Glengarry Glen Ross
Ein Maklerbüro, wie es im 21. Jahrhundert vermutlich nirgends mehr existiert, in einer nicht identifizierten, aber sehr new-yorkigen amerikanischen Metropole Anfang der 1990er Jahre: Mittelalte bis alte Männer hängen von früh bis spät an ihren Telefonen und versuchen, Immobilien zu verschachern. Eines Abends kommt ein von der Unternehmensleitung gesandter Top-Salesman vorbei (Alec Baldwin in einem eindrucksvollen und in den USA Kultstatus erlangt habenden Single-scene-Auftritt) und scheißt das Team zusammen: Nur die zwei besten Performer der Niederlassung werden am Ende des Monats ihren Job behalten dürfen. Es entspinnt sich ein erbitterter Kampf um Deals, um closings, um leads (die begehrten Kontaktdaten solventer Haushalte), man fällt einander in den Rücken, Straftaten bzw. deren Vortäuschen werden in Erwägung gezogen, Angst und Missgunst vergiften das Klima.
Die Angespanntheit springt binnen kurzem auf den Zuschauer über – und wird dabei fast ausschließlich durch Dialoge erzeugt. Ohne nennenswerte Ortswechsel, Körperlichkeit oder Action jedweder Art gelang Regisseur James Foley (der zuletzt "50 Shades of Grey" verfilmt hat) und Autor David Mamet, der hierfür sein eigenes Theaterstück "Hanglage Meerblick" von 1983 für die Leinwand aufbereitet hat, ein tatsächlich fesselndes, kurzweiliges Drama, dem man mit dem Prädikat "kammerspielartig" Unrecht tun würde. Das namhafte Ensemble trägt freilich den Löwenanteil zum Gelingen bei: Neben Al Pacino, Ed Harris u.a. ist es vor allem Jack Lemmon, der hier eine späte Glanzleistung hinlegt.
Yi Yi
Fast drei Stunden geht dieses Familienportrait des taiwanischen Filmemachers Edward Yang aus dem Jahr 2000. Drei Stunden, in denen man einen präzisen Einblick in die Mittelschicht Taipehs erhält; drei Stunden, in denen sich Schicksalsschläge und Glücksmomente die Klinke in die Hand geben. Manche Szenen sind zurückhaltend gezeichnet, ohne oberflächlich zu wirken, andere intim, ohne voyeuristisch zu geraten. Als beschwingt und gleichzeitig leichtfüßig würde ich die Inszenierung attributieren. Eine Prise süßen Humors gibt's auch.
Thomas Crown ist nicht zu fassen (OT: The Thomas Crown Affair)
Das heitere Fossilienabstauben geht weiter! Da ich das Remake von 1999 nie gesehen habe, die Inhaltsbeschreibung mich aber ansprach, beschloss ich, gleich das Original zu begutachten. Vieles darin mag 1968 revolutionär gewesen sein, der Split-Screen etwa oder der bis dahin längste Kuss der Filmgeschichte ("Die im Film 55 Sekunden lange Sequenz mit Steve McQueen und Faye Dunaway entstand in acht Stunden Dreharbeit, verteilt über mehrere Tage." Wikipedia), im Großen und Ganzen aber ließ mich diese als Heist-Movie gehandelte Räuber-und-Gendarm-Liebelei kalt. Wie bei diversen anderen Film-Raubzügen der Sixties, über deren Raffinesse heute Konsens herrscht, war ich auch bei diesem von Planung und Durchführung stark unterwältigt. "Crown isn't physically involved in the robbery and we never really see him planning it in any way, so he's sort of passive, as heroes go, especially given it's essentially the only heist in the film (the second one at the end is a quickly cut carbon copy of the first)", heißt es völlig korrekt in einer der wenigen kritischen imdb-User-Rezensionen. "Then, Faye Dunaway, as insurance investigator Vicki Anderson, solves the mystery of the robbery WAY too easily. She walks in, looking young and stunning in several ridiculous overly fashionable outfits, bats her eyes and more or less decides that Crown is the guilty party. So, the two major elements of any crime - the crime and the investigation – are rushed through and devoid of any suspense whatsoever."
Style over substance schien die Devise gewesen zu sein, campe Schauwerte und der Knisterfaktor seiner Hauptdarsteller waren Regisseur Norman Jewison wichtiger als eine kohärente Story und irgendeine Art von Spannungsaufbau. Faszinierend immerhin, dass es der zur Drehzeit 37 Jahre alte Steve McQueen schafft, wie ein Gentleman in seinen Fünfzigern rüberzukommen.
Marlowe
Altmodisch im positiven Sinne ist dagegen dieser Thriller von 2022, der zwar nicht auf einer genuinen Chandler-Vorlage basiert, sondern auf einem Roman des vielfach ausgezeichneten irischen Schriftstellers John Banville aus dem Jahr 2014, aber aufs Genüsslichste einen Hardboiled-Detective-Geist atmet, der schon beinahe in Vergessenheit geraten schien. Liam Neeson hat mit Philip Marlowe eine Figur gefunden, als die ich ihn von jetzt an gern öfter sehen würde und für die er sich in seinem fortgeschrittenen Alter besser eignet als für die immergleichen Prügelrollen der vergangenen Jahre – eine Erkenntnis, die im Film sogar ein-, zweimal schelmisch verbalisiert wird ("Ich bin zu alt dafür" o.s.ä.).
Die Handlung ist solide konstruiert, dabei nicht überfordernd, der übrige Cast (Diane Kruger, Jessica Lange) spielt angemessen, die Noir-Klischees wirken nicht aufgesetzt. Kann man gucken.
Dream Scenario
So zuverlässig wie "Nicolas Cages schlechtester Film" erscheint alle paar Jahre "Nicolas Cages bester Film". "Dream Scenario" ist ganz klar ein hit, kein miss. Cage, der auch als Produzent mit an Bord war (btw: Um die Produktionsfirma A24 kommt heutzutage nicht herum, wer qualitativ hochwertige Kost abseits des Mainstreams sucht, oder?), gelingt das Kunststück, eine Hauptfigur zu verkörpern, für die man kaum Mitleid oder Sympathie empfindet, obwohl ihr unverschuldet Dinge widerfahren, die man nicht gern selbst erleben würde. Der Familienvater und Biologieprofessor Paul Matthews ist ein maximal passiver Held (oder Antiheld?). Wie sein Umfeld und schließlich die gesamte Erdbevölkerung auf sein Schicksal – er taucht in den Träumen von wildfremden Menschen auf – reagiert, ist der eigentliche Plot-Motor. "Dream Scenario" ist grotesk und bedrückend, für Fans von "Being John Malkovich".
Corner Office
In eine ähnlich tragikomisch-esoterische Kerbe schlägt dieses weitaus weniger beachtete Workplace drama aus demselben Jahr. Im Fokus steht ein vergleichbar charakterschwacher middle-aged man (Jon Hamm) namens Orson, der für einen seelenlosen Bullshit-Konzern enthirnende Schreibtischarbeit verrichtet. Inmitten der sterilen liminal spaces des generischen Bürokomplexes entdeckt der Anzug- und Schnauzbartträger eines Tages eine Tür, die in eine gemütliche Lounge im Retro-Stil führt: das titelgebende corner office. In der Stille dieses Rückzugsortes gelingt es Orson, Höchstleistungen zu vollbringen, allein: Er scheint der einzige Mitarbeiter zu sein, für den das Zimmer existiert.
Dass sich die rund 100 Minuten etwas zäh anfühlen, mag daran liegen, dass lediglich eine Kurzgeschichte als Basis diente. Deren Grundidee hat mich aber durchaus mitgerissen. Eine kleine, feine Perle aus der Abteilung "Mal was anderes"!
Nope
Ist Jordan Peeles dritter Spielfilm sein bisher bester? Anders als die imdb-Crowd, die "Nope" gleichauf mit "Us" und 1,0 Punkte schlechter als "Get Out" rankt (Stand: Mai 2024), meine ich: Ja!
Wie bei den Vorgängern weiß man am Anfang nicht, was hier eigentlich die Bedrohung ist. Die Enthüllung des Big Bad ist dann nicht nur höchst originell, sondern auch visuell imposant. Neben den Effekten überzeugen die Landschaftsaufnahmen (die Wüstenregion Agua Dulce, die mehr an Wyoming denn an Kalifornien denken lässt) und die Darsteller/innen: Daniel Kaluuya hat wie in "Get Out" die Hauptrolle übernommen und zeigt dabei eine ganze andere Persönlichkeit als dort, eine fast schon depressive, während Keke Palmer als hyperaktive kleine Schwester den perfekten Gegenpart abgibt. Die zwei gruseligsten Szenen sind ausgerechnet keine übernatürlichen. Ein irrer Spaß.
Der Name der Rose
Ihr mögt mir kaum abnehmen, dass ich diese Literaturverfilmung, die in den 1990er Jahren gefühlt jede Woche im Fernsehen lief, noch nie gesehen habe, doch es ist wahr! Nun endlich konnte ich, der Stadtbücherei sei Dank, eine Bildungslücke schließen und bin froh darüber. Der Kriminalfall hat mich ebenso wie die Besetzung für sich eingenommen. Der ältere Sean Connery gefällt als väterlicher Knobelfex mit Mutterwitz, der blutjunge Christian Slater stört nicht weiter, und Ron Perlman sieht man in seiner bemitleidenswert-kuriosen Nebenrolle vor allem deshalb gerne, weil man weiß, dass ihm eine glänzende Karriere bevorsteht.
Weniger glänzend ist das Setdesign, und das ist lobend gemeint: Die raue, dreckige Atmosphäre, welche die lichtarmen Außenaufnahmen sowie das Innere des von mir bereits besuchten Klosters Eberbach erschaffen, lassen ein Mittelalter abseits jeder Schlossromantik lebendig werden.
Vor ein paar Monaten habe ich das außergewöhnliche Obsidian-Adventure "Pentiment" gespielt, in dem es ebenfalls um rätselhafte Todesfälle innerhalb einer Ordensgemeinschaft im europäischen Mittelalter geht, und erst jetzt wurde mir klar, dass dieses vom "Namen der Rose" nicht nur inspiriert wurde, sondern sogar in mehreren Easter Eggs direkt darauf anspielt!
Asphalt-Cowboy (OT: Midnight Cowboy)
Und noch ein oller Schinken! 55 Jahre alt ist die Welt, in die wir hier lugen dürfen und die so nie wiederkehren wird. Bei ihrem Erscheinen dürfte die ungeschönte, provokante Großstadt-Milieustudie für allerlei Aufruhr gesorgt haben und für den Stil des "New Hollywood" wegweisend gewesen sein.
Wikipedia: "Der Film war bei seiner ersten Kinoauswertung 1969 X-rated. Damit ist Asphalt-Cowboy der erste (und letzte) Film, der die gleiche Altersfreigabe wie ein pornografischer Film hatte und einen Oscar in der Kategorie Bester Film erhielt. 1971 wurde die Altersfreigabe in die neu eingeführte Kategorie R-rated geändert, die für Minderjährige die Begleitung eines Erwachsenen vorschreibt." Nennen wir das Kind beim Namen: Der Heros in dieser zynischen Odyssee ist ein spätpubertäres Landei, das in den Big Apple auswandert allein mit dem Ziel, betuchte Ladys flachzulegen. Ohne Wärme und Herz laufen die 108 Minuten indes nicht ab, so dass ich John Schlesingers Klassiker unbedingt empfehle.
Ein paar Zeilen Moserei seien mir gestattet. Auf Bluesky postete ich kurz nach dem Anschauen: "Dietmar Dath hat mal in Titanic eine Abrechnung mit Dustin Hoffman veröffentlicht, 'Der schlechteste Schauspieler der Welt', da dachte ich beim Lesen: 'Wie willkürlich gemein!' Aber jetzt habe ich Hoffman in 'Asphalt Cowboy' gesehen, und das ist ja wirklich ein unerträgliches Rumgekasper!" Man fasst es wirklich nicht. Wie den klischeesattesten Wiseguy in einem Sketch über die New Yorker Halbwelt lässt Hoffman seinen "Ratso" sprechen und agieren. Und dieses peinliche Gehumpel! Ach, was reg' ich mich uff ... (Wer's lesen will: Titanic 6/1993.)
Jodorowsky's Dune
Wohl anlässlich des Starts von "Dune: Part Two" hat Arte diese Dokumentation über das ambitionierteste Science-Fiction-Epos, das nie realisiert wurde, auf seinen Youtube-Kanal hochgeladen. Einiges über dieses Wahnsinnsprojekt wusste ich schon aus einem längeren Cinema-Feature, die ganzen Hintergründe noch einmal von den Beteiligten erzählt zu bekommen, war dennoch erhellend.