Montag, 17. April 2023

Meine zehn zuletzt gesehenen Filme

Die Fabelmans
Als "autobiographisches Märchen" würde ich Steven Spielbergs freie Verfilmung seines eigenen Aufwachsens bezeichnen. Welche Teile der Fantasie entsprungen sind, welche aus dramaturgischen Erwägungen ausgeschmückt oder hinzugefügt wurden, das spielt im Grunde keine Rolle. Jene Parts, die sich tatsächlich so und nicht anders zugetragen haben müssen, erkennt man allerdings auf Anhieb. "The Fabelmans" ist eine Liebeserklärung an das Medium Film und an das Filmemachen. Da Spielberg Letztgenanntes bekanntermaßen perfektioniert hat wie kaum ein anderer Regisseur seiner Generation, vergehen die über zwei Stunden wie im Flug und sorgen für schön anzusehende, im besten Sinne altmodische Unterhaltung.

Doctor Sleeps Erwachen
Von allen Romanen Stephen Kings der letzten zehn Jahre lockt mich die "Shining"-Fortsetzung "Doctor Sleep" am wenigsten. Wie gut, dass man sich den Inhalt seit 2019 auch als Film zu Gemüte führen kann. Das ist meiner Meinung nach jedoch keine Offenbarung: Trotz Ewan McGregor in der Hauptrolle des erwachsenen Danny Torrance und King selbst als Co-Autor von Regisseur Mike Flanagan ("Spuk in Hill House") ist der Horrorthriller, dessen übernatürliche Elemente vordergründiger sind als im Vorgänger, wenig mitreißend. Von ein paar stimmigen Gänsehaut-Sequenzen abgesehen, ziehen sich die zweieinhalb Stunden oft allzu sehr.

Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war
Noch eine Literaturverfilmung, und der seltene Fall eines deutschen Films, den ich im Kino gesehen habe! Ich habe alle fünf bisher erschienenen Bücher von Joachim Meyerhoff mit heller Freude verschlungen und war gespannt, wie sein zweites – über die Kindheit des Autors auf dem Gelände einer psychiatrischen Klinik, deren Leiter sein Vater ist – in Bewegtbildern rüberkommt. Eine Herausforderung von Regisseurin Sonja Heiss und ihrer Crew bestand ja darin, die zahlreichen psychisch Kranken und geistig leicht Behinderten, die als Nebenfiguren auftauchen, mit "echten Irren" (nicht meine Worte) zu besetzen. Das ist gelungen, die Laienschauspieler sind durch die Bank weg zauberhaft und sorgen für eine Authentizität, die jedwede Gefahr des Vorwurfs, sich über das ungewohnte Umfeld lustig zu machen, im Keim erstickt. Situationskomik gibt es dennoch, wie im Roman, an mehreren Stellen. Insgesamt überwiegen aber Tragik und Schwermut. Darauf muss man vorher gefasst sein und sich einlassen.
Zu kritisieren wäre meinerseits allenfalls, dass ein (bedeutender) Abschnitt aus Meyerhoffs erstem "Alle Toten fliegen hoch"-Band, "Amerika", als unnötige Dreingabe angehängt wurde. Das wirkt, als hätte man dem Haupt-Setting nicht zugetraut, die gesamten zwei Stunden zu tragen, und/oder als würde man eh nicht erwarten, dass jemand einen Nachfolger in Form einer vollständigen Umsetzung des Amerika-Stoffes sehen will. Auch der Zeit-Kritik, die "Dialoge klingen zuweilen so hölzern, wie man es aus deutschen Filmen gewohnt ist", mag ich nicht widerspredchen.

Night Train
Seit Jahren hatte ich diesen dezent mysteriösen Thriller auf meiner Amazon-Watchlist, dann war er nicht mehr verfügbar, dann plötzlich wieder da. Zum Glück! Wie ein Hitchcock-Kammerspiel beginnend, wird "Night Train" mit jedem durch den Schnee gerollten Kilometer tarantinoesker und hat zudem ein paar feine Twists in petto. Es spielen u.a. Danny Glover und Steve Zahn; Matthias Schweighöfer in einer Nebenrolle stört nicht über die Maßen.
Ich fragte mich allerdings, ob die hier gezeigte Art von Zug – optisch ein Orient-Express, beladen lediglich mit einem halben Dutzend Passagieren – gegenwärtig (der Film ist von 2009) tatsächlich noch durch die USA fährt.

All Is Lost
Ein Abenteurer oder eine Aussteigerin im Kampf gegen die Natur und sich selbst: Wie viele Streifen mit dieser simplen Prämisse habe ich wohl im Laufe der Jahre rezensiert? Zu den packendsten Vertretern dieses Drama-Subgenres, die ich je sah, zählt ab sofort Robert Redfords One-Man-Survival-Show "All Is Lost". Eine Luxusyacht ist der (Spoiler: immer beengter werdende) Schauplatz, der im Abspann nur "Our Man" genannte Held ist ein stets die Nerven behaltender älterer Seebär, sein unbarmherziger Gegner ist das offene Meer. Aus dieser Konstellation ein abendfüllendes Abenteuer zu machen, gelingt J.C. Chandor (Buch & Regie) bestens. Müßig zu erwähnen, dass hier nur wenig gesprochen wird. Man vermisst Dialoge aber keineswegs.

Stan & Ollie
Dass ich dieses warmherzige wie herzerwärmende Biopic erst mit fünf Jahren Verspätung sah bzw. dass ich es überhaupt gesehen habe, mag vor allem mit meiner in den vergangenen Monaten gewachsenen Obsession mit dem Werk Steve Coogans zusammenhängen. In dieser höchst familientauglichen Dramedy gibt er überzeugend den Laurel an der Seite von John C. Reillys Hardy. Ein famoses Duo in einer famosen britischen (!) Produktion.

God's Country
Eine aus New Orleans stammende College-Professorin (Thandiwe Newton) versetzt es in die karge Wildnis Montanas, wo sie im scheinbar endlosen Winter ein riesiges Grundstück bewohnt, auf dem eines Tages zwei suspekte Hobby-Jäger unberechtigt ihren Pick-up parken. Es kommt zu einer Konfrontation, an deren Ende ... aber das möchte ich nicht verraten. Stattdessen möchte ich hinsichtlich der Kritik Wikipedia zitieren, die ihrerseits "Dennis Harvey von Variety" zitiert, der "schreibt, man könne Julian Higgins’ Spielfilmdebüt als ein Drama mit Thriller-Elementen bezeichnen oder aber als gemäßigten Thriller mit atypischen dramatischen Nuancen betrachten. Auch Elemente des Western weise der Film auf. So übertreffe God’s Country die Erwartungen an einen vorhersehbaren Rachethriller immer wieder, und ebenfalls wie immer sei Thandiwe Newton eine überzeugende Präsenz, die gut ihre Gefühle kommunizieren kann und so das Interesse des Zuschauers an dieser zurückhaltenden, oft schweigsamen Rolle leicht aufrechterhält. Der Film bleibe ästhetisch seinem zurückhaltenden, melancholischen Tenor treu, indem er eine weniger spektakuläre als karge, farblich gedämpfte und wolkenverhangene Landschaft in Montana zeigt." Das unterschreibe ich.

Four Good Days
... hat mich wiederholt an "Beautiful Boy" erinnert, denn auch hier geht es um die auf eine harte Probe gestellte Beziehung zwischen einem schwerst drogenabhängigen jungen Menschen und seinem Elternteil, nur dass es hier nicht Sohn und Vater sind, sondern eine Tochter (Mila Kunis) und deren Mutter (Glenn Close). Die darstellerischen Leistungen sind top, und dass "Four Good Days" auf übertrieben krasse Entzugs-Sequenzen verzichtet, macht ihn für mich, der es mittlerweile eher low-key mag, sehenswerter als so manchen Elendsporno aus dieser Sparte.

Kill Boksoon
Wofür ich inzwischen auch zu alt bin: nicht enden wollende Kampfszenen, Martial Arts, ausufernde Action, Waffengewalt ... Eine beherzte Kürzung von sagen wir 20 Minuten hätte dem dieses Jahr erschienenen südkoreanischen Auftragsmord-Kracher "Kill Boksoon" gutgetan. (Ich habe langsam das Gefühl, diese Einschätzung zu jedem dritten Film geben zu können.) Nichtsdestotrotz: Das, was man sieht, ist beeindruckend choreographiert und wird mit der Kamera gekonnt eingefangen; Genrefans werden auf ihre Kosten kommen. Brutal und rau sind die Fights, sie arten aber nie in unerträgliches Gemetzel aus. Über das Schema F heraus hebt den Actioner der charmante Kniff, dass die titelgebende Killerin eine pubertierende Tochter hat, die nichts von der fragwürdigen Karriere der Mutter ahnt.

Brubaker
Noch einmal Robert Redford: 1980, als dieses Knastdrama auf die Leinwand kam, war er mit 44 fast noch ein Jungspund, aber nach "Die Unbestechlichen" und "Die drei Tage des Condor" freilich längst einer der ganz Großen in Hollywood. Er stemmt das Gewicht seiner Rolle, ohne die Leistungen seiner Co-Stars zu überschatten: Die liefern nämlich größtenteils ordentliche Performances ab, so dass man sich wundert, warum sie (abgesehen von Morgan Freeman) später nie in den vorderen Reihen angekommen sind.
Stuart Rosenberg (der übrigens einer jener Regisseure war, die gelegentlich unter dem Tarnnamen Alan Smithee firmierten) ist zeitloses Kintopp geglückt. (Das Wort musste ich mal wieder gebrauchen, hätte es am liebsten schon auf "Die Fabelmans" oder "Stan & Ollie" angewandt!) So manche Gefängnis- und Systemsprenger-/"Good Samaritan"-Trope – inkl. "Dead Poets Society"-mäßigem Ende – kennt man zwar inzwischen zur Genüge, dennoch wirken etliche Entscheidungen selbst heute erfrischend. Bis beispielsweise Brubakers wahre Rolle als Gefängnisleiter in spe enthüllt wird, hat er kein einziges Wort gesprochen und sich ausschließlich undercover und im Hintergrund ein Bild seiner Anstalt gemacht. Auch deren Struktur bzw. Architektur weicht vom Bild jenes amerikanischen Zweipersonen-Zellen-Bunkers ab, das einem durch zahllose Serien und Filme so vertraut geworden ist: Es ist vielmehr ein kasernenartiges Großraum-Straflager.

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