Donnerstag, 10. Oktober 2024

Ich und du und ees und alle

Auf einer Südtiroler Alm schlug ich eine Speisekarte auf und fand darin etwas vor, das mir als historisch-vergleichenden Sprachwissenschaftler das Herz höher schlagen ließ:


enk heißt "euch", hatte aber ursprünglich die Bedeutung "euch beide" und fiel somit in die Numeruskategorie Dual. Zur Auffrischung: Singular = Einzahl ("du"), Plural = Mehrzahl ("ihr"). Mit Letzterem ist der indogermanische Dual, die Zweizahl, zusammengefallen – in manchen Einzelsprachen früher, in manchen später. (Einige nicht-indogermanische Sprachen kannten bzw. kennen sogar einen Trial.)

Dass dieses grammatische Kuriosum in meinem Hirn präsent war, verdankte ich einem Zufall: Als ich im Juli den Blogbeitrag "What's that(')s?" schrieb, konsultierte ich die Mittelhochdeutsche Grammatik von Helmut de Boor und Roswitha Wisniewski (Berlin 1956), las mich darin fest und entdeckte im Kapitel über das Pronomen diesen Absatz (§ 93.3):
Alte Dualformen, die Pluralbedeutung angenommen haben, finden sich im Bairisch-Österreichischen des 14./15. Jhs. (2. Pl.Nom. ëʒ, Dat.Akk. ënc).
Ergänze: "... und bis ins 21. Jh. hinein"! Was ich übrigens nicht erst seit dem entzückenden Berghüttenfund weiß; mein in München teilsozialisierter Kollege Moritz Hürtgen klärte mich schon vor Jahren darüber auf, dass dort bisweilen die Form es (mit langem e) als Alternative zu "ihr" zu hören ist. Bestimmt war mir dieses Relikt auch schon im Studium begegnet. Und weil Gevatter Zufall gern doppelt, sozusagen dual, zuschlägt, widmet sich auch ein Punkt der 13. Fragerunde des "Atlas zur deutschen Alltagssprache" dem bairischen Spezialpronomen. Hier kann man sehen, wo "ees/es/ös" noch verwendet wird:

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