Leserbriefe mit Quellenangaben:
Mittwoch, 31. Juli 2024
Montag, 29. Juli 2024
Gelesen empfohlen (mit Bauchschmerzen)
Es ist schon über ein Jahr her, dass ich diesen Bibliotheksfund, "Sie sind wohl übers Ufer getreten, Sie Rinnsal!" von Sven Michaelsen, gelesen habe. Darin versammelt der gestandene Star-Interviewer des SZ-Magazins Gesprächsauszüge von Prominenten, in denen diese über Kolleginnen und Kollegen, Weggefährten oder Konkurrenten herziehen, Intima und Interna ausplappern, sich an gemeinsame peinliche Erlebnisse erinnern etc. Es wird entlarvt, beleidigt und gebackstabbed, dass es eine "Freude" ist. Die Anführungszeichen sollen signalisieren: Diese Lektüre ist eben keine Freude, sondern ein zitatgewordener Autounfall, der mich zwar über weite Strecken amüsiert hat, aber auch Wut und Verachtung in mir aufkochen ließ. Berühmte Künstler: Alle in einen Sack stecken und mit'm Knüppel draufhauen, man trifft garantiert den Richtigen! Bestätigt fand ich meine eh schon lange gereifte Vermutung, dass die charakterloseste und niederträchtigste Mischpoke sich im Literaturbetrieb tummelt.
"Never meet your idols", sagt man. Ich möchte diesen Rat modifizieren: "Don't even read about your idols!"
Samstag, 27. Juli 2024
Ungelesen empfohlen
Immer mal wieder komme ich auf meinen Wanderungen durch Wüstungen, also aufgegebene, meist nur noch durch Flurnamen oder Bodendenkmäler identifizierbare Siedlungen. Als ich auf Wikipedia die Liste von Wüstungen entdeckte, dachte ich: Mensch, du müsstest mal alle darin verzeichneten Wüstungen in Deutschland aufsuchen und ein Buch darüber schreiben! Etliche gibt es ja sogar in Frankfurt. Kurz nachdem ich diesen (vagen) Plan gefasst hatte, sah ich in einer Bibliothek dieses Buch:
Ausweislich des Klappentextes geht es darin nämlich (auch? wesentlich?) genau darum. Ausgeliehen habe ich den Atlas nicht, denn mein Tsundoku-Stapel kann es eh schon mit einer deutschen Mittelgebirgserhebung aufnehmen. Dieser Post ist somit eher als Notiz für mein Zukunfts-Ich denn als Lesetipp gedacht.
Donnerstag, 25. Juli 2024
TITANIC vor zehn Jahren: 8/2014
Yippie, ein Sommerlochtitel! Aber keineswegs ein Sommerlochheft – es gibt viel zu erzählen.
Quietschvergnügt habe ich den Aufmacher wiedergelesen, eine Telefonaktion. Der Islamische Staat war gerade drauf und dran, den Irak, die Levante und mittelfristig den Rest der Welt zu unterwerfen, also riefen wir schon mal in diversen Örtchen im Rhein-Main-Gebiet als "konsularische Vertretung" an, um uns nach "Repräsentativgebäuden" für das abgespaltene Kalifat sowie der allgemeinen Aufgeschlossenheit diesem gegenüber zu erkundigen. Als Krönung kontaktierten wir auch noch einen Hüpfburgverleih und eine Konditorei, auf dass die anstehende Konsulatseröffnung angemessen gefeiert werden konnte ("... würden wir gerne eine Hüpfburg mieten. Haben Sie etwas, das vielleicht so ein bißchen in Richtung Moschee geht?"). Zu unser aller Fassungslosigkeit erklärte sich tatsächlich eine Konditorin bereit, eine ISIS-Torte anzufertigen.
Eine arg freidrehende Parodie, deren Vorlage man heute kaum noch auf dem Schirm hat (die rotzigen, überlangen Abfuck-Reportagen von Vice), findet sich auf S. 32f.: "Wir haben eine todkranke Frau getroffen, die uns mit ihrem Lebenswillen einfach umgehauen hat, oder: Wenn du jeden Morgen mit dem Gefühl aufwachst, daß in deinem Kopf gerade eine Monster-Truck-Rallye stattfindet, ist es dir vollkommen egal, wenn dich deine eigene Mutter einen Spast nennt". Dass Elias Hauck der Verfasser ist (dessen Name eine Anspielung ist), darf hier und heute verraten werden und ist von Insidern gewiss schon damals entschlüsselt worden.
Das erste Motiv in einer kurzlebigen, aber hübschen Anzeigenkampagne ("Eine Initiative der Gesellschaft zur Komplexitätsreduktion und des Verbands deutscher Kabarettisten, Witztreibender und Stammtisch-Clowns"), ins Leben gerufen, glaube ich, vom Chef persönlich:
Weiteres Notierenswertes
- Mit dieser Ausgabe ist Titanic zum ersten Mal nach sieben Jahren teurer geworden: um 50 Cent.
- 4 Euro hingegen kostete eine Ausgabe, wenn man sie in der hier (S. 11) erstmals beworbenen Neuheit namens TITANIC-App las. Im August 2024 feiert diese App also schon ihr Zehnjähriges!
- Noch ein Jubiläum: Die PARTEI wurde 2014 zehn Jahre alt. Ich kann schon jetzt verraten, dass am 3. August 2024 in Köln eine "20 Jahre Die PARTEI"-Party steigt.
- Haha, wir befinden uns in der Phase, wo J. Gauck zusehends den Verstand verliert. Es sei im "Kampf für Menschenrechte oder für das Überleben unschuldiger Menschen [...] manchmal erforderlich, auch zu den Waffen zu greifen", sagte der Christ am 14. Juni dem Deutschlandfunk, worauf mit einem "Brief an die Leser" (S. 6f.) und dem Alternativtitel auf der Rückseite angemessen repliziert wurde.
- Ein (nicht von mir abgefasster) Brief an Günter Grass wiederum nimmt auf die legendäre Kuckucks-Aussage im Focus Bezug. Das hat sich allein für die wunderschöne Vignette von Hilke Raddatz gelohnt (S. 10)!
- Auf S. 29 befasse ich mich mit der sog. Weltformel. Auf den erwartbar albernen Aufsatz hin erreichte mich einige Monate später ein mehrseitiger Brief, in dem mir ein wunderlicher Herr nicht nur seine eigene Weltformel verriet (sie ist ca. eine Zeile lang), sondern mir obendrein auseinandersetzte, warum E=mc² "nicht komplett" ist ("es fehlt die dunkle Energie!!"), die Schwerkraftdefinition falsch ist ("KEINE KRAFT!"), die Keplerschen Gesetze upgedatet gehören und die Hubble-Konstante zu korrigieren ist.
- Nicht gedacht hätte ich, dass der Ärztemangel auf dem Land schon vor zehn Jahren akut war (S. 36-39)!
- Auf Seite 41 steht ein weiterer Beitrag, der unter Pseudonym verfasst worden ist: "Neues vom Tod" von einem "Johnny B. Dead". Dahinter verbirgt sich ein ehemaliger Redakteur, der seit den frühen 1980ern für Titanic geschrieben und selbst noch unter meiner Ägide allmonatlich "Briefe an die Leser" eingesandt hatte, bevor er sich 2018 in den Ruhestand verabschiedete.
- Zu meinen Lieblingstexten in dieser Nummer gehört "Halb und nackt gesellt sich gern" von Michael Ziegelwagner (S. 42-43). Ich würde ihn gerne auszugs(!)weise zitieren, kann mich aber für keine Stelle entscheiden; man muss ihn in toto genießen.
- Das zwote Gedicht in Folge, in dem Wurst ein Motiv ist: "Langsonett von der evangelischen Pommesbude", Th. Gsella, S. 54.
Abermals eine lohnende Revisitation.
Mittwoch, 24. Juli 2024
... und das Schlechteste von heute
Euer Nörgel-Opa (Generation Y)
Montag, 22. Juli 2024
Word of the day (vor 20 Jahren)
In der "Jeopardy!"-Sendung vom 25. Juni 2004 wurde folgende Frage in der Kategorie "Coined Words & Phrases" gestellt (von mir ins Deutsche übersetzt):
Spam ist unerwünschte Werbung per E-Mail; das ist unerwünschte Werbung, die über einen Instant-Messaging-Dienst versandt wird
Wer mit "Was ist Spim?" geantwortet hat, darf sich 800 $ einstreichen. Von den drei Kandidaten damals, darunter Rekordsieger Ken Jennings, ist keiner drauf gekommen. Hat irgendwer, der hier mitliest, jemals von Spim gehört? Mir jedenfalls ist dieser Neologismus im "Jeopardy!"-Archiv zum ersten Mal begegnet. Der einzige Eintrag, den die Google-News-Suche nach "Spim" ausspuckt, stammt – ebenfalls – aus dem Jahr 2004. In einem Spiegel-Artikel heißt es, ungewollte Werbeanrufe über Voice-over-IP, "VoIP Spam" oder "Spit" genannt, könnten sich einer Softwarefirma zufolge bald zu einer Plage auswachsen. "Spit, so die These, könnte der Nachfolger von unerwünschter Werbung per E-Mail (Spam) und Instant Messenger (Spim) werden."
Es spricht nichts dagegen, einen neuen Ausdruck mit "ein wenig" Verspätung zu etablieren. Von jetzt an werde ich an der Verbreitung von "Spim" aktiv mitwirken. (Ich bin ja auch einer der wenigen Menschen, die das Adjektiv sitt für den Zustand des Nicht-mehr-durstig-Seins verwenden. Kurios: Ein kurzer GSV-Strang zu diesem Komplex ist auch 2004 erstellt worden.) Belästigung per Messenger ist virulent wie nie zuvor. Allein in den letzten drei Monaten erhielt ich dreimal via Telegram und zweimal über Whatsapp Spim, von "Absenderinnen" wie "Karlotta Meier" ("Hallo! Wir_haben_Angebot_Remote-Arbeit. Teilzeit/Vollzeit. Entschuldigen Sie, kann ich Ihnen die_Details? Ja/ok?"). Sollte ich das nächste Mal unter Leuten sein, wenn ich derlei empfange, werde ich laut ausrufen: "Boah, schon wieder Spim!"
Samstag, 20. Juli 2024
Aus der Satirewerkstatt
Dieser Bericht entstand nicht nur mit Billigung, sondern nach ausdrücklicher Anregung von Michael Ziegelwagner.
In der Titanic-Redaktion ist es meine Aufgabe, die Rubrik "Das politische Gedicht" zu füllen. Dazu bestelle ich jeden Monat in der ersten oder zweiten Woche bei einem verdienten Heftlyriker meiner Wahl, i.d.R. ohne Themenvorgabe, einen knackigen Mehrzeiler; notfalls muss ich, wie im Juni geschehen, selbst zur Feder greifen.
Am 9. Juli fragte ich ebendeswegen in Wien bei M. Ziegelwagner an. Schon am Abend des 11.7. kam die Lieferung, in nicht weniger als "drei Versionen, einmal formal locker, einmal formal streng, einmal ein Kompromiß". Und so ging es:
Prinzip Hoffart
Abgesagt: Le Pens Triumphmarsch.
Abgewählt: der Tory-Staat.
Im Iran verliert der Dumpfarsch
geg’n den Mann, der moderat*).
Staunend reibt man sich die Augen:
Weil die Hoffnung Nahrung kriegt,
dass die Umfragen nicht taugen.
Dass am End’ Vernunft obsiegt.
Dass am End’ auch in Amer’ka
Rechtsstaat (Biden) triumphiert!
Und dass Trump, dieser Berserker,
am Wahltag einem Atten-
tat zum Opfer fällt, auf der 5th
Avenue angeschossen, im Staub liegengelassen, plattgetrampelt,
von einem streunenden Puma beschnuppert, geschändet, mit sechs verschiedenen venerischen Krankheiten infiziert,
nach vielen Stunden Röchelns, Kotzens, Blutverlustes,
überrollt von zwölf Dampfwalzen,
aufgeschaufelt,
von einem Trommelhäcksler zerhäckselt,
zu Viehfutter verarbeitet,
wieder herausgeschissen, als Dünger für ein Baumwollfeld verwendet
und somit als Präsident
verhindert
wird.
M.Ziegelwagner, Ernst-Bloch-Lehrstuhl für Democracy, Kalamazoo County*) Mossad Peschesskian (oder so)
Dass am End’ auch in Amer’kaRechtsstaat (Biden) triumphiert!Und dass Trump, diesen Berserker,einer abknallt und ihn röchelndauf der Straße liegenlässt, wo-rauf ein tollwütiger Pumaihn beschnuppert, ableckt, schändet,und mit Dutzenden Geschlechtskrank-heiten infiziert, wodurch dieSau nach vielen Stunden Leidens,Zeterns, Kotzens, Blutverlustes,überrollt von sechs Dampfwalzen,plattgetrampelt, aufgeschaufelt,und von einem Trommelhäckslerfein zerhäckselt, als Viehfutterdienend, aufgefressen, ausge-schissen, düngend ein Baumwollfeldals Präsidentverhin-dertwird.
Dass am End’ auch in Amer’kaRechtsstaat (Biden) triumphiert!Und dass Trump, diesen Berserker,einer abknallt und ihn röchelndauf der Straße liegenlässt, worauf einstreunender Puma ihn be-schnuppert, ableckt, schändet,und mit Dutzenden venerischen Krank-heiten infiziert, wodurch dieSau nach vielen Stunden Leidens,Zeterns, Kotzens, Blutverlustes,überrollt von sechs Dampfwalzenplattgetrampelt, aufgeschaufeltund von einem Trommelhäckslerfein zerhäckselt, als Viehfutterverwendet, aufgefressen, wieder ausge-schissen und ein Baumwollfeld düngendals Präsident ver-hindertwird.
Donnerstag, 18. Juli 2024
What's that(')s?
Letzte Woche bin ich im Something-Awful-Forum über folgenden Satz gestolpert:
One could almost say that Ozymandias is an inscription that's message has been rendered ironic by the passage of time and history...
"Muss es nicht 'an inscription whose message' heißen?", dachte ich. Bisher war mir that's ausschließlich als Kurzform von that is begegnet, noch nie als Possessivpronomen. Bzw. genauer: als relative possessive. Man braucht nicht tief zu graben, um Erklärungen zu Tage zu fördern: Auf der Seite der Uni Yale findet sich ein anschaulicher, konziser und leicht verständlicher Abriss des Phänomens. Kurzum: "Some English speakers", nämlich in den USA, Teilen Kanadas, in England, Schottland und Australien, akzeptieren und verwenden that's anstelle von whose.
Ich möchte hier nicht alle Unterpunkte hineinkopieren, festhaltenswert erscheint mir vor allem:
1. dass das Wort mitunter, analog zu its, als thats verschriftlicht wird;
2. dass Experimenten zufolge Kinder eher bereit sind, that(')s mit Substantiven zu verbinden, die Unbelebtes bezeichnen, als mit solchen, die Belebtes bezeichnen. "The children's preference for inanimate nouns might be related to the presence of an animacy distinction in the relative pronouns in English who (for animates) vs. which (for inanimates), since which does not have a possessive form". Das scheint Englisch-Frischlingen generell so zu gehen, oder? Mir jedenfalls kam whose in Bezug auf Dinge/Gegenstände sehr lange irgendwie unnatürlich vor (so wie mir auch that als Relativpronomen-Alternative zu who komisch vorkam).
3. dass that's historisch aus that his hervorgegangen ist, wie anhand des inhaltlich unerfreulichen Beispiels "dhe maan ut hiz bairn deed" = "the man that his child died" gezeigt wird. "The idea is that the ’s on that’s started out as a weakened form of his. Then the use of that’s was extended to feminine and neuter nouns as well".
Martinez, Randi and Jim Wood. 2023. Relative possessive that's. Yale Grammatical Diversity Project: English in North America. (Available online at http://ygdp.yale.edu/phenomena/. Accessed on 2024-07-17
Dienstag, 16. Juli 2024
Neues Altes (Mai-Juli 2024)
- Archäologen entdecken Fresken mit Bildern zum Trojanischen Krieg ("Spiegel online", 11. April; in der letzten Ausgabe durchgerutscht) Der "schwarze Raum" hat eine Fläche von 15 mal 6 Metern und wird so genannt, weil seine Wände schwarz gestrichen wurden, wohl zwecks Unkenntlichmachung von Öllampenruß. Er "ist mit einem Mosaikboden versehen und befindet sich demnach in einem ehemaligen Privathaus in der Via di Nola, der längsten Straße des antiken Pompeji." Bei den Motiven handelt es sich um Szenen aus der Ilias.
- Der pazifistische Springer (Süddeutsche Zeitung, 4. Juni) Unter einer mittelalterlichen Befestigungsanlage im Landkreis Reutlingen wurde eine fast 1000 Jahre alte Schachfigur gefunden, ein aus Horn geschnitztes Pferd.
- Vermutlich größte Felsgravuren der Welt entdeckt (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10. Juni) An Felswänden in Venezuela und Kolumbien sind prähistorische Petroglyphen von Dutzenden Metern Länge entdeckt worden. Sie zeigen menschliche und Tierfiguren, darunter viele Schlangen. "Nach Ansicht der Forschenden handelt es sich bei der Darstellung einer Riesenschlange um die weltweit größte einzelne Felsgravur, die bislang erfasst wurde."
- 1600 Jahre altes Buch mit Bibel-Texten in London versteigert (Rheinische Post, 11. Juni) Das älteste Buch im Privatbesitz, der sog. Crosby-Schøyen-Kodex, wurde bei Christie's für umgerechnet 3,63 Millionen Euro versteigert. Die 52 Papyrusseiten enthalten eine Abschrift des Buches Jona und des ersten Petrusbriefes in einem koptischen Dialekt. Mehr auch bei geo.de.
- Doppeltes Menschenopfer: In blutigen Zeremonien töteten die Maya bewusst Zwillingsjungen (geo.de, 13. Juni) Ein Team des Max-Planck-Instituts hat "die Überreste von 64 rituell bestatteten Kindern aus einer 1967 entdeckten unterirdischen Kammer" in Chichén Itzá untersucht: "Zusammengenommen deuten die Ergebnisse den Forschenden zufolge darauf hin, dass verwandte männliche Kinder wahrscheinlich paarweise für Rituale ausgewählt wurden. Zwillinge nähmen in den Schöpfungsmythen und im spirituellen Leben der damaligen Maya einen besonderen Platz ein, hieß es zur Erläuterung. Im 'Buch des Rates' (Popol Vuh) der Quiché-Maya seien Zwillingsopfer ein wiederkehrendes Thema."
- Ältester Weißwein in Urne gefunden – zusammen mit menschlichen Überresten ("Spiegel online", 18. Juni) Bereits 2019 wurden im spanischen Carmona in einem versunkenen Grab aus römischer Zeit etwa fünf Liter eines "sherryähnlichen Weins" gefunden, "zusammen mit verbrannten Knochenresten" sowie einer "Kristallflasche [...], die ein 2000 Jahre altes römisches Parfüm mit Patchouli-Duft enthielt". Mit ebenfalls rund 2000 Jahren handelt es sich bei dem Hauptfund um "den wohl ältesten in flüssiger Form erhaltenen Wein".
- Archäologen stoßen auf jahrhundertealte Flaschen mit eingelegten Kirschen ("Spiegel online", 19. Juni) 35 Flaschen mit großteils gut erhaltenem eingekochten Obst wurden im Vorratskeller des ersten US-Präsidenten auf dem Anwesen Mount Vernon, Virginia, zu Tage gefördert. "George Washington übernahm die Villa im Jahr 1761. Die Vorratsgruben, in denen die Flaschen lagerten, wurden wahrscheinlich zwischen den 1750er- und 1770er-Jahren genutzt."
- Israel findet mehr als 3000 Jahre altes Schiffswrack (FAZ, 20. Juni) Ein vor der Küste Israels auf dem Meeresgrund liegendes spätbronzezeitliches Schiff enthielt Hunderte intakte Amphoren, in denen von den Kanaanitern u.a. Öl, Wein und Obst aufbewahrt worden war. "Die große Menge der Amphoren an Bord eines einzigen Schiffs ist laut dem Direktor der Abteilung für Meeresarchäologie, Jacob Sharvit, ein Beleg für die bedeutenden Handelsbeziehungen mit den altorientalischen Ländern an der Mittelmeerküste. [...] Die Entdeckung ist laut der Behörde auch ein Beweis dafür, dass die Seefahrer damals das Meer durchquerten, ohne dabei die Küste sehen zu können."
- Älteste gegenständliche Höhlenmalerei auf Sulawesi gefunden (Frankfurter Rundschau, 3. Juli) Die Felsmalerei in einer Höhle im indonesischen Karstgebiet Maros Pangkep wurde mit Hilfe eines alternativen radiometrischen Verfahrens "auf mindestens 51.200 Jahre datiert. Einer Studie zufolge handelt es sich um die weltweit älteste gegenständliche Malerei, die bisher bekannt ist. Abgebildet sind nach Forscherangaben drei menschenähnliche Figuren, die mit einem Wildschwein interagieren."
- Pest könnte das Steinzeitvolk Nordeuropas ausgelöscht haben ("Spiegel online", 12. Juli) DNA-Analysen legen nahe, dass es Krankheiten, allen voran die Pest, waren, die vor ca. 5000 Jahren den neolithischen Niedergang auslösten und für den Zusammenbruch der nordeuropäischen Bauerngemeinschaften hauptverantwortlich waren. "Die Bevölkerungen Skandinaviens und Nordwesteuropas verschwanden schließlich vollständig und wurden später durch ein Volk namens Jamnaja ersetzt, das aus einer Steppenregion um Teile der heutigen Ukraine einwanderte."
Sonntag, 14. Juli 2024
Lasst mich nicht zappeln!
Dies ist ein Update zum Beitrag "Zwar und Zimmermann". In einem Beitrag auf der Rechts-Seite der FAZ wurde neulich der Vogel abgeschossen:
So weit kann, soll, darf man "zwar" und "aber" bzw. in diesem Fall "doch" doch nicht auseinander stellen. Ich war kurz vorm Hyperventilieren, Leute!
Freitag, 12. Juli 2024
Albernes zum Wochenschluss
Wenn ich Fußballtrainer wäre, würde ich bei jeder Begegnung versuchen, zwölf Spieler auf den Platz zu schicken. Wer weiß, irgendwann fällt es vielleicht niemandem auf.
Als Schiedsrichter würde ich jedes Match exakt zur 90. Minute abpfeifen. Damit der Ball bloß nicht noch weiter gekickt wird, würde ich auf ihn zurennen und mit einem Schuss aus einer Pistole, die ich stets bei mir führen würde, die Luft aus ihm lassen.
Wenn ich als Ersatzbankhüter überraschend eingewechselt würde, würde ich mit der Theatralik eines "Der Preis ist heiß"-Kandidaten aufs Spielfeld hüpfen: Mitspieler abklatschen, wie verrückt winken, mit Luftküssen um mich werfen, perplexe "Was? Iiiich?!"-Gesten machen ...
Als Kapitän hätte ich immer einen Feuerwerkskörper unterm Trikot versteckt, den ich im geeigneten Moment zünden und in die Fantribüne schleudern würde.
Wäre ich die Person, die die Einlaufkinder auswählt, würde ich den Spielern der Abwechslung halber einmal Einlauf-Erwachsene zuordnen, die sie an die Hand nehmen müssten.
Wäre ich hingegen selbst ein Einlaufkind, würde ich darauf achten, dass meine Hände so richtig schön klebrig sind.
Gehörte mir ein Fußballverein, würde ich nicht mit möglichst viel Geld möglichst gute Spieler kaufen, sondern so viele Spieler wie möglich (also die billigsten, die zu haben sind), so dass ich irgendwann den größten Kader der Liga hätte. Damit alle Spieler ungefähr gleich lang im Einsatz sind, würde ich den Trainer anhalten, innerhalb einer Begegnung entsprechend oft auszuwechseln (90 Spieler, 90 Minuten = ca. jede Minute eine Auswechslung).
Als Ältester in einer Elf wäre ich darauf bedacht, mich regelmäßig aus der laufenden Partie auszuklinken: kurz hinsetzen, am Spielfeldrand eine rauchen, kopfschüttelnd die Bandenwerbung studieren ...
Wenn ich Torwart wäre, würde ich, sobald es einigermaßen sicher ist, nonchalant aus dem Torbereich tänzeln, "Schieß doch"-Handbewegungen machen und die Stürmer der gegnerischen Mannschaft anderweitig provozieren.
Mittwoch, 10. Juli 2024
Was birst denn da?
Montag, 8. Juli 2024
Hier sind Brennstäbe!
Ungemein spannend ist der Komplex Atomsemiotik. Der Online-Auftritt des ORF hat eine tolle Einführung in die Problematik aufbereitet, und auch der Wikipedia-Eintrag ist ergiebig. Atomsemiotik als Zweig der Zeichentheorie beschäftigt sich, kurz gesagt, mit der Frage, wie man den Menschen der Zukunft (konkret: den in 10.000 Jahren lebenden) begreiflich machen soll, sich von Atommüll und sonstigen radioaktiven Hinterlassenschaften fernzuhalten. Zu den teils sehr schönen Ideen gehören (alle zitiert nach orf.at):
- "Es müssten Warnschilder aufgestellt werden, die je nach Entwicklung mit anderen Sprachen ergänzt werden."
- "Wenn nicht das eine Zeichen, das noch in 10.000 Jahren vor Atommüll warnt, gefunden werden kann, muss ein kultureller Kontext geschaffen werden, der die Zeit überdauert. [Der Semiotiker Thomas Sebeok] sprach sich für eine 'atomare Priesterschaft' aus, die mit Hilfe von Legenden und Ritualen Fremde von atomaren Lagerstätten fernhält."
- "Eine Studie aus der Schweiz empfahl, ein Endlager mit Millionen von Tonscherben zu markieren, die zu Symbolen wie Totenschädeln angeordnet werden."
- "Zwei Forscher wollten etwa Katzen genetisch so manipulieren, dass sich ihr Fell verfärbt, wenn sie radioaktiver Strahlung ausgesetzt werden." (Anm.: Diese "Strahlenkatzen" hat kein Geringerer als Stanisław Lem erdacht.)
Als ich zum ersten Mal mit diesem weiten Feld konfrontiert wurde, meldete sich sogleich der Zyniker in mir: Pff, als ob wir in 10.000 Jahren nicht eh ausgestorben sind ... Aber, dachte ich weiter, sollten wir nicht wenigstens etwaige Außerirdische, die nach uns auf der Erde siedeln, davon abhalten, sich gefährlicher Strahlung unnötig auszusetzen? Nun gut, die sind womöglich resistent gegen ionisierende Strahlen und haben ohnehin diverse genetische und technische Vorteile entwickelt, wenn sie in der Lage sind, sich auf fernen Welten niederzulassen. Hm, und was ist mit Tieren, etwa unseren nächsten Verwandten, die bis dahin so weit auf der evolutionären Leiter nach oben geklettert sein werden, dass sie Symbole deuten können und entsprechend handeln? Ihr merkt schon, man verliert sich recht bald in Spinnereien, wenn man in das Thema einsteigt.
Setzen wir einfach mal voraus, dass unsere Spezies in 10.000 Jahren noch existiert. Wie kommunizieren wir mit unseren Erben? Das Naheliegendste sind Schilder mit schriftlichen Hinweisen. Ebenso naheliegend ist leider, dass diese irgendwann entweder nicht mehr verstanden werden oder schlicht nicht ernst genommen werden, wie es mit den Tsunami-Steinen der alten Japaner geschehen ist ("Baut nicht unterhalb dieses Punktes!"). Bei jeder Sprachstufe eine neue Übersetzung und ein paar zusätzliche Ausrufezeichen oder sonstige Dringlichkeitsmarker eingravieren? Kann man machen, aber wer weiß schon, ob nicht die überübernächste Stufe beispielsweise des Deutschen ("Spätneohochdeutsch" oder so) die letzte ist? Sprachen sterben aus.
Und selbst scheinbar universelle Zeichen mögen verblassen. Die Person, die den Diskos von Phaistos gestempelt hat, dachte sich bestimmt auch: "Das ist was für die Ewigkeit!" Das von der Internationalen Atomenergieorganisation für verständlich gehaltene Warnschild nach der ISO-Norm 21482 sieht seit 2007 so aus:
Das rennende Männchen halte ich für einigermaßen nachhaltig begreiflich. Zwei Beine, zwei Arme, Kopf, das wird auch noch in ein paar tausend Jahren dem Phänotyp des Homo sapiens entsprechen. Die Beine sind in Bewegung, dazu ein Pfeil, Fluchtverhalten, klar. Mit einem Toten(!)schädel auf drohenden Tod zu verweisen, macht ebenfalls Sinn, wobei ich da an den alten Witz von Jack Handey denken muss: "The tired and thirsty prospector threw himself down at the edge of the watering hole and started to drink. But then he looked around and saw skulls and bones everywhere. 'Uh-oh,' he thought. 'This watering hole is reserved for skeletons.'" Das Strahlenwarnzeichen in Kombination mit abfallenden Wellen ist heutzutage freilich einleuchtend (hehe), ist aber das für Bedeutungsverblassung anfälligste Element von allen. Zuletzt: Wie kann sichergestellt werden, "dass es sich überhaupt um eine Mitteilung handelt" (Wikipedia)?
Den Vorschlag mit der mündlichen Tradierung, auch wenn er belächelt worden ist, finde ich tatsächlich attraktiv. Verwandte, die eine Generation voneinander entfernt sind, werden immer einander verstehen. Ein Vater erzählt seiner Tochter einmal im Jahr, möglichst in den immerselben Worten, vielleicht sogar gereimt, das Märchen vom glühenden Fass. Die Tochter gibt es später an ihre Kinder weiter und so fort. Auch hier besteht die Gefahr, dass die Sprache ausstirbt, weil das sie verwendende Volk ausstirbt; bzw. die Familienlinie endet, oder Änderungen in der Sprache werden nicht berücksichtigt, so dass Teile des Textes nicht mehr kapiert werden, aber trotzdem stur weitergegeben werden. Oder, oder, oder. Dennoch: Ohne dass ich mich je eingehender mit Oral History beschäftigt hätte, weiß ich, dass Überlieferungen in Kulturen ohne Schriftlichkeit stabiler sind als der Laie denkt. Und mitunter wertvoller als schriftliche Überlieferung, wie schon Platon erkannte:
Wer also glaubt, eine Kunst in Schriften zu hinterlassen, und wieder, wer sie annimmt, als ob aus Buchstaben etwas Deutliches und Zuverlässiges entnommen werden könnte, der wird wohl einfältig genug sein und in der Tat den Wahrspruch des Ammon nicht kennen, indem er glaubt, geschriebene Reden seien etwas mehr als eine Gedächtnishilfe für den, der das schon weiß, wovon das Geschriebene handelt. [...] Dieses Mißliche nämlich, o Phaidros, hat doch die Schrift, und sie ist darin der Malerei gleich. Denn die Werke auch dieser stehen wie lebendig da, wenn du sie aber etwas fragst, schweigen sie sehr vornehm.
(Sokrates im Phaidros-Dialog)
Einen "Zukunftsrat" einzurichten, scheint mir auch etwas blauäugig. Jede Organisation kann sich wegen irgendwelcher Umstände von heute auf morgen auflösen. Gehen wir zum Schluss auf das Konzept der "feindlichen Architektur" ein. Meterhohe Granitsäulen wie am Waste Isolation Pilot Plant in New Mexico, dornenbewehrte Mauern oder "Verbietungsblöcke" machen nur neugierig. "Eingewendet wurde bei diesen Warnsystemen, dass diese Hochsicherheitsmaßnahmen die Nachfahren dazu verleiten könnten, erst recht nach 'Schätzen' zu graben." (ORF) Eben! Hat denn niemand von denen, die so was anregen, "Riptide" von Preston/Child gelesen? Ich kenne doch die Menschen. Eine bombensichere Lösung, sie vor Gift und Verderben zu bewahren, habe ich derzeit leider auch nicht.
Samstag, 6. Juli 2024
Hörtipp in eigener Sache
Man verzeihe mir die shameless self-promotion, aber ganz ungehört soll sie ja nicht bleiben, die zweite Folge des Bücherschrank-Podcasts "Seitenstraße", die seit gestern auf Soundcloud verfügbar ist. Viel Spaß!
Donnerstag, 4. Juli 2024
Torsten testet Nachahmerprodukte: Kokostraum
Ich habe die ausgepackte Praline nicht fotografiert, denn sie sah, das kann ich versichern, exakt so aus wie das Original. Stellt euch also einfach ein Raffaello vor. Auch geschmacklich sind weder mir noch meiner Mitverkosterin Abweichungen aufgefallen. Da ich die Kokoskugel geschenkt bekommen hatte, musste ich ein paar Details recherchieren. Ich schaute mir das Testvideo eines Junkfood-Bloggers an und erfuhr, dass die Aldi-Version weniger knusprig als das Ferrero-Produkt sei, dafür aber mit ein wenig weißer Schokolade angereichert sei. Dass Raffaelo mit dem Slogan "Vollkommen ... ohne Schokolade" beworben wird und "[d]ie Betonung der Tatsache, dass Raffaello keine Kakaobestandteile enthält, [...] konstitutiv für das Image des Produkts" ist (Wikipedia), wusste ich nicht! Neu war mir auch, dass die "Saisons", in denen bestimmte Ferrero-Süßigkeiten ausschließlich verfügbar sind, kein alljährlicher Marketing-Stunt qua künstlicher Verknappung sind. "Als im ersten – und heißen – Sommer nach der Mon Chéri-Einführung im Jahr 1957 einige Pralinen nicht mehr so appetitlich in der Schachtel lagen, wie man es von Ferrero-Produkten erwarten darf, haben wir die Sommerpause eingeführt und seither beibehalten. Denn Hitze und Mon Chéri passen nicht zusammen. So wurde Mon Chéri übrigens zum Vorreiter für andere besonders wärmeempfindliche Marken."
Dienstag, 2. Juli 2024
Serientagebuch 06/24
02.06. Jury Duty 1.03
Jury Duty 1.04
03.06. Gotham 4.10
04.06. Doctor Who 14.04
Jury Duty 1.05
05.05. Gotham 4.11
06.05. Jury Duty 1.06
07.06. The Responder 2.01
09.06. 3 Body Problem 1.07
10.06. The Responder 2.02
Doctor Who 14.05
11.06. Jury Duty 1.07
13.06. Jury Duty 1.08
The Responder 2.03
Gotham 4.12
15.06. 3 Body Problem 1.08
17.06. Doctor Who 14.06
Doctor Who 14.07
House of the Dragon 2.01
18.06. The Responder 2.04
The Responder 2.05
19.06. Evil 2.01
Evil 2.02
24.06. Doctor Who 14.08
25.06. Evil 2.03
House of the Dragon 2.02
26.06. The Jack and Triumph Show 1.01
The Cockfields 2.00
27.06. The Jack and Triumph Show 1.02
The Jack and Triumph Show 1.03
Gotham 4.13
28.06. The Jack and Triumph Show 1.04
The Cockfields 2.01
30.06. Eric 1.01
Eric 1.02
Die für den nicht werbefreien Amazon-Kanal Freevee produzierte Mockumentary Jury Duty hat ein Konzept, das mir noch nie in einer Serie begegnet ist. Die Zuschreibung "Mockumentary" trifft es noch nicht mal: Zu sehen ist eine Sitcom über die Arbeit einer Jury in einem amerikanischen Zivilprozess, wobei alle "Geschworenen" sowie der Richter und sämtliche sonstigen Beteiligten Schauspieler/innen sind (wohlgemerkt Laiendarsteller, bis auf eine Ausnahme: James Marsden spielt eine fiktionalisierte Version von sich selbst; auch Hollywoodgrößen können zum Jurorendienst verpflichtet werden!). Nur eine einzige Person ist kein Schauspieler, sondern ein uneingeweihter angeblicher Teilnehmer einer TV-Dokumentation: Er wähnt sich tatsächlich in einem Gerichtsverfahren und reagiert ungefiltert, live und spontan auf die immer absurderen Situationen in seinem Umfeld.
Allein für die Idee dieses Hybriden aus Sitcom und Fake-Reality-Show war ich dankbar! Wann bekommt man heutzutage schon neuartige Stoffe und unverbrauchte Genres serviert? Und es bleibt nicht nur bei dem erfrischenden Ansatz: Die acht halbstündigen Episoden sind mit famosen Gags, beeindruckenden Improvisationsleistungen und pfiffigen Wendungen gefüllt. Zudem wurde dieses einmalige Experiment unter erschwerten Bedingungen, nämlich während einer Corona-Hochphase, realisiert. Hut ab vor Lee Eisenberg und Gene Stupnitsky ("The Office" US) und ihr Team!
Schon vor Jahren hatte ich mir Liu Cixins "Drei Sonnen" von einer zwielichtigen Hörbuch-Plattform als Audiobuch heruntergeladen, nachdem u.a. Dietmar Dath davon geschwärmt hatte, doch waren die Tracks nicht richtig getaggt, so dass ich mir die Reihenfolge der Kapitel durch wildes Hin- und Herskippen selbst erschließen musste, was bei einem solch anspruchsvollen und Konzentration erfordernden Werk reichlich mühsam ist. Kurzum: Ich brach das Hörbuch ab und war umso erfreuter, als Netflix eine Serienadaptation ankündigte, die mit David Benioff und D.B. Weiss obendrein in fähigen Händen zu liegen versprach.
Dass 3 Body Problem von den "Game of Thrones"-Showrunnern produziert wird (die auch die Hälfte der acht Folgen geschrieben haben), schlägt sich in der Musik (abermals glänzende Arbeit von Ramin Djawadi) wie in der Besetzung nieder: Gleich drei "GoT"-Granden übernehmen tragende Rollen. Wem dabei das Herz höher schlägt, der sei gewarnt, denn hier wie da gilt: Jeder Charakter kann jederzeit das Zeitliche segnen ...
Auch die sonstige Besetzung geht klar. Gefreut habe ich mich, dass es mit Benedict Wong jemand, den ich als Co-Star in einer kruden Independent-Britcom kennengelernt habe ("15 Storeys High", s. Serientagebuch 09/21 und 07/22), in eine High-Prestige-Hollywood-Serie geschafft hat.
"3 Body Problem" ist packend, emotional und überraschend, ich hätte es mir indes angesichts des Rufs, welcher der als einer der wegweisendsten Science-Fiction-Romane des Jahrtausends gehandelten Vorlage anhaftet, im guten Sinne verkopfter, unzugänglicher, gleichermaßen hart wissenschaftlicher und esoterischer vorgestellt. Fans, die "dumbing down" und Massentauglichkeit monieren, bevorzugen, wie ich höre, eh die 30(!)-teilige chinesische Umsetzung. Aber wem kann man es schon recht machen? Ich fiebere jedenfalls der zweiten Staffel entgegen.
Schon die erste Staffel des BBC-Polizeidramas The Responder, das der ehemalige Liverpooler Polizist Tony Schumacher auf Grundlage seiner Erfahrungen kreiert und geschrieben hat, empfand ich als "harten Stoff". Bedrückend geht es weiter: Alle Figuren, großteils aus den ersten fünf Folgen bekannt, haben nicht nur, wie man so schön sagt, ihr Päckchen zu tragen, sondern jeweils einen gigantischen Rucksack von Problemen mit sich herumzuschleppen. Jede setzt sich aus unterschiedlichsten Motiven und Schwächen (Abhängigkeit, Bestechlichkeit, Zorn) einem eigenen Mahlstrom des Verderbens aus, allen voran Hauptfigur Chris (Martin Freeman, auch Produzent), dem es nicht oft gelingt, den Zuschauer für sich einzunehmen.
Adelayo Adedayo als seine Partnerin wirkt schauspielerisch noch gefestigter und liefert eine Gänsehaut-Performance ab. Bittersüß war es, den kürzlich verstorbenen Bernard Hill (der einzige Schauspieler, der in zweien der drei Filme mitgespielt hat, die jeweils elf Oscars gewonnen haben: "Titanic" und "Der Herr der Ringe: Die Rückkehr des Königs"; Quelle: Wikipedia) in seiner letzten Rolle, als Chris' Vater, zu erleben.
Viel Spaß gemacht hat die "erste" (nein, ich bleibe dabei: die vierzehnte) Staffel von Doctor Who. Insbesondere der Mittelteil, inklusive des Comebacks von Steven Moffat als Autor, hat wieder richtiges Who-Feeling erzeugt, ohne dass ich dieses Gefühl richtig zu definieren in der Lage wäre. Ncuti Gatwa taugt mir als 15. Doktor, und selbst die zwei "Doctor light"-Folgen, in denen er wegen anderer Drehverpflichtungen reduzierte Screentime hatte, atmeten seine überdreht-emotionale Aura und funkionierten ihrerseits trotzdem als klassische, munter wegzuguckende RTD-Abenteuer, wie überhaupt die Stand-alone-Geschichten runder ausfielen als der staffelübergreifende Handlungsbogen (der mir ehrlich gesagt nur half-arsed aufgelöst schien).