Montag, 22. Mai 2023

UNregierbar

Neulich stellte ich mir die Frage, ob es auf der Erde Territorien gibt, die keinem Land zugeordnet werden können, sondern vollständig den Vereinten Nationen unterstellt sind. Damit meine ich nicht Treuhandgebiete als Nachfolger von vormaligen Mandats- oder Schutzmachtzonen, sondern tatsächliche "UN-Staatsgebiete", in deren Grenzen sozusagen eine inter- oder supranationale Staatsbürgerschaft gilt.

Die Antwort auf diese Frage lautet tendenziell nein, wobei sich die Sache erwartungsgemäß komplizierter darstellt, zumindest mir, der ich leider kein Völkerrechtler bin. Natürlich sind mir die drei Staatsmerkmale (Staatsgebiet, Staatsvolk, Staatsgewalt) bekannt, aber mal ganz praktisch und trivial gefragt: Können die UN beispielsweise Pässe ausstellen? Jein. Tatsächlich geben die Vereinten Nationen eine Art Reisedokument aus, das United Nations laissez-passer (UNLP), allerdings ausschließlich an Angestellte der UN inkl. der IAO sowie von internationalen Organisationen wie der Weltgesundheitsorganisation, der Welthandelsorganisation oder der Weltbank. Das LP ist mithin ein diplomatischer Ausweis, den man zusätzlich zu seinem nationalen Reisepass führt. Soweit ich sehe, kann kein Mensch ausschließlich einen "UN-Pass" besitzen. Und das ist auch schon der springende Punkt.

Es existieren, Stand 2023, zwei Gebiete, die meiner in der Ausgangsfrage formulierten Vorstellung nahekommen und bei Wikipedia tatsächlich als "territories governed by the United Nations" geführt werden:
- die Golanhöhen, seit 1974 der United Nations Disengagement Observer Force (UNDOF) unterstellt, und
- die Pufferzone auf Zypern, seit ebenfalls 1974 kontrolliert von der United Nations Peacekeeping Force in Cyprus (UNFICYP).
Diese Territorien nennt man nach den dort eingesetzten Kräften auf englisch auch UNDOF Zone on the Golan Heights resp. United Nations Buffer Zone in Cyprus (UNBZC).

Zwei traditionelle "Pulverfässer" also. In beiden Gebieten lebt auch Zivilbevölkerung. Diese hat jedoch nicht eine (alleinige) "UN-Staatsbürgerschaft", sondern setzt sich zusammen aus israelischen bzw. syrischen Staatsangehörigen hier und türkischen bzw. griechischen bzw. zyprischen Staatsangehörigen da. Die jeweilige prozentuale Verteilung konnte ich auf die Schnelle nicht recherchieren. Für die Pufferzone auf Zypern gibt die Webseite der UNFICYP eine Gesamtbevölkerung von 10.000 Menschen an, nicht mitgerechnet sind dabei die britischen Sovereign Base Areas; nicht dazu gehört auch die Geisterstadt Varosha. Beispielhaft für die wenigen vollständig im blauen Gürtel (der eigentlich Grüne Linie heißt) liegenden Ortschaften sei das Dorf Pyla/Pile genannt.

CC BY-SA 3.0

Wie verhält es sich nun mit den Angehörigen der Friedenstruppen? Wie schon erwähnt, sind das keine "reinen" UN-Bürger, sondern ein bunt gemischter Haufen. Die UN-Charta spricht im Abschnitt "Erklärung über Hoheitsgebiete ohne Selbstregierung" (Kapitel XI) denn auch explizit von "Mitglieder[n] der Vereinten Nationen, welche die Verantwortung für die Verwaltung von Hoheitsgebieten haben oder übernehmen, deren Völker noch nicht die volle Selbstregierung erreicht haben" (Artikel 73). Um beim Fall Zypern zu bleiben: Die derzeitige Kommandeurin ist Generalmajor Ingrid Margrethe Gjerde, eine Norwegerin, und der Sonderbeauftragte des Generalsekretärs ist der Kanadier Colin William Stewart. Um die vier Sektoren der Pufferzone kümmern sich Kontingente aus Argentinien (Sektor 1), Großbritannien (2) und der Slovakei (4), für den inzwischen in die Sektoren 2 und 4 aufgegangen Sektor 3 war Kanada zuständig. In der UNDOF-Zone stellt Nepal mit 435 Soldaten den Löwenanteil, daneben beteiligen sich mit Kontingenten von 1 bis 219 Mann (Daten von 10/2021): die Niederlande, Ghana, Tschechien, Bhutan, Irland, Fidschi, Uruguay und Indien.

Nicht auszuschließen ist, dass in den genannten Krisenherden auch Personen ohne Staatszugehörigkeit leben, aber Staatenlosigkeit ist noch mal ein ganz anderes Paar Schuhe, zu dem der Hohe Flüchtlingskommissar der VN ein lesenswertes FAQ herausgegeben hat.

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