Montag, 14. Oktober 2024

Symptomatisches Kauderwelsch?

Ich lasse mich hier immer mal wieder über die mangelhafte Qualität von Videospiel-Übersetzungen aus – zu Recht, wie ich finde. In ansonsten höchst erfreulichen Spielen wie den "The Walking Dead"-Adventures von Telltale vermögen misslungene Untertitel, die im günstigsten Fall ungelenk, im schlimmsten Fall sinnentstellend oder -frei geraten sind, die Gesamterfahrung deutlich zu trüben. (Heute erlebt: Mit Blick auf ein Helikopterwrack murmelt der Protagonist "So much for the military ...", was übersetzt wird mit "Das Militär hat viel getan." Wenig später fordern wir einen kleinen Jungen auf: "Sagen Sie niemanden!")

Dass Games deutsche Untertitel haben, und zwar nur Untertitel und keine deutsche Tonspur, ist ein separates, aber damit zusammenhängendes Problemfeld. Diesem widmete sich in der letzten GameStar (Ausgabe 10/2024) Gerald Weßels Artikel "Weniger Synchronfassungen: Fremdsprache Deutsch?". Nachdem ich diesen gelesen habe, verlagert sich das Ziel meines Grolls angesichts der grassierenden Lokalisierungs-Ausrutscher weg von den direkt verantwortlichen, i.e. übersetzenden, Menschen hin zu einem System, in dem einiges im Argen liegt. Da ist – wer hätt's gedacht? – zum einen der Kostenfaktor.
Anett Enzmann [freiberufliche Übersetzerin] beziffert folgendermaßen, wie die Honorare zustande kommen: "Erzielbare Preise bewegen sich auf einer Spanne von sechs bis zwölf Cent pro Wort im Ausgangstext für die Übersetzung und zwei bis vier Cent für Korrektorat."
Bei "typischerweise um die 2.000 Wörter", die man pro Tag schafft, kommt da nicht viel rum. Hier kann ich als freiberuflicher Autor nur (an wen auch immer) appellieren: Bezahlt Geistesarbeiter ordentlich, am Ende haben alle was davon! Ideal wäre es in diesem konkreten Fall freilich, wenn sich Publisher oder Studios in house festangestellte Übersetzer/innen leisteten, die dann zwangsläufig näher dran wären an den Inhalten, am Stoff. Aber nein:
Läuft der Auftrag über eine Agentur, besteht auch meistens kein direkter Kontakt zu Entwicklern, weder zu Beginn des Projekts noch währenddessen. Stattdessen gibt es vorab schriftliche Briefings zur Welt und zu allem, was sonst noch zu beachten ist. [...] Das Spiel selbst bekommen die Texter mehrheitlich auch nie zu sehen, sondern nur exportierte Dateien und Begleitdokumente zur Einführung in die jeweilige Welt und ihre Besonderheiten. Spielzeit würde ohnehin nicht bezahlt werden. Bildmaterial wird lediglich in Form von Screenshots oder als Video gestellt.
[...] Übersetzungsfehler seien deshalb oft ärgerliche Resultate von fehlendem oder zu ungenau erläutertem Kontext, so Anett Enzmann.

Am Ende wird natürlich auch das Thema Maschinenübersetzung gestreift:
Abseits sogenannter Computer Assisted Translation (CAT) Tools mit integrierter Datenbank und einiger Sonder-Features verbreiten sich verstärkt Ansätze, Spiele komplett automatisiert zu übersetzen und nur jemanden drüberschauen zu lassen. Aber der Aufwand ist teils höher, als gleich alles selbst zu erledigen, wie Anett Enzmann im Gespräch erläutert: "Die KI macht Fehler, teils winzige, aber dafür etliche, und das andauernd. Denn sie versteht den Kontext nicht, in Gesprächen übersieht sie geschlechtsspezifische Anreden oder sie kann den Fluss eines Dialogs nicht nachvollziehen."
[...] Der notwendige Aufwand werde obendrein sträflich unterschätzt – und mies bezahlt: Es gibt meist nur ein Drittel des regulären Wortpreises hierfür.
Wohltuend zu lesen, dass der Heilsbringer KI einmal mehr für nichts als Verschlimmbesserung sorgt. Aber klar: "Entscheider mit Finanzgewalt, zumeist Publisher und Agenturen, versprechen sich davon Einsparungen." Nicht nur von Budget, sondern auch von Zeit: Es muss ja heute alles husch-husch gehen, wie auch bei Filmen und Serien hat die deutsche Synchro wenige Tage nach dem Original zu erscheinen, am liebsten gleichzeitig mit diesem.

Abschließend möchte ich noch eine Klarstellung von Begrifflichkeiten zitieren, welche ich selbst wiederholt unsauber verwendet habe:
Anett Enzmann erklärt den Unterschied zwischen Übersetzung und Lokalisierung: "Es ist mehr als nur eine reine Übertragung in eine andere Sprache, es ist die Anpassung an eine andere Kultur." Es gehe darum, den Gepflogenheiten der Zielsprache zu entsprechen.
Ein lokalisierter deutscher Text ist meistens rund 30 Prozent länger als ein englischer. Wortlänge und Grammatik sind hierfür entscheidend. Bei begrenztem Platz in Benutzeroberflächen kann es deshalb oft gequetscht zugehen. Die mögliche Bandbreite solcher Änderungen ist gewaltig, und doch ist das simpelste Beispiel ein Witz. Denn Scherze, Sprichwörter oder Umgangssprache generell in eine neue Sprache zu übertragen, erfordert Fingerspitzengefühl und Kenntnis der spezifischen Situation, in der der Originalsatz vorkommt.

Samstag, 12. Oktober 2024

Das gute Samstagsvideo

Nach langer Pause habe ich mal wieder ein Kreuzworträtsel aus dem TV-Magazin des Stern vor laufender Kamera gelöst. Ohne zu viel verraten zu wollen: Kurz bevor das Video abbricht, kommt mir ein "Heureka!"-Moment.

 

Donnerstag, 10. Oktober 2024

Ich und du und ees und alle

Auf einer Südtiroler Alm schlug ich eine Speisekarte auf und fand darin etwas vor, das mir als historisch-vergleichenden Sprachwissenschaftler das Herz höher schlagen ließ:


enk heißt "euch", hatte aber ursprünglich die Bedeutung "euch beide" und fiel somit in die Numeruskategorie Dual. Zur Auffrischung: Singular = Einzahl ("du"), Plural = Mehrzahl ("ihr"). Mit Letzterem ist der indogermanische Dual, die Zweizahl, zusammengefallen – in manchen Einzelsprachen früher, in manchen später. (Einige nicht-indogermanische Sprachen kannten bzw. kennen sogar einen Trial.)

Dass dieses grammatische Kuriosum in meinem Hirn präsent war, verdankte ich einem Zufall: Als ich im Juli den Blogbeitrag "What's that(')s?" schrieb, konsultierte ich die Mittelhochdeutsche Grammatik von Helmut de Boor und Roswitha Wisniewski (Berlin 1956), las mich darin fest und entdeckte im Kapitel über das Pronomen diesen Absatz (§ 93.3):
Alte Dualformen, die Pluralbedeutung angenommen haben, finden sich im Bairisch-Österreichischen des 14./15. Jhs. (2. Pl.Nom. ëʒ, Dat.Akk. ënc).
Ergänze: "... und bis ins 21. Jh. hinein"! Was ich übrigens nicht erst seit dem entzückenden Berghüttenfund weiß; mein in München teilsozialisierter Kollege Moritz Hürtgen klärte mich schon vor Jahren darüber auf, dass dort bisweilen die Form es (mit langem e) als Alternative zu "ihr" zu hören ist. Bestimmt war mir dieses Relikt auch schon im Studium begegnet. Und weil Gevatter Zufall gern doppelt, sozusagen dual, zuschlägt, widmet sich auch ein Punkt der 13. Fragerunde des "Atlas zur deutschen Alltagssprache" dem bairischen Spezialpronomen. Hier kann man sehen, wo "ees/es/ös" noch verwendet wird:

Dienstag, 8. Oktober 2024

Soulfood für Faule

Im Mai 2008 habe ich ein Rezept namens "Mexikanischer Tomatenauflauf" auf meiner Festplatte gespeichert, letztes Wochenende habe ich es zum ersten Mal umgesetzt, und heute möchte ich das Ergebnis mit euch, liebe Fans der unkomplizierten Wohlfühl-Kulinarik, teilen.


Und so könnt ihr es nachkochen. (Wie so oft habe ich die Zutatenliste leicht an meinen Geschmack angepasst.) In einer großen Pfanne je nach Geschmack (bzw. geplanter sozialer Interaktion am Folgetag) 1 bis 2 zerdrückte Knoblauchzehen in Öl anbraten. Eine grüne Paprikaschote, gewürfelt, sowie 2 Dosen gehackte Tomaten hinzugeben. Mit 1 EL Rotweinessig o.ä. (ich habe Himbeeressig verwendet), 1 TL Zucker, 1 TL Chilipulver (oder mehr, wer's schärfer mag), etwas Pfeffer und nach Wunsch weiteren Gewürzen (1/2 TL Paprikapulver, eine Prise Kreuzkümmel ...) verfeinern und unter gelegentlichem Umrühren maximal 10 Minuten simmern lassen. Dann den abgetropften Inhalt von 3 kleinen Dosen Mais (à 140 g) in die Masse schütten, weitere 3 Minuten erhitzen.

Den Boden einer Auflaufform mit Tortilla-Chips (Sorte: Natur/Salz) auslegen, die Hälfte der Tomatenmasse drüber gießen und darauf die Hälfte einer 150-g-Tüte Reibekäse streuen. Eine weitere Lage Chips auslegen, den Rest der Masse und darauf den restlichen Käse verteilen. Zuoberst 100 bis 150 g saure Sahne tupfen. 15 Minuten im Ofen auf der mittleren Schiene backen, anschließend mit gehacktem Schnittlauch bestreuen. ¡Que aproveche!

Sonntag, 6. Oktober 2024

Tod eines Übersetzers

Das ganz nette Videospiel "Open Roads" habe ich schon vor einer Weile durchgespielt. Zwei weitere Lokalisierungs-Fehlgriffe habe ich dabei fotografisch festgehalten (nicht: "gescreenshotted", denn ich spiele Xbox am Fernseher), und diese ließen in mir den Verdacht aufkeimen, dass für die Übersetzungen von allem, was kein Dialog ist – also Itembezeichnungen, Namen, Schriftzüge in der Spielwelt etc. –, überhaupt keine Menschen verantwortlich zeichneten, sondern Maschinen, Software, KI. (Wobei die Verdeutschung der Dialoge ehrlich gesagt auch nicht unbedingt gelungen ist.) Wie sonst ist so etwas zu erklären?


Lange habe ich hierüber gegrübelt:


... bis mir aufging, dass hier im Original "Close" steht, jedoch nicht als Verb ("Schließen"), sondern als Adjektiv gedeutet wurde.

PS: Obwohl ich immer noch gerne und regelmäßig spiele, habe ich schon lange keine Rezension mehr veröffentlicht. Ich hab's nicht vergessen! Irgendwann werde ich es schaffen, meine zuletzt gespielten Computer- und Xbox-Games in einem Sammelbeitrag vorzustellen.

Freitag, 4. Oktober 2024

Schon jetzt an Weihnachten riechen!

Leute, ich gebe es auf, meine Liste der Räucherkerzchensorten aus dem Hause Knox weiterzuführen. Vergangenes Wochenende war ich in der Erzgebirgsstadt Seiffen, wo 365 Tage im Jahr Weihnachten ist, und in den unzähligen Holzkunst- und Endjahresschmuck-Geschäften sah ich so viele mir unbekannte Varianten, dass mir schwindelig wurde (das könnten aber auch die ganzen sich ununterbrochen drehenden Pyramiden ausgelöst haben). Nicht nur bei Knox, sondern auch bei der Konkurrenz (Crottendorfer, Neudorfer) sind sie scheint's völlig außer Rand und Band: Melonenduft fand ich vor, Pfirsich, Waldhonig, Edel-Kakao und etwas, das sich "Winter-Orange" nannte. Außerdem das alles hier:


Müßig zu erwähnen, dass ich aus Neugier hie und da zugeschlagen habe ...

Mittwoch, 2. Oktober 2024

Serientagebuch 09/24

04.09. Futurama 9.06
Andor 1.06
05.09. Grace 4.04
06.09. Insomnia 1.01
Insomnia 1.02
16.09. Andor 1.07
Insomnia 1.03
Gotham 4.21
17.09. Futurama 9.07
18.09. Futurama 9.08
19.09. Insomnia 1.04
Insomnia 1.05
Gotham 4.22
23.09. Insomnia 1.06
Andor 1.08
Andor 1.09
24.09. Criminal Record 1.01
Person of Interest 3.01
26.09. Criminal Record 1.02
Futurama 9.09

Grace ist mittlerweile nach "Der junge Inspektor Morse" meine Lieblingskrimireihe aus England. Die Fälle der vierten Staffel führten auf erfrischende Weise in verschiedene Milieus, waren geistreich, vertrackt und forderten den Zuschauer. Das Ensemble wächst einem immer mehr ans Herz. Der folgenübergreifende Plot, welcher zum Teil in Deutschland spielt (wobei ich mich gefreut hätte, wenn tatsächlich mal in Deutschland gedreht worden wäre), nimmt gerade genug Raum ein, dass er nicht vom jeweiligen Hauptfall ablenkt. Gelegentlich war, wie bei "Morse" zwischenzeitlich auch, eine leichte Genre-Verschiebung vom klassischen Whodunit zum Thriller hin zu vernehmen, was mich aber nicht verstimmte.

Erstaunlich, dass ich noch nie etwas zu Gotham geschrieben habe bis auf jene Notiz vor ziemlich genau sieben Jahren: "Mir fällt eine Last von den Schultern. Ich habe beschlossen. 'Gotham', 'The Big Bang Theory' sowie 'Mr. Robot' nicht weiterzuschauen. Die jeweilige Begründung spare ich mir, ich empfehle aber, es mir gleichzutun."
Haha! Die zwei letztgenannten Serien habe ich später sehr wohl bis zum Finale weitergeschaut und habe es nicht vollends bereut. Auch "Gotham" bin ich bereit irgendwann zu beenden. Wenn ich, vsstl. 2025, mit der fünften und letzten Staffel durch bin, werde ich ausführlicher auf die Probleme wie auch auf die positiven Aspekte der Batman-Interpretation eingehen. Zur mit 22 Episoden abermals sehr lang (zu lang imho) geratenen vierten Staffel kann und möchte ich vorerst dies festhalten: Der Anfang war nicht nur überdurchschnittlich unterhaltsam, sondern stellenweise grandios, der Mittelteil mit seinen zig "Jeder gegen jeden"-Wendungen ermüdete und stresste mich (und offenbar auch den Writers' Room; 'Herrje, euch schwimmen langsam die Felle davon, oder?', dachte ich mehr als einmal), zum Ende hin wurde es dann wieder okay. "Gotham" gucken ist Hate-watching par excellence.

In der Mitte schwächeln, das ist ein Symptom, das leider auch beim Psychodrama Insomnia auszumachen war. Und das bei gerade mal sechs Folgen Umfang! Zum Glück ging der nicht unspannenden und bisweilen subtil gespenstischen Geschichte nicht komplett die Luft aus. Es passierte allerlei, und ich wollte unbedingt wissen, was dahinter steckt. Vicky McClure als von Schlafstörungen geplagte (hence the title) Mutter und Rechtsanwältin überzeugte mich in dieser britischen Miniserie unerklärlicherweise weniger als in früheren Produktionen, in denen ich sie erlebte.