Langsam, aber sicher kommen wir in der Jetztzeit an, a.k.a. in der Ära des stetigen Niedergangs von allem. Erstmals macht eine radikalislamische Gruppe von sich reden, die heute kurz und knackig als IS bekannt ist, zwischendurch ISIL oder – wisst ihr noch? – Daesh genannt wurde, anfangs aber ubiquitär, auch hierzulande, unter ISIS firmierte. "Ach, es tönt, auch wenn er fies is' / zart sein Name und charmant / blumig-orientalisch: Isis! / Schäkernd süßer Weltenbrand", wie Michael Ziegelwagner auf der Editorialseite dichtete.
In diesem (i.e. Terror-)Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass es M. Ziegelwagner war (welcher auch die Idee für den von Rudi Hurzlmeier umgesetzten Titel lieferte), der als einer der Ersten, wenn nicht als Allererster, folgendes Wortspiel machte:
Eine gleichermaßen aufwühlende Entwicklung war der sog. Nullzins, den die Europäische Zentralbank kurz zuvor eingeführt hatte. Finanzthemen sind erfahrungsgemäß unsexy, ihre satirische Verarbeitung knifflig; immerhin zwei gelungene Gags konnten wir uns abringen, nämlich erstens eine Anzeigenparodie (Heftrückseite), in der M. Ziegelwagner und ich die Deutsche Bank "Sparen muß bezahlbar bleiben" versprechen ließen ("Ein Sparbuch, das mich nur 35 Euro kostet? Fuck, das gibt's ja nicht!" ... "Zu arm für ein Sparbuch? Kredit nötig? Wir beraten Sie gerne!"), zweitens einen Bildwitz über drohendes "Strafgeld" (M. Hürtgen, in "Abgelehnt", S. 5).
Nett finde ich rückblickend, dass bei dieser harten Gemengelage Platz für freien Unfug blieb, so etwa im Aufmacher "Slow.litik", der in einer Persiflage auf die damals grassierenden Achtsamkeits- und Better-Living-Magazine ein sanfteres, relaxteres Herangehen an Politik zelebrierte ("Regierungsmitglieder verraten, wobei sie garantiert entspannen"; "Das kleine Slowlitik-ABC" von "Abwarten" bis "Zengarten").
Und ich durfte mich dem Aussterben der Polizei-Kaspertheater widmen: in der von Tom Hintner liebevollst ausgestatteten Reportage "Der tiefe Fall der Holzköpfe", zu der mich ein echter "Spiegel online"-Artikel inspiriert hat.
Und ich durfte mich dem Aussterben der Polizei-Kaspertheater widmen: in der von Tom Hintner liebevollst ausgestatteten Reportage "Der tiefe Fall der Holzköpfe", zu der mich ein echter "Spiegel online"-Artikel inspiriert hat.
Bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe war noch nicht abzusehen, wie die Fußball-WM in Brasilien ausgehen würde (so wenig wie beim Verfassen dieser Zeilen abzusehen ist, wie die EM in Deutschland enden wird), fest stand aber bereits, dass die FIFA-Weltmeisterschaft 2022 in Katar ausgetragen werden wird. Der Ankündigung 2010 folgten die (großteils berechtigten) Bedenken bzgl. Schummelei bei der Vergabe sowie Arbeitskraftmissbrauch und Menschrechtsverletzungen im Land, wobei sich im Juni 2014 vor allem die Korruptionsvorwürfe derart überschlugen, dass Moritz Hürtgen und ich schon mal das Brettspiel zum World Cup konzipierten und dieses "Die Siedler von Katar" tauften (ein Witz, den wenige Wochen später eine Satire-Show im Öffentlich-Rechtlichen ... äh: gewiss unabhängig von uns ersann).
In Tim Wolffs loser Reihe von Essays über mediale Formulierungsmarotten (vgl. "ausgerechnet") erschien im Juli 2014 sein Beitrag "über einen weiteren Sprach- und Dachschaden der deutschen Journaille": "Wer sind wir, und was geht uns das an?" Dass auch zehn Jahre später noch allüberall von "wir, wir, wir" die Rede ist, zeigt einmal mehr, dass man sich den Aufwand für diese Art kraus'scher Kritik im Grunde sparen kann, seufz. (Der Anglizismus "einmal mehr" mag seinerseits beanstandenswert sein – meine Kollegin Laura Brinkmann überantwortet ihn in ihren Redigaten regelmäßig dem Rotstift –, aber ich finde, er ist eine flotte Alternative zu "wieder einmal", basta!)
Der folgende "Streich der Woche" in "55ff" ist, bis auf das Finale, die 1-zu-1-Wiedergabe eines Tricks, den die Zeitschrift Micky Maus einmal in ihrer gleichnamigen Rubrik vorstellte und an den ich seitdem immer wieder denken musste. Moritz ist für die Rolle des Lausbuben geboren!
Nachdem der Juni-"Betrachter" schon, gelinde gesagt, abseitig war, widmet er sich in dieser Ausgabe etwas, das bei Heft-Unkundigen ratloses Stirnrunzeln hervorrufen dürfte, nämlich einer liebgewonnenen Figur aus der "55ff"-Vorgängerrubrik "Partner Titanic": Stulli das Pausenbrot. Für die nicht wenigen Fans der Rattelschneck-Erfindung war es indes bestimmt ein Vergnügen, die "schön mit Margarine beschmierte und dick mit Fleischsalat belegte" Klappstulle ausnahmsweise von Hurzlmeier und Hauck&Bauer gezeichnet zu sehen.
In den "Briefen" gab es diesmal außergewöhnlich viele kleine Zusatzspäße: neben Rürups "Basteln mit Bier" (ein Modell der Riesending-Höhle, welche er auch in seinem Startcartoon auf S. 3 verarbeitete) eine Preiserhöhungs-Mitteilung, eine Viertelseite "Die besten Fußballer-Sprüche aller Zeiten" ("Ich bin am Ende meiner Ausführungen angelangt, meine Damen und Herren!", Giovanni Trapattoni) sowie einen von mir ausgearbeiteten Analog-Google-Service:
Weiteres Notierenswertes
- Dass außerdem die Aboanzeige (U2) von mir stammt, weiß ich allein dank meinem privaten Veröffentlichungsnachweis-Dokument. Ich schätze, solche Beiträge fallen in den Bereich "Gebrauchstexte", so dass man sich nach einem Jahrzehnt weiß Gott nicht mehr an sie erinnern kann.
- Auf S. 24f. findet sich Martin Sonneborns erster "Bericht aus Brüssel"! "Ich habe gerade zum ersten Mal das Parlamentsgebäude betreten, da kommen im sogenannten 'Micky-Maus-Café' zwei junge Männer auf mich zu, überreichen mir ihre Visitenkarten und fragen, ob wir 'nicht lieber in die Fraktion der EVP kommen wollen, da gibt es viel mehr Geld'."
- Seltener Dominik-Bauer-Solo-Auftritt auf S. 52 bis 53: ein Humorkritik-Spezial über den österreichischen Kabarettisten Otto Grünmandl. Schön!
- Das Gedicht von Moritz Hürtgen (der sich für dieses Heft über die Maßen ins Zeug gelegt hat) zu einer reichlich kranken Werbekampagne der Firma Rügenwalder entstand auf meinen Wunsch hin.
- Dank Gerhard Henschel wurde ich zum ersten Mal nach zehn Jahren wieder der Existenz des Boulevard-Vogels Jo Groebel gewahr (S. 58-59). Würg.
Schlussgedanke
Ich glaube, von hier an gibt es wirklich keine "Sommerloch-Ausgaben" mehr. Diese hier ist jedenfalls keine. Alles hat irgendwie Relevanz, wodurch das Irrelevante umso mehr an Knalligkeit gewinnt. (Hä?) Mir hat's von vorn bis hinten Spaß gemacht.
Ich glaube, von hier an gibt es wirklich keine "Sommerloch-Ausgaben" mehr. Diese hier ist jedenfalls keine. Alles hat irgendwie Relevanz, wodurch das Irrelevante umso mehr an Knalligkeit gewinnt. (Hä?) Mir hat's von vorn bis hinten Spaß gemacht.
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