Dass es diesmal bittersüß werden würde, kündigte ich in der vergangenen Folge an. Dahinter steckt, dass das Novemberheft 2013 die letzte Ausgabe der Ära Fischer ist. Seufz.
An diesem Titel – der zugleich den Beginn einer langen, alsbald äußerst ermüdenden Ära, nämlich jener der Satire zur sog. Flüchtlingskrise, einläutet – saßen Tom Hintner, Leo Fischer und ich bis zur buchstäblich letzten Minute. Es war Blaupausen-Mittwoch, alles war fertig, nur die Titelseite, auf welche die Druckerei hufenscharrend wartete, wollte nicht so recht gelingen. Es wurde immer später, es floss reichlich Abschiedsbier, und ein Titel-Gag nach dem anderen wurde verworfen (eine Wildwasserbahn als Fluchtroute, uff). Schließlich verließen wir uns auf die Kanzlerin als Lückenbüßerin, womit dies das vierte Merkel-Cover in Folge wurde (was freilich nix ist im Vergleich zu 1992, dem 8-Kohl-Titel-Jahr, in welchem es sogar einen Fünfer-Streak gab). Ich finde den Witz bis heute gelungen.
Dieses Heft markiert auch einen weiteren Schlussstrich: Das letzte "politische Gedicht" erschien darin (bis die Rubrik von Moritz Hürtgen wieder re-installiert wurde). Mir fiel die Ehre zu, es zu verfassen und zugleich eine andere Institution zu verabschieden.
Wie bereits angedeutet: Das Schicksal der (afrikanischen) Refugees und der Umgang speziell Deutschlands mit ihnen beschäftigte die hiesigen Medien und, als mittelbare Folge, satirisch arbeitende Redaktionen ab Ende 2013 eine gefühlte Ewigkeit lang (und tut es, während ich dies schreibe, erneut!). Der erste größere Artikel (S. 26-29) stammte von Tim Wolff und Stephan Rürup und griff den Diskurs in wohltuend titanischster Weise auf. "Es ist eine 'Schande' (Papst Franziskus): Statt wie von der Natur vorgesehen in ihren Bürgerkriegen und Hungersnöten zu sterben, lassen sich immer mehr Afrikaner an unseren schönen Mittelmeerstränden anschwemmen. Dabei ist Todesangst doch kein Grund, gleich ins friedliche und satte Europa zu flüchten".
Unter den weichen Themen in jenem heißen Herbst findet sich ein saisonales, präsentiert auf der Doppelseite 34/35 (dem Posterplatz!) von zweien meiner All-time-Lieblingsmenschen:
Mit Jungredakteur und -poet Hürtgen nimmt nun auch Lyrik wieder einen prominenteren Platz ein. Auf S. 38f.: Grußworte des Bundespräsidenten, die er in die Goldenen Bücher des Landes eingetragen hat (dem ergiebigen Fotomaterial nach eine von Gaucks bedeutendsten Beschäftigungen).
Wie es der Zufall so will, habe ich just heute für eine TITANIC-Seite die Karriere Bernd Luckes recherchiert. Seine Allianz ALFA gibt es ja gar nicht mehr, und aus deren Nachfolgerin "Liberal-Konservative Reformer" ist dieses Jahr die Partei "Wir Bürger" geworden. 2013 jedenfalls war der AfD-Gründer in aller Munde, nachdem er den Einzug seiner Partei in den Bundestag haarscharf verpasst hatte, einer Partei, deren Programm ausweislich Michael Ziegelwagners Portrait "Lucky Bernd Lucke" damals noch als nahezu monothematisch galt.
"Der Professor für Eurokritik an der Uni Deppendorf ist keineswegs nur ein Zahlenmensch: Aus steuerlichen Gründen hat er eine Frau geheiratet, Dorothea, die ebenfalls in der AfD engagiert ist. Den Parteinachwuchs organisieren die Söhne Mark, Marko, Hans-Pfennig und Teurobert. [...] Ist die AfD eine Ein-Themen-Partei, besessen vom Fetisch D-Mark? 'Quatscho. Wir haben auch jede Menge Ideen zur Kulturpolitik.' Lucke schwärmt: 'Kunst ist nämlich eine topsichere Anlageform! Vor allem Bilder von Marc Chagall, Franz Marc, Marie Marcks und Mark Rothko.'"
Weiteres Notierenswertes
- Die Juxerei um Daniel Kehlmanns sichtbare Gewichtsabnahme (s. 10/13) geht weiter, wir initiierten den Wettbewerb "Ein neuer Name für Daniel Kehlmann", bei dem es als Hauptpreis eine (teure!) Nomos-Armbanduhr (s. 6/13) und als zweiten Preis die extrem nervig zur vollen Stunde zwitschernde Vogeluhr "von der Bürowand des scheidenden Chefredakteurs" zu gewinnen gab. Und wer jetzt maulend Fatshaming anmahnt, sei daran erinnert, dass "der dicke Kehlmann" nie krankhaft adipös, sondern allenfalls niedlich-pummelig war und außerdem Daniel fucking Kehlmann ist. Der Mann durfte letzte Woche Salman Rushdie laudieren und schwimmt in Literaturpreisen; he's doing fine, der hält das aus.
- Das Protokoll des Shutdowns in den USA – das war damals noch etwas ganz Besonderes –, das Leo und ich zusammenfabulierten, ist eines der wahnsinnigsten Produkte unserer Zusammenarbeit, enthält aber leider ärgerliche Tippfehler. Trotzdem eine vergnügliche Lektüre, if I may say so myself. "6. Oktober. Obama hat heute die Zahlungen für die Realitätsstabilisatoren an der Westküste eingestellt. Schon jetzt beginnen einige Naturkonstanten zu verschwimmen. Erste Schulen haben bereits das metrische System eingeführt, und in einer Wendy's-Filiale wurde erstmals seit 200 Jahren wieder mit Bargeld bezahlt." (S. 30-32)
- Für einen kleinen internen Skandal sorgte der "Letzte Mensch" über ... Robert Gernhardt. Das Interview "Der lustigste Mann der Welt packt aus", in welchem der beachtliche Reibach, den Gernhardts Schaffen (bis heute) generiert(e) und gegen den der Altmeister überliefertermaßen und verständlicherweise nie etwas einzuwenden hatte, verhandelte, kam bei einigen Vertreterinnen und Vertretern der TITANIC-Gründungsgeneration gar nicht gut an. Gallige Briefe von Autor(inn)en, von denen man jahrelang nichts gehört hatte und die das Heft gefühlt seit ihrem Ausschied nie mehr angerührt hatten, erreichten die Redaktion, die den im Grunde lieb gemeinten Quatsch, der Gernhardt vermutlich kaum gekränkt hätte, geschlossen verteidigte.
"Schlußfrage: Schenken Sie uns eine Lebensweisheit.
Geschenkt? Geschenkt gibt's den Tod. Und jetzt tschüs, habe so einen beschissenen Termin am Landgericht. Sie kennen das ja: Meine Mieter wollen die Kakerlaken raus, ich will die Mieter raus. Wem ich da wieder die Kniescheibe brechen lassen muß, ich will's gar nicht wissen ..."
Hahahaha!
Schlussgedanke
Ein glorioser Schwanengesang, ein herbstlich-stimmungsvoller Kürbis gefüllt mit beißendem Spott und beschwingten Schnurren. Next time: Neustart.
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