Ein Cover, das vermutlich die meisten heute leider nicht mehr verstehen. Dass sich Hamburg 2015 für die Ausrichtung der Olympischen Spiele bewerben wollte bzw. nicht wollte (und nun voraussichtlich bewerben wird), hat man womöglich auf dem Schirm, aber an die Geschehnisse in einem sachsen-anhaltinischen Dorf erinnern zehn Jahre später nur vereinzelte Medien. Wir dachten damals, "Tröglitz" würde zu einer schandvollen Chiffre wie "Rostock-Lichtenhagen", "Solingen" und "Mölln" werden, aber ach!, schon bald sollte Tröglitz nur einer von vielen, vielen dunkeldeutschen Orten sein, aus denen ähnliche Taten vermeldet (bzw. irgendwann nurmehr unter "Vermischtes" verbucht) wurden.
Nach einer bitteren Anzeigenparodie von Tim Wolff und mir (S. 14/15) sowie Moritz Hürtgens Parodie auf die SZ-Protokolle des NSU-Prozesses (S.16ff.) dürfte die Laune der Lesenden dann vorerst auf dem Tiefpunkt angekommen sein. Sie wird gehoben dank der Fotostory um den tränenvollen "Volksseelsorger" Joachim Gauck ("Ein Quantum Gauck", Hauck/Wolff, S. 24ff.):
Auf S. 39 folgt der nächste Downer in Gestalt einer fünfseitigen Spezialausgabe des Lufthansa-Magazins, in welchem ich zusammen mit E. Hauck, M. Hürtgen und L. Riegel den von einem psychisch kranken Co-Piloten vorsätzlich herbeigeführten Absturz einer Germanwings-Maschine verarbeitete. Einer angemessen geschmacklosen bunten Strecke mit u.a. einem Domian-Interview und einem Gewinnspiel ("1. Preis: Ein Wochenende am Broadway für 2 Personen inkl. Hin- und Rückreise mit der Bahn und Tickets für das Musical 'Einer flog ins Kuckucksnest'; 2. Preis: Zehn Gratis-Stornierungen; 3. Preis: Ein unverwüstliches Kofferset von Samsonite ... Angehörige von Lufthansa- und Germanwings-Mitarbeitern sind aus Pietätsgründen ausnahmsweise nicht ausgeschlossen") ging ein Grußwort des Lufthansa-Chefs Carsten Spohr voraus:
"Die Entwicklung der 3D-Printer ist erstaunlich. Eben noch spuckten sie primitive Aschenbecher und Serviettenhalter aus, jetzt komplexe Aschenbecher und Serviettenhalter. Und was wird morgen sein?", fragte sich Ella Carina Werner und stelle auf der Doppelseite 32/33 "Schönes aus Kunstharz" vor. Besonders erfreut hat mich, dass das sagenhafte Inzest-Foto aus der Januarausgabe noch einmal verwertet werden konnte.
In die neue Folge von Elias Haucks Schnipselseite (S. 47) hat es diesmal eine Spende von mir geschafft: Es handelt sich natürlich um das "Ohne Worte"-Abreißkalenderblatt.
Noch einmal zurück zum Anfang des Heftes: Ich finde im Rückblick, dass jeder der drei "Abgelehnt"-Titel besser gewesen wäre als die tatsächliche U1!
Weiteres Notierenswertes
- April 2015 war der Monat, in dem Günter Grass starb (s. Editorial). Noch bevor ich die Todesnachricht im Internet las, hörte ich sie aus dem Munde Martin Sonneborns, denn ich absolvierte da gerade mein EU-Praktikum.
- Der Umblättercartoon im Essay stammt diesmal erneut von Stephan Rürup und ist ein echter Hingucker in Holzschnitt(!)-Optik.
- Ein Egner-Gemälde als Poster in der Heftmitte, das hat man auch nicht alle Tage!
- Eckhard Henscheid über den "Sonderfall Söder" (S. 36-38): "Heute schon prangt dings... äh: Söder, mit Würd' und Hoheit angetan, gerüstet zudemlich mit beinhärtester Chuzpe auf seinem güldenen Thron und Kothurn im Nürnberger Heimatmuseum bzw. vielmehr -ministerium. Und diese ganze mistige CSU-Bagage, diese verfickte, im fernen München, die hält er sich dort tadellos auf Distanz vom Leibe. Der Kopf von Söder ist zwar seit ca. 2012 frappant machtvoll ausgewuchtet, ja, wie verschiedentlich versichert wird, schon als ein rechter Saukopf zu deklarieren. Aber das ist übertrieben. Vielmehr gemahnen Air und Gesichtsmuskelspiel samt souveräner Grinsgrimassen an Donald Duck oder an eine Barbiepuppe oder aber auch an Schweinchen Schlau."
- Zum Glück führe ich penibel Buch über jeden einzelnen meiner Titanic-Beiträge. Nie im Leben wäre ich heute darauf gekommen, dass die Idee für Elias Haucks Cartoon "Kukident für Elefanten" (S. 57) von mir stammte. Aber so steht's geschrieben.
Schlussgedanke
Ein recht deprimierendes Zeitzeugnis, dieses Heftchen. Trotzdem gibt's wie gehabt ein paar solide Lacher. Note 4+.
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