Montag, 23. Dezember 2024

TITANIC vor zehn Jahren: 1/2015


Willkommen im Titanic-Jahrgang 2015, dessen erste Ausgabe wie gehabt von Ende November bis Anfang Dezember produziert wurde – die "ideale" Zeit für Straßenaktionen! (Wobei: Der Rest des Jahres ist auch nicht besser geeignet. Entweder zerfließt man bei 35 Grad oder in strömendem Regen. Ich kann mich kaum an Aktionen erinnern, während derer wir uns gerne draußen aufgehalten haben.) Die in Frankfurt-Bornheim durchgeführte Gender-Aktion "Deutschland von _innen" (S. 12ff.) hat aber abgesehen von den Witterungsbedingungen viel Spaß gemacht und heitere Ergebnisse gezeitigt.


Es war dies übrigens die erste Aktion, an der die spätere Chefredakteurin Julia Mateus teilnahm – als Praktikantin, die auch einiges weiteres Schönes zu dieser Ausgabe beigetragen hat.


Ich wollte gerade recherchieren, wie viele sog. Superreiche es auf der Welt gibt, bekomme aber keine eindeutige Antwort. Unstreitig ist wohl, dass das Privatvermögen der reichsten Menschen 2024 wieder einmal gestiegen ist, doch die tatsächliche Zahl der extrem Begüterten hängt wohl von der Definition ab: Setzt man ein Mindestvermögen von 100 Millionen US-$ Finanzvermögen an, wie es das ZDF tut, kommt man auf weltweit 73.000 Superreiche. "Leute mit einem Vermögen von mehr als 30 Millionen Dollar" gibt es laut einer in Titanic zitierten Studie sogar 200.000, zumindest gab es sie vor zehn Jahren, als das Thema offenbar auch schon den Rest der Menschheit umtrieb (Riegel/Tietze: "Unsere Superreichen", S. 46-47).


"Die 'Deutsche Automatenwirtschaft' zeigt sich in einer Anzeigenkampagne von ihrer seriösesten Seite: gesetzestreu, staatstragend, stocknüchtern." (Wolff/Ziegelwagner, S. 34f.) Ja-ha, dank der Zeitkapsel Titanic sehe ich diese Kampagne direkt wieder vor mir: "Kein Spiel ohne Regeln", bah, war das eklig. Ich glaube, es gibt kaum einen Ort, der mich weniger anzieht als eine scheiß Spielhalle.


Seit dem EU-weiten Verbot vor über zwei Jahren abgeschaltet, 2014 aber noch in aller Munde und vor vieler Augen: der deutsche Ableger des russischen Staatssenders Russia Today, "RT Deutsch", nachmals "RT DE". Das Trio Hauck/Hürtgen/Mateus deckte auf, dass "schon längst weitere Propagandakanäle aus dem Ausland auf den deutschen Markt" drängten (S. 26-28):


Hier kommt eines der treffsicher geschmacklosesten Gruppenfotos, die wir je angefertigt haben (im ungünstigerweise auch von Mitmietenden frequentierten Hinterhof der damaligen Redaktionsräume), übertroffen höchstens vom Mount-Everest-Leichenberg etliche Jahre später. Und ja, hinter dem köstlich beknackten Witz steckte eine echte Debatte, die Ende 2014 geführt wurde. Love it.


In dieser Folge von "55ff" hat der Fotograf und Zeichner Renke Brandt, der heute allmonatlich die hintere innere Umschlagseite mit seiner Reihe "Welträumchen" befüllen darf, seinen ersten Auftritt. Der Künstler, den zu treffen ich inzwischen mehr als einmal das Vergnügen hatte, hatte mir unverlangt ein im Eigenverlag herausgegebenes Booklet mit Bildwitzen geschickt, von denen mir auf Anhieb mehrere wie gemacht schienen für eine Nonsense-Rubrik.


Mein diesmonatiger Lieblings-Cartoon ist allerdings dieser des nur wenige Male im Heft vertretenen Björn Ciesinski (im "Fachmann", S. 44):


Weiteres Notierenswertes
- Das gab es meiner Erinnerung nach nur ein einziges Mal: einen Umblätter-Comic von Rattelschneck im Essay (S. 19f.)!
- Erst letzten Monat musste ich anlässlich wiederholten Verdrusses über das Fehlen von Ablageplätzen in Hotel-Badezimmern an einen Aufsatz von Sebastian Klug denken, in der dieser sich "über die gesamteuropäische Hostel- und Campingplatzduschenkultur" echauffiert. Und siehe, in dieser Ausgabe findet sich die "sachliche Auseinandersetzung", und um mangelnde Möglichkeiten, "Kleider sicher zu deponieren", geht es auch darin: "[...] Häkchen, Schemelchen, Ablagebrettchen; aber da war nichts, einfach rein gar NICHTS ... Vor aufsteigender innerer Eiseskälte zitternd, blickte ich angsterfüllt, ja panisch um mich, stakste wie ein blöde gewordener Storch im Kreise umher, und zwar auf den Fersen, um dem Todesbrei möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten. Schließlich verliere ich im Streß dieser Extremsituation oft die Kontrolle über mein Kleiderhäufchen und lasse es aus den Fingern gleiten, sehe noch im Zeitlupentempo, wie es hinunterstürzt in diesen Haar- und Hautschüppchendreck von tausendundeins widerlichen Menschenkörpern, zum Teil sehr, sehr kranken widerlichen Menschenkörpern!"
- Hinter "Moritz von Uslar", der im Stil seines inzwischen gottlob eingestellten Zeit-Magazin-Formats auf S. 41 ein Interview mit Armin Meiwes führt, steckt natürlich Elias Hauck.
- So vollgehauen wie in diesem Heft ist der "Betrachter" (S. 64f.) selten. Elf Cartoons plus Titelvignette (Thema: Schlagermusikfans) – das würde heutzutage nicht mehr durchgehen!

Schlussgedanke
Eine erquickliche, unaufgeregte und doch bissige, relevante Ausgabe. Mir der Unaufgeregtheit ist es beim nächsten Mal allerdings vorbei ... Oh, Leute, ab kommenden Monat ist nichts mehr, wie es einmal war ...

Freitag, 20. Dezember 2024

Mission: Rohr frei!

Am Mittwochabend musste ich, nachdem ich mich lediglich einer Katzenwäsche unterzogen hatte, feststellen, dass das Wasser aus meinem Waschbecken nicht mehr richtig abfloss. 'Aha, Verstopfung!', wurde mir klar. Dass das in all den Jahren noch nicht vorgekommen war, wunderte mich. Ich würde also am nächsten Morgen die Zange ansetzen müssen, denn ich besitze keinen Pango. Das machte mir aber nichts aus, im Gegenteil freute ich mich sogar darauf, endlich mal in meine reich gefüllte Werkzeugkiste greifen zu können, und ich stellte es mir sehr befriedigend vor, batzenweise Schmodder aus dem Chromrohr zu prokeln.

Bevor ich mich ins Bett legte, googelte ich noch rasch, ob es nicht ein Hausmittelchen gäbe: Könnte man dem Stauverursacher mit einer Spülung beikommen, bevor man zur "Operation" schreitet? Direkt der erste Treffer las sich vielversprechend: Drei bis vier Esslöffel Natron in den Abfluss geben und eine halbe Tasse Essig hinterherkippen, lautete der Tipp. Super! Sowohl Kaiser-Natron als auch Essigessenz sollten in keinem Haushalt fehlen. Ich tat wie beschrieben und lauschte der angekündigten lautstarken chemischen Reaktion im Gedärm meines Waschbeckens. Man solle, hieß es, kochendes Wasser nachgießen, sobald das Gebizzel aufhört. Es hörte aber nicht auf! Noch nach weit einer Stunde, es war bereits nach Mitternacht, zischte und blubberte es im Inneren des Rohrsystems. Ich war zu müde, um länger zu warten; das heiße Wasser würde ich nach dem Schlafen hinterherschicken. So geschah es. Ich hatte mich schon darauf eingestellt, dass die Behandlung wegen der langen Unterbrechung fruchtlos geblieben wäre, doch das Wasser aus dem Wasserkocher schlängelte sich zunächst behutsam hinab, gab dem Natron-Essig-Gemisch den Rest, es gurgelte kurz und siehe: Alles fließt seitdem wieder, wie es soll.

Mittwoch, 18. Dezember 2024

Meine zehn zuletzt gesehenen Filme

Dirty Work
Wie schon "Screwed" von 2000 habe ich diese zwei Jahre zuvor erschienene Komödie hauptsächlich deswegen angeschaut, weil sie bei Amazon Prime verfügbar war und weil Norm Macdonald darin die Hauptrolle spielte. Doch wie jene ist "Dirty Work" ein humoristischer wie inszenatorischer Rohrkrepierer. Über die Löchrigkeit der Story und das pubertäre Niveau der "Gags" konnte ich trotz dem schon in der Sitcom "Norm" prächtig harmoniert habenden Duo Norm Macdonald / Artie Lange und Gastauftritten wie von David Koechner und Don Rickles nicht hinwegsehen. Keine Sternstunde in Bob Sagets Karriere, der hier Regie führte.

The Old Oak
Apropos Regiekarriere: "The Old Oak" wird voraussichtlich die letzte Arbeit des großen Briten Ken Loach gewesen sein, und das Drama über ein altes Pub, syrische Flüchtlinge und ein ehemaliges Bergarbeiterstädtchen ist exakt das, was man erwartet. Ein Filmemacher mit minderem Gespür für Realismus und (Zwischen-)Menschlichkeit hätte das stille Ensemblestück womöglich gar zu sehr in Rührseligkeit und Sozialkitsch getränkt. Die Gefahr, dass seine Gesellschaftsportraits in flacher Romantisierung ausarten, bestand bei Ken Loach freilich nie; hier hätte ich mir aber schon gewünscht, dass der Trostlosigkeit etwas mehr trockener Witz, ein My Situationskomik entgegengesetzt worden wäre. Es ist alles so traurig! Obwohl: Möglich, dass ich am Ende von "I, Daniel Blake" noch mehr geweint habe ...

Arsen und Spitzenhäubchen (OT: Arsenic and Old Lace)
Ein bei leichter Überlänge durchgängig flotter, wendungsreicher Spaß ist diese klassische Theaterverfilmung von Frank Capra, in der die nicht immer angebrachte Aufgedrehtheit Cary Grants (der für die Rolle nur die vierte Wahl war, u.a. nach Ronald Reagan) durch die anbetungswürdigen Leistungen von Josephine Hull und Jean Adair als serienmordende Tantchen wettgemacht wird. Ich behaupte, dass keine andere Filmnation als die amerikanische so etwas im Jahre 1944 hätte zustande bringen können.

Der Schacht (OT: El Hoyo)
Gerade läuft Galder Gaztelu-Urrutias Thriller-Satire "Rich Flu" in den Kinos, in der ein Virus weltweit superreiche Menschen dahinrafft. Bereits 2019 hat der spanische Regisseur für Netflix "Der Schacht" gedreht, der ebenfalls mit einer ausgefallenen, wenn auch ähnlich in-your-face-kapitalismuskritischen Prämisse aufwartet. Die Mischung aus "Cube" und "Das Experiment" ist packend, bitter und rätselhaft. Auf die eine oder andere Ekelszene hätte ich verzichten können.

Late Night with the Devil
Hierauf muss man sich einlassen: Bei diesem innovativen Pseudo-Reality-Retro-Horror handelt es sich um die vorgeblich echte Ausgabe einer Johnny-Carson-artigen Late-Night-Show. Das liest sich so abgefahren und kreativ, wie es ist, und man ist gut beraten, 1.) vorab nicht mehr über diesen 2023er Indie-Grusler der australischen Geschwister Colin und Cameron Cairnes zu wissen und ihn 2.) der Immersion und "Glaubwürdigkeit" halber auf Englisch zu genießen. Das Ende oder vielmehr den Epilog fand ich entbehrlich, doch bis dahin hatte ich einen stimmungsvollen Halloween-Abend.

Will & Harper
Endlich was Neues von und mit Will Ferrell! Etwas, womit ich nicht gerechnet hätte, nämlich der Dokumentation eines 17-tägigen Roadtrips durch die USA, während dessen Will und seine langjährige Freundin und Co-Autorin Harper Steele nach deren Geschlechtsanpassung sich selbst, einander und ihre Beziehung besser kennenlernen. Bei aller Ernsthaftigkeit und etlichen right-in-the-feels-Momenten kommt die gewohnte Ferrell'sche Blödelei nicht zu kurz. Außerdem: zahlreiche Cameos von SNL-Kolleginnen und -Kollegen. Wunderbar!

Ghostbusters: Frozen Empire
Man mag Fortsetzungen, Remakes und Reboots von 1980er-Franchises vorwerfen, sich an eine übertrieben nostalgieversessene Generation ranzuwanzen und allzu durchschaubaren Fan-Service zu betreiben. Wenn ein solches Projekt aber gelingt, s. Indiana Jones, besteht angemessener Grund zur Freude. Und Freude hatte ich am neuesten Ghostbusters-Sequel, welches dadurch, dass es zu seinen Wurzeln in New York zurückkehrt und den Original-Geisterjägern mehr Screentime gewährt, tatsächlich gewinnt, ohne jüngere Zuschauer zu verprellen, abzuhängen oder zu verwirren. Ja, Tonfall und Humor wurden behutsam an die 2020er-Jahre angepasst, aber das Ergebnis ist rund. Ich muss dazu sagen, dass mir Paul Rudd noch mit jedem seiner Auftritte gute Laune beschert hat. (Allein den dritten "Ant-Man" konnte er nicht retten, doch dazu mehr beim nächsten Mal.)
Regie führte diesmal nicht Jason Reitman, Ivans Sohn, sondern Gil Kenan (der übrigens auch den dieses Jahr erschienenen, bereits auf meiner Watchlist stehenden "Saturday Night Live"-Film inszeniert hat), beide haben aber wie bei "Afterlife" das Drehbuch verfasst.

The Strange Love of Martha Ivers
Eine raffinierte, fesselnde Noir-Perle aus dem Alten Hollywood, in der Kirk Douglas sein Leinwanddebut und Barbara Stanwyck einnehmend und selbstbewusst die Titelfigur gibt. Mit fast zwei Stunden Laufzeit verhältnismäßig epochal für 1946, aber nie zäh. Wenn man mir gesagt hätte, dass Hitchcock für das oscarnominierte (Best Writing, Original Motion Picture Story), nie in deutschen Lichtspielhäusern gezeigte Kriminaldrama verantwortlich zeichnete, ich hätte es geglaubt.

Der Schacht 2
Zufälligerweise wenige Tage nachdem wir den ersten Teil gesehen hatten, kam die Fortsetzung raus. Die kann man sich meines Erachtens allerdings sparen. Es wird versucht, die Hintergründe des Mysteriums "Schacht" zu ergründen und zu verzweigen, eine Art Mythologie aufzubauen und weiter, höhö, in die Tiefe zu gehen, dabei werden jedoch mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet. Nach dem Studium eines Analyse-Videos und einer Kritik in Textform wurde mir klar, dass nichts klar ist. Die Macher scheinen nicht mal selbst zu wissen, was das alles soll. Ein etwaiger dritter Teil mag die offenen Lücken schließen, aber dass ich daran noch Interesse habe, falls er kommen sollte, bezweifle ich.
An der Machart und der Besetzung gibt es wie schon beim Vorgänger nichts zu mosern.

Der Engländer, der in den Bus stieg und bis ans Ende der Welt fuhr (OT: The Last Bus)
Wie bei "The Old Oak" wäre mir hier eine Prise Leichtigkeit und Drolerie recht gewesen. Doch die Melancholie überwiegt in diesem immerhin kurzen und daher kurzweiligen Roadmovie über einen schicksalsgeplagten Senior (Timothy Spall, der beim Dreh gerade mal 64 war, aber so geschminkt wurde, dass er glatt als Endachtziger durchgeht). Eine Wohlfühl-Dramedy ist "The Last Bus" (ich schreibe jetzt bestimmt nicht den vollständigen, reichlich dämlichen deutschen Titel noch mal hin!) nicht, enthält aber genug mausige Szenen und Herz für einen herbstlichen oder winterlichen Fernsehnachmittag.

Montag, 16. Dezember 2024

Schlechter Name, gute Frucht

Gestern zum ersten Mal das hier gefuttert:


Die Schoko-Orange, die derzeit an ausgewählten Obstständen und vereinzelt in Supermärkten angeboten wird, hat mit Schokolade in etwa so viel gemein wie die Honigmelone mit Honig, überzeugt aber durch Kernlosigkeit und einen Geschmack, der einer reifen Navel-Orange in nichts nachsteht.

Hintergrund-Info von der Llombart GmbH ("Lieferant -Produzent – Entdecker"; Gedankenstrichsetzung unverändert): "Die Schoko-Orange entstand zufällig. Sie wurde in den 80er Jahren in Spanien entdeckt. Ihre besondere Farbe reicht von dunkelgrün über braungrün bis braun [und] entsteht, weil diese Orange den grünen Farbstoff nicht abbauen kann. Denn eigentlich färben sich Orangen von grün nach orange. Im Falle der Schoko-Orange bleibt das Grün und mischt sich mit dem Orange und wird so zu einem Braun." Das von mir fotografierte und verzehrte Exemplar hatte sein kräftiges Grün behalten.

Samstag, 14. Dezember 2024

Donnerstag, 12. Dezember 2024

Wer die Wahl hat ...

Seit vielen, vielen Jahren, fast so lange wie ich das Wahlrecht besitze, bin ich als Wahlhelfer tätig. Diverse Male war ich in Wahllokalen im Einsatz, am liebsten ist mir aber seit je die Briefwahlauszählung. Dabei hat man keinen direkten Kontakt mit dem Volk, man muss erst 15 Uhr vor Ort sein, die Bezahlung ist trotzdem in Ordnung und die Arbeit überschaubar, meist ist das Prozedere kurz nach der Tagesschau beendet. Wobei sich hinsichtlich des letztgenannten Punktes etwas zu ändern scheint: Wurden Briefwahlvorstände früher noch auf ein paar Büros im Rathaus verteilt, gab es zur hessischen Landtagswahl 2023 ein zentrales Briefwahlzentrum für die Stadt Frankfurt, das sich über die gesamte Ebene einer Messehalle erstreckte. An gefühlt Hunderten Tischen hatten wir gefühlt Tausenden Freiwilligen ordentlich zu tun! Mein Eindruck, dass mehr Menschen per Brief wählen als noch vor fünf, zehn Jahren, wurde kürzlich durch einen Infokasten im Spiegel bestätigt:


Dass in den Wahllokalen trotzdem viel Betrieb herrscht, ja zuletzt sogar mancherorts Leute ihre Stimme nicht abgeben konnten, weil die Schlangen bis 18 Uhr nicht abreißen wollten, ist sicher damit zu erklären, dass die Wahlbeteiligung insgesamt wieder leicht (Bundestagswahl) bzw. stark (Europawahl) ansteigt. Die Briefwahl scheint dessen eingedenk die sicherere Wahl (!) zu sein. Doch aus Erfahrung sage ich: Obacht! Es können nämlich Fehler gemacht werden, die zur Ungültigkeit der Stimme führen. Wir mussten schon Stimmzettel aussortieren, weil beispielsweise der Wahlschein nicht unterschrieben war, der Wahlbrief offen war oder weil aus sonstiger Unachtsamkeit das Wahlgeheimnis nicht gewahrt werden konnte. Insbesondere Ältere mag das Briefwahlverfahren überfordern. Jene sind es allerdings, die sich im Zweifel eher den Gang zum Wahllokal ersparen möchten.

Jedenfalls ist nicht auszuschließen, dass bereits an der Bundestagswahl 2025 – für die ich mich soeben als Wahlhelfer registriert habe – mehr Wahlberechtigte per Brief als in der Kabine wählen. Die Bundestagswahl ist eine vorgezogene, und wer weiß, womöglich haben nicht wenige Deutsche für den anberaumten Termin im Februar schon Urlaub geplant.

Dienstag, 10. Dezember 2024

We Butter the Cheese With Butter

Habe ich schon mal erwähnt, dass meine kurze Notiz über Tyromantie der zweitmeistgelesene Beitrag auf Kybersetzung ist? Ja, habe ich. Heute schlagen wir über einen Umweg erneut den Bogen zu diesem Begriff.

Mir wurde letztens aus heiterem Himmel bewusst, dass ich nichts über die Herkunft des Wortes Butter weiß. Erstaunlicherweise ist das westgermanische Wort für "Butter" (altengl. butere, ahd. butera, niederl. botter) eine Entlehnung aus dem Lateinischen (über vulgärlat. *butira bzw. *butura)! Germanischer Erbwortschatz findet sich lediglich in regionalen und historischen Ausdrücken wie (alemannisch) Anke oder Schme(e)r (auch "Fett"). "Dass die Germanen dennoch ein Wanderwort für Butter entlehnten, dürfte mit einer neuartigen Zubereitungsweise zusammenhängen." (Wiktionary)

Das lateinische butyrum (genauer: būtȳrum) jedenfalls wurde aus dem griechischen boú-tȳrum entlehnt, was sich zusammensetzt aus boús "Rind" und tȳrós "Käse" (jenem Wort, das auch in "Tyromantie" steckt), wobei sowohl das Duden-Herkunftswörterbuch als auch Frisks Griechisches Etymologisches Wörterbuch das Kompositum mit "Kuhquark" übersetzen. So oder so ist es bezeichnend, dass die alten Griechen qua Wortbildung betonen mussten, wenn Käse oder Quark aus Kuhmilch hergestellt wurde. Der Standard war offenbar schon damals Ziegen- oder Schafskäse (Feta!).

Sonntag, 8. Dezember 2024

Schöne Stellen aus deutschen Gerichtsentscheidungen

"Eingedenk des Vorstehenden ist die Verwendung des Emojis in der WhatsApp-Nachricht des Klägers vom 23.09.2021 nicht als Zustimmung zur Aussage des Beklagten in der Nachricht zuvor zu werten 'Der SF 90 Stradale rutscht leider auf erstes Halbjahr 2022.'

Ausgehend von seiner in den gebräuchlichen Emoji-Lexika Emojipedia (https://emojipedia.org/de/grimassen-schneidendes-gesicht [abgerufen: 11.11.2024]) und Emojiterra (https://emojiterra.com/de/grimassen-schneidender-smiley [abgerufen: 11.11.2024]) angegebenen Bedeutung stellt der sog. 'Grimassen schneidendes Gesicht'-Emoji (Unicode: U+1F62C) grundsätzlich negative oder gespannte Emotionen dar, besonders Nervosität, Verlegenheit, Unbehagen oder Peinlichkeit. Dass die Parteien des Rechtsstreits – individuell oder aus Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe – diesem eine davon abweichende Bedeutung beimaßen, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Zudem ist der spezifische Kontext zu berücksichtigen, in dem der Emoji verwendet wurde. Der daneben vom Kläger verwendete Ausdruck 'Ups' ist allenfalls als Ausruf der Überraschung oder des Erstaunens zu werten, keinesfalls ist damit eine zustimmende Aussage verbunden. Die folgende Aussage des Klägers ändert daran nichts mehr. [...]

Selbst die klägerische WhatsApp-Nachricht vom 27.01.2022 unter Verwendung des Emojis ist nicht im vom Beklagten gewünschten Sinne auszulegen. Der sog. 'Grinsendes Gesicht mit lachenden Augen'-Emoji (Unicode: U+1F604) hat in der Regel schon keine eindeutige Bedeutung. Er vermittelt laut Emoji-Lexika oftmals allgemeine Freude, Glücksgefühle, eine warme, positive Stimmung oder gutmütige Belustigung, kann aber auch Stolz oder Aufregung vermitteln."

OLG München, 19 U 200/24 e
(Kontext: "Legal Tribune Online", 27.11.2024)

Freitag, 6. Dezember 2024

Musikstream-Bilanz 2024

Juchhu, diese Woche kam die Jahresauswertung meines Spotify-Nutzungsverhaltens rein. Ich habe, trotz längerem Aussetzen der Premium-Mitgliedschaft, fleißiger gestreamt als 2023. Sagenhafte 11.849 Minuten lang habe ich dieses Jahr Spotify gehört, das sind mehr als acht Tage. 2.358 Titel von 646 Artists habe ich abgespielt, am häufigsten diese hier:


Dazu muss ich sagen, dass ich den Nr.-1-Song lediglich sechs Mal abgespielt habe, denn ein Ohrwurm-bis-er-zum-Hals-raushängt-Hörer bin ich nicht. Meine Top-Interpreten sind:


Abriction hat heuer gewissermaßen Sadness abgelöst, wobei ich mir sicher war, dass ich Letztere trotzdem insgesamt öfter laufen gelassen hätte. Wundern tut mich auch, dass es Lustre und Mesarthim nicht auf die Liste geschafft haben, die ich dieses Jahr entdeckt und intensiv gehört habe. Der dritte Platz für Ramin Djawadi erklärt sich daraus, dass ich, nachdem die jeweiligen Serienstaffeln ausgestrahlt worden waren, die OSTs von "Fallout" und "House of the Dragon" gestreamt habe – jeweils nur einmal, aber die Alben beinhalten eben viele Tracks.

Weiters wurde mir diese wichtige Information nicht vorenthalten:


Tja, hm, da habe ich laut meinem Kalender regulär gearbeitet; offenbar brauchte ich an jenem Tag besonders viel Beschallung zur Konzentration/Ablenkung.

Im März hatte ich laut Spotify meine "atmospheric-fantasy-black-metal-Phase", im August war "light academia ballet classical" mein "Ding", während mein Oktober "im Zeichen von post-apocalyptic movie tunes soundtrack" stand. Na, wenn die das sagen.

Mittwoch, 4. Dezember 2024

Obskure Kreuzworträtsel-Lösungen – 26 an der Zahl

  • schiefer Mund (ugs.): Flappe
  • Faulschlamm: Mud
  • mongolische Nationaltracht: Del
  • Gallenflüssigkeit: Fel
  • Zwischenrippe am Kreuzgewölbe: Lierne
  • poetisch: matt, müde: lass
  • Sporenbehälter der Pilze: Askus
  • junger Wein: Sauser
  • Schiffsbauplatz: Helge
  • flache medizinische Schale: Küvette
  • Lied in der Bretagne: Lai
  • Rohrpalme: Rotang
  • krankhafte Albernheit: Moria
  • Geflügelkrankheit: Pips
  • südamer. Froschlurche: Pipas
  • flaches Entladeschiff: Leichter
  • oberer Eckzahn beim Rotwild: Gräne
  • Lagerraum in der Scheune: Banse
  • chilen. Muschelart: Loco
  • Altarräume orthod. Kirchen: Abata
  • plötzlicher Wutanfall: Raptus
  • Glasbarsch: Snook
  • altes schwed. Längenmaß: Aln
  • Schulterkragen des Papstes: Fanon
  • buddhistische Gebetskette: Mala
  • Wassersportdisziplin: Lagen

Montag, 2. Dezember 2024

Serientagebuch 11/24

02.11. Sherwood 2.05
03.11. Accused 1.01
04.11. Sherwood 2.06
The Simpsons 36.05
Fallout 1.07
06.11. Accused 1.02
07.11. Fallout 1.08
26.11. Family Guy 23.02
27.11. The Simpsons 36.06
29.11. Person of Interest 3.06

Noch grimmiger, noch trostloser als die erste ist sie, die zweite Staffel von Sherwood. Kaum zu glauben, wie tief sich die teils brutalen Umstände und Folgen des Bergarbeiterstreiks im Thatcher-Jahr 1984 in die Gemeinschaft von Nottinghamshire eingegraben haben. Hier wurde ein Ort regelrecht entzweit, Familien- oder vielmehr Clanfehden gären und eskalieren, dass es an diverse Staffeln von "Fargo" erinnert. Etliche der bekannten Figuren sind wieder dabei, zusätzlich werden wir mit einer Reihe von neuen konfrontiert; es braucht eine Weile, bis wir die Übersicht über die (stark gespielten!) dramatis personae bekommen und behalten. Die Episoden sind jeweils eine Stunde lang, während der durchgängig erhöhte Konzentration gefordert ist. Zu loben ist die Musik, die großteils subtil dräuend bleibt, aber stellenweise bedrohlich brummend anschwillt.
Ob's noch weitergeht? Ich wäre bei einer dritten Staffel dabei!

Ich habe mehrere Rezensionen gelesen, die Fallout in eine Reihe mit "The Last of Us" gestellt haben, als Beispiele dafür, dass wir nun endlich in einer Ära angekommen sind, in der Spiele-Verfilmungen gelingen können. Ich vermag nicht einzuschätzen, wie sehr jemand den Achtteiler genießen kann, der mit der Bethesda-Vorlage gar nicht vertraut ist, vermute aber: Sie funktioniert unabhängig von tiefergehenden Kenntnissen der Rollenspielreihe. Für mich, der "Fallout 4" so lange gespielt hat wie kein anderes Game (nicht mal "Skyrim"), war Amazons liebevolle Umsetzung ein Fest! Die insiderigen Details, die Easter Eggs, die Einbindung (und Erweiterung!) der Lore, das mitunter haargenaue Nachbauen von Gegenständen und Kulissen aus "Fallout" 3, 4 und 76, das alles verdient höchstes Lob.
Zufälligerweise schaue ich ja gerade "Person of Interest" weiter, und das Lesen aus ebendaher (sowie z.T. aus "Westworld") vertrauten Namen in den Credits zauberte mir nicht nur ein Grinsen aufs Gesicht, sondern ließ mich von Anfang an wissen: Das wird was, hier sind kompetente Leute am Werk. Auch der Cast war im Wesentlichen überzeugend, erfreut hat mich insbesondere eine Folge, in der sich die SNL-Alumni Chris Parnell und Fred Armisen die Ehre geben. Schade war nur, dass Michael Emerson einen allzu kurzen und undankbaren Auftritt hat.

Samstag, 30. November 2024

Süße Zwischenbilanz

Meine letzte Notiz über Süßstoffe ist rund eineinhalb Jahre her. Anlass für ein kurzes Update ist ein halbseitiger Artikel im aktuellen Stern über natürliche und synthetische Zuckeralternativen. Auszug:

Einige Wissenschaftler sehen in ihren Studien Hinweise auf Störungen des Mikrobioms, also der Darmflora. Und: Der Plan, Süßstoffe einzusetzen, um Gewicht zu verlieren, scheint nicht aufzugehen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) erklärt, dass die Mittel zwar kurzfristig dabei helfen, abzunehmen, langfristig steige aber das Risiko einer Gewichtszunahme. Zudem wird diskutiert, ob einige Süßungsmittel Herzinfarkte und Schlaganfälle wahrscheinlicher machen. [...] Im Fall von Erythrit kam die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit 2023 trotzdem zu dem Schluss, dass bisherige Daten noch kein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen belegen. Für Xylit steht die Neubewertung noch aus.

Unterm Strich gelte einmal mehr: Die Menge macht's. Speziell zum "möglicherweise krebserregenden" Aspartam heißt es, dass ein Normalgewichtiger mehr als neun Dosen Cola light trinken müsse, um die zulässige Tagesdosis zu überschreiten.

Donnerstag, 28. November 2024

TITANIC vor zehn Jahren: 12/2014



Ein Kohltitel! Und nicht einmal der letzte in der Titanic-"Gechichte". Man beachte die originelle Struktur: Auf den ersten Blick bietet sich ein trauriges Bild, beim Lesen der Hauptzeile entsteht ein Witz, der schließlich mit der Denkblase eine zweite Ebene bekommt – the old switcheroo!

An das Shooting des Fotoromans, der Sitcom "Ein grausames Paar" über eine Salafisten-Hooligan-WG (Text: Wolff/Ziegelwagner), erinnere ich mich mit höchstem Vergnügen. Ich durfte darin die Rolle des wacky neighbor übernehmen.


Als Aufmacher in Frage gekommen, dann aber auf S. 26-29 gelandet ist die Telefonaktion "Eine Reise für den Gauck". Ebenjener plante einen Besuch des Freistaats Thüringen, wo man gerade mit Bodo Ramelow einen waschechten Linken zum Landesvater gekrönt hatte. Moritz Hürtgen, Michael Ziegelwagner und ich riefen bei diversen CDU-Verbänden sowie Bürgerbüros der Linkspartei an, um dafür zu sorgen, "daß der beste Mann im Staat nicht mit linkem Thüringer Geschmeiß in Berührung kommt ..."


Neu-Redakteur Leo Riegel erwies sich als ebenbürtiger Ersatz für den im letzten Monat ausgeschiedenen langjährigen Tietze-Kollaborateur Rürup, wie die zeitlose Strecke "Es wird weitergestreikt" (um den Bahnstreik und einen gewissen Herrn Weselsky geht's auch in Gärtners Essay) auf S. 30f. zeigt:


Diese Ausgabe markiert nicht nur den Einstand von L. Riegel, es gab noch einen weiteren Neuzugang. Elias Hauck begann mit dem Dezemberheft sein leider allzu kurzes Gastspiel als Redakteur. Aus seiner Feder: Die Kinderdoppelseite "Pipi im Kopf" (S. 34f.).


Die gesamte damalige Redaktion (minus Martina Werner und Hardy Burmeier) konnte man in einem ausnahmsweise unironisch von Herzen kommenden Weihnachtsgrußfoto im Editorial bewundern.


Weiteres Notierenswertes
- Beim Wiederaufschlagen von "Der junge Weihnachtsmann" (S. 36-39) dachte ich zuerst, Michael Sowa habe diese "festliche Erzählung mit, um und teilweise sogar von Botho Strauß" (Stefan Gärtner) illustriert, aber nein, auch hier hat der Filou Riegel den Pinsel geschwungen.
- Not tooting my own horn, aber mein Gedicht "Pimpernuckel" (S. 41) gilt so manchem Fan von Lyrik und/oder Lebensmittelverpackungsdesign als moderner Klassiker.
- Ja, das Baby im Tiefkühlfach auf dem "Foto des Monats" auf Seite 50 ist ein leibhaftiges Redaktionskind. Keine Sorge, es ist glücklich und ohne Folgeschäden herangewachsen.
- Der "55ff"-Titel ist einer der lustigsten aller Zeiten (Idee: Hürtgen/Ziegelwagner)!

Schlussgedanke
Famoser Abschluss eines bisweilen bedrückenden Jahres, dem leider ein noch bedrückenderes folgt (2015).

Mittwoch, 27. November 2024

Word of the season

Trotz täglichem Lesen und/oder Hören von Englisch hält diese Sprache auch nach zig Jahren noch Neuentdeckungen für mich bereit. Man lernt nie aus! (One never learns out.) Als verlässliche Lieferantin lexikalischer Schmankerl entpuppt sich regelmäßig die Serie "Family Guy": In deren letzter Folge ("Gift of the White Guy") hörte ich zum ersten Mal den Ausdruck white elephant. Im Kontext wurde schnell klar, was das ist: Ein white elephant gift exchange entspricht im Grunde der (vor)weihnachtlichen Tradition des Wichtelns, bloß dass nicht von vornherein feststeht, wer welches Geschenk bekommt; vielmehr steuern alle Teilnehmenden je einen Gegenstand zu einem Geschenkepool bei, aus dem reihum gegriffen, ausgepackt und sodann fröhlich getauscht, geklaut und gefeilscht wird. So haben wir immer Schrottwichteln gespielt.

Sonntag, 24. November 2024

Dreiwortphrase, das Buch

Ich habe den Internetkünstler und Animator Ryan Pequin unterstützt und mir das zweite Taschenbuch zum Webcomic "Three Word Phrase" bestellt. (Mit dem unverschämt hohen Porto habe ich bestimmt noch jemand anderen unterstützt.) Es ist nicht weniger herrlich als das erste, enthält zudem viel Unveröffentlichtes.


Freitag, 22. November 2024

Albernes zum Wochenschluss

Ich war gestern kurz vor Ladenschluss (ca. 23.30) noch bei Rewe, und was soll ich sagen: Um diese Zeit ist der Markt eine völlig andere, geradezu magische Welt. Das nicht verkaufte Obst wird zu Smoothies gepresst und für 50 Cent das Glas verhökert, während die leeren Kisten mit äußerst exotischen Früchten wie Tapayungas und Salzmelonen aufgefüllt werden. Das Licht ist gedimmt, es riecht nach Vanille, aus den Lautsprechern kommt Karlheinz Stockhausen. Hinter der Fischtheke sitzt ein Seelöwe und labt sich an den Warenresten. In der Getränkeabteilung spielte sich eine Sexorgie ab, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wirkten dabei sehr glücklich, einige trugen Bademode wie in den 1920er Jahren, auf den Namensschildern prangten stilisierte Blümchen. Vor dem Käseregal ward ein Schrein für die aztekische Erdgöttin Chicomecoatl errichtet. Auch die Topografie scheint kurz vor Mitternacht verändert zu sein: Mein Gang durch die Feinkostabteilung dauerte ganze vier Minuten. An der Kasse wurde ein Minifeuerwerk entzündet. Ich hab dann Klopapier gekauft.

(zuerst veröffentlicht auf Facebook im August 2017)

Mittwoch, 20. November 2024

Verworfene Filmidee

Original geschrieben am 2. April 2018 auf Facebook

Jetzt, da Don Alphonso für die Welt arbeitet, besteht zumindest die theoretische Möglichkeit, dass er und Ulf Poschardt einander auf der Straße begegnen, und zwar in der Form, dass letzterer ersteren überfährt. Poschardt nimmt mit seinem 911 wie üblich zu schnell eine Kurve, ist außerdem mit den "Gedanken" ganz woanders, gleichzeitig hat sich Alphonso noch nicht an den Großstadtverkehr gewöhnt: Es kommt zur Begegnung Porsche vs. Mountainbike, Fonsi zieht den kürzeren, das teure Rad und sein Führer liegen zerdeppert auf dem Asphalt; Poschi versucht noch eine Mund-zu-Mund-Wiederbelebung, die aber an der zu eng geschnürten Bayernkluft der "Kunstfigur" scheitert. Ogottogottogott, die Polizei kann Poschardt auf keinen Fall rufen – er ist zu schön für den Knast. Verzweifelt wählt er schließlich die Nummer von Friede Springer, was er wirklich nur im allerärgsten Notfall zu tun ersucht wurde. Es heißt, die greise Zeitungsgräfin könne "Dinge regeln", falls mal "was passiert". Tatsächlich, nach nicht mal 30 Minuten erscheint ein streng dreinblickender "Fixer" mit einer Bogensäge und zwei Kanistern Schwefelsäure, Poschardt hat Alphonsos Leiche inzwischen in den Kofferraum gewuchtet. Die Welt verkündet eine Woche später mit Bedauern, ihr neuer Kolumnist sei im Marillenschnapsrausch in den Chiemsee gestiegen und seither nicht gesehen worden. Ulf Poschardt aber wird derart von schlechtem Gewissen geplagt, dass er zur Buße [Tagträumerei aus Furcht vor Facebook-Sanktionen abgebrochen]

Sonntag, 17. November 2024

Neues Altes (September-November 2024)

  • Archäologen legen Kapelle bei Allstedt frei (mdr.de, 19. September) Die Wallfahrtskapelle aus dem 12./13. Jahrhundert war, mutmaßlich von Anhängern des Reformators Thomas Müntzer, vor 500 Jahren niedergebrannt worden, was den Beginn des Bauernkrieges markierte. Das Dorf Mallerbach im heutigen Sachsen-Anhalt, in dem die Saalkirche stand, wurde im Spätmittelalter aufgegeben. "Auch etliche Münzen und mehrere Pilgerzeichen konnten geborgen werden."
  • 10.500 Jahre altes Paddel im Duvenseer Moor entdeckt (ndr.de, 23. September) "Es lässt sich nahezu exakt auf ein altes Paddelblatt legen, das bereits vor 99 Jahren gefunden wurde. [...] Solche Funde sind von großer Bedeutung, da sie wichtige Belege für die frühe Mobilität auf Wasser darstellen. Vergleichbare Funde existieren nur an der Fundstelle Star Carr im Norden Englands." (Mehr bei "Welt online".)
  • Pfeilspitze zeugt von tödlichem Kopfschuss in der Tollensetal-Schlacht (scinexx.de, 24. September) Der von einer Bronzepfeilspitze durchbohrte Schädel eines jungen Mannes beweist, dass bei der Schlacht im Tollensetal (Mecklenburg-Vorpommern) vor rund 3250 Jahren Pfeil und Bogen zum Einsatz kamen. "'Einige Pfeilspitzentypen, besonders solche mit Widerhaken, stammen hauptsächlich aus einem Gebiet zwischen dem heutigen Bayern und Mähren in Tschechien', berichtet Inselmann. Demnach war zumindest eine der Konfliktparteien bei der Schlacht von Tollense nicht lokaler Herkunft, sondern kam aus südlicheren Gefilden."
  • Orcas mit Messern und abgetrennte Köpfe: Neue Nazca-Linien entdeckt (National Geographic, 27. September) Der Liste der bisher bekannten ca. 430, bis zu 2100 Jahre alten Scharrbilder im Hochland Perus können 303 weitere hinzugefügt werden, auch dank einer KI, die man mit über 1300 potentiellen neuen Geoglyphen aus der Wüste bei Nazca gefüttert hatte.
  • Gingen die frühen Bauern auch auf die Jagd nach Menschen für ihre Opfer? ("Welt online", ohne Datum [Oktober]) Eilsleben bei Magdeburg: "Im Rahmen einer Lehrgrabung wird eine Fläche von 200 Quadratmetern detailliert untersucht. Zutage kommen Scherben von Keramikgefäßen, Steingeräte, Klingen, Pfeilspitzen und Beile sowie Tierknochen. Aufgedeckt wurden auch Pfostenstellungen, lehmverputzte Wände und Aktivitätszonen weiterer Häuser." Es ergeben sich neue, teils grausige Rückschlüsse auf die Lebensweise der Träger der Bandkeramischen Kultur.
  • Spektakulärer Grabkammer-Fund – Neues aus der ältesten Stadt nördlich der Alpen ("Welt online", ohne Datum [Oktober]) Funde aus einer, leider leergeraubten, Grabkammer im oberschwäbischen Donautal erweisen sich als neue Teile im Puzzle der Lage von Pyrene, der bei Herodot erwähnten keltischen Großsiedlung, darunter "beispielsweise die in der Kammer verarbeiteten Hölzer, die bestens erhalten seien. Ein Stück konnte bereits datiert werden. Der Baum, aus dem es stammt, wurde im Jahr 585 vor Christus gefällt. Und dann sind da noch einige Knochen, auch sie in einem guten Zustand."
  • 3900 Jahre altes Priesterinnengrab in Ägypten freigelegt ("Spiegel online", 11. Oktober) "Der Schacht", in der sich die Überreste der vermutlich mit 40 gestorbenen Hathor-Priesterin namens Idy befanden, "sei in der Antike geplündert worden, die meisten Grabbeigaben von Idy seien aber unversehrt. Gefunden wurden unter anderem ein Dolch und Statuen. [...] Das Grab enthielt zudem spezielle Gefäße, in denen die bei der Mumifizierung entnommenen Eingeweide aufbewahrt wurden – sogenannte Kanopen –, Reste von Idys Gewand und zum Teil zerstörte Knochen."
  • Schmähung weit über den Tod hinaus (FAZ, 29. Oktober; nur hinter Paywall) Eine 2500 Jahre alte Inschrift voller Beschimpfungen könnte dem altgriechischen Dichter Anakreon zugeschrieben werden.
  • Riesige Maya-Stadt in Mexiko entdeckt (National Geographic, 1. November) "Mithilfe der Lasertechnologie LIDAR, mit der sich verborgene Strukturen im Boden erkennen lassen", konnten nahe Campeche im Südosten Mexikos Straßen, Steinpyramiden und andere Strukturen einer 30.000 bis 50.000 Menschen Platz bietenden Konglomeration mit zwei Stadtzentren und mehreren kleineren Siedlungen entdeckt werden.
  • Die „Dame von Kölleda“ trug im Grab ihre kostbare Sonntagstracht ("Welt online", 6. November) Mehr als 3700 Einzelfunde aus der Merowingerzeit brachten Grabungen in Nordthüringen zu Tage, darunter das von allerlei Grabbeigaben umgebene Skelett einer 25 bis 45 Jahre alten, wahrscheinlich adeligen Frau.


Donnerstag, 14. November 2024

Wort des Monats (plus Bonuswort)

Heute kommt der Dokumentarfilm "Johatsu – Die sich in Luft auflösen" in die Kinos. Weder das japanische Wort jōhatsu noch den dahinterstehenden Begriff kannte ich bis vor kurzem. Mit "die sich verflüchtigt Habenden", "die Verdunsteten" oder "die zu Wasserdampf Gewordenen" lässt es sich wohl übersetzen. Rund 100.000 derart bezeichnete Menschen (der Rezensionstext der Cinema sprach von 80.000) lassen sich angeblich jedes Jahr mit Hilfe von "Nachtflugagenturen" (Night Moving Companies) in Luft auflösen: Weil sie sich aus einer Beziehung lösen wollen, ihren unglücklich machenden Job aufgeben möchten (was in Japan als ehrenlos gilt) oder in kriminelle Machenschaften verstrickt sind, geben sie ihr bisheriges Leben auf, lassen ahnungslose Angehörige und Bekannte zurück und fangen an einem fremden Ort wieder bei null an. Über jōhatsu zu sprechen ist nicht weniger tabuisiert als über Suizid. Einen deutschsprachigen Wikipedia-Artikel zu diesem Phänomen gibt es noch nicht, dabei sei es laut dem englischsprachigen Eintrag auch für Deutschland belegt.

Schon eher bekannt, wenngleich eine wahrscheinlich der buddhistischen Mythologie entlehnte urbane Legende, ist das Konzept, das auf japanisch ubasute oder obasute/oyasute heißt, wörtlich "eine alte Frau" resp. "ein Elternteil zurücklassen". Gemeint ist das Aussetzen greiser Familienmitglieder. Laut Wikipedia sollen "im späten 18. und 19. Jahrhundert [...] verarmte Familien während Hungersnöten Kleinkinder wie auch pflegebedürftige Senioren in besonders dichten Wäldern und/oder schwer zugänglichen Bergregionen ausgesetzt und zum Sterben zurückgelassen haben." Die englische Wikipedia listet Beispiele aus der Popkultur auf. Ich möchte in diesem Zusammenhang auch auf Senizid in Indien (Thalaikoothal) und im (prä-)historischen Schweden (Ättestupa; engl.) hinweisen.

Montag, 11. November 2024

Der mysteriöse Grenzkaffee

Früher, und damit meine ich: bis in die 2010er Jahre hinein, ist man, wenn man in Dresden oder noch weiter östlich gelebt hat, regelmäßig nach Tschechien – bzw., wie man in Sachsen sagt, "in die Tschechei" oder "zu de Tschechen" – gefahren, um günstig Lebens- und Genussmittel zu kaufen. Besonders beliebt: Zigaretten, gezuckerte Kondensmilch (Piknik!), Bier, Oblaten, Kaffee. Doch gerade Kaffee ist bei unseren Nachbarn inzwischen, wie bei uns, alles andere als billig. In Duty-Free-Shops sowieso nicht: Im Werbeprospekt für einen Grenzladen sah ich einen Kasten, in dem Melitta-Kaffee zu einem "Sonderpreis" angeboten wurde, der vor fünf Jahren noch als unverschämt gegolten hätte.


Das Bemerkenswerteste an dieser Annonce ist allerdings die Sorte. Was bitte ist denn "Melitta Bistro"? Wie ich bestimmt schon einmal festgehalten habe, greife ich sehr oft zu Melitta-Kaffee (der in längst vergangenen goldenen Zeiten auch schon mal für 2,99 € zu haben war), aber etwas namens "Bistro" habe ich noch nie gesehen. Der Hinweis "Nur an der deutschen Grenze" beseitigt den Verdacht, dass es sich um eine für den tschechischen Markt produzierte Spezial-Linie handelt. Auf der Firmen-Homepage findet sich von "Bistro" keine Spur. Wer weiß mehr?

Samstag, 9. November 2024

Wer ich war (plus Entschuldigung)

Als ich im Jahr 2006 ein Online-Tagebuch, vulgo Blog, eröffnete, fand dies keineswegs auf meiner allerersten Homepage statt. Schon davor besaß ich Speicher auf einem jener um die Jahrtausendwende gängigen Gratis-Webhoster, und den füllte ich mit geklauten GIFs, augenpeinigenden Hintergründen, in Paint gezeichneten Comics, selbstgestalteten Buttons, eingescannten Analogfotos und Schülerzeitungstexten. Teile dieses Mülls liegen noch auf meiner Festplatte.






Lachen musste ich über diesen Abschnitt aus der Unterseite "Privates":


Erklärung 1: Dass ich während meiner letzten Schuljahre und auch noch eine Weile danach Sonntagszeitungen verkaufte, habe ich bereits an anderer Stelle erwähnt.

Erklärung 2: "Maximal" war eine Kultsendung auf dem Lokalsender Radio Dresden, der mein Schulfreund D. und ich geradezu religiös huldigten. Jeden Samstag hörten wir sie (separat), und irgendwann beschlossen wir, den Moderator (der inzwischen leider ins weltanschaulich Fragwürdige abgerutscht ist) während einer Aufzeichnung zu besuchen. Dass das möglich war, wussten wir, weil es andere Hörer vor uns schon getan hatten. Was für ein Abenteuer! Wir brachten dem DJ Salat und bekamen im Gegenzug Autogramme und die Gelegenheit, live on air zu grüßen.
Viel später erfuhr ich von einem anderen sehr guten Freund, dass dieser nicht nur ebenfalls "Maximal"-Fan war, sondern jahrelang allwöchentlich in der Sendung angerufen hatte. Die Stimme und sein Name waren mir natürlich bekannt gewesen, doch hätte ich diese Verbindung nie hergestellt, wenn mir der Freund (den ich erst nach dem Abitur über andere Freunde kennenlernte) davon erzählt hätte. Es gäbe dazu noch einiges mehr zu schreiben, doch würde das zu weit führen.

Entschuldigung: Dieser Beitrag steht stellvertretend für alle Beiträge der kommenden zwei Wochen. Ich musste sie voreinstellen, weil mir die Zeit zum Bloggen fehlen wird. Der, nun ja: Gehalt der Posts wird entsprechend kläglich sein; ich habe auf einiges aus meinen diversen Privatarchiven und Giftschränken zurückgegriffen. Ein bisserl was Aktuelles wird's dennoch geben.

Freitag, 8. November 2024

Mittwoch, 6. November 2024

24/11/06

FUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUU...

Montag, 4. November 2024

O'g'zupft is!

Manchmal sehe ich Snacks im Supermarkt liegen, zu denen ich einfach nicht nein sagen kann. Als ich das hier sah, musste ich es wie hypnotisiert in den Einkaufskorb packen, davon konnte mich nicht einmal der happige Preis von 2,99 Euro abhalten:


... zumal es sich um den vorletzten Packen handelte! Also, was haben wir hier? Es sind drei einzelne, ohne Kühlung aufzubewahrende Brötchen, in Größe und Aussehen der "Hosentaschen-Pizza" Carazza von Bifi zum Verwechseln ähnlich. Gefüllt sind sie mit veganem Pulled Pork, welches "Paulled Pork" heißt. Der Name bezieht sich auf das auf der Packung zu sehende Testimonial Paul Ripke, seines Zeichens "Fotograf und Content Creator" und "seit August 2023 Markenbotschafter der Rügenwalder Mühle". Über "sein" Produkt sagt dieser: "Ich mag kein Schwein, aber Veganes Paulled Pork, in rauchiger Sauce, das ist LIT!" So steht es auf der Rückseite. Auf der Rügenwalder-Homepage erfahren wir: "Statt Fleisch verwenden wir bei der Rügenwalder Mühle für unseren Veganen Mühlen Snack Paulled Pork Weizen und bei der Herstellung verzichten wir ganz auf Geschmacksverstärker und Verdickungsmittel. Unser Snack ist eine Proteinquelle und reich an ungesättigten Fettsäuren." Das ist schön. Andererseits hat man ja als Lebensmittelhersteller heutzutage verloren, wenn man etwas auf den Markt bringt, das nicht mit "High Protein" angepriesen werden kann.

Das Brot ist leider alles andere als "fluffig", es ist trocken und fad, so, wie ich mir Buns in einer schlechten Burgerbraterei vorstelle. Zum Paulled Pork: Mangels Kenntnis, wie echtes Pulled Pork schmeckt, kann ich zu Konsistenz und Schweineartigkeit des Ersatzprodukts nichts sagen. Für sich genommen ist es eine rauchige, süß-saure Masse, die nicht ohne Reiz ist, aber kaum die erste Wahl für meine Wanderverpflegung wäre. Wie es meine Mittesterin formulierte: "Da kann ich mir auch Barbecue-Sauce auf altbackenes Toast schmieren."

Gut möglich, dass so etwas seine Anhänger findet, von mir gibt es dafür aber nicht mehr als 4/10 Punkten.

Samstag, 2. November 2024

Serientagebuch 10/24

01.10. Person of Interest 3.02
02.10. Futurama 9.10
The Simpsons 36.01
03.10. Andor 1.10
Criminal Record 1.03
07.10. Criminal Record 1.04
The Simpsons 36.02
09.10. Andor 1.11
Andor 1.12
Person of Interest 3.03
11.10. Criminal Record 1.05
12.10. The Red King 1.01
The Red King 1.02
13.10. Criminal Record 1.06
14.10. The Red King 1.03
Fallout 1.01
Person of Interest 3.04
15.10. The Red King 1.04
The Red King 1.05
Criminal Record 1.07
Criminal Record 1.08
17.10. The Red King 1.06
Fallout 1.02
19.10. Family Guy 23.01
21.10. The Simpsons 36.03
Sherwood 2.01
Fallout 1.03
23.10. Sherwood 2.02
24.10. Person of Interest 3.05
25.10. Fallout 1.04
Sherwood 2.03
28.10. Fallout 1.05
29.10. The Simpsons 36.04
Sherwood 2.04
31.10. Fallout 1.06

Wer mein Serientagebuch aufmerksam verfolgt, hat sich bestimmt gefragt, warum ich die achte (bzw., nach alternativer Zählung, elfte) Staffel von Futurama nie besprochen habe, nachdem ich diese im Dezember 2023 durch hatte. Antwort: Als die Animationsserie von Hulu übernommen wurde und somit nach rund zehnjähriger Pause ihre nunmehr dritte Heimat gefunden hatte, wurden die ersten zehn Episoden eine Weile als "Season 8.1" (bzw. 11.1) geführt; ich war also davon ausgegangen, dass die erste Staffel des Reboots insgesamt 20 Folgen umfassen würde, die dann, wie es heute nicht unüblich ist, in zwei chunks ausgestrahlt würden. Nach einer erwarteten Finalfolge 8.20 (bzw. 11.20) hätte ich dann alles en bloc rezensiert.
Puh, genug der langweiligen Vorrede! Kommen wir zum Punkt: "Hulurama" (wie es in jedem Vorspann kurz aufploppt) ist eine rundum gelungene Neuauflage. Ach, was heißt "neu"? Man hat das Gefühl, es sei nie weg gewesen. Es gibt keine Ermüdungserscheinungen, keine unnötigen Veränderungen, die Storylines wirken nie bemüht (und funktionieren am besten, wenn sie etwas Zeitloses erzählen und nicht bloß "Die Simpsons plus 1000 Jahre" sind, i.e. kurrente Popkulturphänomene in die Zukunft projizieren), der Humor sitzt – direkt beim Staffelauftakt kam ich aus dem hearty chuckling kaum raus. Erwartbarer- und verzeihlicherweise gab es den ein oder anderen Hänger, aber von mir aus kann es nächstes Jahr genau so weitergehen!

Wie ich bereits mehrmals andeutete, ist "Rogue One" mein Lieblings-Star-Wars-Film der neuen Ära, und so hoffte ich, dass die Prequel-Serie Andor mich nicht enttäuschen würde. Das tat sie nicht, sondern hat es im Gegenteil in meine Top-3 der Star-Wars-Serien geschafft. Versteht mich nicht falsch: Die filmreifen, geleckten, das Fanherz Salti schlagen lassenden Disney+-Zugpferde "The Mandalorian" und "Obi-Wan Kenobi" waren feinste Unterhaltung, aber "Andor" ist erfrischend, äh, anders. Mit deutlich geringerem Budget produziert, evoziert es mit seinen liebevollen handgemachten Bauten und Kostümen den Geist der Original-Trilogie. Auch die dargestellte retrofuturistische Technik unterfüttert den Nostalgiefaktor. Wie "Rogue One" wirkt alles irgendwie schmutziger, rauer, erwachsener. Hier wie da erfahren wir auf teils schmerzliche Weise, was eine Rebellion überhaupt ausmacht, bedeutet: Das ist kein fröhliches Unterfangen, da werden Gesetze gebrochen, man hintergeht notfalls einander, Menschen kommen zu Tode. In die Figurenentwicklung wird demgemäß viel Zeit und Mühe gesteckt, die Lore wird weiter ausgebaut, und zwar auf angenehm organische Weise.
Eine zweite und abschließende Staffel 2025 ist so gut wie sicher; angeblich sollen darin zwei weitere Charaktere aus "Rogue One" in ihre alten Rollen schlüpfen.

Auch die britische Apple-Serie Criminal Record soll fortgesetzt werden, obschon mir die ersten acht Episoden als runde, in sich geschlossene Geschichte taugten. Bisweilen verliert sich der düstere Polizei-Thriller in entbehrlichen Nebensträngen, doch ist für Suspense und Drama fast durchgehend gesorgt. Zur Glaubwürdigkeit der unbequemen Story tragen die auch als Produzenten tätigen Hauptdarsteller Peter Capaldi und Cush Jumbo bei.

Aus der Feder von Toby Whithouse ("Doctor Who") stammt der Geheimtipp The Red King, ein Closed-Circle-Krimi mit Folk-Horror-Elementen. Eine Jungpolizistin wird auf eine fiktive walisische Insel versetzt, stößt dort auf einen ungeklärten Vermisstenfall, uralte heidnische Kulte und, na klar, eine Mauer des Schweigens. Die Mischung aus Cosy Crime, "Wicker Man"-Grusel, schwer Verdaulichem (Kindesmissbrauch, bipolare Störung) und trockenem Humor geht nicht an allen Stellen auf, insgesamt fühlte ich mich aber prächtig unterhalten.

Donnerstag, 31. Oktober 2024

TITANIC vor zehn Jahren: 11/2014

Es ist nicht mit abschließender Sicherheit geklärt, an welchem Tag die Erstausgabe von Titanic an die Kioske kam. Der 28. Oktober sei's gewesen, hieß es irgendwo, interne Recherchen ließen den 1. November wahrscheinlich erscheinen. Jedenfalls war die Novemberausgabe 1979 die Premierennummer, was bedeutet, dass 35 Jahre später (am 31.10.; das lässt sich tatsächlich genau bestimmen) dies Jubiläum begangen wurde:


Ich finde ja immer noch, dass dieser bestenfalls halbrunde Geburtstag etwas zu enthusiastisch gefeiert wurde, sowohl auf dem Titel als auch im Heft, welches direkt auf der ersten Innenseite (!) mit einem Special beginnt. Die Strecke "Was haben wir gelacht!" haben laut meinem Urheberschafts-Dokument Tim Wolff und ich verfasst. Der hübsch rotznäsige, wenn auch für Erstleser nahezu unverständliche Artikel hat den Dreh, dass sich die darin zu Wort kommenden Prominenten falsch "an ihre TITANIC-Lieblinge aus 35 Jahren" erinnern.


Noch irrer geht es auf der Doppelseite "Das habe ich nicht verstanden" zu (von Michael Ziegelwagner und mir), wo Ungereimtheiten, Fehltritte und Rätsel "aufgeklärt" werden. Ich habe den Artikel im Sommer vor Publikum gelesen, und er sorgte überraschenderweise für etliche Lacher.


Die vorliegende Ausgabe markiert einen bittersüßen Wendepunkt: Sie ist die letzte, an der Stephan Rürup als Redakteur mitgearbeitet hat. Sein Schwanengesang war eine Kooperation mit Moritz Hürtgen zum Thema "Rückkehr von deutschen IS-Auswanderern", mit mehreren, z.T. wimmelbildartigen Cartoons.


Rürups würdiger Nachfolger Leo Riegel ließ einmal mehr seine Kultfigur Der Graf von Unheilig auftreten ...


... und legte auf der Doppelseite "Was fliegt denn da?" (S. 34f.) ein weiteres Exempel seiner immensen künstlerischen Bandbreite vor:


Die Zeit-Magazin-Rubrik "Sagen Sie jetzt nichts" wurde im Laufe der Titanic-Historie drei Mal (!) parodiert. Das hier (S. 46f.) war aber auch zu naheliegend, zumal seit Ewigkeiten der kapitale Sammelband mit Heinrich Hoffmanns Führerporträts als Scannerdeckel-Beschwerer an Hardy Burmeiers Arbeitsplatz lag (und bis heute liegt).


Als Kuriosum am Rande (S. 11) hier noch die in Vergessenheit geratene Geschichte, wie uns der Bundesnachrichtendienst einmal Geld für einen Witz überwiesen hat:


Weiteres Notierenswertes
- Im Editorial dieser Ausgabe findet sich das vor zwei Monaten angedeutete "Nachspiel" unseres Seniorenparkbesuchs: in Form einer (unredigierten) Gegendarstellung.
- Die beim letzten Mal von mir gelobte Folge von "Bilanz eines verpfuschten Lebens" (David Schuh) ist hier, auf S. 18, zu genießen. "Am besten gefiel es dem Leimener in seinem 'Wohnzimmer' Wimbledon, wo er ebenso ungeniert auf den Boden zu rotzen beliebte wie zu Hause in seiner geschmacklos eingerichteten monegassischen Steuerfluchtvilla. Die Nation war mächtig stolz auf ihren Filzkugelhinundherschläger No. 1 und bestrafte ihn mit Heldentum, was seine Persönlichkeit sukzessive ins Unerfreulichere hin veränderte."
- Hape Kerkeling, der soeben sein neues Buch "Gebt mir etwas Zeit" vorgelegt hat, war ausweislich einer Anspielung auf S. 2 vor exakt zehn Jahren ebenfalls mit einer autobiographischen Veröffentlichung im Gespräch. Was sagt man dazu?
- Ladies and gentlemen, auf den Seiten 26 bis 27 sehen Sie etwas, das wir (in diesem Fall: M. Ziegelwagner et moi) heute wohl nicht mehr exakt so machen würden. Auf den ersten und sogar auf den zweiten Blick erkennt man die satirische Absicht des Foto-Leitfadens
"Tante M'Bonga empfiehlt: Die besten Hausmittelchen gegen Ebola!" wahrlich nur mit Mühe. Die Stoßrichtung des (allem ungeachtet ziemlich pointensatten) Artikels ergab sich aus der schrecklichen Häufung von Ebola-Ausbrüchen und der darauf in der "westlichen Welt" folgenden Angst vor und Misstrauen gegenüber dem gesamten afrikanischen Kontinent und seiner Bewohner. Es stellt sich die alte Frage: Perpetuiert, legitimiert, zementiert man rassistische Klischees, wenn man sie, und sei es auf entlarvende und überzogene Weise, repliziert? Dass uns solche Gedanken schon beim Abfassen des Beitrags umtrieben, spiegelt sich in der kecken Referenz in unserem "Das habe ich nicht verstanden"-Spezial: "Zusammenfassend kann man aber festhalten, daß hier nicht die Schwarzen Ziel der Satire sind, sondern die armen Erkrankten – egal welcher Hautfarbe." (S. 7) Das weiß-rosa karierte Hemdchen, das unsere "Aunt Jemima"-Karikatur anhat, trägt Tom Hintner übrigens noch heute gelegentlich bei der Arbeit.
- Unkonventionell: Der Comic von Rattelschneck/Schiffner, dessen Titel ich hier nicht wiedergeben mag, umfasst zwei Seiten, die aber getrennt voneinander platziert sind (32, 43)!
- Meister Zufall (?) gibt sich die Ehre: In Titanic 11/14 schreibt Peter Köhler über Schach (S. 33), zehn Jahre später schreibt ebenjener im Eulenspiegel über – Schach (S. 52f.).

Schlussgedanke
Ich mag diese Ausgabe sehr. Den Jubiläumsbezug hätte man wie gesagt ein wenig zurückfahren können, doch immerhin lenkt jener von der sich stetig verschlimmernden Weltlage ebenso ab wie die launigen Artikel zu eher abseitigen und unverfänglichen Themen (Köhler; Gunnar Homann über Cloppenburg; Tietze/Ziegelwagner: "Pro und kontra Erektion"). Erfreulich ist auch, wie bildlastig diese Ausgabe geraten ist, kulminierend in der reizenden stillen Rückseite, bei der es sich um einen einmaligen gezeichneten Beitrag des langjährigen "Briefe"- und "Fachmann"-Schreibers Tibor Rácskai handelt.