Donnerstag, 14. November 2024

Wort des Monats (plus Bonuswort)

Heute kommt der Dokumentarfilm "Johatsu – Die sich in Luft auflösen" in die Kinos. Weder das japanische Wort jōhatsu noch den dahinterstehenden Begriff kannte ich bis vor kurzem. Mit "die sich verflüchtigt Habenden", "die Verdunsteten" oder "die zu Wasserdampf Gewordenen" lässt es sich wohl übersetzen. Rund 100.000 derart bezeichnete Menschen (der Rezensionstext der Cinema sprach von 80.000) lassen sich angeblich jedes Jahr mit Hilfe von "Nachtflugagenturen" (Night Moving Companies) in Luft auflösen: Weil sie sich aus einer Beziehung lösen wollen, ihren unglücklich machenden Job aufgeben möchten (was in Japan als ehrenlos gilt) oder in kriminelle Machenschaften verstrickt sind, geben sie ihr bisheriges Leben auf, lassen ahnungslose Angehörige und Bekannte zurück und fangen an einem fremden Ort wieder bei null an. Über jōhatsu zu sprechen ist nicht weniger tabuisiert als über Suizid. Einen deutschsprachigen Wikipedia-Artikel zu diesem Phänomen gibt es noch nicht, dabei sei es laut dem englischsprachigen Eintrag auch für Deutschland belegt.

Schon eher bekannt, wenngleich eine wahrscheinlich der buddhistischen Mythologie entlehnte urbane Legende, ist das Konzept, das auf japanisch ubasute oder obasute/oyasute heißt, wörtlich "eine alte Frau" resp. "ein Elternteil zurücklassen". Gemeint ist das Aussetzen greiser Familienmitglieder. Laut Wikipedia sollen "im späten 18. und 19. Jahrhundert [...] verarmte Familien während Hungersnöten Kleinkinder wie auch pflegebedürftige Senioren in besonders dichten Wäldern und/oder schwer zugänglichen Bergregionen ausgesetzt und zum Sterben zurückgelassen haben." Die englische Wikipedia listet Beispiele aus der Popkultur auf. Ich möchte in diesem Zusammenhang auch auf Senizid in Indien (Thalaikoothal) und im (prä-)historischen Schweden (Ättestupa; engl.) hinweisen.

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