Samstag, 30. September 2023

Back to School

Ich bin ja nun schon 41 und entwickle unvermeidbarerweise Affinitäten für Alte-Leute-Sachen: Heimatforschung, klassische Musik, Kreuzworträtsel (nee – das mochte ich schon immer) und neuerdings auch Vereinsmeierei. Seit diesem Jahr bin ich Mitglied im Deutschen Alpenverein, im Deutschen Quizverein und in der Indogermanischen Gesellschaft. In Letztere hätte ich schon viel früher eintreten sollen! Um meine temporäre Abkehr von der gediegensten und wahrhaftigsten aller Geisteswissenschaften ein Stück weit wiedergutzumachen, meldete ich mich direkt für die Arbeitstagung zum Thema "Lautwandel und morphologische Analogie" an, welche vom 12. bis 14. September in Köln stattfand. Arbeitstagungen der IG gibt es zwischen den alle vier Jahre durchgeführten Fachtagungen, von welchen ich bereits zwei besucht hatte, nämlich die XII. Fachtagung 2004 in Krakau (im Rahmen einer Exkursion mit unserem Lehrstuhl; da war ich noch im Grundstudium) sowie die XV. Fachtagung 2016 in Wien (auch da hatte ich, längst Alumnus, Sehnsucht nach akademischer Befruchtung). Aus Termingründen konnte ich nicht von Anfang bis Ende dabei sein, aber ein voller Programmtag netto war mir vergönnt. Hier sind meine Eindrücke in Stichpunkten.

- Das Hauptgebäude der Universität zu Köln, in dessen Hörsaal Nr. II die Konferenz ablief, ist stattlich, zweckmäßig, schmucklos, typisch 1934 halt. Man findet sich einwandfrei zurecht, und als ich mich ihm näherte, dachte ich: 'Och, hier könnte ich mir vorstellen zu studieren.' Mit einigem Abstand muss ich jedoch sagen: Noch besser als solche unübersehbaren Klötze (vgl. die Frankfurter Goethe-Uni) finde ich Hochschulbauten, die entweder extrem modern, luftig, pfiffig, auf Hightech getrimmt sind, oder noch älter, knorrig-knarzig, verwinkelt, efeuumrankt, ich denke da an einzeln stehende Backsteinhäuser meiner Alma mater in Dresden. Ein dezentralisierter Campus hat eben auch Vorteile, oder wenigstens einen: Abwechslung.

- Dass es dem Fach schlecht geht, war mir bewusst. Wie viele Professuren existieren hierzulande überhaupt noch? Ein halbes Dutzend? Dabei mangelt es an Nachwuchs keineswegs! Ich war positiv überrascht, wie hoch der Anteil junger Leute war. Ein regelrechter Generationenwechsel hat sich vollzogen. Dominierten in den vergangenen Jahrzehnten noch die Alten, deren Standardwerke und nach ihnen benannte Gesetze man kannte (und die live zu sehen ohne Frage ein Ereignis darstellte!), war die Mehrheit der Vortragenden heuer um die 30 Jahre alt. Kaum ein Name sagte mir was (was gewiss auch daran lag, dass ich nun schon eine Weile "raus" bin aus dem "Business"), aber ich sah, dass es gut war: Dieser Nachwuchs taugt was, das sind feine Geister, die die kümmerliche Fackel der Historisch-Vergleichenden Sprachwissenschaft mit Stolz, Verantwortung und Tatendrang weitertragen.
So oder so, der IG fehlt es offensichtlich an Mitteln. Kaffee und Wasser wurden zwar immerhin angeboten, eine schöne Begleitmappe wie damals in Krakau oder gesellige Rahmenveranstaltungen waren indes Fehlanzeige. Sogar unsere Namensschildhüllen sollten wir am Ende wieder abgeben, aus ökonomischen wie ökologischen Gründen. Dafür wurde keine Teilnahmegebühr erhoben.

- Was nett war: Wir erhielten Gästepässe für die Mensen und Cafeterien, und so kam ich seit Ewigkeiten mal wieder in den Genuss von Mensaessen. In meiner Studienzeit war ich großer Fan der Dresdner Mensen. An die Qualität, die ich von daher kannte, kam das Angebot in der Zülpicher Straße nicht heran, aber hey: 6,15 € für vegetarische Moussaka plus Salat und Nachtisch, da kann man nicht meckern.


- Mir scheint, die "großen" Sprachen sind sozusagen auserforscht. Zahlreiche speeches drehten sich um kleinere und/oder vormals stiefmütterlich behandelte Dialekte, allein am ersten Tag ging es um Hieroglyphenluwisch, Mittelarmenisch, Altfranzösisch und die Trümmersprache Messapisch; Altindisch zum Beispiel spielte gar keine Rolle, immerhin zwei Referate gab es zum Lateinischen (die fand ich sogar am spannendsten). Ein Vortrag zum Tocharischen, welches in meiner Unizeit praktisch gar keine Rolle gespielt hatte, überforderte mich dermaßen, dass mir schwindelig wurde und mich kurzzeitig Anfälle von Imposter Syndrome heimsuchten: 'Hilfe, was tu ich hier? Ich weiß nichts und kapiere nichts!'


- Erfreuliche Tendenz: Fast die Hälfte der speakers war weiblich. Die Institutionen, die beteiligt waren, verteilten sich über den ganzen Globus, es gab Vertreterinnen und Vertreter aus Italien, Japan, Österreich, den USA ... Apropos: Es fiel einmal mehr auf, dass in Amerika einfach eine ganz andere Vortragskultur herrscht. Allein die Powerpoint-Folien sind lebendig, humorvoll, graphisch ansprechend. Da kann ich als Deutscher nur anerkennend lächeln bzw. abschätzig das grimme Haupt schütteln.


- Für den September 2024 ist die XVII. IG-Fachtagung in Basel terminiert, Schwerpunkt: "The Speakers of Indo-European and their World". Das klingt nach Realienkunde und also right up my alley. Aber ob ich mich da blicken lasse? Ich glaube, ich traue mir das nicht mehr zu. Kann ja dann fünf Jahre später die Proceedings lesen.

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