Dienstag, 21. Januar 2025

Ausflug nach dem Westerwalde

Letzten Freitag bin ich sehr früh aufgestanden und entlang meiner Lieblingsbahnstrecke mit der RB10 ("RheingauLinie") bis zu deren Endhaltestelle Neuwied gefahren: In der dortigen Stadtgalerie / ehemaligen Mennonitenkirche läuft nämlich noch bis zum 26. Januar die Ausstellung "Aiga Rasch und die geheimen Einblicke". Gezeigt werden die Buchcover, die von der schwäbischen Illustratorin für alle zwischen 1970 und 1999 erschienenen Bände der Reihe "Die Drei ???" angefertigt wurden, außerdem Arbeiten für andere Publikationen, Beispiele ihres sonstigen bildnerischen Schaffens sowie mancherlei mehr, was mit den Drei Fragezeichen zu tun hat (internationale Ausgaben, Merchandise).


Zu sehen sind auch Coverentwürfe, bei denen es sich nicht nur um Skizzen handelt, sondern um ausgearbeitete Zeichnungen – in der Regel mindestens fünf Stück pro Folge –, die zudem oft stark variieren.


Bemerkenswert ist, dass der finale Buchtitel zum Abgabezeitpunkt meist noch nicht feststand. So erfährt man u.a., dass "Die verschwundene Seglerin" (#71) den Arbeitstitel "... und der venezianische Spiegel" trug, sogar noch, als der Verlag sich bereits auf ein Cover festgelegt hatte. Die Jubiläumsnummer "Feuermond" hieß bis kurz vor knapp "Feuer der Mondes".


Am interessantesten fand ich einen Aktenordner, in dem Inspirationen und Vorlagen abgeheftet waren. Wenn ein Foto in einer Zeitschrift, eine Werbeanzeige o.ä. ihre Aufmerksamkeit auf sich zog, schnitt Aiga Rasch es aus und verwendete es zum geeigneten Anlass als "Rohmaterial": Sie setzte es fast 1:1 als Zeichnung um, verpasste ihm ihren markanten Grusel-Touch, fertig war das Cover. Ein Action-Shot aus einem Basketballspiel etwa landete auf Band 55 "Gekaufte Spieler". Fun Facts: Das Haus auf dem Cover von "Geisterstadt" (#64) ist das Geburtshaus von Karl May, der "Karpatenhund" (#3) ist ein Kampfhund, der ein Kind totgebissen hat, und die entsetzte Person am Telefon auf Band 72, "Dreckiger Deal", ist der CBS-News-Sprecher Dan Rather!


Damit ich nicht nur für einen einstündigen Museumsbesuch so eine weite Fahrt auf mich nehmen musste, verband ich den Trip mit einer Wanderung, deren Beschreibung ich mir vor Ewigkeiten aus der FAZ herauskopiert hatte – eine original Thomas-F.-Klein-Tour, die ich allerdings nur zur Hälfte absolvierte. Denn das Archäologische Forschungszentrum und Museum für menschliche Verhaltensevolution in der ehemaligen Fürstenresidenz Monrepos lockte mich. Die Erkundung der nach modernen Maßstäben der Museumsdidaktik angelegten Steinzeit-Schau lohnte sich.


Das Schloss Monrepos hatte ich vorher schon auf einem Gemälde gesehen: in einem wiederum anderen Museum, in das ich zuallererst gegangen war.


Es begab sich nämlich, dass ich am Neuwieder Bahnhof aufgrund von Busnummern-Verwirrung den Bus, der mich zum Ausgangspunkt meiner Wanderung bringen sollte (Altwied, wo sich eine nette Burgruine befindet), verpasst hatte. Ich schaute auf Google Maps, was ich in den folgenden 60 Minuten unternehmen könnte, und entdeckte ein "Roentgen-Museum". Ich dachte 'Huch, was hat der berühmte Physiker denn mit dieser Region zu tun?' und ging hinein. Ein Zettel an der Kasse offenbarte mir, dass die Eintrittspreise wenige Tage zuvor "angepasst", i.e. erhöht worden waren, dafür war aber auch die 3. Etage "derzeit nicht begehbar". Dort oben sowie in den zwei Stockwerken darunter befänden sich "Roentgen-Möbel", erklärte mir der Mitarbeiter am Einlass. Ich konnte mir unter "Roentgen-Möbeln" nichts vorstellen: Sind das Möbel aus dem Labor des Forschers? Wie "aufregend" ... Ein paar Minuten später wurde ich erhellt: Das Museum war nicht Wilhelm Conrad Röntgen gewidmet, sondern David Roentgen, einem Kunsttischler, der bei seinem nicht minder begabten Vater Abraham in die Lehre gegangen war und im 18. Jahrhundert halb Europa mit seinen prächtigen Kabinetten und Einrichtungsgegenständen versorgte. Die präsentierten Stücke – darunter Architektentische, Schreibschränke mit Geheimfächern sowie mit ausgefeilten Klappmechanismen versehene "Verwandlungstische" (Sekretär und Stehpult in einem!) – gefielen mir außerordentlich gut mit ihren klassizistischen Streben, strengen rechten Winkeln und glänzenden Intarsien. Es gab auch Uhren, die in Zusammenarbeit mit Peter Kinzing, dem zweiten berühmten Kind der Stadt, entstanden sind.




Das Erdgeschoss des offiziell "Kreis-Museum" genannten Gebäudes befasst sich mit dem Wirken des Genossenschaftsgründers Friedrich Wilhelm Raiffeisen, der mit seinen Anstößen zu Sozialreformen viel für den örtlichen Bauernstand getan hat. Die obligatorische historische Wohnstube darf freilich auch nicht fehlen.


Zum Schluss ein kleiner Tadel: Neuwied gibt sich nicht besonders viel Mühe, einen positiven Ersteindruck zu erzeugen. Das Bahnhofsgebäude ist abgesperrt und nicht zu betreten. In unmittelbarer Nähe gibt es weder Cafés noch Bäckereien; nur an einem Kiosk nebenan konnte ich mir einen (überteuerten) Kaffee holen. Die Landschaft macht im Sommer und im Herbst wahrscheinlich mehr her, zurzeit ist alles eher trist und grau. Dass zudem Temperaturen rund um den Gefrierpunkt herrschten, trug dazu bei, dass ich auf den gut 12 Kilometern, die ich wanderte, kaum einer Menschenseele begegnet bin.


Zu loben ist, dass ich mir in der Stadtgalerie einen kostenlosen Teebeutel und eine Anstecknadel mit dem Wappentier Neuwieds mitnehmen durfte.

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