Mittwoch, 30. August 2023

TITANIC vor zehn Jahren: 9/2013

Ich könnte mir vorstellen, dass etliche am Zeitgeschehen weniger Interessierte mit dieser Retusche eines ikonischen Pressefotos heute kaum noch etwas anfangen können:


Ihnen sei versichert: Der arme Gustl Mollath mit seiner traurigen Zimmerpflanze wanderte damals von Zeitung zu Zeitung, eine Verballhornung mit der Allzweck-Witzblaupause Merkel war mithin unvermeidbar. Die Idee zu diesem Cover hatte übrigens David Schuh eingesandt; der darf das!

Auch im Heftinnern ging es um die Kanzlerin. An eine Ablösung durch SPD-Konkurrent Steinbrück glaubte im Bundestagswahlkampfendspurt freilich niemand mehr. Die Motivation für einen Merkel-Aufmacher war denn auch nicht "Das könnte die letzte Chance für einen Fotoroman mit Merkel sein!", sondern: "Jetzt erst recht!" Um die Koalitionsträume der Regierungschefin ging es folgerichtig in der vier Seiten fassenden Fotostory von Fischer/Ziegelwagner mit dem Titel "Dreams of a Coalition". Wie wir wissen, kam es dann ja zur Großen Koalition mit der SPD, in Merkels Hirn wurden allerdings auch Partnerschaften mit beispielsweise der Linken durchgespielt.


Interessanterweise taucht in diesem Artikel zum ersten Mal in der Heftgeschichte (soweit ich sehe) der Name der Partei AfD auf.

Zeit für Selbstkritik! Der Beitrag "A Day in the Fleisch", in dem es darum geht, wo im Alltag uns überall tierische Produkte begegnen (Anlass war die Anregung der Grünen, wenigstens einen fleischfreien Tag pro Woche, z.B. in Werkskantinen, durchzusetzen), ist einer meiner schlechtesten und symptomatisch für die leider in Zukunft immer wieder sichtbar werdenden Ermüdungserscheinungen meinerseits. Einseiter wie diesen, mit pflichtgemäßem Abspulen vorhersehbarer Pointen, mit Wortspielen, Tierwitzen, erzwungenen non sequiturs und anderen Gaitzsch-Trademarks, habe ich im Laufe meiner Titanic-Zeit allzu oft abgeliefert. Hervorhebenswert ist immerhin, dass ich diesen Artikel eigenhändig illustriert habe.


Direkt rechts neben diesem Tiefpunkt (S. 23) beginnt ein weiterer Tiefpunkt, der sogar mit "Tiefpunktbeilage" überschrieben ist: das fünf(!)seitige Spezial "Schöner scheißen". Die Idee dafür hatte seit Monaten herumgelegen, immer wieder kam sie bei Inhaltskonferenzen auf, jedes Mal legte ich mein Veto gegen ihre Realisierung ein. Vergeblich. Irgendetwas zu diesem Sammelartikel habe ich am Ende sogar selbst beigetragen; ich habe vergessen, was, und möchte es auch nicht nachschlagen.


Nicht schämen muss ich mich hingegen für die Strecke "Noch mehr Terror gegen die Bundeswehr" (S. 47-49), die ich mit Leo Fischer verfasst habe und die eine oft und mit viel Anklang bei Lesungen vorgetragene Nummer werden sollte (wobei wir später einzelne Parts wegen "zu hart" wegließen). "Attacken auf die Bundeswehr sind mittlerweile trauriger Alltag [...]. Ende Juli zündeten Chaos-Linke in Sachsen-Anhalt 16 Bundeswehrlaster an! Hunderte Bierfässer platzten, die Durstlöscharbeiten dauern bis heute an. Und wer zahlt es am Ende? Mal wieder die überführten und verurteilten Links-Chaoten (sog. Schadensersatz)!"


Hübscher Gag im "Fachmann":


Diese Ausgabe von "Vom Fachmann für Kenner" enthält auch einen meiner Lieblings-Cartoons von Piero Masztalerz, wie das Heft auch absolute Klassiker von H. Richert ("Was heutzutage alles als Rocken durchgeht") und dem nun immer regelmäßiger gefeatureten L. Riegel beinhaltet:

(obere Hälfte abgeschnitten; wer den Cartoon noch nicht kennt, soll sich bitte einen von Leos Sammelbänden kaufen oder halt gleich die hier besprochene Ausgabe bestellen)

Als viertelseitigen Wegwerf-Gag in den "Briefen" findet sich auf S. 11 eine Parodie auf Focus-, Stern- und Co.-Reihen à la "Die miesen Tricks der Zahnärzte/Vermögensberater/Reisebüros". Später, ich glaube, erst Jahre später, wurde dieser Ansatz dann tatsächlich in einem vollständigen Artikel durchgespielt. Den wiederzulesen kann ich kaum erwarten.

Weiteres Notierenswertes
- Auf S. 40f. sehen wir die meiner Erinnerung nach letzte Folge von "Der unglaubliche Ulk". Danach hat man nie wieder etwas von Pierre Steinbach gehört.
- Für die Geschichtsbücher: "Bastian Langbehn ist der erste frei gewählte Abgeordnete der PARTEI" und wurde in jenem Monat von Leo Fischer besucht und porträtiert (S.36ff.). Ich glaube, ich bin dem guten Bastian nur ein einziges Mal begegnet, gewann dabei aber einen angenehmen Eindruck von dem Burschen.
- S. 66, "Der letzte Mensch" mit Franz Münteferings "mobilem Kritik-Service" (Münte hatte sich kurz zuvor die eigene Partei zur Brust genommen), u.a. zum israelischen Siedlungsbau: "Häuserbauen geht gar nicht. Hab selber eins gebaut, nur Scherereien. Handwerkerzoff, Fenster vergessen, Pferde im Flur. Das müssen sich auch die Palästinenser nicht gefallen lassen. Wenn mir jüdische Handwerker eine Synagoge mitten ins Badezimmer kacheln, würde ich auch zur Uno gehen. Aber erst mal Raketen drauf!" Oder über "Mutter Müntefering": "Meine Mutter ist zwar schon tot, trotzdem lege ich noch immer jede Woche einen Sack mit Schmutzwäsche auf ihr Grab. Leider fehlt in letzter Zeit die Bereitschaft zur Solidarität mit mir, die Bereitschaft zur Zukunftsfähigkeit für diesen Waschservice."
Schade, dass diese Rubrik in absehbarer Zeit ausläuft!  
- Soeben (August 2023) ist die Fußball-Weltmeisterschaft der Frauen zu Ende gegangen. Und just vor zehn Jahren hieß es in den "Briefen an die Leser":

Das EM-Endspiel, deutsche Fußball-Frauen,
hat es wieder einmal gezeigt: Nicht nur könnt Ihr, im Gegensatz zu den Herren, die entscheidenden Spiele auch gewinnen. Die während der Live-Übertragung des Finales eingeblendete Programmänderung »›Mein Kind will sterben‹ entfällt« hat außerdem bewiesen, daß Ihr auch die Doppelbelastung als Mütter und Knipser ohne Probleme bewältigt.
Chapeau!
Titanic

Schlussgedanke
Eine mediokre bis unterwältigende Ausgabe. Dafür wird das Oktoberheft sensationell gut. Ich freue mich schon drauf, es mir bald wieder zur Hand zu nehmen!

Montag, 28. August 2023

Geheimtipp Sommerkürbis

Ich habe gestern ein Rezept von Yotam Ottolenghi aus dessen Focus-Reihe nachgemacht. An Ottolenghi-Rezepte hatte ich mich bisher selten rangetraut, weil sie oft waghalsige Arbeitsschritte und/oder schwer erhältliche Zutaten erfordern, aber das hier erschien mir simpel genug. Star dieses Gerichts, bei dessen Zubereitung übrigens nichts gekocht werden muss, ist die Zucchini. Ich bin gar kein Zucchini-Fan, doch umflirrt von sommerlichem Aroma-Allerlei macht sie unbestreitbar was her.

Man zerschneide 2 Zucchini in dünne Scheiben und 1 gelbe Paprika in 6 bis 8 Streifen (das Weiße abtrennen). Man belege ein Backblech vollständig mit Backpapier und verteile das Gemüse darauf. 1 EL Olivenöl und 1/4 TL Salz druntermischen. Circa 20 Minuten im Ofen schmoren lassen; die Paprikascheiben sollten schön weich sein und dürfen ruhig ein wenig angeröstet (O-Ton: "leicht verkohlt") sein. Dann alles in eine Schüssel füllen.

Jetzt in einem Schälchen 1 Frühlingszwiebel in dünnen Ringen, 1 Knoblauchzehe (geschält und zerdrückt), 1 TL Grenadine-Sirup, 2 TL Apfelessig und 1/2 TL Zucker vermengen. Ein bisschen durchziehen lassen, nochmals rühren, dann 1 TL Harissa hinzugeben. (Im Originalrezept steht "Rosenharissa". Das habe ich nicht bekommen. Ich nehme an, das ist etwas weniger scharf, denn davon soll man 1 Esslöffel nehmen. Optional kann in diesem Fall 1 rote Chilischote, entkernt und in Scheibchen, zu der Mischung gegeben werden.) Schließlich 2 EL Olivenöl in die Mixtur schütten und alles gut verrühren.

Auf einem großen Pizzateller verteilt man nun 150 g griechischen Joghurt (mit einem guten halben TL gesalzen). Das inzwischen lauwarme Gemüse vermengt man mit 2 EL gehacktem Dill (z.B. aus dem Tiefkühlpäckchen) sowie 1 EL gehackter Petersilie (gerne auch TK) und verteile es auf dem Joghurt. Zuoberst kommt dann die Harissa-Frühlingszwiebel-Masse. Das farbenfrohe Ergebnis wird in die Mitte des Tisches gestellt und macht 2 Personen satt. Als Beilage empfiehlt sich frisch gebackenes Fladenbrot. Wenn man am Ende ein Stück Brot in das Zusammenspiel von Joghurt, Dill und schärflicher roter Soße ditscht, ist das ein wahres Fest!

Samstag, 26. August 2023

Wir begrüßen die neuen Schwellenländer!

Die BRICS-Gruppe hat beschlossen, zum Jahresbeginn 2024 sechs weitere Staaten aufzunehmen. Das ging diese Woche nach dem Gipfeltreffen in Johannesburg durch die Medien. Ich erinnere mich noch daran, wie das ursprüngliche "BRIC" zu "BRICS" wurde, als Südafrika dazukam, und dachte: 'Na, das ist doch eine geschickte Erweiterung des Akronyms.' Ab nächstem Jahr soll die Vereinigung allerdings "BRICS plus" heißen. Schade. Man hätte, finde ich, auch die (englischen) Anfangsbuchstaben der Neumitglieder inkorporieren sollen: A für Argentinien, E für Ägypten, E für Äthiopien, I für den Iran, S für Saudi-Arabien und U für die Vereinigten Arabischen Emirate. Aus diesen elf Buchstaben ließen sich etliche sprechbare Abkürzungen bilden. Ein von mir willkürlich gewählter Anagramm-Generator schlägt u.a. vor:

- BASIECRUISE
- ICE AIRBUSES
- BEAU CRISSIE
- ASCII-EREBUS*
- BICAUSERIES
- SIBERIACUES

und mein Favorit, am besten mit Komma und Ausrufezeichen:

- BECAUSE, IRIS!

* Wie sprecht ihr eigentlich "ASCII" aus? Ich so: "Aas-kii".

Donnerstag, 24. August 2023

Der Siegeszug der Luftklingen

Am 9.2.2012 veröffentlichte ich auf meinem alten Blog diesen kurzen Beitrag mit der Überschrift "Wider die elenden Handtrockner":

Die Meinung, dass Heißluft-Handtrockner des Teufels sind, verfechte ich schon lange. Jetzt habe ich einen längeren Zeitungsartikel zum Thema Händetrocknen gelesen, und darin kamen die Geräte nicht besser weg als der klassische Papiertuchspender. Was dieser nämlich an Müll verursacht, gleichen die Warmluftbläser mit ihrem hohen Energieverbrauch locker aus. Genaue Zahlen liegen leider nicht vor, weil solche Studien oft von Unternehmen gesponsert werden und daher dem Verdacht unterliegen, biased zu sein. Hygieneexperten empfehlen jedenfalls Tücher, weil beim mechanischen Abtrocknen noch Restschmutz entfernt wird. Die elektronischen Lufttrockner sind dagegen echte Keimschleudern bzw. -wirbel. Und wie lange es dauert, bis der Sensor reagiert! Und dann gehen sie oft nach kurzer Zeit wieder aus, so dass man erneut wie ein Irrer davor herumfuchtelt!

Das dollste neue Ding ist allerdings der Dyson Airblade, ein Kasten, in den man links und rechts seine Hände einführt*, die dann von "Luftklingen" getrocknet werden: Das Wasser wird von Druckluft weggedroschen! Die Teile sind extrem laut, allerdings soll es auch nur 10 Sekunden dauern, bis die Hände trocken sind. Bei den alten Gebläsen braucht man 60 Sekunden, und wirklich leise sind die auch nicht gerade.

* Nachtrag 2023: Das hatte ich mir wohl falsch gemerkt. Selbstverständlich führt man die Hände von oben ein. 

Elfeinhalb Jahre später hat sich der Airblade flächendeckend durchgesetzt. Er ist sicher noch nicht die am häufigsten anzutreffende Handtrocknungslösung in öffentlichen Bedürfnisanstalten (ich müsste mal eine private Erhebung durchführen), aber er ist inzwischen ein vertrautes Bild. Dabei erinnere ich mich daran, dass es vor einiger Zeit einen Backlash gab, als nämlich Bedenken hinsichtlich der Hygiene laut wurden. Google sagt: Das Jahr 2016 war es, in welchem mehrere Artikel desselben Tenors erschienen. "Angeblich filtere der Händetrockner 99,9 Prozent aller Bakterien aus der Luft heraus, die er mit großem Druck ausstößt. Doch eine neue Studie der University of Westminster scheint das genaue Gegenteil zu belegen: Bei sogenannten Jet-Händetrocknern wie dem Dyson Airblade handelt es sich offenbar um wahre Bakterienschleudern." (Yahoo Nachrichten, 18.4.2016) Die Rheinische Post wusste am 14.4. zu vermelden: "Das [Trocknen mit Düsenhandtrocknern] geht zwar besonders schnell, ist aber nicht immer besonders gesund. Denn nicht nur die Feuchtigkeit wird von den Händen gepustet, sondern auch Bakterien in den Raum. Das zeigt eine aktuelle Studie, die im 'Journal of Microbiology' veröffentlicht wurde. Insbesondere ein Gerät fiel den Wissenschaftlern dabei auf: der Dyson Airblade. Der Handtrockner versprühte im Test 60-mal mehr Bakterien als herkömmliche Geräte — und bis zu 1300-mal mehr Keime, als bei der Nutzung von Papiertüchern durch die Luft gewirbelt werden."

Tja, derartige Erkenntnisse haben dem Siegeszug der Luftklingen nichts anhaben können, und das trotz einer zwischenzeitlichen Pandemie, wo die Gesellschaft auf die Vermeidung von Krankheitserreger-Aufwirbelungen besonders erpicht war bzw. hätte sein sollen. Ich hand(!)habe es so: Wo immer es die Wahl zwischen Airblade und Papiertuchspender gibt, entscheide ich mich für Letzteren. Der hat nämlich noch einen Vorteil gegenüber allen föhnartigen Geräten, den ich damals gar nicht angeführt hatte: Mit Papier kann man sich auch den Mund oder das ganze Gesicht abtrocknen, wenn man sich, etwa in einem Restaurant, das Schnütchen waschen oder sich die Wangen erfrischen möchte. Unter einen Heißlufttrockner hält man seinen Kopf gewiss nicht, und in einen Dyson Airblade passt er gar nicht erst rein, so dass man im Zweifel eine Weile mit klatschnasser Visage rumlaufen muss, nachdem man diese aus welchen Gründen auch immer benetzt hat.

Dienstag, 22. August 2023

Künstliche Köche verderben den Brei

Ich sehe einer Zukunft, in der KI eine immer größere Rolle spielt, inzwischen gelassener entgegen als noch vor einem halben Jahr. Vor einem Jahr hätte ich vielleicht noch "einer von KI dominierten Zukunft" geschrieben. Seien wir ehrlich: Gerade jene Branchen, deren feindliche Übernahme durch ChatGPT & Co. am vehementesten behauptet wird, scheinen mir derzeit auffallend ungefährdet zu sein. Wie ich in der Vergangenheit mehrfach gezeigt habe, ist das Erzeugen von Gebrauchstexten zwar simpel wie nie, die Ergebnisse sind aber, gerade im journalistischen Bereich, oft von bescheidener Qualität. Klar kannst du in Windeseile mit ein paar Prompts einen Blogbeitrag erstellen, der es von der Entropie her mit einem durchschnittlichen Wikipedia-Artikel aufnehmen kann, stilistisch wird er aber selten über das Niveau eines solchen hinausgehen, davon abgesehen, dass am Ende immer noch faktische Fehler und Unstimmigkeiten enthalten sein werden. Kurzer Besuch der Reiseseite, die ich hier schon einmal hinsichtlich groben Chatbot-Einsatzes begutachtet habe:

Die besten Discos/Clubs der Welt
Es gibt keine eindeutige Liste der 20 besten Discos der Welt, da dies stark von persönlichen Vorlieben und aktuellen Trends abhängt. Es gibt jedoch einige bekannte und beliebte Discos weltweit, wie zum Beispiel das

  •   Europa:Berghain in Berlin, das Pacha in Ibiza, das Fabric in London
  •   Asien das Zouk in Singapur

[...]
Es gibt auch viele andere großartige Discos auf der ganzen Welt, die je nach Musikstil und Atmosphäre unterschiedliche Erfahrungen bieten. Es ist wichtig zu beachten, dass sich die Clubszene in Asien ständig weiterentwickelt und neue Discos eröffnen können,

Peinlich. Wenn fürderhin jemand orakelt, semi-professionelle und leidenschaftliche Reiseblogger könnten ihr Hobby demnächst an den Nagel hängen, weil neue, mit Hilfe von Sprachmodellen generierte Angebote ihnen die Reichweite wegnehmen, dann lache ich mir 'nen Ast.

Kaum bedroht sehe ich auch die Arbeit von Kochbuch-Autor(inn)en. Ich beanstande im Folgenden nicht die Möglichkeit an sich, Gerichte von Künstlicher Intelligenz "erfinden" zu lassen. Die Verbandelung von Kulinarik und moderner Informatik kann ein witziges Experiment sein. Ich beziehe mich explizit auf Rezeptsammlungen: Jeder, der seine sieben Zwetschgen beisammen hat, wird ein klassisches, mit Herzblut kompiliertes und mit Könne designtes Kochbuch jenem Schmarrn vorziehen, den beispielsweise das in Dänemark ansässige Unternehmen Magic Media zum Preis von 5,95 $ (!) pro PDF vertreibt.

"Taste of Vanuatu": "A Journey Through the Island’s Cuisine! Delicious Island Fare" und "A Collection of Vanuatu Recipes" versprach eine Kollektion von 25 Rezepten. Das interessierte mich natürlich, denn über Vanuatu weiß ich nur wenig, und Inspirationen für den eigenen Herd entdecke ich immer gern. Vorab: Ich vermag nicht zu sagen, ob die Gerichte tatsächlich existieren. Sie lesen sich mach- und essbar und einigermaßen pazifiktypisch; zusammengestellt hat sie ausweislich des Impressums ein "David Bule", über den man im gesamten Internet nichts findet. Die Illustrationen stammen von "Paramte Poompuang", und den oder die gibt es nun, zumindest laut Google, gar nicht. Vermutlich wird das von Magic Media verwendete Bildgenerierungs-Tool intern so genannt, und was das ausspuckt, bewegt sich irgendwo zwischen aberwitzig und uncanny.


Das schaut ja erst einmal nicht sooo unrealistisch aus, aber man beachte bitte die Hände!


Ich würde so ein leicht schräges Essensbild als auflockerndes Flavour-Element durchgehen lassen, wären nicht auch die "Fotos" der einzelnen Gerichte teilweise extrem daneben. Dabei sieht manches sogar recht schmackhaft und präsentabel aus, etwa der Coconut Cream Fish:


Die Darstellung von Tuluk zum Beispiel könnte indes gar nicht weiter von der Wirklichkeit abweichen.


Regelrecht verstörend wird es bei Suppen und Desserts:


Ich glaube, das hier sind meine Favoriten: Lobster Mornay und Bananenkuchen. The horror, the horror!

 

Es ist offensichtlich, dass die KI-Resultate nicht nur nicht nachbearbeitet, sondern nicht einmal angesehen wurden. Ein geistig gesunder Mensch wird doch unmöglich einen Blick auf die obige Monstrosität werfen und denken: 'Jepp, das ist Banana Cake, wie wir ihn kennen und schätzen!'

Dass die "Redaktion" hier einfach alles, was der Rechner ausspuckt, reinlaufen lässt, zeigt sich auch bei den Texten. Fast alle Beschreibungen beginnen mit irgendeiner Variation von "XY is a traditional dish from Vanuatu, an island nation in the South Pacific". Der Rest: lieblos, unpersönlich, lahm. Das ist Schrott, Dreck, Ausschuss, und mir tun alle leid, die fast sechs Dollar (welcher Dollar eigentlich?) dafür ausgegeben haben.

Ich könnte an dieser Stelle noch etliche weitere Beispiele aus Publikationen wie "Taste of USA Vegetarian" oder "Taste of Argentina" zeigen, nach denen ihr euch alle siebzehn Finger lecken würdet. Besonders albtraumhaft ist "Taste of Germany" für stolze 11,95 $ (dafür aber auch mit 112 Seiten Umfang), wo wirklich keine Illustration zum Rezept passt. Okay, eins muss ich euch zeigen: den süddeutschen Klassiker Leberkäse. Und vielleicht eine nicht-euklidische Brezel dazu?


Ich wiederhole mich nur ungern, aber: Wenn noch irgendwer schnattert, dass die schreibende und buchgestaltende Zunft in Bälde nichts mehr zu lachen habe, dann lache ich erst richtig.

"Babe, are you ok? You've barely touched your Milanese carried by a thousand maggots."

Sonntag, 20. August 2023

Der gute Sonntagslink

Neulich fragte ich mich, ob es diese eine Zeitverschwendungsseite aus Amerika noch gibt, die ich in den Nullerjahren oft und gerne aufsuchte und weiterempfahl (ja, sogar einer der allerersten Einträge in meinem Ur-Blog von 2006 verwies auf sie, genauer auf die dort zu findende Rubrik "Movie-A-Minute", wo Klassiker der Filmhistorie pointiert in wenigen Zeilen zusammengefasst werden).

Ach ja: "Rinkworks" heißt die Seite, und sie existiert immer noch! Sie dient ein rundes Vierteljahrhundert nach ihrem Launch nicht nur als Zeitkapsel aus dem "old internet", sondern wird sogar – leider nur mehr selten – mit neuen Inhalten befüllt. Diese fallen am häufigsten in die Subsektion "All Movie Talk"; der letzte Eintrag behandelt die 2022er "Sight & Sound"-Liste, welche vor einer Weile auch Thema des "Omnibus"-Podcasts war. Apropos: Mit "All Movie Talk" gab es von 2006 bis 2010 auch einen gleichnamigen begleitenden Podcast. Das war tatsächlich einer der ersten Podcasts, die ich kennenlernte vor dem quasi zweiten, endgültigen Siegeszug dieses Mediums (Ältere erinnern sich: Es gab eine Zeit, etwa Anfang der Zehnerjahre, da man Podcasts schon wieder am Aussterben wähnte). Alle Folgen befinden sich noch im Archiv. Aus Nostalgiegründen habe ich mir soeben zwei Stück zum späteren Hören runtergeladen.

Mittwoch, 16. August 2023

Mehrung und Tüchtigkeit

Ich habe hier letztes Jahr ein paar Zeilen über puritanische Personennamen geschrieben und mich insbesondere über den Männernamen Increase gefreut. Neulich nun las ich in dem damals erwähnten Sachbuch weiter und stieß etliche Kapitel später (da hat das Lektorat gepatzt) auf eine Erklärung dafür, wie der nämliche Hexenjäger zu seinem ungewöhnlichen Namen gekommen sein soll: "He was called Increase because his father, Pastor Richard Mather, told his wife on hearing that she was pregnant for a sixth time: 'I have planted, but God gave the increase'. Die Benennungsmotivation ist also: "Der Vater hat gesät, der HErr ließ es wachsen." Passend zur damaligen Zeit wird der Part der Mutter vollkommen ausgeklammert.

Ein weiterer fabelhafter englischer Vorname begegnete mir im Zuge der fortgesetzten 1100-Seiten-Lektüre von Das Europa der Könige von Leonhard Horowski. Es ging um den 1. Duke von Marlborough und dessen Verdienste im Spanischen Erbfolgekrieg: "Vor allem sein Sieg bei Höchstädt ist nicht zuletzt deswegen bis heute unvergessen, weil das Parlament zum Lohn dafür dem für seinen Geiz berühmten Marlborough die Mittel zur Erbauung von Englands einzigem Barockschloss schenkte. Da Marlboroughs Landsleute die Schlacht vorsichtshalber nicht nach dem für sie unaussprechlichen Höchstädt, sondern nach dem nahegelegenen Blindheim 'Blenheim' benannt hatten, wurde Blenheim Palace auch der Name des bis heute überwältigenden Monumentalbaus, in dem 1874 Marlboroughs Ururururururuenkel und späterer Biograph Winston Churchill geboren wurde." Den Park von Blenheim Palace gestaltete der wohl berühmteste britische Landschaftsarchitekt des 18. Jahrhunderts, "England's greatest gardener". Sein Name: Capability Brown. Leider muss ich euch enttäuschen, sein Taufname ist Lancelot. "Seine eifrigen Bemühungen im Finden von Möglichkeiten (englisch capabilities) zur Umgestaltung vorhandener alter Gartenanlagen im neuen von ihm vertretenen Stil verhalfen ihm zu seinem Beinamen Capability Brown." (Wikipedia)

Montag, 14. August 2023

Schöne Stellen aus deutschen Gerichtsentscheidungen

"Die Bezeichnung einer anderen Person als 'Fettes ' stellt ohne Zweifel eine grobe Beleidigung dar. [...] Ob aber tatsächlich Herr F. wegen seiner Körperfülle das einzige in Betracht kommende Beleidigungsopfer ist, oder ob ein anderer Vorgesetzter gemeint gewesen sein könnte oder gar Herr D. C., wie vom Kläger behauptet, kann dahinstehen und bedarf keiner weiteren Sachaufklärung. Es wird nachfolgend zugunsten der Beklagten unterstellt, dass ihre Behauptung insoweit zutrifft.
Ob und wie grob 'kopf' eine Beleidigung darstellt, hängt von den Umständen und auch vom Adressaten der Beleidigung ab.
Das vom Kläger benutzte Emoticon bedeutet ausweislich der List of Emoticons for Facebook (http://www.symbols-n-emoticons.com/p/facebook-emoticons-list.html) nämlich nicht 'Bärenkopf', sondern 'monkey face'. Ein Bärenkopf wird dagegen mit dem Emoticon ausgedrückt, welches 'teddy bear Emoticon' heißt. Aber offenbar haben beide Parteien das verwendete Emoticon als Bärenkopf angesehen.
Die Benutzung des Spitznamen 'Bärenkopf“ wäre jedenfalls dann grob beleidigend, sollte damit Herr H. gemeint gewesen sein und sollte damit beabsichtigt gewesen sein, sich über dessen krankheitsbedingt ausgeprägte Gesichtszüge lustig zu machen. [...]
Es ist aber zugunsten des Klägers angesichts der tatsächlichen Gesamtumstände davon auszugehen, dass dem Kläger die Tragweite seines Tuns und die Reichweite seiner Beleidigungen so nicht bewusst war. Auch wenn sich der Kreis der Kommentatoren (21 Personen) nicht nur aus einem kleinen Kreis mit den betrieblichen Verhältnissen der Beklagten vertrauter Person beschränkte, ging der Kläger offenkundig davon aus, dass die von ihm verwendeten Codes und Spitznamen nicht allgemein verständlich sind, sondern eben nur für Eingeweihte, insbesondere für den Chronikinhaber Herrn I.. Das 'fette Schwein' wurde von Herrn I. sofort einer Person zugeordnet, die den synonymen Spitznamen 'Spanferkel' trage. Es handelt sich also erkennbar um einen Insidersprachgebrauch. So ist auch der Spitznamen 'Bärenkopf' zu verstehen. Mit dieser Bezeichnung vermag ein Außenstehender nichts anzufangen. Ein Außenstehender vermag darin noch nicht einmal notwendigerweise eine Beleidigung sehen. Es handelt sich um einen Herrn H. von einer Gruppe an Eingeweihten gegebenen Spitznamen, der am äußeren Erscheinungsbild anknüpft, von dem aber nicht zu erwarten ist, dass dieser von irgendeinem des eingeweihten Kreises jemals direkt gegenüber Herrn H. verwendet würde. Der Kläger ging davon aus, dass nur in den Code eingeweihten Personen eine Zuordnung möglich wäre. Dies ergibt sich auch aus dem ebenfalls verwendeten Spitznamen 'Lars Ricken' für den ehemaligen Mitarbeiter der Beklagten Herrn H.. Eine Zuordnung von Namen an Personen außerhalb eines Kreises von Eingeweihten sollte vermieden werden, wie sich aus dem Kommentar des Klägers zur Namensnennung 'Schonny' durch Herrn H. ergibt."

Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, 4 Sa 5/16

Samstag, 12. August 2023

Meine zehn zuletzt gesehenen Filme

Evil Dead Rise
"Evil Dead" hatte ich 2013 sogar im Kino gesehen. Ließ Regie-Debütant Fede Alvarez mit seiner Neuauflage zwar den markentypischen Humor der frühen "Tanz der Teufel"-Titel missen, gelang es ihm doch, mich durchweg zu bannen – und vor allem zu schockieren. Mehr als einmal musste ich mir sogar die Augen zuhalten!
Zehn Jahre später bin ich noch empfindlicher und schreckhafter (früher hätte ich im Gegenteil geglaubt, ich würde mit zunehmendem Alter eher weniger furchtsam und umso abgestumpfter), und eine entsprechend aufpeitschende Tour de force war die Neuauflage des mir bis dahin unbekannten irischen Filmemachers Lee Cronin für mich: 90 Minuten lang krallte ich meine schweißnassen Hände in die Armlehnen des Kinositzes. Ja, genau, auch "Evil Dead Rise" haben wir wieder im Kino gesehen, mehr oder weniger spontan am Wochenschluss, OmU zur Spätvorstellung. Und zur Geisterstunde, nach dem Sport und zwei Bier, bei hochgedrehtem Surround-Sound machte das Ding wirklich auf perverse Weise Spaß, auch wenn dem Streifen erneut jede Form von ironischer Überhöhung abgeht.
Meine nächste Horror-Screening-Partizipation will wohlüberlegt sein.

Moneyball
Wisst ihr noch, als 2011 in US-amerikanischen Talk- und sonstigen Shows über nichts anderes als über "Moneyball" gesprochen wurde? Das Popkulturereignis der Stunde war diese Sachbuchverfilmung da drüben, während die Reaktionen im traditionell mit Baseball fremdelnden Deutschland eher verhalten ausfielen. Ich muss zugeben, auch mich konnte die Geschichte nicht so stark erreichen, wie sie sollte oder wollte; eine gewisse Faszination brachte ich dem ungewöhnlichen Sujetmix aus Wirtschaftswissenschaften, Mathematik und Profisport dennoch entgegen. Nicht zuletzt wegen der flotten Inszenierung sowie des starken Spiels von Philip Seymour Hoffman und Jonah Hill.

Der Anruf (OT: All the Old Knives)
Ich hatte so was wie "Mr. & Mrs. Smith" (nie gesehen) erwartet, bekam dann aber einen auf dezent edel gebürsteten 08/15-Agententhriller mit einigen Längen und Zeitebenen-Verwirrungen präsentiert. Lausig war diese Amazon-Produktion mit Thandiwe Newton und Chris Pine keineswegs, nachhaltig im Gedächtnis bleibt sie aber auch nicht.

The Whale
Beeindruckend hingegen und zu Recht preisgekrönt: Darren Aronofskys Adaption des Theater-Schwergewichts von Samuel D. Hunter. Tut noch mehr weh als "The Wrestler", gleichzeitig freut man sich über Brendan Frasers sagenhaftes Comeback.

Ant-Man
Ja ja, ich weiß, schon zigmal habe ich gelobt, keinen einzigen Marvel-Blockbuster mehr zu schauen, und dann taucht doch wieder ein solcher in meinem Filmtagebuch auf ... ABER: "Ant-Man" (2015) stand schon seit langem auf meiner Liste. Erstens fällt er, so wurde mir versprochen, ins mir liebe Genre des Heist-Movies, zweitens hat Adam McKay am Script mitgewerkelt. Ersteres wurde in Maßen eingelöst, Zweiteres merkt man an der einen oder anderen ulkigen Dialogzeile. Ansonsten würde ich dieses Abenteuer als gefällig und familientauglich attributieren. Die Fortsetzung(en) nachzuholen, behalte ich mir vor.

Amistad
Apropos nachholen: Eines der wenigen Spielberg-Werke, die mir noch "fehlten", sah ich im DVD-Regal der Stadtbücherei, und da dachte ich mir 'Mensch, den sollte man doch kennen'. Als er im Kino lief – auch schon wieder ein Vierteljahrhundert her! –, machte er wegen seiner ungeschönten Tragik sowie intensiver Schauspiel-Leistungen von sich reden. Der ein oder andere Aspekt mag dem Fluch des "schlecht Alterns" anheim gefallen sein, und Leute, die sich besser mit der Materie auskennen als ich, mögen die historische Akkuratesse auf den Prüfstand stellen; alles in allem ist dieser Zweieinhalbstünder ein wichtiger Beitrag, ein äußerst sehenswertes Geschichts- und Justizdrama.

Fall
Und wieder schwitzige Pfoten! Ungefakete Roofing-Videos auf YouTube ertrage ich nicht länger, aber in fiktionalisierter Form kehre ich immer wieder zum Topos Höhenrausch zurück*, weswegen ich ja auch regelmäßig Bergsteiger-Reißer konsumiere. (* Diese Phrase könnte man so lesen, als wäre "in fiktionalisierter Form" auf das Subjekt, also ich bezogen, aber mir gelingt es partout nicht, das anders zu formulieren – da könnt ihr mal sehen, wie sehr durch den Wind ich wegen dieser 107-minütigen Adrenalineinspritzung noch immer bin!)
Zwei Mädels nehmen sich, aus unterschiedlicher Motivation, vor, einen 600 Meter hohen stillgelegten Funkturm in der Wüste hinaufzukraxeln. Das gelingt auch. Aber danach müssen sie wieder runter. Jedoch ... Jesus Christ

Reminiscence
Dafür, dass dieser Science-Fiction-Krimi von "Westworld"-Mitschöpferin Lisa Joy geschrieben, produziert und inszeniert wurde (Jonathan Nolan war ebenfalls an Bord), fiel er relativ bodenständig aus. Es geht laut Inhaltsangabe um einen "Gedankendetektiv", aber dieser, gespielt von Hugh Jackman, ermittelt in der Hauptsache so konventionell, wie es der Noir-Anmutung, die das behutsam futuristische Setting heraufbeschwört, angemessen ist. Dem private dick und der obligatorischen mysteriösen Auftraggeberin ist mit Thandiwe Newton (schon wieder sie!) immerhin ein halbwegs innovativer Charakter zur Seite gestellt, der allerdings über weite Strecken hinweg nichts zu tun bekommt. Fazit: Kann man gucken, wenn man an einem Werktagabend nix Vielversprechenderes zur Hand hat und etwa "Rememory" mochte.

Linoleum
... habe ich, um ehrlich zu sein, nicht zu 100 % verstanden. Präziser: Ich habe die Aussage nicht verstanden. Das Ende fand ich sogar richtig gelungen, aber der Weg dahin war holprig und nebulös. Erfreulich war, die talentierte Rhea Seehorn einmal außerhalb von "Better Call Saul" zu sehen, und Jim Gaffigan vermag tatsächlich eine zumal ernste Hauptrolle zu tragen!
Genre: Kleinstadt-Familiendrama-Wissenschafts-Fantasy ... oder so. Was der Titel zu bedeuten hat, erschließt sich mir bis heute nicht.

Indiana Jones und das Rad des Schicksals (OT: Indiana Jones and the Dial of Destiny)
Last but certainly not least der Sommer-Blockbuster, auf den ich am sehnlichsten gewartet habe und den ich unbedingt auf der großen Leinwand genießen musste. Viel kann und möchte ich gar nicht schreiben. Der fünfte und hoffentlich letzte "Indy" hat alles, was ich an den ersten drei Teilen liebte, und übertrifft wie erhofft den vierten (obwohl ich den eh nie so recht missbilligen konnte). Phoebe Waller-Bridge ist eine echte Bereicherung, der letzte Akt traut sich was und kommt damit durch, und der junge CGI-Harrison-Ford im (ein My zu langen) Auftakt ist schlicht erstaunlich. Auf James Mangold als Nachfolger von Steven Spielberg wäre ich in fünfzehn Jahren nicht gekommen, aber er passt in die Fußstapfen, die auf den Schultern des Giganten etc. o.s.ä. Mads Mikkelsen als klassischer Nazi-Antagonist ist ohnehin über jeden Zweifel erhaben. Tip-top-Kintopp!

Donnerstag, 10. August 2023

Revisited: Die Regeln des Spiels

Am 19. März 2017 besuchte ich gemeinsam mit einer Freundin die Ausstellung "The Probable Trust Registry: The Rules of the Game" der in Berlin lebenden US-amerikanischen Künstlerin und Kantianerin Adrian Piper. "Ausstellung" ist womöglich nicht der richtige Ausdruck: Das in der Berliner Nationalgalerie der Gegenwart im Hamburger Bahnhof zu besuchende Kunstwerk wird auf der Webseite der Staatlichen Museen als Installation und Gruppen-Performance bezeichnet, bestehend aus "3 grauen raumhohen Wänden, 3 runden goldenen Tresen, goldenen Reliefbuchstaben, 3 Lesepulten, 3 Stehhilfen, Computersystem, 3 Rezeptionsten".

Meine Erinnerungen an diese Erfahrung drohten bereits zu verblassen, aber mit Blick auf die Fotos und Beschreibungen kommen sie wieder. Man betrat also die riesige, gewölbte, nahezu leere Halle und wurde an drei "Rezeptionen" vorstellig. Dort schloss man jeweils einen "Vetrag" mit sich selbst, indem man qua Unterschrift auf einem Touchpad drei "Spielregeln" zustimmte:
1. Ich werde immer zu teuer sein, um gekauft zu werden.
2. Ich werde immer meinen, was ich sage.
3. Ich werde immer tun, was ich sage, dass ich tun werde.

Einem nicht mehr nachzuvollziehenden Gedankengang folgend, unterschrieb ich nur die Verträge 1 und 2, denn allein diese beiden liegen mir noch vor; man bekam sie nach dem Prozedere in gedruckter Form ausgehändigt. Zusätzlich überreichten einem die freundlichen Tresenperson Bögen mit "Handlungsanweisungen". Diese unterschieden sich lediglich hinsichtlich der Nummer der Spielregel, weswegen ich sie hier nur einmal aufführe. Weil ich zu faul bin, die Punkte abzutippen, möchte ich hier und jetzt ein technisches Experiment wagen: Ich werde das Blatt mit meinem Smartphone abfotografieren und den Text mittels OCR auslesen, diesen dann kopieren und in eine Mail einfügen, die ich an mich selbt schicke. Genial? Genial.

Es hat geklappt! Nur einige wenige Korrekturen sowie etwaige Formatierungen musste ich vornehmen.

SPIELREGEL NR. 1 HANDLUNGSANWEISUNGEN:

1. Jede/r Unterzeichner/in unterschreibt und datiert am Empfangstisch eine digitale Persönliche Erklärung auf einem Bildschirm. Anschließend wird die unterzeichnete Persönliche Erklärung zusammen mit dieser Seite, Spielregel Nr. 1 Handlungsanweisungen, auf Papier ausgedruckt.

2 Der/Die Unterzeichner/in lässt am Empfangstisch seinen oder ihren Namen sowie eine Kontaktadresse in ein digitales Verzeichnis aufnehmen.

3. Die Informationen in diesem digitalen Verzeichnis werden der Nationalgalerie-Staatliche Museen zu Berlin gegenüber VERTRAULICH behandelt. Dem Empfangspersonal ist es untersagt, diese Informationen ohne explizite schriftliche Einverständniserklärung des Unterzeichners/der Unterzeichnerin weiterzugeben.

4. Der/Die Unterzeichner/in behält den Ausdruck der unterzeichneten Erklärung sowie der Spielregel Nr. 1 Handlungsanweisungen.

5. Das Empfangspersonal behält im Auftrag der Nationalgalerie-Staatliche Museen zu Berlin die digitale und auf dem Bildschirm unterschriebene Persönliche Erklärung.

6. Die unterzeichnete digitale Persönliche Erklärung wird im Verzeichnis Spielregel Nr. 1 so abgelegt, dass sie dem jeweiligen Namen des Unterzeichners/der Unterzeichnerin und seiner/ ihrer Kontaktadresse eindeutig zugeordnet werden kann.

7. Nach dem Ende der Ausstellung schickt die Nationalgalerie-Staatliche Museen zu Berlin eine Liste, die NUR die nach dem Nachnamen alphabetisch sortierten Namen aller Unterzeichner/innen enthält, an die Unterzeichner/innen der Persönlichen Erklärung der Spielregel Nr. 1 und NUR an diese.

8. Sollte eine Unterzeichner/in der Persönlichen Erklärung der Spielregel Nr. 1 eine/n andere/n Unterzeichner/in kontaktieren wollen, so muss Erstere/r die Nationalgalerie-Staatliche Museen zu Berlin kontaktieren, um die Kontaktdaten des/der Letzteren anzufragen.

9. Die Nationalgalerie-Staatliche Museen zu Berlin muss die ausdrückliche schriftliche Einverständniserklärung des/der Angefragten einholen, bevor seine oder ihre Kontaktdaten an den/die Anfragende/n weitergegeben werden dürfen. Andernfalls gilt die Erlaubnis als nicht erteilt.

10. Das vertrauliche digitale Verzeichnisdokument geht in den verschlossenen Bestand der Nationalgalerie-Staatliche Museen zu Berlin über. Es wird für einen Zeitraum von 100 Jahren, gerechnet vom Enddatum der Ausstellung, für die Öffentlichkeit unzugänglich aufbewahrt.

11. Das Empfangspersonal, die Nationalgalerie-Staatliche Museen zu Berlin sowie die Adrian Piper Research Archive Foundation Berlin haben allesamt Verwahrungsverträge unterzeichnet, die sie auf diese Anweisungen verpflichten.

NATIONALGALERIE-STAATLICHE MUSEEN ZU BERLIN-PREUSSISCHER KULTURBESITZ

Tatsächlich erreichten mich, wie in Punkt 7 vermerkt, nach dem Ende der rund sechsmonatigen Ausstellungsdauer, nämlich im Mai des Folgejahres, zwei E-Mails mit PDF-Anhängen. 14 eng bedruckte Seiten mit Namen in kleiner Schrift, alle teilgenommen Habenden alphabetisch geordnet. 'Ein datenschutzrechtlicher Albtraum!', dachte ich damals, aber gut, es sind ja nur Namen, und wie man den Punkten 8 und 9 entnehmen kann, darf Kontaktaufnahme ausschließlich über die Nationalgalerie erfolgen.

Ihr steht alle auf meiner Liste!

Und was sollte das nun alles? "Das Werk verhandelt auf dialogische Weise, wie Vertrauen gebildet wird und zielt damit auf die Grundlagen zwischenmenschlicher Beziehungen ab. In einem größeren Zusammenhang wirft es philosophische, aber auch ganz praktische Fragen zu demokratischen Prozessen und individueller Verantwortung auf, denn es fordert die Besucherinnen und Besucher nicht nur zu einer Aktion – einem persönlichen Bekenntnis – auf, sondern bringt uns dazu, über unser tägliches Handeln und dessen Konsequenzen auf politischer, ökonomischer und sozialer Ebene nachzudenken." So der offizielle Begleittext. Ich weiß noch, wie ich beim Herausgehen damals recht underwhelmed war. Aber immerhin denke ich über fünf Jahre später noch an diese Aktion.

Dienstag, 8. August 2023

Filmtitel XXVII

The Rachel Papers → Er? Will! Sie Nicht?
Flareup → Tote Bienen singen nicht
En plein feu → The Blaze – Flucht aus den Flammen
Richard the Stork 2 → Überflieger – Das Geheimnis des großen Juwels
Chronique d'une liaison passagère → Tagebuch einer Pariser Affäre
Une belle course → Im Taxi mit Madeleine
Christmas Knight → Detective Knight – Redemption
Plancha → Happy 50
El Houb → The Love – Lass die Liebe sprechen
High Desert → The Desert
City on Fire → Fire in the Sky
Strays → Doggy Style
Un tour chez ma fille → Mamma Ante Portas
Le discours → Meine Schwester, ihre Hochzeit und ich
Taking Care of Business → Filofax – Ich bin du und du bist nichts
The Heartbreak Kid → Pferdewechsel in der Hochzeitsnacht
Les Amandiers → Forever Young
Last Sentinel → Last Contact
Mon chat et moi, la grande aventure de Rroû → Lou – Abenteuer auf Samtpfoten
Escape Room: Tournament of Champions → Escape Room 2: No Way Out
The Pallbearer → Der Zufallslover

Sonntag, 6. August 2023

Die Apotheken-Bibliothek

Ich hatte schon einmal erwähnt, dass ich nach jeder gesehenen Episode von "Der junge Inspektor Morse" die Sektion "Wissenswertes" auf der dazugehörigen imdb-Seite durchlese. Zuletzt hatte ich dadurch u.a. erfahren, dass man bis 1967 bei vielen Filialen der britischen Drogeriekette Boots Bücher ausleihen konnte.


Das ist ja mindestens genau so toll wie die Möglichkeit, in amerikanischen Drugstores Kaffee zu trinken

PS: Was stimmt wohl nicht mit der Person, die als einzige solch einen Knaller-Fakt mit "nicht hilfreich" markiert?

Freitag, 4. August 2023

Kurz getestet: Amaretti und Chips


Im Netto-Prospekt entdeckt und direkt ebendort (i.e. im Netto) gekauft: Soft Amaretti. Passen hervorragend zum Nachmittagskaffee: 100 Prozent Amaretti-Geschmack bei stark reduzierter Crunchi- bzw. erhöhter Softness. Zu rügen wäre allenfalls, dass jeder Amaretto einzeln in Plastik verpackt ist.


Ich mag Falafel as much as the next guy, dementsprechend jieperig war ich, als ich vorgestern die Packung Crunchips Falafel Style öffnete. Um es kurz zu machen: Ich wurde enttäuscht. Das lag nicht daran, dass dieses offenbar nur vorübergehend vertriebene Lorenz-Produkt das Falafel-Aroma nicht hinbekommt, das tut es nämlich sehr wohl dank einer geschickt ausbalancierten Würzmischung (Kreuzkümmel-, Koriander-, Kurkuma-, Ingwer-, Chilipulver, Petersilie, Bockshornklee, Kümmel). Nein, ich finde einfach, dass der charakteristische Flavour von Falafel nicht zu Chips passt. Es ist die falsche Trägerform sozusagen. Currywurst-Chips halte ich auch schon für grenzwertig, und die Pringles-Sorte "Pizza" gehört zu den undeliziösesten, die ich je probiert habe. Zwangsvermählung von Knabbergebäck und Fastfood im weiteren Sinne scheint schlicht nicht mein Fall zu sein. Eine Punktwertung möchte ich deshalb gar nicht abgeben, es muss letztlich jeder selbst entscheiden, ob ihm das taugt.

Mittwoch, 2. August 2023

Serientagebuch 07/23

01.07. Scrubs 4.22
The Capture 2.04
02.07. The Capture 2.05
03.07. The Capture 2.06
The Legend of Vox Machina 2.03
The Legend of Vox Machina 2.04
04.07. Scrubs 4.23
Scrubs 4.24
05.07. Manifest 4.11
The Legend of Vox Machina 2.05
06.07. Scrubs 4.25
Leverage 2.01
Manifest 4.12
07.07. Manifest 4.13
The Legend of Vox Machina 2.06
11.07. Leverage 2.02
13.07. The Legend of Vox Machina 2.07
14.07. Manifest 4.14
16.07. The Marvelous Mrs. Maisel 5.08
18.07. Manifest 4.15
Leverage 2.03
19.07. Leverage 2.04
21.07. Manifest 4.16
Mid Morning Matters with Alan Partridge 2.01
23.07. The Marvelous Mrs. Maisel 5.09
24.07.
Mid Morning Matters with Alan Partridge 2.02
The Legend of Vox Machina 2.08
The Legend of Vox Machina 2.09
The Legend of Vox Machina 2.10
26.07. Manifest 4.17
Mid Morning Matters with Alan Partridge 2.03
27.07. Archive 81 1.01
28.07. Leverage 2.05
The Legend of Vox Machina 2.11
29.07. Manifest 4.18
31.07. The Legend of Vox Machina 2.12

Auf eine zweite Staffel der britischen Politthriller-/Verschwörungsserie The Capture habe ich weder gewartet noch hätte ich sie erwartet, doch dann war sie einfach da und entpuppte sich als Glücksfall: In Sachen Spannung und vor allem Aktualität wurde eine gehörige Schippe draufgelegt. Sagenhaft packend und beängstigend ist dieser Sechsteiler, in dem es abermals um Deep-Fakes und den allgegenwärtigen Big Brother geht. Ich bin gespannt, ob noch eine dritte Staffel folgen wird, und wenn ja, ob darin die jüngsten Auswüchse Künstlicher Intelligenz behandelt werden. Der Kern des Season-1-Ensembles ist wieder mit dabei, inkl. Ron Perlman sowie Hauptdarstellerin Holliday Grainger (die grundsätzlich solide spielt, aber die Emotion Wut leider stets höchst cringe-worthy rüberbringt), eine wiederkehrende Gastrolle hat erfreulicherweise Indira Varma.

Die Krankenhaus-Comedy Scrubs ist mit ihrer vierten Staffel, zumindest nach meinem Dafürhalten, endlich vollends bei sich angekommen, hat ihren Ton gefunden, nachdem sich zuvor immer mal wieder veritable duds eingeschlichen hatten. Tempo und Gagdichte bewegen sich auf hohem Niveau, und bei aller Albernheit werden Figurenentwicklung und Plotting nicht vernachlässigt. Man muss indes konstatieren, dass der von Zach Braff verkörperte Held J.D. der mit Abstand Unsympathischste der Bande ist, wie ja auch "Ted" in "How I Met Your Mother" kein Stück zur Identifikation taugte. Egal! Ich bin gespannt, ob es von nun an wieder bergab geht. Fünf DVD-Boxen liegen noch vor mir.

Einen befriedigenden Abschluss haben Stoffentwicklerin Amy Sherman-Palladino und ihr Team für The Marvelous Mrs. Maisel ersonnen und realisiert. In der ersten Hälfte der fünften Season werden reichlich Konflikte aufgebaut, bedeutungsschwangere Flash-forwards sorgen für regelrechten Suspense, Peripetie bahnt sich an, viel wird in die Waagschale gelegt, Beziehungen werden auf die Probe gestellt, das Verspielt-Beschwingte droht aufgegeben zu werden. Im letzten Drittel dann löst sich (fast) alles in Wohlgefallen auf. Der von Anfang an vorgezeichnete Weg der fabelhaften Mrs. Maisel zum Erfolg wird ohne Schlenker beschritten, versöhnlich entlassen uns die finalen Minuten in die Zukunft bzw. Gegenwart (ich möchte nicht verraten, in welchem Jahr die Heldinnenreise endet); Normalität ist hergestellt.
Dass die hier gezeigte Welt, wie ich vormals monierte, allzu harmonisch, süß (das englische Adjektiv saccharine kommt einem in den Sinn) und praktisch frei von Hass und Intoleranz ist, hat mich gar nicht mehr gestört. Schwierig fand ich hingegen, wie enorm voraussetzungsreich die Dialoge zum Teil waren: Klar, schon immer wurde reichlich name-ge-droppt und wild auf die Entertainment-Geschichte der USA angespielt, aber diesmal sind mir garantiert mehr Verweise entgangen als in den Episoden davor, und ich beschäftige mich nun schon mehr als mein halbes Leben lang mit amerikanischer Comedy. Nein, diese Show war nicht für ein deutsches Publikum, ja nicht mal ein internationales gemacht. Aber ist doch schön, herausgefordert zu werden.

Auch mit The Legend of Vox Machina haben die Amazon Studios einen beachtenswerten Hit im Portfolio. Jeder, mit dem ich über dieses animierte Dungeons-&-Dragons-Abenteuer für Erwachsene rede, ist voll des Lobes. Zwei Kritikpunkte: 1. Der Humor ist diesmal nicht ganz so treffsicher wie in Staffel 1, ja manchmal an der Grenze zum Puerilen. Ein Showdown im Rektum eines Drachen? Ich weiiiß nicht ... 2. Apropos: Die 3D-animierten Riesenechsen sind mir in dem ansonsten wie aus einem Guss wirkenden, hübschen Graphikstil wie Fremdkörper vorgekommen. Das war unnötige Digital-Kraftmeierei, weniger wäre hier mehr gewesen, was, dies mein zweieinhalbter Kritikpunkt, auch für die mitunter zu over the top geratenen Kampfsequenzen gilt.