Die Übersetzerin Ki-Hyang Lee hat mehrere Romane der südkoreanischen Nobelpreisträgerin Han Kang ins Deutsche übertragen. Erwartbarerweise gibt es immer wieder "Nuancen im Originaltext von Han Kang, die in der Übersetzung schwer vollständig wiederzugeben sind", zitiert die Süddeutsche Zeitung sie in einem lesenswerten Artikel vom 24. Februar (online nur hinter Paywall), der sich mit Schwierigkeiten der Übersetzung aus fernöstlichen Sprachen in europäische befasst.
Beispiel Japanisch: Der Roman "Schneeland" des ersten japanischen Literaturnobelpreisträgers Yasunari Kawabata beginne bereits mit einem extrem vertrackten Satz (der hier nicht auf Japanisch reproduziert zu werden braucht).
Die klassische Übersetzung des US-Japanologen Edward Seidensticker lautet: "The train came out of the long tunnel into the snow country." Also: "Der Zug kam aus dem langen Tunnel in das Schneeland." Es ist bei Seidensticker, als würde der Erzähler den Zug aus dem Tunnel fahren sehen. Aber im japanischen Original ist vom Zug keine Rede, es gibt im ersten Satzteil kein Subjekt. Einen Erzähler von außen gibt es auch nicht. Japaner lesen im Originalsatz die Stimmung, die man erlebt, wenn man nach einer Fahrt im Tunnel von der schneelosen Seite des Berges auf die verschneite Seite kommt. Tobias Cheung hat den Satz in der Suhrkamp-Auflage von 2011 möglichst wörtlich übersetzt: "Jenseits des langen Tunnels erschien das Schneeland." Trotzdem: Die wahre Tiefe dieses Romananfangs liegt wohl nur in Kawabatas Japanisch.
"Kein Subjekt"? Das würde ich mir gerne genauer erklären lassen, aber ich glaube es einfach mal. Nicht minder staunen ließ mich die Tatsache, dass die Übersetzerin von Han Kangs Debutroman "Chaesigjuuija", die Britin Deborah Smith, erst sieben Jahre, bevor sie das Werk ins Englische übertrug ("The Vegetarian"), angefangen hatte, Koreanisch zu lernen! Dementsprechend unperfekt geriet die Übertragung denn auch, zumindest nach Ansicht von Fachleuten, die der englischsprachigen Fassung ein Übermaß an "Adverbien, Superlativen und anderen Veranschaulichungen" beschied. Man darf hier dennoch einwerfen: "Oder bringt gerade dieser Unterschied das Verständnis des internationalen Publikums?" Am Ende stellte sich der Ruhm schließlich dank des Vorhandenseins von Übersetzungen, deren Anfertigung übrigens stets von der Autorin begleitet wird, ein. Man muss halt einsehen: "Eine Übersetzung kann nie größer werden als das Original." Muss sie auch nicht.