Mittwoch, 27. September 2023

TITANIC vor zehn Jahren: 10/2013


Damit hätte niemand gerechnet (außer alle): Merkel ist Bundeskanzlerin, Peer Steinbrück in die ewigen Jagdgründe eingefahren. Neben dem für sich sprechenden Titel geht ein fast von der gesamten Redaktion zusammengestellter sechsseitiger Nachklapp zur Bundestagswahl auf deren Ausgang ein.

Aufmacher in dieser Ausgabe ist jedoch die Reportage über einen Besuch in Bad Hersfeld. Diese Stadt hatte kurz zuvor etwaige Pläne, unter der Erde lauernde Gasschätze zu fördern, einhellig stillgelegt, "[d]och laut Spiegel haben internationale Energiefirmen erst vor kurzem wieder begehrliche Blicke auf Deutschland geworfen, so etwa die kanadische 'BNK Petroleum', die in Nordhessen herumbohren wollte." Also fuhren Leo Fischer, Volontär Valentin Witt, Neuredakteur Moritz Hürtgen und ich, bewaffnet mit "liebevoll zusammengelogenem Informationsmaterial" ("Bad Hersfeld. Hauptstadt des Frackens") ebendort hin, verschafften uns ein Stimmungsbild und bereiteten die Bürger auf die kommende "Gastastrophe" vor, bis wir nach kaum zwei Stunden angesichts des miesen Wetters keine Lust mehr hatten ("Zutiefst verstört ziehen wir uns in den Bahnhofskiosk zurück. Doch beruhigt uns das dritte Nachmittagsbier nicht wie üblich, verstärkt vielmehr noch unsere Paranoia. Und ist da nicht ein öliger Beigeschmack?"). Die Lustlosigkeit schleppten wir noch bis in die Redaktionsräume mit, den Aktionsbericht schrieb am Ende zu 90 % Leo Fischer.


Nach den "Tricks der Zauberer" im letzten Heft fand die Branchencheck-Parodie mit diesem Fake-Titel in den "Briefen" eine Fortsetzung:


Neben Bad Hersfeld war in jenen Monaten eine weitere hessische Gemeinde wiederholt in den Schlagzeilen, genauer der dort residierende, heute notorisch hipsterbärtige Franz-Peter Tebartz-van Elst: "Sein neuer Bischofssitz ist gerade für amtliche 20 Trillionen Euro fertig geworden, mit seinen Neidern gab's deswegen ordentlich Beef. 'Alles Spießer', pariert der umstrittene Gangsta-Katholik (Künstlername: 'The Koboldmaki') und lädt rotzfrech zur Churchwarming-Party." (M. Ziegelwagner, S. 34f.)


Abzuwatschen war auch endlich mal eine Personalie, die viel zu wenige auf dem Schirm hatten und haben, nämlich Hannes Jaenicke, der mit einem erbärmlichen Augenöffnerbuch und Wohlstandsbetroffenheit von Talkshow zu Talkshow tingelte. Man glaube mir, dass Leo und ich beim Schreiben der Abrechnung zu gleichen Teilen mit Heiterkeit (Affensexwitze!) und gerechtem Zorn erfüllt waren.


Das Oktoberheft ist auch immer das Buchmessenheft, und Gastland in Frankfurt war 2013 Brasilien. Wie üblich veranstaltete Titanic einen Lesewettbewerb ("Die große TITANIC-Regenwald-Vernichtungs-Lesung", s. S. 9), aus welcher ich mit meinem Beitrag als Sieger hervorging (ein Erfolg, den ich 2014, gemeinsam mit Michael Ziegelwagner, wiederholen konnte). Illustriert hat ihn, wie man sieht, der zukünftige Hauszeichner Leo Riegel.


Die diesmonatige Ausgabe von "55ff" enthält nicht nur eine meiner All-time-Lieblings-Sebastian-Klug-Rubriken:


... sondern auch einen Hinweiskasten, der einen realen Anlass aus meinem Leben hatte:


Ich weiß bis heute nicht, wer der Herr auf dem Foto ist, aber das Bild erschien eine Zeitlang sehr weit oben, wenn man in die Google-Bildersuche den Namen Ulrich eingab. Es diente mir im Titanic-Mitarbeiter-Rekrutierungs-Forum wussow.tk ein paar Jahre als Avatar.

Weiteres Notierenswertes
- Ein später Klassiker von Eckhard Henscheid (S. 40f.) stellt klar: "Dieser Hitler! Er darf sich nie mehr wiederholen! Niemals!" Als es bei der Themenkonferenz hieß "Henscheid möchte etwas über Hitler schreiben", war die allseitige Reaktion eine Mischung aus Perplexität, Neugier und Ernüchterung; das Ergebnis kann sich indes lesen lassen: "Bereits die häufige Benennung des Hochwassers vom Juni 2013 als 'braune Brühe' durch Presse, Funk und Fernseh läuft auf eine schleichende Verharmlosung des nur scheinbar gutmütigen, in Wirklichkeit sehr bösen, ja 'grundbösen' (L. Rinser) Hitler und seiner nur scheinbar ungefährlichen Grundfarbe Braun (Braunau, Eva B. usw.) hinaus." E. Henscheid hat übrigens bis zum Schluss (und tut es weiterhin; zumindest ist zu hoffen, dass er mal wieder was in seinem alten Stammmagazin veröffentlicht) alle Manuskripte postalisch als Schreibmaschinenseiten eingesandt, die in mühsamer Tipparbeit von der Redaktionsassistenz digitalisiert werden mussten.
- Sehr insiderig, aber amüsant ist die lyrische Verhandlung der sichtbaren Gewichtsabnahme des Großschriftstellers, der bei uns über Monate hinweg teils offen, teils versteckt als "der dicke Kehlmann" tituliert worden war ("Satire wirkt! Eine Gratulation in eigener Sache" von Michael Ziegelwagner, S. 45).
- Und noch eine Personenerledigung: Gerhard Henschel über "den Lärmunfall Sibylle Weischenberg", eine Society-Expertin, die mir (zum Glück?) überhaupt nix mehr sagt (S. 58-60).
- Zu guter Letzt sei hier die wunderbare Kahl'sche U3 wiedergegeben:


Schlussgedanke
Eine Ausgabe, die von vorne bis hinten gute Laune macht. Vielleicht die beste des Jahres? Bittersüß wird's beim nächsten Mal.

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