Mittwoch, 12. Juni 2024

Servicepost

Auf mein PPS im Beitrag vom Samstag erreichte mich erfreulicherweise Feedback. Tenor: Das Lehnwort Service mit der Bedeutung "zusammengehöriges, mehrteiliges Essgeschirr" wird tatsächlich "vor allem in Sachsen" und dort "von älteren Menschen (bis ca. Boomer)" (Zitat Kommentator M.L.) als "Servie" ausgesprochen. Ich hatte mich also doch nicht falsch erinnert!

Sowohl mein Langenscheidt-Französisch-Wörterbuch aus der Schulzeit als auch der Duden kennt allein die Aussprache mit hörbarem Schluss-s. Warum also verschlucken es manche Deutschsprechende? Das lässt sich mit einem Phänomen erklären, das in der Linguistik als "Hyperkorrektheit" bezeichnet wird. Den Sprechenden ist bekannt, dass französische Wörter oft "stumme Buchstaben" enthalten, vor allem am Wortende. Also lassen sie, sozusagen im Übereifer, auch das finale -ce in (Tee-, Kaffee-, ...)-Service weg, weil diese Buchstabenfolge "bestimmt anders behandelt wird als in dem aus dem Englischen übernommenen Service". Eine Parallele dazu ist die Aussprache vieler Englisch-Muttersprachler von coup de grâce ("Gnadenstoß") als "cou de gra". Lieber zu wenig als zu viel artikulieren, scheint die Devise zu sein, vgl. auch "Louv" statt "Louvre", wobei hier zusätzlich der äußerst spannende Komplex des finalen Schwa im Englischen hineinspielt (man denke an "Porsch" vs. "Porschah", tertium non datur).

Bleibt die Frage, warum die "Servie"-Variante (ausschließlich?) in Sachsen verbreitet ist. Eine heiße Spur könnte sein, dass das Geschirr-Wort im Sorbischen (!) kein Schluss-s enthält: Sowohl auf nieder- als auch auf obersorbisch heißt es laut Wiktionary serwij. Wegen der räumlichen Nähe könnte es sich um eine Folge von Sprachkontakt handeln. Was freilich immer noch nicht klärt, wieso die hyperkorrekte Aussprache von Älteren bevorzugt wird. Nun gut, jüngere Leute werden sich insgesamt viel weniger häufig über Sammeltassen und Kuchenteller unterhalten als ihre Großeltern ... Dass früher andere Regeln galten, kann ausgeschlossen werden; ein Aussprachewörterbuch von 1833 gibt für service "serwihß'" an. Andererseits fand ich in einem anderen Handbuch aus ungefähr demselben Jahr die Schreibweise "Thee-Servis", und wenn man "Servis" nun wiederum französisch ausspricht, landet man bei "Servie".

Wisst ihr was? Ich werde jetzt einem der Verantwortlichen des "Atlas zur deutschen Alltagssprache" vorschlagen, in die nächste Runde eine entsprechende Umfrage zu integrieren!

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