsons 34.13
The Simpsons 34.14
02.03. The Big Bang Theory 12.23
The Big Bang Theory 12.24
03.03. Scrubs 4.01
Manifest 4.09
This Time with Alan Partridge 2.01
04.03. The Last of Us 1.06
The Last of Us 1.07
06.03. Family Guy 21.12
Family Guy 21.13
07.03. This Time with Alan Partridge 2.02
Manifest 4.10
South Park 26.03
The Expanse 5.03
08.03. Scrubs 4.02
Gary and His Demons 1.14
Gary and His Demons 1.15
Gary and His Demons 1.16
09.03. Happy Valley 3.01
10.03. Scrubs 4.03
Happy Valley 3.02
The Expanse 5.04
14.03. The Simpsons 34.15
Happy Valley 3.03
15.03. This Time with Alan Partridge 2.03
Family Guy 21.14
Happy Valley 3.04
The Expanse 5.05
16.03. South Park 26.04
The Expanse 5.06
17.03. Scrubs 4.04
Happy Valley 3.05
20.03. Happy Valley 3.06
This Time with Alan Partridge 2.04
The Expanse 5.07
21.03. The Simpsons 34.16
Scrubs 4.05
German Crime Story 1.01
German Crime Story 1.02
23.03. Scrubs 4.06
Scrubs 4.07
28.03. Family Guy 21.15
German Crime Story 1.03
German Crime Story 1.04
29.03. South Park 26.05
30.03. The Simpsons 34.17
The Expanse 5.08
Puh, wie weit liegt es nun schon zurück, dass The Big Bang Theory – nach viel zu langer Laufzeit – beendet wurde? Läuft nicht der Ableger "Young Sheldon" inzwischen schon in seiner fünften Staffel? Dass ich erst im März 2023 die von zwölf (!) Personen geschriebene finale 24. (!) Episode der 12. (!) TBBT-Staffel sah, zeigt, dass die Luft zuletzt wirklich raus war. Wobei eine Qualitätssteigerung im Vergleich zu Season 8ff. durchaus festzustellen war. Freilich nicht im Vergleich zu den Anfangsjahren: Ich weiß noch genau, wie ich in grauer Vorzeit (2007) direkt mit der Pilotfolge angefixt war. Jede Woche musste ich die neuesten 20 Minuten unmittelbar nach der amerikanischen Erstausstrahlung gucken. Diese Sitcom schien wie auf mich zugeschnitten: Cringe-Humor und Wortwitz trafen auf nischige Popkulturwitze und High-brow-Wissenschaftsverweise, zudem konnte ich in jedem der vier Hauptcharaktere markante Eigenschaften von mir selbst entdecken. Ich fühlte mich repräsentiert!
Wie bei jedem Medien-Erzeugnis, das sich überraschendem Erfolg ausgesetzt sieht, waren leider auch hier irgendwann Zugeständnisse an den Massengeschmack zu machen. Unsere sympathischen Loser-Helden mussten "normalisiert" werden, bekamen Hetero-Partnerschaften und Karrieren auf den Leib geschrieben, um ein angepasstes Establishmentleben führen zu können, gähn. Und die Nerd-Anspielungen beschränkten sich irgendwann auf bloßes Erwähnen beliebiger Mainstream-Franchises. HOW IS THIS COMEDY?! Ich sehe auch ein, dass vereinzelte Storylines um Raj und Howard aus der Frühphase heute als (Achtung, Modevokabel) problematisch (Achtung, Modevokabel) gelesen werden können, Stichwort predatory behaviour. Dennoch: Ich genoss die Reise, konnte sogar den zahlreichen, oft arg erzwungen wirkenden Gastauftritten, etwa von Stephen Hawking, etwas abgewinnen, bedanke mich bei Chuck Lorre und seinem Team für all die Lacher und wünsche dem Cast alles Gute auf seinem weiteren Lebensweg. (Während ich dies schreibe, wird Jim Parsons net worth auf 160 Mio. US-$ geschätzt, Kaley Cuocos auf 100 Mio. $, Mayim Bialiks auf 25 Millionen.)
Womit ich dagegen nie warm werden konnte: "Rick and Morty". Die zwei, drei Folgen, die mir von befreundeten Komikkundigen gezeigt wurden, waren mir zu hektisch, zu hyperaktiv. Beide Prädikate treffen auch auf die kanadische Erwachsenen-Animation Gary and His Demons zu, hier stört mich die Schnelligkeit und Überdrehtheit indes nicht, womöglich deshalb, weil eine Episode nach knackigen elf Minuten vorbei ist. Der Titelheld ist ein spirreliger middle-aged man mit Halbglatze, Schnauzbart und Riesenbrille, der nach 30 Jahren im Dienste einer Geister- und Monsterjagd-Agentur verbittert seine Pensionierung herbeisehnt. "Gary and His Demons" ist blutig, geschmacklos, pointiert und albern. Stellenweise fühlt man mit dem zynischen Gary sogar mit, denn mit "his demons" sind nicht nur die leibhaftigen, überweltlichen Dämonen gemeint, denen sich der Schwertschwinger zu stellen hat.
Das kam wie aus dem Nichts! Sieben Jahre nach der zweiten Staffel des britischen Kleinstadt-Polizeidramas Happy Valley startete die BBC am Neujahrstag '23 eine Fortsetzung. Die seitdem vergangene Zeit ist auch in der Serienwelt vergangen, die Figuren sind entsprechend gealtert und gereift, schwelende Konflikte kochen hoch, alte Narben reißen wieder auf; ohne das Recap am Anfang hätte ich der Handlung kaum folgen können. Bedauerlicherweise sind die sechs neuen Einstünder nicht ganz so packend wie die ersten zwei Staffeln, mitunter erweisen sie sich sogar als etwas zäh. Sarah Lancashire ist wie immer eine schauspielerische Urgewalt.
Manifest: eine weitere Serie, die von Netflix gerettet, i.e. nach der Absetzung durch NBC verlängert wurde – zum Glück! Ich wäre enttäuscht gewesen, wenn ich drei Staffeln lang in eine Show mit offenen Ende investiert hätte. Nun kann's aber auch echt mal auf eine Auflösung zusteuern. Ehrlicherweise muss man konstatieren, dass "Manifest" inszenatorisch mitunter Seifenoper-Niveau erreicht und die Darsteller/-innen offensichtlich zuerst nach Attraktivität und erst sekundär nach Talent engagiert wurden. Sympathisch sind sie mir trotzdem. Ulkig fand ich die Holterdiepolter-Erklärung für die Neubesetzung einer Figur, deren Schauspieler seinen Vertrag nicht verlängern wollte.
Der Wechsel zum Streamingdienst macht sich übrigens nur dadurch bemerkbar, dass gelegentlich jemand "shit" sagt.