Samstag, 30. September 2023

Back to School

Ich bin ja nun schon 41 und entwickle unvermeidbarerweise Affinitäten für Alte-Leute-Sachen: Heimatforschung, klassische Musik, Kreuzworträtsel (nee – das mochte ich schon immer) und neuerdings auch Vereinsmeierei. Seit diesem Jahr bin ich Mitglied im Deutschen Alpenverein, im Deutschen Quizverein und in der Indogermanischen Gesellschaft. In Letztere hätte ich schon viel früher eintreten sollen! Um meine temporäre Abkehr von der gediegensten und wahrhaftigsten aller Geisteswissenschaften ein Stück weit wiedergutzumachen, meldete ich mich direkt für die Arbeitstagung zum Thema "Lautwandel und morphologische Analogie" an, welche vom 12. bis 14. September in Köln stattfand. Arbeitstagungen der IG gibt es zwischen den alle vier Jahre durchgeführten Fachtagungen, von welchen ich bereits zwei besucht hatte, nämlich die XII. Fachtagung 2004 in Krakau (im Rahmen einer Exkursion mit unserem Lehrstuhl; da war ich noch im Grundstudium) sowie die XV. Fachtagung 2016 in Wien (auch da hatte ich, längst Alumnus, Sehnsucht nach akademischer Befruchtung). Aus Termingründen konnte ich nicht von Anfang bis Ende dabei sein, aber ein voller Programmtag netto war mir vergönnt. Hier sind meine Eindrücke in Stichpunkten.

- Das Hauptgebäude der Universität zu Köln, in dessen Hörsaal Nr. II die Konferenz ablief, ist stattlich, zweckmäßig, schmucklos, typisch 1934 halt. Man findet sich einwandfrei zurecht, und als ich mich ihm näherte, dachte ich: 'Och, hier könnte ich mir vorstellen zu studieren.' Mit einigem Abstand muss ich jedoch sagen: Noch besser als solche unübersehbaren Klötze (vgl. die Frankfurter Goethe-Uni) finde ich Hochschulbauten, die entweder extrem modern, luftig, pfiffig, auf Hightech getrimmt sind, oder noch älter, knorrig-knarzig, verwinkelt, efeuumrankt, ich denke da an einzeln stehende Backsteinhäuser meiner Alma mater in Dresden. Ein dezentralisierter Campus hat eben auch Vorteile, oder wenigstens einen: Abwechslung.

- Dass es dem Fach schlecht geht, war mir bewusst. Wie viele Professuren existieren hierzulande überhaupt noch? Ein halbes Dutzend? Dabei mangelt es an Nachwuchs keineswegs! Ich war positiv überrascht, wie hoch der Anteil junger Leute war. Ein regelrechter Generationenwechsel hat sich vollzogen. Dominierten in den vergangenen Jahrzehnten noch die Alten, deren Standardwerke und nach ihnen benannte Gesetze man kannte (und die live zu sehen ohne Frage ein Ereignis darstellte!), war die Mehrheit der Vortragenden heuer um die 30 Jahre alt. Kaum ein Name sagte mir was (was gewiss auch daran lag, dass ich nun schon eine Weile "raus" bin aus dem "Business"), aber ich sah, dass es gut war: Dieser Nachwuchs taugt was, das sind feine Geister, die die kümmerliche Fackel der Historisch-Vergleichenden Sprachwissenschaft mit Stolz, Verantwortung und Tatendrang weitertragen.
So oder so, der IG fehlt es offensichtlich an Mitteln. Kaffee und Wasser wurden zwar immerhin angeboten, eine schöne Begleitmappe wie damals in Krakau oder gesellige Rahmenveranstaltungen waren indes Fehlanzeige. Sogar unsere Namensschildhüllen sollten wir am Ende wieder abgeben, aus ökonomischen wie ökologischen Gründen. Dafür wurde keine Teilnahmegebühr erhoben.

- Was nett war: Wir erhielten Gästepässe für die Mensen und Cafeterien, und so kam ich seit Ewigkeiten mal wieder in den Genuss von Mensaessen. In meiner Studienzeit war ich großer Fan der Dresdner Mensen. An die Qualität, die ich von daher kannte, kam das Angebot in der Zülpicher Straße nicht heran, aber hey: 6,15 € für vegetarische Moussaka plus Salat und Nachtisch, da kann man nicht meckern.


- Mir scheint, die "großen" Sprachen sind sozusagen auserforscht. Zahlreiche speeches drehten sich um kleinere und/oder vormals stiefmütterlich behandelte Dialekte, allein am ersten Tag ging es um Hieroglyphenluwisch, Mittelarmenisch, Altfranzösisch und die Trümmersprache Messapisch; Altindisch zum Beispiel spielte gar keine Rolle, immerhin zwei Referate gab es zum Lateinischen (die fand ich sogar am spannendsten). Ein Vortrag zum Tocharischen, welches in meiner Unizeit praktisch gar keine Rolle gespielt hatte, überforderte mich dermaßen, dass mir schwindelig wurde und mich kurzzeitig Anfälle von Imposter Syndrome heimsuchten: 'Hilfe, was tu ich hier? Ich weiß nichts und kapiere nichts!'


- Erfreuliche Tendenz: Fast die Hälfte der speakers war weiblich. Die Institutionen, die beteiligt waren, verteilten sich über den ganzen Globus, es gab Vertreterinnen und Vertreter aus Italien, Japan, Österreich, den USA ... Apropos: Es fiel einmal mehr auf, dass in Amerika einfach eine ganz andere Vortragskultur herrscht. Allein die Powerpoint-Folien sind lebendig, humorvoll, graphisch ansprechend. Da kann ich als Deutscher nur anerkennend lächeln bzw. abschätzig das grimme Haupt schütteln.


- Für den September 2024 ist die XVII. IG-Fachtagung in Basel terminiert, Schwerpunkt: "The Speakers of Indo-European and their World". Das klingt nach Realienkunde und also right up my alley. Aber ob ich mich da blicken lasse? Ich glaube, ich traue mir das nicht mehr zu. Kann ja dann fünf Jahre später die Proceedings lesen.

Mittwoch, 27. September 2023

TITANIC vor zehn Jahren: 10/2013


Damit hätte niemand gerechnet (außer alle): Merkel ist Bundeskanzlerin, Peer Steinbrück in die ewigen Jagdgründe eingefahren. Neben dem für sich sprechenden Titel geht ein fast von der gesamten Redaktion zusammengestellter sechsseitiger Nachklapp zur Bundestagswahl auf deren Ausgang ein.

Aufmacher in dieser Ausgabe ist jedoch die Reportage über einen Besuch in Bad Hersfeld. Diese Stadt hatte kurz zuvor etwaige Pläne, unter der Erde lauernde Gasschätze zu fördern, einhellig stillgelegt, "[d]och laut Spiegel haben internationale Energiefirmen erst vor kurzem wieder begehrliche Blicke auf Deutschland geworfen, so etwa die kanadische 'BNK Petroleum', die in Nordhessen herumbohren wollte." Also fuhren Leo Fischer, Volontär Valentin Witt, Neuredakteur Moritz Hürtgen und ich, bewaffnet mit "liebevoll zusammengelogenem Informationsmaterial" ("Bad Hersfeld. Hauptstadt des Frackens") ebendort hin, verschafften uns ein Stimmungsbild und bereiteten die Bürger auf die kommende "Gastastrophe" vor, bis wir nach kaum zwei Stunden angesichts des miesen Wetters keine Lust mehr hatten ("Zutiefst verstört ziehen wir uns in den Bahnhofskiosk zurück. Doch beruhigt uns das dritte Nachmittagsbier nicht wie üblich, verstärkt vielmehr noch unsere Paranoia. Und ist da nicht ein öliger Beigeschmack?"). Die Lustlosigkeit schleppten wir noch bis in die Redaktionsräume mit, den Aktionsbericht schrieb am Ende zu 90 % Leo Fischer.


Nach den "Tricks der Zauberer" im letzten Heft fand die Branchencheck-Parodie mit diesem Fake-Titel in den "Briefen" eine Fortsetzung:


Neben Bad Hersfeld war in jenen Monaten eine weitere hessische Gemeinde wiederholt in den Schlagzeilen, genauer der dort residierende, heute notorisch hipsterbärtige Franz-Peter Tebartz-van Elst: "Sein neuer Bischofssitz ist gerade für amtliche 20 Trillionen Euro fertig geworden, mit seinen Neidern gab's deswegen ordentlich Beef. 'Alles Spießer', pariert der umstrittene Gangsta-Katholik (Künstlername: 'The Koboldmaki') und lädt rotzfrech zur Churchwarming-Party." (M. Ziegelwagner, S. 34f.)


Abzuwatschen war auch endlich mal eine Personalie, die viel zu wenige auf dem Schirm hatten und haben, nämlich Hannes Jaenicke, der mit einem erbärmlichen Augenöffnerbuch und Wohlstandsbetroffenheit von Talkshow zu Talkshow tingelte. Man glaube mir, dass Leo und ich beim Schreiben der Abrechnung zu gleichen Teilen mit Heiterkeit (Affensexwitze!) und gerechtem Zorn erfüllt waren.


Das Oktoberheft ist auch immer das Buchmessenheft, und Gastland in Frankfurt war 2013 Brasilien. Wie üblich veranstaltete Titanic einen Lesewettbewerb ("Die große TITANIC-Regenwald-Vernichtungs-Lesung", s. S. 9), aus welcher ich mit meinem Beitrag als Sieger hervorging (ein Erfolg, den ich 2014, gemeinsam mit Michael Ziegelwagner, wiederholen konnte). Illustriert hat ihn, wie man sieht, der zukünftige Hauszeichner Leo Riegel.


Die diesmonatige Ausgabe von "55ff" enthält nicht nur eine meiner All-time-Lieblings-Sebastian-Klug-Rubriken:


... sondern auch einen Hinweiskasten, der einen realen Anlass aus meinem Leben hatte:


Ich weiß bis heute nicht, wer der Herr auf dem Foto ist, aber das Bild erschien eine Zeitlang sehr weit oben, wenn man in die Google-Bildersuche den Namen Ulrich eingab. Es diente mir im Titanic-Mitarbeiter-Rekrutierungs-Forum wussow.tk ein paar Jahre als Avatar.

Weiteres Notierenswertes
- Ein später Klassiker von Eckhard Henscheid (S. 40f.) stellt klar: "Dieser Hitler! Er darf sich nie mehr wiederholen! Niemals!" Als es bei der Themenkonferenz hieß "Henscheid möchte etwas über Hitler schreiben", war die allseitige Reaktion eine Mischung aus Perplexität, Neugier und Ernüchterung; das Ergebnis kann sich indes lesen lassen: "Bereits die häufige Benennung des Hochwassers vom Juni 2013 als 'braune Brühe' durch Presse, Funk und Fernseh läuft auf eine schleichende Verharmlosung des nur scheinbar gutmütigen, in Wirklichkeit sehr bösen, ja 'grundbösen' (L. Rinser) Hitler und seiner nur scheinbar ungefährlichen Grundfarbe Braun (Braunau, Eva B. usw.) hinaus." E. Henscheid hat übrigens bis zum Schluss (und tut es weiterhin; zumindest ist zu hoffen, dass er mal wieder was in seinem alten Stammmagazin veröffentlicht) alle Manuskripte postalisch als Schreibmaschinenseiten eingesandt, die in mühsamer Tipparbeit von der Redaktionsassistenz digitalisiert werden mussten.
- Sehr insiderig, aber amüsant ist die lyrische Verhandlung der sichtbaren Gewichtsabnahme des Großschriftstellers, der bei uns über Monate hinweg teils offen, teils versteckt als "der dicke Kehlmann" tituliert worden war ("Satire wirkt! Eine Gratulation in eigener Sache" von Michael Ziegelwagner, S. 45).
- Und noch eine Personenerledigung: Gerhard Henschel über "den Lärmunfall Sibylle Weischenberg", eine Society-Expertin, die mir (zum Glück?) überhaupt nix mehr sagt (S. 58-60).
- Zu guter Letzt sei hier die wunderbare Kahl'sche U3 wiedergegeben:


Schlussgedanke
Eine Ausgabe, die von vorne bis hinten gute Laune macht. Vielleicht die beste des Jahres? Bittersüß wird's beim nächsten Mal.

Sonntag, 24. September 2023

Spukhafte Fernwerbung

Am Dienstag, dem 12. September, lag sowohl der FAZ als auch der Süddeutschen Zeitung etwas ganz Besonderes bei: Werbung für Kenneth Branaghs neue Poirot-Verfilmung "A Haunting in Venice" in Form eines dicken Hochglanzfaltzettels.



So eine Form des Marketings habe ich in meinem ganzen Leben noch nie gesehen. Und hätte ich im Jahr 2023 auch nicht erwartet. Früher, ja, früher, da hatten die Verleihe Geld! In meiner Zeit als regelmäßiger Besucher von Pressevorführungen gab es zu nahezu jedem Film ein wertiges Begleitheft, bei Blockbuster-Vorschauen manchmal sogar zusätzliche Gimmicks. Heutzutage, höre ich, sind Pressemappen allenfalls digital abrufbar. Gedrucktes kostet zu viel Geld. Was hat 20th Century in diesem Fall wohl geritten?

Den beworbenen Krimi werde ich mir übrigens, wenn auch nicht im Kino, gewiss irgendwann anschauen. Die beiden Vorgänger, "Mord im Orient Express" und "Tod auf dem Nil", habe ich ausgelassen, weil ich kurz zuvor die Siebzigerjahre-Fassungen gesehen hatte und die jeweiligen Auflösungen in frischer Erinnerung hatte. Über "Haunting" bzw. Christies Vorlage "Die Schneewittchen-Party" hingegen weiß ich gar nichts.

Donnerstag, 21. September 2023

Evolution im Frankfurter Hauptbahnhof

Ich bin nicht unbedingt der Auffassung, dass die Menschheit immer dümmer wird. Aber dass den Menschen zunehmend alles ausformuliert und vorgekaut werden muss, dass man sie an die Hand zu nehmen, sie in die Schranken zu weisen hat, ist allüberall wahrzunehmen. Vormals Selbstverständliches muss in Vorschriften gegossen werden. Man kommt ja beim Wandern kaum noch an einer Koppel vorbei, an deren Umzäunung kein Hinweis hängt à la "Bitte die Schafe/Pferde/Ziegen nicht füttern!!! Uns sind in diesem Sommer bereits drei Tiere verreckt. Lassen Sie in Gottes Namen Ihr 'Futter' im Rucksack!"

Eine dieser omnipräsenten verachtenswerten, überteuerten, generischen Zugreiseproviantverkaufsstellen (ich weigere mich, das Wort "Bäckereien" zu verwenden) hat unlängst Orientierungshilfen auf den Boden kleben lassen, damit Vorbeikommende wissen, wo sie sich, wenn sie etwas erstehen möchten, anstellen und wo sie, wenn nicht, weiterziehen sollen. Na klar, warum nicht? Vorher kam es in dem ohnehin ständig überlaufenen Bahnhof wahrscheinlich regelmäßig zu Verknotungen, Doppelschlangen und Behinderungen, garantiert habe auch ich schon mal irgendwo deppert im Weg gestanden. Trotzdem ist die Existenz solcher Markierungen höchst symbolträchtig.

Montag, 18. September 2023

Sechs-und-zwantzig obscure Kreutzwortraetsel=Lösungen

  • Säulenwulst: Torus
  • kalte Quelle (unter 20°): Pege
  • Altarraum orthod. Kirchen: Abaton
  • subtropischer Bodentyp: Tirs
  • Hausflur im Bauernhaus: Eren
  • flauschiger Mantelstoff: Ratine
  • noch unreines Alkoholdestillat: Lutter
  • ein Wollgarn: Zibeline
  • Webkante: Salband
  • Feingehalt einer Münze: Korn
  • antike Sonnenuhr: Gnomon
  • kleiner antiker Schild: Pelta
  • ortsungebund. Wassertiere: Nekton
  • türkischer Molkenkäse: Lor
  • Prolog älterer span. Dramen: Loa
  • farbige Schicht im natürl. Ton: Warwe
  • rotbraunes Furnierholz: Utile
  • Ohrklipp in Knopfform: Bouton
  • viersitzige Luxuskutsche: Landauer
  • Knopflochbesatz: Gimpe*
  • Reitbahn, -halle: Tattersall
  • rötlicher Boden in den Tropen: Laterit
  • Speer der Zulu: Assagai
  • Präzision im Mehrfarbendruck: Passer
  • Karpfenfischart (Döbel): Alet
  • Stiel der Sporenkapsel b. Moosen: Seta**

* Handelt es sich hierbei um dasselbe wie bei der "dünnen Baumwollschnur" (25.5.19)?
** Handelt es sich hierbei um dasselbe wie beim "Borstenhaar" (3.12.17)?

Freitag, 15. September 2023

Ostrale'O23 (2)

Kunst-Stoff

Liebe

Kabelknoten

Korbleger

Lebenslanges Lernen

Endnutzervereinbarung

Heim, Kino

Entdeckung

Dienstag, 12. September 2023

Ostrale'O23 (1)

Möglicherweise habt ihr an dieser Stelle vor zwei Jahren meine allfällige Ostrale-Kurzreview erwartet. Tatsächlich hatte die Biennale im Coronajahr 2021 regulär stattgefunden, unter strengen Hygieneauflagen freilich. Dass davon hier nichts zu lesen und zu sehen war, lag allein daran, dass ich mich in dieser schwierigen Zeit reisetechnisch stark eingeschränkt und es einfach nicht geschafft hatte, während der Ausstellungsdauer nach Dresden zu fahren. Das war umso ärgerlicher, als der Ort der Schau abermals in eine unkonventionelle Stätte verlegt worden war: von der historischen Tabakfabrik in die alte Robotron-Kantine, in welcher sich in meinen Zwanzigern die Diskothek "Melly's" befand (in der ich ein einziges Mal war; es mag euch überraschen, aber ich war nie ein großer Clubgänger) und die danach wiederholt kurz vorm Abriss stand, ehe man sich auf die Nutzung als Kulturzentrum einigen konnte. Erfreulicherweise bleibt dieses herrliche Zeugnis großzügig-pragmatischer Ost-Architektur weiterhin erhalten und wird auch die kommende Ostrale beherbergen.

Und so fand und findet (noch bis 1. Oktober) auch die O23 in dem früheren Gastronomie-Flachbau statt. Mein Urteil: Die Räume eignen sich hervorragend für Kunstausstellungen. Man kann sich, je nach Präferenz, sowohl locker zwischen den Objekten treiben lassen als auch einem klassischen Rundgang folgen. Die Lichtverhältnisse sind optimal, was einem umso mehr auffällt, als der Ausstellungsfläche eine "Dunkelkammer" vorgeschaltet ist, durch die man sich vom Eingangs- zum Ausgangsvorhang an einem Geländer entlang tastet. Auch die Werke selbst wissen zu gefallen; ich möchte sogar meinen, dass die diesjährige Auswahl die drei davor von mir begutachteten bei weitem übertroffen hat. Hätte die documenta fifteen auch nur ein Zehntel dieses Niveaus erreicht, wäre ich zufrieden gewesen. Das einzige, was mir sauer aufstieß, war der Eintrittspreis: 15 Euro müssen erwachsene Vollzahler hinlegen, freier Eintritt für Journalisten ist nicht mehr vorgesehen.

Hereinspaziert!

Scheinflora 1

Scheinflora 2

Scheinflora 3

Aufschüttung

Kantinenatmo

Machetenkonzert 1

Machetenkonzert 2


Samstag, 9. September 2023

Selbstgezeichnetes zum Samstag

Machen wir uns nichts vor, ihr guckt ja eh zuerst auf die Bilder, bevor ihr den Begleittext lest. Hier also die Zeichungen:



Und nun die Hintergrundgeschichte. Im letzten Serientagebucheintrag hatte ich mich an den brillant-behämmerten Webcomic "White Ninja" erinnert, der leider schon seit etlichen Jahren offline ist. So viel zu "Das Internet vergisst nichts"! Gott segne das "Internet Archive", wo man die langlebige Comicreihe noch findet, inklusive der mehr als 2000 (!) Fan-Comics. Jede Gastzeichnung, die eingeschickt wurde, erhielt die Ehre einer Veröffentlichung, und nicht nur das: Im Sommer 2006 riefen die Macher einen "Fan Art Contest" aus, bei dem ich natürlich mitmachen musste. Ich weiß zwar nicht mehr, was es als Hauptgewinn gab, aber ich hatte sofort zwei Ideen, die ich mit Bleistift auf Papier ausarbeitete, einscannte und einsandte (siehe oben).

Wenig später bekam ich eine Antwort-Mail, in der mir einer der beiden White-Ninja-Erfinder versicherte, die Horoskop-Geschichte sei der lustigste Fan-Comic, den er je gesehen hatte. Dieses Lob zähle ich bis heute zu den größten Erfolgen meines Lebens. Den ersten Platz belegte ich dann zwar nicht (#1 war ein White-Ninja-Tattoo [!] und #2, glaube ich, eine Schnitzerei oder etwas Gestricktes, ergo zwei Beiträge mit weitaus mehr Aufwand und commitment), aber für die Bronze-Platzierung erhielt ich immerhin einen gedruckten Sammelband ...



... sogar handsigniert mit individuellem Bonus-Panel versehen!


Ich bereue es, dass ich mir niemals die anderen Bücher bestellt habe. Volume 4 habe ich vor dem Schreiben dieser Zeilen noch einmal durchgeblättert und musste an mehr als einer Stelle Tränen lachen.

Mittwoch, 6. September 2023

Der Ausstieg

Das Folgende hat sich bereits im Oktober 2020 zugetragen. Ich habe es (fast) noch niemandem erzählt.

Ich kam mit der Regionalbahn von einer Solo-Wanderung zurück, alles war normal bis zufriedenstellend verlaufen. Frankfurt am Main Hauptbahnhof sollte der nächste und letzte Stopp sein. Doch bis dahin kamen wir nicht: Kurz vor Verlassen des Stadtwaldes (für Eingesessene: etwa auf der Höhe der Station Louisa) gab es eine spürbare Erschütterung, begleitet von einem kräftigen Ka-wumm! oder auch Pardauz! Dann eine Vollbremsung. Alsbald war klar: Der Zug war über etwas gerollt, das dort nicht hätte sein sollen, und es war kein Ast. Es war auch kein Tier.

Rückblick: Wiederum etliche Jahre zuvor saß ich in einem ICE, der mit fast 200 Sachen ein Reh erfasste und am nächsten Betriebshalt seine Fahrt nicht fortsetzen konnte, weil der wuchtige Kadaver blockierend im Radsatz des Triebwagens hing. Ich versäumte es leider, während unserer Zwangsrast ein Bild des unfreiwilligen Passagiers zu machen und dieses auf Twitter mit der Zeile "Im Bordrestaurant servieren wir heute Wildgulasch" zu teilen.

Zurück zur Geschichte, bei welcher mir ganz und gar nicht nach schwarzem Humor zumute war. 
Es passierte zunächst minutenlang: nichts. Verwirrung und Besorgnis machte sich unter den Mitreisenden breit, wobei die übliche Unruhe und Flucherei ausblieb, die sich normalerweise einstellt, sobald eine Zugfahrt außerplanmäßig unterbrochen wird. Endlich erschien ein Mitarbeiter. Er schritt stracks vom hinteren zum vorderen Waggonende, dabei sich ihm in den Weg Stellende kurz angebunden auffordernd, sitzen zu bleiben und sich zu gedulden. Eine weitere Zugbegleiterin flitzte irgendwo hin; ich vermag nicht mehr zu sagen, wie viel Personal involviert war und was es im einzelnen tat. Nie vergessen werde ich aber jenen Schaffner im Vorruhestandsalter, der die Frage eines Passagiers, ob man aussteigen dürfe, in breitestem Sächsisch beantwortete. Es ist schon putzig – egal, wo in der Republik man den Bahnverkehr nutzt, ein sächsischer DB-Bediensteter ist nie weit. Jedenfalls brüllte dieser Sachse: "Sie können da ni' raus, da draußen is' Hackfleisch!"

Eine knappe Stunde verging ohne für uns Eingesperrte erkennbare Entwicklungen. Doch dann wurden Einsatzkräfte sichtbar. Viele Einsatzkräfte: Feuerwehr, Polizei, Sanitäter usw. Eine Ärztin erschien und fragte jeden einzelnen Fahrgast, ob alles in Ordnung sei, ob Hilfe benötigt werde. Als nächstes bat ein Feuerwehrmann um Aufmerksamkeit: Es werde gleich eine (und zwar nur eine) Tür geöffnet, durch die wir einer nach dem anderen nach draußen geleitet würden. Das geschah dann auch. Weil sich der Ausgang ein gutes Stück erhöht befand, wir waren schließlich außerhalb eines Bahnsteigs zum Stehen gekommen, war eine metallene Leiter vor ihn positioniert worden. Darüber kletterten wir ins Freie, wobei uns links und rechts stützende Hände führten. Durch eine mit Verkehrshütchen markierte Notgasse begaben wir uns über Schotter und Schienen zur nächstgelegenen Tram-Haltestelle. Dort wartete auch direkt eine Straßenbahn, mit der ich günstigerweise bis vor meine Haustür fahren konnte. "Wer so viel und oft durchs Land juckelt wie ich, muss ja rein statistisch früher oder später derartiges erleben", versuchte ich mir den Vorfall zu rationalisieren. Meine Knie zitterten an diesem Abend trotzdem noch ein Weilchen.


Rund zwei Jahre später las ich eine Publikation von Mark Benecke, worin dieser den Wert historischer Lehrbücher der Gerichtsmedizin hervorhob: In solchen finde man nämlich zuweilen aussagekräftige Fotos von Eisenbahnüberrollungsopfern, wie man sie heute kaum noch sehe – unsere schnellen Züge moderner Bauart verursachten keine so "schönen, sauberen Schnitte" mehr. Die Umschreibung "Hackfleisch" war in jenem Fall wohl treffend.

Sonntag, 3. September 2023

Der gute Sonntagslink (plus Entschuldigung)

Wusstet ihr, dass es sämtliche Ausgaben von "Ich und mein Staubsauger", dem West-Berliner Fanzine, in dem Max Goldt Ende der 1980er Jahre seine ersten "Onkel Max"-Kolumnen veröffentlichte, online gibt? Wusste ich auch nicht, bis mich Scott Hühnerkrisp vor einer Weile indirekt darauf aufmerksam machte.

Die liebevoll rotzig, professionell-dilettantisch gemachten Ausgaben, in denen man viel über die Club-, Sub- und sonstige Kultur der wilden Vorwendezeit erfährt, könnt ihr in den kommenden Wochen lesen. Denn hier im Blog wird es im September etwas ruhiger werden. Jawohl, es ist mal wieder Zeit für einen "Sorry fürs Nichtsbloggen!"-Beitrag bzw. -Halbbeitrag. Ich werde zwar versuchen, mindestens alle drei Tage etwas auf Kybersetzung einzustellen, der gewohnte Turnus kann aber leider nicht durchgehalten werden. Ich bitte um Nachsicht.

Freitag, 1. September 2023

Serientagebuch 08/23

01.08. Leverage 2.06
02.08. Manifest 4.19
04.08. Gary and His Demons 2.01
Gary and His Demons 2.02
Gary and His Demons 2.03
06.08. Archive 81 1.02
Archive 81 1.03
07.08.
Gary and His Demons 2.04
Gary and His Demons 2.05
Manifest 4.20
08.08. Leverage 2.07
Mid Morning Matters with Alan Partridge 2.04
Grace 3.01
09.08.
Gary and His Demons 2.06
Gary and His Demons 2.07
10.08. Grace 3.02
13.08. Archive 81 1.04
14.08. Leverage 2.08
Mid Morning Matters with Alan Partridge 2.05
Grace 3.03
15.08. Gary and His Demons 2.08
Gary and His Demons 2.09
Gary and His Demons 2.10
17.08. Mid Morning Matters with Alan Partridge 2.06
Line of Duty 6.01
Line of Duty 6.02
21.08. Fleabag 2.01
Fleabag 2.02
22.08. Line of Duty 6.03
Line of Duty 6.04
Line of Duty 6.05
23.08. Line of Duty 6.06
Line of Duty 6.07
24.08. Archive 81 1.05
28.08. Leverage 2.09
29.08. Fleabag 2.03
Leverage 2.10
30.08. Leverage 2.11
Hijack 1.01
31.08. Fleabag 2.04
Archive 81 1.06

Oh Mann, hätte ich gewusst, dass die von mir im April besprochenen Folgen der 4. Staffel von Manifest nur die erste Hälfte dieser Staffel waren, hätte ich mir die Kurzrezension natürlich gespart. Ich dachte, es würde danach mit einer 5. Staffel weitergehen; stattdessen zählten die neuen zehn Episoden noch zur vierten. Wann ging das eigentlich los mit dem unsäglichen Trend des Season splitting? Zum ersten Mal habe ich es bei "Breaking Bad" erlebt, soweit ich mich erinnern kann. Wie ich hörte, wurde die finale Staffel von "The Walking Dead" sogar in drei Teile zerstückelt.
Jedenfalls bin ich froh, dass "Manifest" nun vorbei ist. Schön war, dass man sich für das Ende ungewöhnlich viel Zeit genommen hat, nachdem man vorher recht hektisch von Szene zu Szene gesprintet ist. Bin ich zufrieden mit der Auflösung? Ja. Ein bisschen zu christlich war mir das Ganze, die Parallelen zu "Lost" waren unübersehbar (aber wohl auch unvermeidbar), und die kleineren und größeren handwerklichen flaws habe ich ja schon hier und da aufgezeigt. Als maßvoll spannende Mysterykost für zwischendurch taugte "Manifest" dennoch.

Vor noch gar nicht langer Zeit habe ich mit viel Gewinn die zweite Staffel von Grace gesehen, diesen Monat habe ich mich direkt auf die Fortsetzung gestürzt. Die Qualität hat noch einmal zugenommen, so dass ich mich freue, wenn im Frühling nächsten Jahres Staffel 4 anläuft. Der staffelübergreifende Handlungsbogen hat zuletzt ordentlich Fahrt aufgenommen, aber auch der jeweilige "Fall der Woche" vermochte stets zu überzeugen. Mitreißende Plots, glaubhafte Figuren, überraschende Wendungen, kurzum: britisches Crime-TV at its best!

Fortgesetzt werden soll auch die Erwachsenentrickfilmreihe Gary and His Demons! Was ich damals (Link s.o.) über Season 1 geschrieben habe, trifft auch auf Season 2 zu, betonen möchte ich bloß noch, dass die Dialoge durch die Bank weg grandios sind. Ich weiß jetzt auch, warum sie bei aller Pointenfixiertheit so natürlich wirken: "Improvisation plays a heavy role in recording the show, and the final product is a marriage of the script and improvisation. The creative team has said that they include as many improvisers in recording as possible." (Wikipedia)
Schaut man sich auf imdb das bisherige Schaffen von Co-Creator Mark Little an, erfährt man, dass dieser im Jahr 2015 Drehbücher für eine TV-Version von "White Ninja" geschrieben hat. "White Ninja Comics" war einer meiner All-time-Lieblings-Webcomics, leider ist sowohl die Comic- als auch die Animationsreihe längst vom Sande des Vergessens bedeckt worden.

Nun ist es also vorbei: Ich habe sämtliche Serien mit Alan Partridge gesehen. Mir war klar, dass es irgendwann dazu kommen würde. Entsprechend sparsam eingeteilt habe ich mir denn auch die letzten sechs Folgen von Mid Morning Matters, anstatt sie an einem oder zwei Tagen durchzusuchten. Und was für ein Vergnügen das wieder war! Bereits in den ersten 60 Sekunden der zwoten Staffel musste ich durchgängig feixen. Rückblickend muss ich dennoch zu dem Befund kommen, dass "This Time" Steve Coogans gelungenster Serien-Output war.
Und jetzt habe ich noch zwei Partridge-Bücher und einen Film vor mir!

Im Fall von Line of Duty konnte ich dem Drang zum Bingen nicht widerstehen. Satte sieben Episoden hat man uns zum Abschluss spendiert. Die waren auch nötig, um nicht nur den neuen Einzelfall (in dessen Zentrum ein von Kelly Macdonald aus "Boardwalk Empire" superb verkörperter DCI steht) abzuwickeln, sondern auch den überspannenden, auf schwindelerregende Komplexität angewachsenen Arc um Organisierte Kriminalität und politische Verschwörungen zu einem befriedigenden Ende zu bringen. Den Überblick über alle losen Fäden sowie die Dutzenden Namen und Figuren aus vergangenen Staffeln zu behalten, ist eine echte Herausforderung. Dank stetigem Wiederholen und zusammenfassendem Erklären durch die Hauptfiguren gelingt es einem aber, den Ereignissen und Kapriolen einigermaßen zu folgen, höchste Konzentration vorausgesetzt. Am Ende musste ich ein Tränchen verdrücken angesichts der Erkenntnis, dass es mit der "besten britischen Polizeiserie überhaupt" (Zitat ich) nun aus ist.
PS: Kompliment an Sascha Draeger (den Tim aus "TKKG"), dessen Dialogbuch und -Regie den anspruchsvollen Stoff und die zackigen Wortwechsel aufs Adäquateste in deutscher Sprache vermittelt haben!